MUNICIPAL WASTE, LOBOTOMIA, ÜBER / 17.07.2009 - Hafenklang, HH

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Ich gehöre zu den Menschen, die hin und wieder bedauern, dass die 80er Jahre seit nunmehr etwa 20 Jahren der Vergangenheit angehören. Daher freut es mich immer, wenn mir  konservierte Errungenschaften dieser Epoche über den Weg laufen.

Ein solcher Fall trat ein, als ich vor ein paar Wochen mit MUNICIPAL WASTE bekannt gemacht wurde. Dreckige Typen in Jeanskutten machen angepunkten Thrash auf hohem spielerischen Niveau mit absolut beknackten Texten in bester Tankard-Tradition. Dazu noch behornte Videoclips in denen Atomkraftwerke kaputtgezockt werden – köstlicher Stumpfsinn!

 

Umso größer mein Erstaunen, als mich Wikipedia belehrte, dass die Band erst seit 2001 gegründet wurde. Die Neugier war jedenfalls groß genug, um sich das mal leibhaftig zu Gemüte zu führen und so wurde ich Teil einer achtköpfigen Reisegruppe, die gen Hafenklang aufbrach.

 

Als Hauptthematik der Municipal Waste’schen Lyrik ist relativ einfach der Alkohol auszumachen, welcher dann auch auf der Zugfahrt mit der entsprechenden Aufmerksamkeit bedacht wurde.

Beim Moe ging das Ganze so weit, dass er es schaffte, am Hauptbahnhof in die S-Bahn rein- und an den Landungsbrücken wieder aus ihr herauszufallen. Zur Belohnung fanden die ersten beiden Bands nach einer torkeligen Wanderung, die in einer horizontalen Position auf einer Bierbank vorm Hafenklang endete, gänzlich außerhalb seines Wahrnehmungsbereiches statt.

Zumindest konnte der von ihm spontan anvisierte Besuch einer Polizeistation („Die haben da ganz sicher einen Geldautomaten!“) gerade noch verhindert werden.

 

Vorm Hafenklang gab es erstmal einen Haufen ultracooler Metal-Asis zu bestaunen, die tatsächlich mehrheitlich so aussahen, als wären sie komplett von oben bis unten der vorhin angesprochenen Dekade entsprungen. Sogar Bikerstiefel und Vokuhilas wurden gesichtet. Erstaunlich: viele von denen waren sicher keine zwanzig und können die Jeanskutten mit alten, vergilbten „Venom“-, „Mercyful Fate“- und „Sodom“-Aufnähern eigentlich nur von ihren Müttern, bzw. Vätern geerbt haben.

 

Die erste Band weckte dann bereits durch ihren viel verheißenden Namen „ÜBER“ Interesse. Das was sich dahinter verbarg hatte aber wohl keiner bei diesem Konzert erwartet.

Am treffendsten lässt sich die Band wohl als die spanische Antwort auf Dean Dirg beschreiben: minimalistischer lo-fi-Punk mit beinahe unverzerrter Gitarre und einem energisch keifenden Sänger.

Dabei wirkte das Ganze weniger wie eine konzeptionell durchdachte Retro-Nummer, sondern äußerst glaubhafterweise als der Sound, den die Band zu produzieren imstande war.

Unterstützt wurde dieser Eindruck durch die Plattencover und das Merch, welches die Band anbot und – offenbar zum eigenen Erstaunen – auch absetzte. Diese erweckten den Eindruck, die/der ChefgraphikerIn der Band müsste so um die 10 Jahre alt sein. Jeder möge sich da selbst ein Bild machen: www.myspace.com/uberdruber .

 

Für mich jedenfalls die positive ÜBERraschung des Abends. Erfreulicherweise sahen das wohl große Teile des Publikums so. ÜBER brachten trotz deutlicher stilistischer Diskrepanz zur Hauptband auch einige der Metalheads zum Pogotanzen und durften verdientermaßen auch noch zwei Zugaben spielen, wobei mir das Misfits-Cover „Hybrid Moments“ im Gedächtnis geblieben ist, dass auch in diesem Soundgewand eine sehr gute Figur machte.

 

Überhaupt konnte an diesem Abend von Gräben zwischen einzelnen Subkulturszenen keine Rede sein und Punks und Metalmosher gaben sich nach gegenseitigem Umwämsen im Pogomob Komplimente für ihre geglückten Frisuren (so zumindest erging es mir).

