JUST A LITTLE BIT DANGEROUS FEST VIII / 01.04.2016 - Kiel, Hansastr. 48

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JoyBoy: Dank eines ausgeklügelten Plans, der Gehhilfen, öffentliche Verkehrsmittel, einen geliehenen Rollstuhl, ein paar Weggetränke und dankenswert hilfsbereite Menschen beinhaltet, überwinde ich trotz vorübegehender körperlicher Beschränktheit die immer wieder schmerzliche räumliche Distanz zwischen Gaarden und der Hansa 48. Alles andere wäre auch höchst frustrierend gewesen, denn trotz der kurzfristigen Absagen von SAME OLD CHORDS und SICK THOUGHTS ist das Programm des JUST A LITTLE BIT DANGEROUS FEST VIII wieder hervorragend durchkomponiert. Letztere Kapelle konnte ich unmittelbar vor ihrem überraschenden Tourabbruch im Wiener Venster noch live erleben und befand sie dort musikalisch, beleidigungs- und beleidigseinstechnisch für sehr gut, aber irgendwie haben sich da wohl kurzzeitig die Prioritäten geändert. Kammanixmachen. Vielleicht auch besser so.


Philipp: Erwähnenswert finde ich noch das Plakat des Fests. Die JALBD-Crew ist in der Hinsicht bereits in der Vergangenheit außerordentlich kreativ gewesen und hat für die Erstellung der Flyer/Plakate stets Aktionen gestartet wie ein Sofa oder einen Rücken mit den Bandnamen etc. zu bemalen. Find ich besser und origineller als das entsprechende Möbel- oder Körperteil per Photoshop zu bearbeiten. Dieses Mal wurde das Cover der ROXETTTE-LP „Look Sharp“ mit Kieler_innen nachgestellt. Der Bezug zum Festival findet sich im Text des Songs „Dangerous“, wie wohl selbst dem/der konsequentesten Pop-Verächter_in klar sein dürfte.


FEMME KRAWALLRICH KIDS DRESS UP

Bericht von JoyBoy und Philipp, Fotos von Lara (Farbe) und Svetlana (Schwarz-Weiß).



RoxetteJALBD_Flyer


JoyBoy: Den Abend eröffnen daher die spontan eingesprungenen RICH KIDS DRESS UP, was ich sehr gut finde, da ich die krankheitsbedingt am Mittwoch in der Schaubude noch verpasst hatte. Wieder beeindruckt mich die weiter zunehmende musikalische Versiertheit der Band. Viel Abwechslung und Pop-Appeal, der sofort zündet und trotzdem etwas sehr eigenes rüberbringt. Ein mir flüchtig bekannter Besucher bemängelt, dass das Wort „Gesellschaft“ in den Ansagen etwas inflationär gebraucht wird. Ich nehme mir vor, von nun an verstärkt darauf zu achten, ob da was dran ist und prompt fällt das Wort vor dem nächsten Song satte fünf Mal. Ist ja aber eigentlich auch nicht weiter wild. Sveas Gesang hätte soundmäßig gerne noch etwas mehr durchkommen können, aber das ist in so eher kleinen Räumen immer schwierig. Sehr guter Start.


Philipp: Unbedingt. Ich habe RICH KIDS DRESS UP gerade erst beim Schaubudenauftritt mit MUTANT REAVERS genießen können, freue mich aber durchaus, die Band heute gleich wieder zu sehen. Auch heute reißt Ulf wieder eine Saite. Pech oder ein einstudiertes Showelement? Den Fluss des Auftritts kann jedenfalls nichts bremsen. Ich finde auch, dass RKDU bereits jetzt eine gewisse Eigenständigkeit entwickelt haben. Einige Gesangsmelodien werfen so langsam Widerhaken aus, die sich in meinem Hirn festkrallen.


RICH KIDS DRESS UPNO WEATHER TALKS


JoyBoy: NO WEATHER TALKS bestätigen meine Eindrücke vom letztjährigen Wilwarin. Alles wieder ohne irgendwelche für mich ausmachbaren Schwachstellen auf die Bühne gebracht und generell äußerst sympathisch, kommt allerdings schon sehr gefällig daher.


Philipp: Diese Eingängigkeit und gewisse Poliertheit sehe ich auch und vielleicht spüre ich deshalb noch nicht den Drang, NO WEATHER TALKS zu Hause aufzulegen, aber live macht der poppig-melodische Ansatz der Band gerade deshalb Spaß. Das funktioniert auf Anhieb, zumal die Bühnenpräsenz energisch ausfällt. Die eingangs erwähnten Absagen haben dem Festival zum Glück nicht hinsichtlich der Besucherzahlen geschadet. Es ist mittlerweile wirklich ziemlich voll, gleichzeitig habe ich das Gefühl, 80% der Leute persönlich zu kennen. Viele äußern sich danach sehr positiv über den Auftritt und Flickes Ansagen über Feminismus und Engstirnigkeit.


