WILWARIN 2019 / 08.06.2019 - Ellerdorf, am Arsch der Heide, Tag 2

3 Dislike0

Philipp: Auf der Hinfahrt zum Wilwarin verliest uns Jan ML via Smartphone den Downer schlechthin: BLITZ-Records machen dicht. Ja, scheiße, da ist die Stimmung aber erst mal im Keller! Den gesamten Festivaltag über gibt es zwischen den Bands dann auch kaum ein anderes Thema. Ich höre so viele herrliche und bewegende Geschichten in Bezug auf mehrere Jahrzehnte BLITZ, dass ich sie eigentlich mal zu einer Story zusammenfassen müsste. Die wird traurig. Und schön. Aber traurig.

Dennoch muss es irgendwann heißen: Heads up und ‘n Blick auf den Stundenplan geworfen. Und da steht, dass uns heute u.a. POPPERKLOPPER, HELLFREAKS, ACHT EIMER HÜHNERHERZEN, ZELLEN, ROTOR, LICH KING und ASOMVEL erwarten. Na, denn mal ab!

 

Doppelbericht von JoyBoy und Philipp, Photos von Jan ML folgen.

 

AFFENMESSERKAMPF

JoyBoy: Der Tag beginnt kurz nach dem Aufstehen mit CLOWNS IN WUT a.k.a. AFFENMESSERKAMPF auf der Skate Ramp Stage. Von fast allen nötigen Kleidungsstücken findet sich noch irgendwo eines, das halbwegs trocken geblieben ist. Ausnahme: Schuhe und Socken. Immerhin die Gummistiefel bringen‘s noch, aber ohne Socken schocken die auf Dauer nicht so richtig. Mein Blick fällt auf ein offensichtlich nicht frisches, aber immerhin trockenes Paar, das aus irgendwelchen Gründen vor der Bühne rumliegt. Nach einem Song Bedenkzeit („Band of Bros“?) schlage ich zu und fühle mich schlagartig komfortabler. AMK haben die Form des RD-ROCK gut konservieren können und spielen außerdem erstaunlich lange und kreuz und quer durch ihre Veröffentlichungen. Sehr gut zum Aufstehen.

 

NO SUGAR

JoyBoy: Von NO SUGAR bekomme ich nach dem Mittagessen leider nur noch die letzten drei Songs mit. Flicke gibt grundlegende Flirt-Hinweise an die männlichen Besucher des Festivals, die „uns“ leider ein unangenehmes Zeugnis ausstellen. Ich verweise da einfach mal auf den Text des Album-Vorabsongs „Time‘s up“ (nachhör- und lesbar bei nosugar.bandcamp.com), der auch auf diese Ansage folgt, wenn ich mich noch recht erinnere. Allgemein scheint sich die Band mit jedem Auftritt, den ich sehe, musikalisch und visuell nochmal weiterzuentwickeln. Ich habe den Eindruck, dass die nach dem Demo entstandenen Songs auch noch etwas weniger nach den jeweiligen Vorgängerbands der einzelnen Bandmitglieder und noch mehr nach NO SUGAR (also irgendwie nach einem eigenwillig zusammengestellten Neo/Retro-Rock‘n‘Roll) klingen. Die im Oktober rauskommende Platte ist definitiv fest eingeplant.

 

RØTT

JoyBoy: Bei RØTT habe ich dann meinen nächsten Arbeitseinsatz. Auch wenn die Konzerte im Subrosa oder meinem Wohnzimmer ihren eigenen Reiz haben, ist es beeindruckend, was passiert, wenn die Band sich mal einigermaßen akkurat verstärken lässt. Man möchte darauf wetten, dass die natürlich schon etwas länger bekannten Bandmitglieder – speziell die an Bass, Gitarre und Drums – schon lange nur darauf gewartet haben, mit einem entsprechenden Bandprojekt einfach kompromisslos alles kaputt zu klöppeln. Das wird dann auch sehr dankend vom Publikum aufgenommen. In gut unterrichteten Kreisen wird gemunkelt, dass auch hier eine erste kleine Veröffentlichung in Arbeit ist

 

LICH KING I

Philipp: Als wir die Karre geparkt haben, dröhnt von der Skate Stage ganz geil klingendes Geballer zu uns herüber. Leider dauert es lange, bis wir dort angekommen, da wir auf dem Weg zu vielen Menschen ein „Moin“ entgegenwerfen müssen. Als wir dann dort sind, ist die Band durch. Wir erfahren, dass es sich um einen Zusatzauftritt von LICH KING gehandelt habe, die Stunden vor ihrer Hauptbühnenshow hier auf der Skate Stage ihre Lieblingssongs gecovert haben. Coole Aktion!

