LIVE SKULL / 26.02.2024 - Hamburg, Hafenklang

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LIVE SKULL haben gestern im „Hafenklang“ ein herausragendes Konzert gegeben, und kaum jemand hat es mitgekriegt!
 
Seit 2019 haben Live Skull 3 äußerst solide Alben auf dem italienischen Label Bronson Produzioni veröffentlicht. Davor gab es sie 29 Jahre lang nicht. In den 80er Jahren waren sie Zeitgenossen von SONIC YOUTH, den SWANS und anderen geschichtsträchtigen New Yorker NoWave-/Noise-/Indierockbands. '87 oder '88 kaufte ich mir „Dusted“, das zusammen mit dem zwei Jahre jüngeren „Positraction“ als Krönung der Diskografie von Live Skull in ihrer ersten Inkarnation gilt. Live Skull waren auf Homestead, dem zweitbesten Label nach SST, also gehörten sie dazu, auch wenn ich ihre besonderen Qualitäten erst später zu würdigen wußte.
 
 
LIVE SKULL 
 
 
 
 
Mark C. (Gesang Gitarre) und Schlagzeuger Rich Hutchins (der später auf der eigens zum Signieren erstandenen CD mit „Bloody Rich“ unterschreiben und eine kleine Snaredrum danebenmalen wird) kommen aus der bzw. einer Originalbesetzung von damals, Gitarrist Dave Hollinghurst und Bassist Kent Heine sind mehr oder weniger neu an Bord. Live Skull anno 21. Jahrhundert klingen gar nicht so anders als ihre Vorgängerversion: Immer noch dystopisch, aufgewühlt, manisch, treibend und nicht unbedingt catchy. Mark C.s Gesang schwebt ätherisch zwischen den permanent kommunizierenden bzw. parallel monologisierenden Gitarren; ganz anders als die damalige Sängerin THALIA ZEDEK, die sich aggressiv behauptete, auch wenn ihre Stimme eher in den Sound hineingemischt war.
 
(Exkurs „Thalia Zedek“: Nach der Auflösung Live Skulls in den Neunzigern wurde sie mit COME bekannter und macht seit nunmehr etlichen Jahren unter eigenem Namen und mit dem basslosen Trio E sehr hörenswerte Musik.)
 
Und der Berieselungsverantwortliche des heutigen Konzertabends beweist seinerseits Geschmack und Kenntnis, indem er ausschließlich Zeug von damals auflegt: THE FALL, SLITS, frühe Sonic Youth, BAUHAUS, BUSH TETRAS (Bush Tetras!), JOY DIVISION und PIL. Die erste Postpunkwelle hat die beste Musik aller Zeiten hervorgebracht, da ist meine Heimat, da bin ich zu Haus.
 
 
LIVE SKULL
 
 
Circa neuneinhalb andere alte Sacknasen sind das auch. Das ist natürlich viel zu wenig; beinah peinlich, dass eine Band mit einem derart legendären Namen in Hamburg Rock City vor Erdnüssen auftreten muß. Aber Live Skull nehmen’s gelassen, bedanken sich für unser Erscheinen und legen los. Was sofort auffällt: Rich Hutchins spielt sein Schlagzeug stehend. Konservative Teile von mir wollen das gimmickhaft finden. Auch opto-chemisch knarzt es im Gebälk: Während die Frontrow mit der diskret verlebten Eleganz der Gitarristen und diesem Schuß Indie-Schluffigkeit, die der Bassmann mitbringt, ein einigermaßen geschlossenes Bild abgibt, sieht Rich Hutchins mit seinem „kranke Kopulation“-Bauchtattoo (natürlich in Englisch) aus wie ein viriler Knastologe; und dazu noch standup drummer. So kommt eine Rockabilly-Schlagseite ins Spiel, die mir anfangs nicht recht paßt.
 
Mit der Zeit wird Hutchins aber immer mehr zum positiv besetzten Blickfang. Seine Art des Schlagzeugspielens hat etwas Tänzerisches, er scheint ein lustiger, warmherziger Kerl mit Schalk im Nacken zu sein, und sein Drumming ist sowieso über jeden Zweifel erhaben: Einerseits steady peitschend, andererseits mit ganz eigener Break-Handschrift. Nach einer halben Stunde schaue ich fast mehr ihm zu als C. und Hollinghurst.
 
Diese intertwining guitars, die über weite Strecken ihr eigenes Ding machen, dann aber doch wieder fast metaphysisch aufeinander bezogen sind, machen den besonderen Reiz im Live-Skull-Sound aus. Darin erinnern sie indirekt an TELEVISION, noch so eine sagenumwobene Band aus diesem mythischen New York. Wirklich spannend und inspirierend zu verfolgen, welche Melodie, welcher Akkord oder welches durch Hall und Delay gejagte Geräusch gerade von welchem Gitarristen erzeugt wird; dann wieder einen Schritt zurück zu machen und den Fokus auf die ganze Band zu legen, um bald wieder einzelnen Mitgliedern auf die Finger zu schauen - Dieser Perspektivwechsel hat mir lang nicht so viel Vergnügen bereitet wie heute bei Live Skull. Dazu tragen auch Mark C.s gelegentliche Ausflüge ans Keyboard bei.
 
 
LIVE SKULL
 
 
Auf der Setlist stehen hauptsächlich Stücke von den letzten 3 Alben. Älteres wird punktuell eingestreut, „Debbie‘s Headache“, „Machete“, „Raise The Manifestation“ - aber ob ein Song nun über 30 Jahre alt ist oder Dave Hollinghurst „Neutralize The Outliers“ vom aktuellen Werk „Party Zero“ singt, ist eigentlich zweitrangig: Alles klingt wie aus einem Guß, und die Jahrzehnte verdichten sich zu anderthalb Stunden Musik, die, ich wiederhole mich, von viel mehr Leuten hätte gehört und gefeiert werden müssen.
 
Wir 10 applaudieren, was die Flunken hergeben, und mitten in seiner Anmoderation des Zugabenrituals wird Dave Hollinghurst klar, dass man sich das heute Abend wirklich schenken kann (und an jedem anderen Abend vielleicht auch, aber den Gedanken verfolge ich hier nicht weiter). Also spielen Live Skull ihren letzten Song, und dann war es das.
 
Hinterher noch Gespräche mit Rich Hutchins und Mark C., der ganz begeistert ist, dass ich mir die letzten drei Live-Skull-Alben immer gleich beim Label bestellt habe. Ich erkundige mich nach dem status quo bzgl. des seit langen angekündigten „Dusted“-Reissues (Eins von „Positraction“ ist auch in der Pipeline) und erfahre, dass sich bisher kein williges Label finden ließ, erst Recht nicht seit Covid. Was schade sei, weil die Remaster und alles Andere bereitstünden. Zur Not würde man vielleicht selber eine kleine Auflage finanzieren, orakelt Hutchins, aber das sei ja alles immer gleich ganz schön teuer. Kann ich bestätigen. Dann mache ich mich mit meiner liebevoll bekritzelten CD auf den Heimweg.
 
 
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