OHL, DIE UFOJÄGER / 14.06.2025 - Hamburg, Monkeys Music Club
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- Kategorie: Berichte aus dem Pit
- Veröffentlicht: Dienstag, 17. Juni 2025 11:19
- Geschrieben von Doom Fränk
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„Hier sind 10 Euro“, sagte mir meine Tante Frieda kürzlich und steckte mir eben diesen Betrag in Form eines einzelnen Scheins zu. „Das ist für den Eintritt und ein Paar Bier in dem Club. Gib deinen Freunden auch eins aus – und den Rest, den kannst du für Zigaretten behalten.“
OHL, Akronym für Oberste Heeresleitung, sind in Hamburg, um eine Schlacht zu schlagen! Also kann es mit Tante Friedas üppigem Zuschuss nur heißen: Hin da!
Hinfahrt mit Karre, daher keine überflüssigen und demotivierenden Zuggeschichten heute. Ticket an der Abendkasse gelöst und von Tante Friedas Kröten ist schon nichts mehr nach. Das ist aber auch egal, so dicke hat sie es ja auch nicht mehr, seit Rupert (ihre Deutsche Dogge) einen Backshop in der Nähe von Tellingstedt eröffnet hat und dadurch selbst zum besten Kunden seinerseits wurde.
Das Monkeys ist heute ganz gut besucht. Ich denke, das ist ok, OHL ist eben auch nicht die Band, die in Hamburg ausverkauft. „Stumpfer Politpunk“ oder „CDU Punk“ sind die Vorwürfe derer, welche die messerscharf durchdachten und wohlformulierten Zeilen des Sängers Deutscher W nicht verstehen. Viele vermuten, diese entstehen als Gekritzel auf einem durchtränkten und sich bereits auflösendem Bierdeckel. Ich dagegen halte es für wahrscheinlicher, dass hier Buchstabe um Buchstabe in die Handytastatur eingehämmert wird – dies erklärt auch die Kürze der Texte mancher Lieder.
Aber erstmal weg von OHL und hin zu Die Ufojäger. Die eröffnen heute und sind mir wie so oft bisher völlig unbekannt. Ich fürchte zuerst, dass es sich um reinen SKA handelt und mich der Offbeat innerhalb von Sekunden in den Wahnsinn treibt, werde aber schnell eines Besseren belehrt. Lieber eine gegeigt als einen geblasen, heißt es doch so schön im Volksmund. Das Konzept der Band wird durch die Farbe Orange unterstützt und trotz eines gewissen Müllabfuhr-Looks kommt dies durchaus stylish daher. Besonders cool der Saxamaphone spielende Dude mit seiner 70er Jahre Surfer Friese.
Der greift zwar öfter mal musikalisch ein, aber zwingt dem ganzen nicht einen unbedingten SKA Duktus auf, der stilistisch die Richtung vorgibt und kein Abweichen zulässt. Der Gesang ist abwechselnd oder auch mal 2-stimmig und geht für mich in Richtung NDW mit Punkanteil – ich kann mich aber auch täuschen. Die Musiker im Alter zwischen 19 und 79 nehmen die Texte ihre Musik nicht sonderlich ernst und wandeln zwischen Star Trek und der Cuba Krise 1962 hin und her – ein ähnliches Konzept hatten damals S.P.O.C.K. aus Schweden. „Never trust a Klingon“ als Sprichwort gilt wohl unverändert. Allen hat es Spaß gemacht und es war nicht so Bierernst wie das, was jetzt kommt.
OHL – die Oberste Heeresleitung – eröffnen die Schlacht gleich mit einer Kampfansage. `Warschauer Pakt` wird gespielt und überlegt man etwas, bemerkt man die Aktualität und Relevanz des Liedes. Die Bundeswehr ist wirklich in einem miserablen Zustand. Ok, den Warschauer Pakt gibt es nicht mal mehr, aber der Titel steht wohl für die umfassende Bedrohungslage auf der Welt.
`Der Osten` ist heute vielleicht nicht mehr ganz aktuell, aber herrje, es ist eben ein Klassiker unter vielen der Bandgeschichte. Nebenbei habe ich „Sachen von drüben“ immer mit Kleidung von C&A interpretiert, aber ob die heute in Bangladesch gefertigte Ware ein Fortschritt ist, weiß ich nicht.
„Ihr wollt sowieso nur die alten Lieder hören – also spielen wir auch nur die!“, erklärt Deutscher W zur Begrüßung. Recht hat er. Die alten Lieder sind (fast) immer die besten! Ob die noch zeitgemäß sind? Egal…her damit! „Schlagt Spione tot!“, fordern OHL in dem Lied ´Spionage´ und setzen sie den Bullenschweinen von Slime gleich. Richtig oder falsch? Musikalisch sind beide Lieder natürlich über jede Kritik erhaben.