 

POPPERKLOPPER

Philipp: Eine Band sehen wir immerhin doch noch auf der Skate Stage und das sind die guten alten POPPERKLOPPER (gegründet 1989 oder so). Die Punks hatten mal Kritik von der Basis geerntet, weil sie sich in eine „zu rockige“ Richtung entwickelt hätten. Diese Phase, welche die Band später übrigens mal mit der Gegenfrage „wie kann es bitte ZU VIEL Rock’n’Roll sein?“ geschickt gerechtfertigt hat, war aber offenbar bereits 2012 vorbei, wie ich meinem eigenen Review vom Meiereiauftritt mit ABFUKK und ABSTURTZ entnehme. Auch heute kann nicht die Rede davon sein, dass POPPERKLOPPER „zu rockig“ seien. Vielmehr gibt es rotzig und schnell einen Deutschpunkkracher nach dem anderen vor den Latz. Das Trio (waren es vor sieben Jahren in der Meierei eigentlich noch vier Bandmitglieder?) erzeugt einen Bierdosenhagel und vor der Bühne spielen sich herrliche Szenen ab. Man muss es als Band jedenfalls überhaupt erst mal schaffen, so lange zu existieren, dass das Feindbild der Gründungszeit (-> Popper) derart vollständig überwunden wird, dass sich heute kaum noch jemand überhaupt an den Begriff erinnert.

 

HELLFREAKS & ACHT EIMER HÜHNERHERZEN

Philipp: Wir schlumbumbern übers Gelände und checken HELLFREAKS und ACHT EIMER HÜHNERHERZEN an, die uns jeweils empfohlen wurden. Schocken aber beide nicht so wirklich. Erstere spielen gar keinen Psychobilly, letztere warten zwar mit sehr sympathischen Ansagen auf, der „Wandergitarren-Hardcore“ plätschert aber eher wenig berührend vor sich hin. Holt mich vielleicht auch gerade einfach nicht ab. Angecheckt, ausgecheckt, vielleicht beim nächsten Mal.

 

ZELLEN

Philipp: Ganz anders sieht das bei den (GRAUEN) ZELLEN aus, die einen weiteren begeisternden Auftritt abreißen. Es ist mein fünfter ZELLEN-Auftritt insgesamt und mein zweiter der neuen ZELLEN-Besetzung mit Michael Möller (g) und Jens Merker (b). Auf den großartigen Auftritt im Februar in der Schaubude setzt die Band noch einen drauf, finde ich. Das kann auch einfach an der Stimmung liegen, aber es passt einfach alles perfekt. Immer noch wütend, dabei im besten Sinne eingängig und stets musikalisch interessant bis mitreißend. Und ich mag es, wie Jan seine Ansagen rüberbringt. Das kommt völlig unaufgesetzt, gleichzeitig derart eindringlich, dass ich mehrfach denke, dass es diese klare Positionierung gegen Faschismus, Krieg und Völkermord viel zu selten gibt. Super!

Sehr interessant gestaltet sind übrigens die Wände des Second Ground, die mit den Dekorationen bemalt sind. Jan wird einige Bilder davon in den Bericht einbauen. Überhaupt ist mal wieder alles herrlich dekoriert und die unnachahmliche Wilwarin-Atmosphäre pulsiert wie ein unruhiges Herz.

JoyBoy: Die ZELLEN kenne ich weder live noch auf Platte so richtig, allerdings ist natürlich auch mir nicht entgangen, dass die Band speziell im Umfeld der T-Stube so etwas wie Legendenstatus besitzt. Schön, dass sich hier die Gelegenheit bietet, mal zu sehen, was da denn nun dran ist. Davon abgesehen kann ich dem neuen Gitarristen der Band generell nichts abschlagen, also stelle ich mich gerne auch hier beim netten Technikteam aus dem Treibsand ans Pult. Zunächst mal kann ich mich davon überzeugen, dass es sich bei den mir bis dahin nicht persönlich bekannten Bandmitgliedern um äußerst höfliche und sympathische Menschen handelt, anschließend kann ich auch relativ schnell das noch immer bestehende Interesse an der Band, ihrer Musik und ihrer Botschaft nachvollziehen. Wie fasste es Tim, für den es ebenfalls das erste ZELLEN-Konzert ist, noch kurz danach ungefähr sinngemäß zusammen: „macht dort weiter, wo Slime mit der Schweineherbst aufgehört haben.“ Das trifft zumindest grob die Kerbe, die die ZELLEN bedienen. Ein wenig mehr Post-/Indiekrams-Einflüsse meine ich da noch ausmachen zu können. Definitiv ist es schwierig zu übersehen, dass die Band zum einen eine ganze Reihe an offensichtlichen Hits im Programm hat und zum anderen Sänger Jan deren klare politische Haltung auch heute noch absolut überzeugend und charismatisch zum Ausdruck bringen kann. Ich glaube, ich hab‘s jetzt einigermaßen gecheckt und fühle mich von der Band abgeholt.

