Siggi Sick: ein Nachruf
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- Kategorie: News of the DreMu
- Veröffentlicht: Samstag, 13. Juli 2019 18:27
- Geschrieben von Philipp Wolter
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Siegfried „Siggi“ Schroeder (15. September 1965 - 10. Juli 2019) ist tot.
Siggi war seit Anbeginn von DreMu ein Bestandteil des Teams und hat zahlreiche Live-Berichte (und eine Plattenkritik seiner eigenen Band…) in seinem unnachahmlichen Schreibstil beigesteuert. Daher ist ein Nachruf auf dieser Seite angebracht, finde ich.
Wer nähere Details über die Umstände seines Todes wissen möchte, wird hier nichts erfahren. Da ich nur Informationen aus zweiter Hand habe, gehe ich darauf natürlich nicht ein.
Stattdessen soll es um Siggis Artikel hier bei DreMu gehen und um ihn als Menschen, so wie ich ihn in den Jahren seit ca. 1983/84 erlebt habe. Kommentare und Ergänzungen sind sehr willkommen. Falls ihr mal etwas Abgefahrenes oder einfach Schönes mit Siggi erlebt habt, dann teilt es doch gerne mit uns.
Itzehoe, 3013, vorm MANILLA ROAD-Konzi
Siggi bei DreMu
Sein Stil war einzigartig, er hat im Grunde geschrieben, als würde er in einer lockeren Runde sitzen und einfach übers erlebte Konzert labern. Die Regeln der Rechtschreibung und Zeichensetzung waren dabei wumpe, eher schien es so, als würde Siggi die Texte ungefiltert wie im Wahn über eine Handy-Tastatur einhacken und ab damit. (Ich bin fast sicher, dass es auch genau so war.) Dabei hat er aber häufig sehr eindringliche sprachliche Bilder benutzt und Stilblüten kreiert, die an verschiedensten Stellen wiederholt zitiert wurden. Wenn ich an SAVAGE MASTER denke, fällt mir immer Siggis Satz „der geil Fette Guitar Knecht Riffte wie ein echter Kerkermeister...“ ein. Sehr schön auch seine Worte zu JUDAS PRIESTs Auftritt in der Sporthalle 2015: „jeder schrie mit...lichter blitzen...nach fast jedem song gabs ne neue Lederkutte/ mantel...mit reichlich nieten und glitzernden leder...geiles zeug auch....“ Das war Siggi neben der Mucke wichtig: eine fette Heavy-Metal-Show mit durchgeknallten Outfits, Feuer, Explosionen und natürlich Chains & Leather. Yeah, baby!
Erinnerungen an Siggi
So hab ich ihn auch kennengelernt, irgendwann 1983/84, als mich der Metal- und Punkvirus voll gepackt hatte. An die erste Begegnung kann ich mich nicht erinnern, Siggi war halt irgendwie immer da. Wir hingen auf Treffen unseres Heavy-Metal-Fanclubs „South Cross Union“ ab, feierten bei Siggi und allen möglichen anderen Leuten und gingen natürlich v.a. auf Konzerte und Festivals. Der stete Besuch von Konzerten ist in den ca. 35 Jahren nie abgerissen, ich kann mich nicht erinnern, dass Siggi mal eine längere Pause eingelegt hätte – bis 2018.
1984 gewann Siggi den ROCK-HARD-Photowettbewerb:
Was viele möglicherweise nicht wissen: Siggi hatte bis vor wenigen Jahren die amerikanische Staatsbürgerschaft. Sein Vater war Ami und Siggi hatte sich für die am. Staatsbürgerschaft entschieden, um nicht zum Bund gehen zu müssen. Bis ihm das Gerenne und die Gebühren zu lästig wurden und er das Ding dann irgendwann nicht erneut beantragt hat. Er lebte in den Achtzigern mit seiner Mutter Anselma zusammen, schon damals im sog. Stinkviertel. Die Frau war echt ‘ne Marke. Da sie aus Bayern kam und irgendwie noch obendrauf von ihrem Ex-Mann einen US-Akzent geerbt hatte, war alles, was sie sagte, für mich komplett unverständlich. Aber klar war: Siggi genoss größte Freiheiten: Seine Bude war schon damals ‘ne Heavy-Metal-Räuberhöhle, alles voller Poster, Platten, an der Wand Äxte. Mit den Äxten haben wir auf einer Party einen Schrank zerhackt, der wohl weg sollte. Die Einzelteile flogen kurzerhand aus dem Fenster. Bei einer anderen Feier flog gleich die ganze Fensterscheibe raus – ungeplant allerdings, weil sich jemand dagegengelehnt hatte bzw. es etwas eng in der Hütte war… Noch ein Party-Erlebnis im Hause Schroeder: Seine Konditor-Kollegen hatten Siggi eine Torte gebacken – mit einem großen Marzipan-Penis obendruff. Siggi packt das Ding aus, freut sich, „Yeah, geil!“ – und pfeffert die Torte kurzerhand an die Decke, wo sie kleben blieb! Stunden später hatten alle die über unseren Köppen klebende Torte vergessen, bis sie sich löste und in Einzelteilen auf uns herabregnete.
