23.05.15 – Pfingstfest, JUZ Mannheim, Tag 1

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2014 habe ich erstmalig freiwillig auf das WILWARIN – bis dahin einer meiner wenigen Jahrespflichttermine – verzichtet, um Sarahs energischer Einladung zum Pfingstfest im und ums JUZ Mannheim zu folgen. Ein Hauptgrund war damals einer der raren Auftritte von DEAN DIRG, die das Livespielen aus privaten Gründen in den letzten Jahren leider nahezu eingestellt haben.

Seitdem weiß ich um einige Besonderheiten, die nun wiederum meinerseits das Pfingstfest in den Rang einer unverzichtbaren Pilgerstätte erheben:

  1. Das Pfingstfest setzt die angekündigte Programmatik „Punk- und Hardcorefestival“ mit in den letzten Jahren beinahe penibler Konsequenz um. Es kommen also tatsächlich (fast) nur Hardcorepunkbands (Ausnahme im diesjährigen Programm: DEATHRITE), die so ziemlich alle mindestens ganz okay bis hin zu total geil sind.

  2. Das Klima ist in Mannheim deutlich milder als in Kiel. Pfingsten in Mannheim entspricht daher in etwa dem durchschnittlichen Kieler Hochsommer. Als ich diesmal am späten Samstagabend eintreffe, sind noch lauschige 20 Grad, ebenso bei meiner Abreise Sonntagnachts.
    Dafür hat es dort allerdings auch keine frische Seeluft sondern es müffelt mal nach altem Nagetierkäfig (Sojaraffinerie) oder – wenn die seltenen Luftzüge etwas günstiger stehen – nach heißer Schoki.

  3. Das JUZ ist zwar generell einer meiner liebsten Aufenthaltsorte, hat jedoch im Verhältnis zu seiner Größe einen im Normalfall eher überschaubaren Stammbesucher*innenkreis. So sind dort in der Regel nur die prominenteren Konzerte wirklich gut besucht (bei POWER-Konzerten bewegen sich die Besucher*innenzahlen bespielsweise so ungefähr zwischen 4 und 31).
    Das Pfingstfest repräsentiert dagegen eindeutig nicht den Normalfall, sondern kann dank seines hervorragenden Rufes die Einzugspotentiale des Ballungsgebietes „Rhein-Neckar“ optimal nutzen, sodass ich zu diesem Anlass das JUZ im letzten Jahr so voll wie noch nie erleben durfte. Eine Nebenerscheinung war hierbei, dass ich neben den mir bekannten Mannheimer*innen viele nette Menschen traf, bei denen ich erstmal überlegen musste, woher ich sie eigentlich kannte. (Die Doppeldeutigkeit der letzten beiden Sätze war ein Unfall. Bleibt aber jetzt so stehen, wegen witzig.)


Glücklicherweise fallen in diesem Jahr Pfingst- und Wilwarinwochenende nicht zusammen, sodass ich keine Entscheidung fällen muss und zweimal vollgepackt mit Bock loseiern kann.

Verschiedene Staus, in denen sich der von mir gewählte Fernbus verfängt, bringen mich leider um die ersten Bands, was mich vor allem bei TEENAGE HATE ärgert, die ich nun schon mehrfach fast gesehen habe. Die erste Band, die ich dann zu Gesicht bekomme sind die SUICIDAS, die mit spanisch besungenem, mitreißend vorgetragenen melodischen Punkrock den Günter-Sahre-Saal – so der offizielle Titel des größeren der beiden JUZ-Konzerträume – bereits in sehr enthusiastische Bewegungen setzen.

Danach geht es weiter mit NO MORE ART, bei denen jetzt anscheinend Mäx von TEENAGE HATE Bass spielt. Wusste ich noch gar nicht. Der wavige Punkrock weiß wieder zu überzeugen, allerdings wirkt die Band etwas in sich gekehrt und auch beim Publikum bleiben die Reaktionen vergleichsweise verhalten (wobei hier die Messlatte sehr hoch liegt). An einem anderen Abend wären NMA sicher ein Highlight gewesen, heute können sie das Spannungslevel nicht ganz aufrechterhalten (auch hier gilt: hohe Messlatte).

