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Kategorie: Berichte aus dem Pit
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Veröffentlicht: Mittwoch, 27. Oktober 2021 18:42
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Geschrieben von Jörg Röschmann
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Der Kampf ist nicht vorbei
Kai & Funky von Ton Steine Scherben mit Gymmick und Gästen feiern 50 Jahre Scherben in der hansa48 am 16. Oktober 2021
„The Times They Are a-Changin'...“
Mit diesem Meilenstein von einem Protest-Songtitel Bob Dylans beginnt mein Konzertbericht hier auf Dremu zur CD-Releaseparty des Waldgeist Kartells vom 09. Oktober 2021.
Darin äußere ich mich dahingehend, dass das Waldgeist Kartell wie ein kleines gallischen Dorf inmitten der Legionen von Ina Müllers und Lena Lala-Love-o-Love Landruths im Jahr 2021 heldenhaft und auf ausgesprochen hohem Niveau die Fahne des deutschsprachigen Protestsongs hoch hält, sie in die Tonlage der Jetztzeit transponiert und somit unweigerlich in der Tradition DER Band steht, die wie keine andere als Keimzelle der deutschsprachigen Protestmusik im Westdeutschland der Nachkriegszeit betrachtet werden muss:
Ton Steine Scherben!
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Kategorie: Berichte aus dem Pit
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Veröffentlicht: Dienstag, 26. Oktober 2021 16:55
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Geschrieben von Jörg Röschmann
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Zugriffe: 7671
Zeit für Wut oder: The Children of the children of the Eighties
Waldgeist Kartell „Idiot im Wunderland“ CD-Releaseparty im Stellwerk Harburg am 09.10.2021
The Times They Are a-Changin'...
...das wusste Bob Dylan schon 1964, als er diesen Markstein der Populärmusik auf dem gleichnamigen Album herausbrachte und die universelle Drohung der nächsten Generation an die Vorangegangene mit den Zeilen:
„Your sons and your daughters are beyond your command“,
und
„You better start swimmin' or you'll sink like a stone“,
unauslöschlich in das kollektive Gedächtnis der gesamten westlichen Kultur knödelte.
Nein, ein toller Sänger war er nie, und auch kein Gitarrenvirtuose.
Aber das musste er auch nicht sein.
His Bobness hatte den Tiefgang auf seiner Seite.
Und die Wut!
Und die Wahrheit!
Und er wusste, dass wenn nicht er es verbalisierte, womöglich keine*r dies täte, seine Worte ungesagt, seine Feinde unbekämpft bleiben würden.
Wie gern hätte er einfach nur Liebeslieder geschrieben?
Aber er wurde anderweitig gebraucht.
Und so ließ Zimmy seinen Prototyp einer Protestrockhymne als Weckruf an alle Gleichgesinnten aber auch als latente Drohung an alle vor ihm Geborenen aus seinem tiefsten Inneren entweichen und machte klar, dass vieles, was zehn oder zwanzig oder auch fünfzig Jahre hindurch als „Common Sense“ gegolten hatte, nicht zwangsläufig richtig gewesen sein musste und somit auch mit Fug und Recht und allen Mitteln kritisiert und gegebenenfalls bekämpft werden durfte, bekämpft werden musste.
Er war nicht der erste Wütende und auch nicht der Letzte.
Davon können alle Anhänger*innen der Populärmusik im wahrsten Sinne ein Lied singen. Besonders wir Kinder der Achtziger des vorigen Jahrhunderts wissen diesbezüglich so richtig Bescheid. Doch die Achtziger, wo Bands wie Fehlfarben, FEE oder Fischer-Z (und das ist nur ein Teil von „F“, und das Alphabet noch viel umfangreicher) auf allen Kanälen rauf und runter liefen und heilsamen Einfluss auf das bürgerliche Bewusstsein nehmen durften, sind nun mal seit spätestens der Wiedervereinigung, die ja auch so richtig einvernehmlich oder gar auf Augenhöhe ablief, vorbei.
Protestsongs waren seit der Erfindung der Populärmusik quasi Teil unseres täglichen Lebens. Denn die Zeiten änderten sich nicht nur 1964, als die Rockmusik von Typen wie Bob erfunden und zu DER Protestform ihrer und auch der nächsten, also meiner Generation gemacht wurde, sie tun es kontinuierlich.
Nur nimmt die aktuelle Populärmusik quasi nicht mehr daran Teil.
Wer in den letzten Jahren mal das Radio angemacht hat, wird seine/ihre Aufzählung der zeitgenössischen gesellschaftskritischen Interpret*innen, die dort zu hören sind nach Deichkind und Kraftklub, stotternd kleinlaut beenden müssen.
Der Rest der kritischen Bands und Solokünstler*innen hat ein Radio noch nie von innen gesehen...
Wenn wir heutzutage wütenden Menschen mit kritischen Texten lauschen wollen, müssen wir selbst deren Nähe suchen.
Und dazu müssen wir ersma wissen, dass es sie gibt.
Mittlerweile braucht es ein großes Maß an Glück, über Interpret*innen zu stolpern, die das Trauern und das Träumen nicht verlernt haben, beherzt die Wortkeule über den Häuptern der Menschenfeinde schwingen und ihre Wut auch noch auf grandiose musikalische Weise hinaus brüllen, flüstern, skandieren, ächzen und stöhnen.
Und um ein langes Vorwort endlich zum Ende zu bringen:
Ich hatte dieses Glück!