Ein weiteres Erlebnis: Einmal mussten wir von einem Frühschoppen zum Hauptbahnhof und hatten die Zeit vertrödelt, waren zu spät dran, um pünktlich zum Treffpunkt zu kommen. Siggi hat einfach ein Fahrrad "geliehen" und wir sind am hellichten Tag die Holstenstraße runtergedonnert, ich auffem Gepäckträger, während er wie ein Irrer in die Pedale getreten hat. Auf halber Strecke ist uns das Ding einfach unter den Hintern auseinandergebrochen und wir schlitterten meterweit durch die Einkaufsmutanten, lagen auf dem Gehweg und lachten Tränen. Zum Konzert haben wir es natürlich trotzdem geschafft.
Wer Siggi nicht kannte, konnte ihn für latent wahnsinnig halten, da er doch recht kuriose Geschichten erzählte. Er lebte auch schon irgendwie in seiner eigenen Welt, fuhr seinen eigenen speziellen Film. Aber er war dabei immer saufreundlich und entspannt. Ich könnte mich nicht daran erinnern, dass er jemals Stress gesucht hätte oder auch nur schlecht über jemanden geredet hätte.
Sein Musikgeschmack bewegte sich zwischen Old-School-Metal, Punk und Glam. Die Entwicklung zu den extremeren Spielarten hat er gerade in Bezug auf Thrash mitgemacht, wogegen extremer Death Metal und Black Metal der zweiten Generation eher nicht sein Ding waren. Er war aber auch offen für ganz andere Sachen, wenn ihm die Show oder andere Aspekte spektakulär erschienen, siehe z.B. Konzertberichte über LADY GAGA etc. In Wacken hat er sich echt MEGABOSH angeguckt, weil diese eine „crazy Feuershow!“ von SIR HENRY HOT am Start hatten. Es war ihm scheißegal, wenn der Rest des Camps dazu nur den Kopf geschüttelt hat.
Siggi hat Musik und Kunst generell völlig ungefiltert betrachtet, glaube ich. Da gab es kein Unterscheiden von Trivialliteratur und dem gymnasialen Kanon – ich bin sicher, dass man Siggi Goethes „Faust“ neben Steve Steeles Autobiografie „My Name Is Fuck“ hätte legen können und wenn er es beides gelesen hätte, hätte er wohl „crazy shit, geil!“ dazu gesagt. Aber so ist er eben auch Menschen gegenübergetreten: völlig unvoreingenommen.