Nicht zuletzt entsteht dieser Eindruck durch RUIDOSA INMUNDICIA, die den Raum mit ihrem brachial-wütenden Hardcore im Anschluss regelrecht niedermähen. Hier steht die gleiche Sängerin wie bei den SUICIDAS am Mikro, produziert allerdings bei RI gänzlich anderes. Derartig rohe Aggression kannte ich bisher nur von südamerikaischen Bands.
Tatsächlich erfahre ich bei einem Plausch zu später Stunde, dass die Sängerin aus Chile stammt und sowohl dort, als auch später durch europäische Institutionen allerlei gar nicht Witziges erfahren musste. Kein Wunder, dass die so sauer is.
Auf jeden Fall ein echter Abriss auf und vor der Bühne. Wirklich schwer vorstellbar, dass das noch getoppt wird.
Wird es aber.

NIGHT FEVER sehe ich heute erstmalig mit einem zweiten Gitarristen, der ein Wenig aussieht wie der kleine Bruder des anderen Gitarristen und auch so spielt. Bereits beim Linecheck bin ich überzeugt, dass es sich um eine sinnvolle Ergänzung des Lineups der Band handelt, als Gitarrist Nummer zwei „Electric Eye“ von JUDAS PRIEST zum Besten gibt.

Was dann passiert, erfüllt wirklich alles, was ich mir an Ausscheifungen im Rahmen einer Hardcoreshow auf der Fahrt kleinteilig ausgemalt habe - und mehr. Ein Saal rastet kollektiv aus, Menschen springen von den PA-Türmen ins Publikum, fliegen in alle Richtungen, hangeln sich an Lichttraversen, während ein gestriegelter und gestählter Jüngling mit schwarzen Fahrradhandschuhen in der Manier eines frühen Phil Anselmo über die Bühne tigert und die Urbanität von Kopenhagen besingt. Ständig schwappen Wellen des freidrehenden Mobs auf die niedrige Bühne, sodass die Band zunehmend zurückweichen muss, sich davon aber keineswegs irritieren lässt. Vieles von dem, was da veranstaltet wird, sieht schmerzhaft bis ernsthaft gefährlich aus. Mäx muss minutenlang jammern, weil es so weh tut, irgendjemand bricht sich tatsächlich den Fuß, sodass ein Krankenwagen vorfahren muss (Gute Besserung an dieser Stelle). Davon erfahre ich, der ich mit einem Knieeinschlag auf der Nase und einigen Blessuren an Armen und Beinen recht glimpflich davon komme, aber erst später.

Höhepunkte: schwierig. Eigentlich alles, vielleicht aber auch doch „New Blood“ und „Take it to the max“. Ohne Übertreibung eines der krassesten Konzerte, denen ich bisher beiwohnen durfte. Als es vorbei ist, steht vielen Erschöpfung und Offenbarung gleichsam ins Gesicht geschrieben.


Die Aftershow bestreitet dann wie in jedem Jahr Torsten von Nerdbot mit nerdig-erlesener 80er-Elektronik und so Punkkrams - exakt meine Wellenlänge. Allerdings schafft es Torsten im Gegensatz zu mir tatsächlich, mit diesem waghalsigen Programm den Saal nochmals zu füllen. Notiert werden soll an dieser Stelle, dass gefühltermaßen ALLE den Text von DAVID HASSELHOFFs aktuellem Internethit „True Survivor“ mitsingen können. Zu recht.

Auch die Aftershow kann also alles. Irgendwann finde ich mich bei meinem großzügigen Pennplatzprovider Horst ein, auch wenn ich nicht mehr so genau weiß, wie.

Kommentare   

+3 #2 DoctorJoyBoyLove 2015-05-26 12:19
Lebensnahe Abbildungen dieses Abends gibt es hier: www.xembracex.de/archiv/wordpress/?p=1119
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+4 #1 Philipp 2015-05-26 10:21
ENDLICH mal wieder ein Joy-Boy-Bericht! Super, sehr gern gelesen.
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