 

Auch LOBOTOMIA aus Brasilien konnten dann überzeugen. Am Anfang wirkte das Ganze zwar ein wenig behäbig und der Gitarrist machte nicht nur auf mich einen ziemlich bekifften Eindruck. Nach ein paar Songs kam die Mischung auf Hardcore und Thrash garniert mit einigen politischen Inhalten und einer Prise Brasilien (da gibt’s ja noch so ein - zwei Bands aus dem Sektor, die sich da für eine Referenz aufdrängen) dann aber so richtig in Fahrt und vor der Bühne kam sehr viel in Bewegung. Der Sänger, der ein wenig aussah, wie eine Mischung aus Duane Peters und Jean-Luc Picard, beeindruckte durch ausgefeilte pantomimische Darstellungen während der Songs. Einige Gesten konnte ich entschlüsseln, so z.B. das Entsichern und Werfen einer Handgranate, andere sind mir dann irgendwie doch ein Rätsel geblieben. Gut ausgesehen hat’s aber trotzdem.

Wer mehr wissen möchte:  www.myspace.com/lobotomiahc  

 

Pünktlich um Mitternacht dann aber endlich MUNICIPAL WASTE – und die ließen einfach überhaupt keinen Zweifel aufkommen, warum man an diesem Abend den Weg zum Hafenklang eingeschlagen hatte.

Von Beginn bis Ende des Konzertes wogte ein Mob vor der Bühne, wie ich persönlich ihn heftiger noch nicht erlebt habe und das ohne Aggro-Gehabe, sondern mit kollektivem Grinsen im Gesicht. Auf Bords wurde über die Menge gesurft, mit Saltos wurden in die Menge gesprungen und die Band musste sich gezwungenermaßen immer weiter in den hinteren Bereich der Bühne zurückziehen – freilich ohne sich davon den Spaß verderben zu lassen.

 

Doppelt ärgerlich, dass ich aufgrund eines nächtlichen Bades in der Hörn am Vortag in nicht ganz nüchternen Zustand, bei dem meine Bewegungsfreiheit durch eine Scherbe, die ich mir dabei in den Fuß trat, arg eingeschränkt wurde, von den wildesten Tanzeinlagen absehen musste, denn das sah wirklich nach großem Vergnügen aus.

 

Sehr schnell war klar, dass hier nicht mal eine Woche nach der grandiosen Zerstörungsarie bei Hallo Kwitten auf dem RD-Rock gleich noch einem ganz heißen Anwärter auf den Titel „Konzert des Jahres“ beigewohnt werden konnte.

 

„Municipal Waste is gonna fuck you up!“ – dieser bandeigene und an diesem Abend mehrfach von Band und Publikum zitierte Slogan scheint keine leere Phrase zu sein und das ist durchweg positiv zu verstehen.

 

Später geriet Punkrocklegende Bocky dann noch auf dem Kiez in einen „Flirt“ mit einer Mitarbeiterin des staatlichen Ordnungsdienstes (ihr wisst: neuerdings Flaschenverbot und so…), dem aber leider das Happy End versagt blieb, was seinerseits für ein stundenlanges Lamentieren sorgte, das sich über die gesamt Rückfahrt zog.

Beim nächsten mal dann vielleicht…

Kommentare   

0 #9 flo mau 2009-07-18 16:35
sehr gelungener artikel,weil alles stimmt!und wär der bockfred in die offensive gegangen,wären wir wohl auch zu neunt zurückgefahren.@bocky:die hätte doch für dich sich nach nem neuen beruf umgesehen (tresenkraft o.ä.) und wär punk geworden...
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0 #8 Fabian 2009-07-18 16:35
beides doch eigentlich oder XJoyBoyX?
wobei ich von Herrn Bocks Surfer Qualitäten auch überrascht war....

Punk, aller!
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0 #7 DoctorJoyBoy Love 2009-07-18 16:35
@XBockyX: Das eine davon war ja eher mein persönlicher Triumph
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0 #6 bockfred 2009-07-18 16:35
@ XJoyboyX: welcher Triumph die becknackte Fahne, oder der kaputte Fernseher.
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0 #5 DoctorJoyBoy Love 2009-07-18 16:35
@Phillip: http://c4.ac-images.myspacecdn.com/images02/92/l_8427ef7f85cd4defb97e403b4de6b053.jpg

Okay - vielleicht hatte ich auch auf Henry Rollins kommen können...
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0 #4 DoctorJoyBoy Love 2009-07-18 16:35
@Fabian: seit unserem politischen Triumph fühle ich mich zu ALLEM im Stande, aber den Bericht hab ich gestern Nachmittag geschrieben.
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0 #3 Philipp Wolter 2009-07-18 16:35
Ich versuche gerade, mir eine Mischung aus Duane Peters und Jean-Luc Picard vorzustellen.
Aber sehr geiler Bericht, genau so hab ich MUNICIPAL WASTE auch schon erlebt.
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0 #2 Fabian 2009-07-18 16:35
wie schafft es der Docotor, heute so einen Bericht zu schreiben?????
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0 #1 bockfred 2009-07-18 16:35
Das mit dem Happy End is sonne sache, es ist ja nicht von der Hand zu weisen das die auf mich stand.
Leider musste ich meine Verehrerin, aufgrund ihrer Berufswahl, enttäuschen.
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