In den Jahren hatte er verschiedene Bands wie PYROMANIA, CUNTSUCKERS, SLUTLIPS, TEER, SEXX ACTION BABES und BLACK BANG BOMB, Siggi an Bass und später auch Gesang, zum Teil unhörbarer Kram, zu dem er eine ganz kuriose Selbstwahrnehmung hatte. Ich glaube, er hat BBB für nicht schlechter als meinetwegen SLAYER gehalten, hat sich aber auch nicht daran gestört, wenn jemand angesichts dieses Höllenlärms die Hände überm Kopf zusammenschlug. Im Gegenteil hat Siggi völlig schamlos Werbung für seine Bands betrieben und sogar irgendwelchen Veranstaltern die CDs und DVDs gegen Knete andrehen wollen. Auf einer Zugfahrt hat er mal eine Mitreisende angesprochen, die am Laptop arbeitete: „Ey, hat das Teil ein CD-Laufwerk?“ – „Äh, schon, ja, wieso?“ – „Yeah, hier, geile Mucke! BLACK BANG BOMB! Leg mal ein!“ Und dann schepperten tatsächlich der „Dirty Truckdriver“ und die „Space Invaders“ durch den Regio…
Auch einen Film hat er gedreht – „Murmansk Mutation“, natürlich D.I.Y.-Splatter, in dem es um eine russische Sexdroge geht, der die User zu Zombies mutieren lässt. Typisch Siggi Sick halt. Auch dass Siggi in den Film irgendwelche Urlaubsvideos von ihm und seiner Frau Sandra hat einfließen lassen, um ein paar zusätzliche Drehorte präsentieren zu können. „Was faselst du da, Schröder?“, hört man Sandra aus dem Off. „Pst! Das ist für den Film, ey!“
Zusammen mit Steve Steel hat er auch eine Art Sendung für den Offenen Kanal gedreht – „Lowered Expatiations – Entertainment im Trend der Zeit“, in der es Live-Videos, Interviews etc. gab. Ich war mal zu Gast in einer Folge. Auf dem Boden hatten Siggi und Steve Ausgaben der Trash-Zeitung NEUE SPEZIAL liegen und baten mich, Stellung zu wahllos vorgelesenen Headlines wie „Katze läuft 6000 km zurück nach Hause“, „Frau hat drittes Auge – im Hinterkopf“ oder „Findiger Landwirt erfindet Güllemotor“ zu nehmen. Ein …interessanter Abend…
Unvergessen auch Siggis Konzertveranstaltungen in einer alten Autoschrauberhalle in der Marthastraße. Der Weg zu den Toiletten führte über eine wackelige Holztreppe und vorbei an einer völlig ungesicherten Schraubergrube. Wohl Kiels kuriosester Konzertort. Man musste erst mal durch den Keller in die Katakomben, wo dann zum Teil hervorragende Bands wie KONGH, CALEYA, FRANKIE’S FREAKSHOW… gespielt haben. Und SEXX ACTION BABES. Dazwischen gern auch mal ein Dress-Up-Wettbewerb. Leider war dort wegen Anwohnerbeschwerden irgendwann Schluss.
Charakteristisch für Siggi war natürlich auch seine Liebe zu alten Ami-Schleudern. In den Achtzigern saß Mr. Sick noch als Kompromiss hinterm Steuer eines Ford Taunus, in den letzten Jahren war ein Dodge Challenger, von Siggi liebevoll Chally genannt, das Geschoss seiner Wahl. Mit der Karre waren wir zum Teil in einer halben Stunde in Hamburg – von Haustür zur Clubtür. Ich kann mich noch gut an Jan MLs verzerrtes Gesicht im Rückspiegel erinnern, der tapfer ein gequältes Lächeln zu halten versuchte, wenn Siggi beschleunigte. Eines Nachts hielt uns mal eine Polizeistreife an: „Sie haben die Schilder mit der Geschwindigkeitsbegrenzung schon gesehen, oder?“ – „Nee, bei der Geschwindigkeit unmöglich.“ – „Haben Sie Alkohol getrunken?“ – „Nicht einen Schluck, Wachtmeister. Dass sind die Asis auf der Rückbank, die so stinken!“ – „Naja, ist ja ein schöner Wagen.“ Fassungslos verfolgten wir dann eine Fachsimpelei zwischen Siggi und dem Bullen, der uns mit einer milden Warnung fahren ließ. Siggi danach: „Jaja, das sind auch alles Fans von schönen Autos!“
Sehr typisch auch Dickis (Ex-Schaubude) Geschichte, die er heute auf Facebook gepostet hat: „Ich erinnere mich noch gut an die ewigen Giganfragen von Siggi für seine Sexx Action Babes. ‚Alter, das wird voll geil, Sexx Action Babes inner Schaubude. Laß mal ein Termin ausmachen!‘ Woraufhin ich immer irgendetwas in dieser Art antwortete: „Auf gar kein Fall werdet ihr hier spielen, deine Band ist scheiße Siggi“ Hat er mir nie übel genommen, im Gegenteil, es entwickelte sich zu einem Running Gag. Ende 2010 war der Lacher dann auf seiner Seite, da haben sie es dann geschafft über das Voting für das Dremuvement Festival ins Line Up zu kommen. Nach dem Gig, sie hatten natürlich zeitlich überzogen, sah ich es auf der Bühne aus der Ecke qualmen. Lebensmittelfarbe in der Steckdose. „Halb so schlimm Dicki...,,,,,,........,,,,,,und....,,,,,, war geil oder?“ :D
Du wirst hier fehlen man, machs gut!“
Siggi, es war mir eine Ehre und Freude, dich gekannt zu haben! Wir wünschen deiner Frau Sandra und allen Angehörigen viel Kraft!
