SUNN O))) / 16.08.2015 – Hamburg, Kampnagel

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SUNN O))) auf dem „Internationalen Sommerfestival“ auf’m Kampnagel. Die Ultra-Drone-Doomer also inmitten von Installationen, Theateraufführungen und Perfomance-Acts. Das ist schon so kurios, dass es auch schon wieder passt. Uns völlig bewusst seiend, dass uns heute ein vollständig unkonventioneller Konzertabend erwartet, machen wir uns vorfreudig auf den Weg. Denn welcher Krachfetischist ist nicht ständig auf der Suche nach neuen Extremen? Heute also mal: Schallwellen schmecken!


SUNN O)))





Nach einer ziemlichen Odyssee durch Hamburg kommen wir pünktlich auf dem Kampnagel-Gelände an und treffen überraschend viele Bekannte. Operngänger sind die Ausnahme, 95% des Publikums besteht dann doch aus Metalheads. Alllerdings aus zum Teil hart nerdigen Vertretern dieser Zunft, die mit SUNN O))) (spricht man übrigens englisch „SUN“ aus, der Rest dient als Schallwellensymbol) und deren Bio- sowie Diskografie perfekt vertraut sind. Über die verschiedenen Sänger wird sich auf den bestuhlten Reihen unterhalten: „Ich find es so interessant, wie desozialiert diese Person lebt.“ Oder „Diesen Sänger mit Platzangst haben sie für die Aufnahmen des xy-Albums mit Mikro in einen Sarg gesperrt, damit es authentisch grauenvoll klingt“. Die „Vorband“ ist da weit weniger spannend: Ein Typ, der auf drei Laptops eindrückt und selbigen komische Geräusche entlockt. Nee, so dann irgendwie auch nicht. Da kann lieber Hape Kerkeling auf die Bühne treten und „Hurz!“ rufen. Am Merchstand locken diverse Artikel, zum Beispiel ein SUNN O)))-Shirt mit dem Bandlogo, einem Bild von Toni Iommi und der Zeile „Worship Iommi!“ Die Band besteht somit aus SABBATH-Fans. Was Iommi selbst wohl dazu sagen würde, wenn er hörte, was seine musikalischen Zöglinge aus ihren Inspirationen machen? Aber Elvis hätte sich wohl auch die Augen gerieben, wenn er noch die Chance gehabt hätte, auf ein NAPALM-DEATH-Konzie geschleppt zu werden.


SUNN O)))SUNN O)))


BRUMM! Es geht los. Hölle, ist das LAUT! Und über die Dauer der Darbietung steigert sich die Lautstärke gar noch. Alles beginnt mit der Zeit zu vibrieren, bis sogar meine Nasenflügel flattern. Auf der Bühne zunächst nur drei Figuren in schwarzen Roben, der Saal ist komplett mit Nebel zugepustet und rotes Licht strahlt die Schemen an. Die Schlünde der Hölle scheinen sich geöffnet zu haben. Irgendwann steht plötzlich Attila Csihar (TORMENTOR, MAYHEM) auf der Bühne und entlockt seiner Kehle unmenschliche Laute. Wirklich beschreiben kann man dieses Phänomen mit Worten nicht. Wer in ein SUNN O)))-Album lediglich kurz reinhört, der reagiert in der Regel irritiert. „Das sind ja nur Töne, was soll der Scheiß?“, sagte zum Beispiel ‘ne Freundin unlängst zu mir (Ich entgegnete klugscheißerisch, dass alle Musik „nur aus Tönen“ bestehe). Aber es ist nachvollziehbar, dass man SUNN O))) ablehnt oder für völlig kaputten Kram hält. Diese Musiker brechen mit den Strukturen konventioneller Rockmusik. Es gibt keine Drums, somit keinen Beat zum Orientieren, es gibt keine Refrains oder überhaupt Eigenschaften, die Musik ausmachen, wie sie üblicherweise im Radio läuft. Und doch rühren SUNN O))) an etwas Archaisches. Man braucht Geduld für diese Band und muss deren Alben mehrfach am Stück hören. Plötzlich treten doch Strukturen aus dem Gebrumme hervor, ein fast schamanenhafter Urklang ergreift den Hörer, ich jedenfalls bekomme immer wieder eine Gänsehaut, wenn ich die Platten höre, teilweise auch durchaus aus einer Art Grauen, welches fast greifbar den Raum erfüllt. Live ist das natürlich noch intensiver spürbar. Es klingt, als ob sich Kontinentalplatten verschieben. Vielleicht hat es so geklungen, als das Universum entstanden ist? Man macht während der Darbietung interessante Beobachtungen: Zum Beispiel ist irgendwann jegliches Zeitgefühl abhanden gekommen. Wie lange geht das hier wohl schon? Das liegt vielleicht auch daran, dass es keine Drumbeats gibt. Der einzige Break in der Show besteht darin, als Attila verschwindet, wenig später aber in einer Art Gewand aus spiegelnden Flächen und einer Dornenkrone auf dem Haupt wiederkehrt. Als ich mich näher zur Bühne bewege, stelle ich fest, dass sich nicht wenige Besucher_innen auf den Boden gelegt haben – offenbar um die Vibrationen noch stärker spüren zu können. Die Laustärke überschreitet 120 Dezibel, wie irgendjemand misst. Dennoch kann man sich das ohne Hörschutz gönnen, weil keine unangenehm hohen Frequenzen die Ohren penetrieren. Ich jedenfalls will die ungefilterte Brummerfahrung machen. Und eine Erfahrung ist das Konzert, da sind sich im Nachhinein die meisten einig. Auch wenn einer der eingangs erwähnten SUNNO)))-Nerds „bestimmte Songs in der Setlist vermisst“ habe, haha.


SUNN O)))SUNN O)))

Kommentare   

#5 Guest 2015-09-24 09:04
Kommentar wurde vom Administrator gelöscht
+1 #4 Philipp 2015-08-19 00:29
Ah, ich höre immer häufiger Anti-Roadburn-Stimmen. Ich war noch nie da, aber gehe ich Recht in der Annahme, dass die Kritiker_innen das Theater als Austragungsort und generell so bildungsbürgerliche Rahmenbedingungen monieren?
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+2 #3 HeavyHerb 2015-08-18 17:50
Hmm, also bei der Konzertbeschreibung wundert mich weder der Auftritt auf dem Kampnagel ( Sunn o))) sind doch seit Jahren Feuilleton-Lieblinge) noch das Publikum...die Roadburniesierung schreitet leider voran...bleibt wohl festzuhalten: Band geil, Begleitumstände eher zum Würgen.
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0 #2 Philipp 2015-08-18 17:14
Das war es definitiv! Danke! :-)
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+3 #1 pan 2015-08-17 23:30
"Ich entgegnete klugscheißerisch, dass alle Musik „nur aus Tönen“ bestehe" brachte mich zum Lachen :D
Toller Bericht, klingt nach einer sehr intensiven Konzerterfahrung!
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