NO WEATHER TALKSNO WEATHER TALKS


JoyBoy: TRANSYLVANIA aus Berlin überzeugen dann bereits optisch auf ganzer Linie: eine Bassistin/Sängerin mit Waschbärenmakeup, ein Helge-Schneider-Zausel an der Gitarre und ein kurzgeschorenes androgynes Wesen im weißen Hemd am Schlagzeug – das sitzt! Tatsächlich schafft es die Band als eine der ganz wenigen im Darkwave-Postpunk-Bereich, etwas wirklich Düsteres auszustrahlen, was auch daran liegt, dass das Songmaterial verdammt gut ist. Das Soundgewand klingt sehr authentisch nach 1979 – 1983, aber vor allem funktionieren die tiefe Stimme und die Performance der Sängerin. Mich bannt das Geschehen und ich humpele näher Richtung Bühne. Für mich die beste Band des Abends. Hätte mir sofort ne Platte gekauft, aber es gab nur T-Shirts und Peitschen.


Philipp: DIE Entdeckung des Abends! Mittlerweile hat mensch ja schon so einige Bands gesehen, die sich stilistisch in die Nähe von JOY DIVISION bewegen. Aber keine mit dieser Qualität wie TRANSYLVANIA! Und dabei steht die Band noch ziemlich am Anfang, zumindest finden sich erst wenige Songs im Netz. Es gelingt den Berliner_innen, die Hansastr. 48 atmosphärisch zurück in die frühen Achtziger zu schicken, mir läuft ein wohliger Schauer nach dem anderen über den Rücken und für einen kurzen Moment scheint die Forderung „Kill Me Now“, welche die Sängerin im gleichnamigen Song erhebt, wie eine süße Versuchung, wie ein Imperativ, den man auf sich selbst beziehen will.


TRANSYLVANIATRANSYLVANIA


TRANSYLVANIATRANSYLVANIA


JoyBoy: FEMME KRAWALL kommen ebenfalls aus Berlin, kennen Aiko aus Bonn und machen „aufgesetzten Feminismus“. Der Bassist wird von anwesenden Heinz-Strunk-Ultras anhand eines optischen Gesichtsabdrucks als der Sohn von Fritz Honka identifiziert. Kann sich sehen und hören lassen. Zu Beginn wirkt die Band noch nicht so richtig überzeugt, steigert sich dann aber musikalisch und entertainerisch mehr und mehr. Gegen Ende des Sets öffnet sich fast der ganze Saal ausgelassenen rhythmischen Leibesübungen.


Philipp: Die beiden Sängerinnen kreischen und pöbeln echt alles in Grund in Boden – insofern hab ich selten einen passenderen Bandnamen als FEMME KRAWALL gehört. Das weiß auch der Rest der Band und schafft ordentlich Raum für den Gesang, statt alles zuzukleistern. Garagige Surfgitarren, tanzbar-punkige Beats und die Doppel-Schrei-Attacke lassen so manche_n heute alle unnötigen Hemmungen fallen.


FEMME KRAWALL


JoyBoy: Die von Faye Decay und J Peppa erlesen beschallte Aftershowparty hat es dann ebenfalls in sich. Ich hatte hart Bock zu tanzen, aber leider ging nur quatschen und trinken. Beim Aufbruch dann kurze Fassungslosigkeit darüber, dass tatsächlich irgendwer so schäbig war, den Rollstuhl, auf dem ich hergerollt wurde, zu entwenden. Zum Glück hat sich zwischenzeitlich eine sehr freundliche Person mit einem sehr schlechten Gewissen gemeldet und brachte alles mehr als in Ordnung. Somit bleibt es ein rundum gelungener Abend. Vorfreude auf das JALBDF IX ist bereits vorhanden.


Philipp: Ich konnte zum Glück tanzen, könnte aber gar nicht mehr sagen, zu was für Stücken konkret. Da ich mich von Schnaps und Brodersen ferngehalten habe, ist dies aber eher einem emotionalen Rausch zuzuschreiben. Auch die Aftershowparty erfüllt also alle Erwartungen. Die Rollstuhlgeschichte hat sich zum Glück mittlerweile aufgeklärt. Die betreffende Person hat sich übrigens am Sonnabendmittag noch über den Rollstuhl auf dem eigenen Hinterhof gewundert, bis ihr nach der Lektüre von JoyBoys Post in der Veranstaltungseinladung das Grauen der Erinnerung ins Bewusstsein schlich… Aber alles gut, das Ding steht wieder da, von wo wir es netterweise leihen durften.

Snack

Kommentare   

+2 #1 Philipp 2016-04-05 11:11
Bericht um Bilder von Svetlana Grigorieva ergänzt. Danke, Svetlana!
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