„Lecker shit! Ich muss tasten!“
SIGGI über JUDAS PRIEST: http://www.dremufuestias.de/index.php?option=com_content&view=article&id=4882:judas-priest-five-finger-death-punch-08-06-2015-hamburg-sporthalle&catid=15:berichte-aus-dem-pit&Itemid=520#comment-7857
DER LEGENDÄRE SAVAGE-MASTER-Bericht:
DIE EIGENE PLATTENKRITIK:
LOWERED EXPATIATIONS:
https://www.youtube.com/watch?v=zszQI3WFX5A
HALLOWEEN in der Martha:
Kommentare
"Siggi war eine Ikone.
Wir hatten in unserem Metal Fan Club damals so viel Spaß!
Besondere Momente waren immer in Siggys Dungeon. Anselmas Wohnung, gleichzeitig Proberaum der Cuntsuckers. Wir nahmen das Rotten Cunts Attack Demo auf, als Selma reinkam und uns wegen des Lärms zusammengeschissen hat. Siggi hat es nicht interessiert und die meckernde Selma ist auf dem Demo mit drauf.
Oder als wir bei WASP auf der 1. Tour in der Hamburger Markthalle waren. Blackie Lawless bewarf uns mit blutigen Schnitzeln, woraus sich eine Schnitzelschlacht entwickelte.
Oder die geile Cuntsuckersshow in der Kirche. Dort wollt mir ein Assi einen aufs Maul hauen, da wir keine Musik machten, sondern nur Lärm und der Pope während des Konzertes auf die Bühne kam um alle vom christlichen Glauben zu überzeugen.
Oder als ich nach zig Jahren in Wacken mir jemand im Cuntsuckers Shirt entgegenkam. Es war Siggi und wir tauschten gleich die alten Geschichten aus. Er wollte gleich eine Reunion und erzählte mir alles über sein progressives Bassspiel, dass die Cuntsuckers seiner Zeit voraus waren und, dass wahre Musik durch Improvisation lebt. Das waren halt die Cuntsuckers. Natürlich war aus seiner Sicht die Sexx Action Babes wahrlich göttlich. Ich bekam kurz darauf die CDs geschickt. Ehrlich gesagt liefen diese bei mir nicht auf Hot Rotation!
Er lebte das Leben eines Rockstars, war aber trotzdem pflichtbewusst. Wir verfolgten ihn einmal als er mit Metal Outfit auf dem Skateboard zur Arbeit fuhr. Und das nachts um 3 Uhr.
Siggi we will miss you, See you in hell my friend!"
Stimmt, die Facebook-Posts waren teilweise auch richtig schön "sick". An dem kleinen Buch wäre ich interessiert! Hast du noch ein Exemplar? Die Posts könnte man hier in den Kommentaren auch noch zitieren.
Über das Konzert im AJZ hatte Siggi auch einen Bericht geschrieben:
http://www.dremufuestias.de/index.php?option=com_content&view=article&id=3457:scheisse-minellipower-tysonvladimir-harkonnen-1102011-ajz-neumuenster&catid=15&Itemid=520
1. Seine Performance mit den Gorilla Bierkids in der Meierei, die ich ebenfalls mischen durfte und bei der er Kim Wildes "Kids in america" in seinem üblichen Stil frei interpretierte.
2. Unser zweites Konzert mit Power im Spätsommer 2009 mit NO GUTS NO GLORY aus Frankreich, das ebenfalls bei Siggi in der Marthastraße unter beschriebenen Bedingungen stattfand.
3. Siggis Besuch im Backstage beim Konzert im AJZ Neumünster (ich glaube, es haben neben POWER damals TYSON, VLADIMIR HARKONNEN und SCHEISSE MINNELLI gespielt). Siggi bediente sich ungezwungen am Bier und unterwies den etwas verdutzten Sam Action, der nicht wusste, mit wem er es zu tun hatte, auf denglisch in der Kunst des richtigen Performens.
Darüber hinaus gehört zu meinen Erinnerungen, dass ich irgendwann begonnen habe, meine Lieblingsposts von Siggi bei Facebook zu archivieren und ein kleines Buch daraus gemacht habe. Es existiert in einer Auflage von etwa sechs Stück.
Nochmals danke für die Worte, Philipp. Ich wurde bewegt und gleichzeitig zum Lachen gebracht.
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