JoyBoy: Nachtrag zu den Zellen. Mein erster identifizierter Lieblingssong ist "Plötzlich Ruhe"

 

ROTOR

Philipp: Als perfekte Beschallung zum Abhängen, Biertrinken und Futtern erweisen sich die Instrumentalrocker ROTOR. Die Musik der Berliner perlt chillig und manchmal heavy aus den Boxen, im Publikum werden Assoziationen zu BLACK SABBATH, ELECRIC WIZARD und KYUSS geäußert. Auch TOUNDRA werden als Vergleich angeführt, aber ROTOR klingen in meinen Ohren weniger postrockig und eher psychedelisch bzw. experimentell. Kein reiner Stoner, sondern ein Stil, der vielleicht als progressiver Desert Rock bezeichnet werden könnte. Ich höre vor allem im Gitarrenspiel immer wieder interessante Nuancen. Eine Band, die hier jedenfalls genau richtig ist.

 

LICH KING II

JoyBoy: Kurz habe ich später noch LICH KING gesehen, aber hier fehlt mir die Erinnerung an Einzelheiten. War ganz solide, glaub ich. Ich genieße den Feierabend und nenne es eine Nacht. Bis 2020, Wilwarin.

Philipp: Yeah, endlich mal wieder LICH KING! Vor zwei Jahren hatten die US Thrasher in der Meierei gespielt und dabei restlos begeistert. Als ich irgendwann vorm Gig mal am Merch vorbeilatsche, komme ich mit den Musikern ins Gespräch, die sich tatsächlich nicht nur an die Meierei, sondern auch an Herb erinnern, ohne dass ich den Namen des unholy Crust Commanders erwähne. Auf der Bühne regiert dann der reine Wahn: Shredding-Inferno, High Speed Picking, Spielfreude, unbarmherzige Kickdrums, wilde Soli und mit Zack Smith ein slam-dancender Sänger. Ich war ja im Vorfeld des Festivals überrascht, dass INDIAN NIGHTMARE und LICH KING jeweils Slots auf der Hauptbühne bekommen hatten und nicht wie erwartet auf dem Second Ground. Aber beide Bands funktionieren sehr gut auf der (vergleichsweise) großen Bühne. Der Mob davor dreht jedenfalls durch und auch der Band scheint es gefallen zu haben, posten sie doch drei Tage danach: „Wilwarin, that was insane. Has anyone seen Nick?“

 

ASOMVEL

Philipp: Vor dem Wilwarin hatte ich diesen Bandnamen noch nicht mal (bewusst) wahrgenommen und jetzt höre ich deren Drittwerk „World Shaker“ fast täglich. Zum Glück hatte Jan insistiert, dass wir ASOMVEL unbedingt noch gucken müssen. Mit seiner Einschätzung, dass ASOMVEL sich an MOTÖRHEAD in deren Golden-Years-Phase orientieren, liegt er prinzipiell völlig richtig. Optisch bleibt einem erst mal die Luft weg, wenn Bassist/Sänger Ralph die Bühne betritt. Der Kerl sieht nicht nur aus wie Lemmy Kilmister mit 25, er spielt, singknarzt und bewegt sich auch unfasslich ähnlich wie die Chefwarze. Musikalisch kann das UK-Trio aber nicht als reiner Copycat bezeichnet werden, denn ASOMVEL atmen auch viel 70er Heavy Metal und NWOBHM-Spirit. Die Songs sind straight gehalten, besitzen aber coole Breaks und einen Groove, der den Secound Ground noch mal richtig aufmischt. Leider befinden sich offenbar auch einige Idioten im Publikum, die nichtsahnende Besucher*innen gezielt und mit Anlauf anspringen. Ich bekomme das erst später mit, als Kochi von TYSON darüber postet, denn genau jenen haben die Arschlöcher so heftig erwischt, dass Verdacht auf Innenbandriss besteht. Dieses Verhalten braucht kein Mensch, weder das Wilwarin, noch ASOMVEL – geht zu irgendwelchen Affenhardcorekonzerten oder schlagt euch gleich selbst gegenseitig den Schädel ein. Nu, aber zurück zu ASOMVEL: Grandioser Auftritt, eine der Überraschungen des Festivals und ein perfekter Abschluss für uns!

 

ONWARD TO WILWARIN 2020!

 

Kommentare   

0 #2 Howque 2019-08-26 12:37
Rumba Santa !!! 8)
Zitieren
+1 #1 DoctorJoyBoyLove 2019-08-23 23:43
Ach ja, ACHT EIMER HÜHNERHERZEN hab ich mir ja spontan auch angeguckt und mich holte das sogar ab. Interessante Selbstbeschränkung, so eine konsequent akustische (heißt in dem Fall sogar Gitarre und Bass mit Nylonsaiten) Version von Punk durchzuziehen. Musikalisch ist da bei mir zwar nicht so richtig viel hängengeblieben, aber eine Textzeile wie "Ich wär gern Feministin mit Tourette" brennt sich mir dafür sofort ein.
Zitieren

Kommentar schreiben


Sicherheitscode
Aktualisieren

Stern inaktivStern inaktivStern inaktivStern inaktivStern inaktiv