´Belsen ein KZ´ hämmert aus den Boxen! Mega! Und ein klares Statement gegen Nadzis. „Keine Chance dem 4ten Reich – schlagt die Nadzis windelweich!“ Ein Statement wie ein Donnerschlag! Deutscher W positioniert sich und die Band eindeutig fernab vom rechten Rand und beweist einmal mehr sein Talent, kritische Sachverhalte eindeutig zu analysieren und sofort die passende Antwort zu liefern. Gleich Nietzsches Kernsatz aus „Also sprach Zarathustra“ – Auf die dumme Stirn (…) gehört die geballte Faust – wird hier nicht lange gefackelt.
„Das erste Kreuz, was ich in meinem Leben je gesehen habe, war das Bayer Kreuz in Leverkusen. Wir spielen ´Leverkusen´!“ So oder so ähnlich war vor Jahren eine OHL Ansage, die ich im Gegensatz zu anderen nie vergessen und bei jeder Durchfahrt unter dem besagten Kreuz in Leverkusen zitiert habe. Natürlich wurde auch dieses Lied gespielt.
OHL waren gerade in Japan auf Tour. Japan Blitzkrieg 2025 nannten sie es und haben außer Kyoto, Himeji und Kobe so ziemlich alles im Land der aufgehenden Sonne abgegrast. Naja, muss man das nun Blitzkrieg nennen? Kann man sich ärgern oder auch nicht. Wenn Deutscher W aber alle Japaner, Chinesen und Koreaner als „Schlitzaugen“ bezeichnet, empfinde ich das schon als Provokation. Dieses zu wiederholen und dabei zu sagen, dies wäre jetzt wohl nicht politisch korrekt gewesen und ihm durchaus bewusst, verärgert mich dann umso mehr. Immerhin haben ihn dafür wohl die Japaner abgestraft und nicht alle OHL Fächer am Mercher auf Tour gekauft. Diese gab es nun für 5 Euro in Hamburg und das ist ein fairer Preis. Eigentlich ein Artikel aus dem 100 Yen Laden in Tokyo…aber die haben nicht OHL aufgedruckt.
Neben Liedern, die allesamt gefühlt aus der Zeit des Albums ´Die Auferstehung´ von 1993 oder ´Zurück zur Front´ von ???? stammen, gibt es immer wieder auch aktuelle Ansagen. „Trump ist ein Vollidiot“ und „Putin ist ein Mörder“. Was nun mal wahr ist, bleibt es auch. Deutscher W (wer es nicht weiß – das W steht für Widerstand) hängt hier am Puls der Zeit. 61 ist er jetzt und vor über 45 Jahren wurde OHL gegründet. Als er zum Ende mit freiem Oberkörper mit einer gewissen, durchaus fühlbaren Arroganz die Zugabe in die Menge schmettert, bleibt dem Zuschauer nichts anderes übrig als ihm zuzugestehen, dass er sich für das Alter bombig gehalten hat. Dies mag auch daran liegen, dass die Oberste Heeresleitung weder jemals Lieder über Fußball noch über das Thema Saufen gemacht hat.
Seit 1993 ist Egon Krenz (u.a. Emils) am Bass und liefert heute gewohnt gelassen ab. Ist Kalashnikov noch am Schlagzeug? Das weiß ich nicht, aber Stalin (u.a. Erosion, Ryker`s) hat die E-Gitarre an den Nagel gehängt und wird ersetzt durch einen gewissen L. Kaida. Ich denke, der hier abgekürzte Vorname ist Ludwig oder Larry. Ich habe bisher im Netz nur ein Postfach in Islamabad mit diesem Namen gefunden, aber denke, das ist wohl ein anderer. Nichtsdestotrotz ist der Sound gewohnt metallisch und viel dichter am Hardcore als am Punk.
Manche mögen Deutscher W seine Vergangenheit als Schulermittler auf RTL übelnehmen. Als Dirk Wolf an der Bertha-Bräse-Gesamtschule in Polch hat er mit fliegenden Fäusten die Verbrechen der Quinta 6 B aufgedeckt und dabei so einige Fressen poliert. Ein Klassiker war die Folge mit dem angeblich querschnittsgelähmten Herwig K., der den Rollstuhl aber nur nutzte, um darin die Drogen zu verstecken, die er dann in der Großen Pause vor der Fixerstube des Pausenhofs verhökerte. Das war aber vor der ´Die Auferstehung´ und besser als vor einem leeren Kühlschrank zu sitzen. „Nebenbei hat ihn damals Egon Krenz (also der Bassist) dazu aufgemuntert, OHL wieder zu beleben“, so der Ex-Schulermittler live im Monkeys. Dafür vielen Dank!
Deutscher W geht ohne weitere Skrupel beim ´Türkenlied´ mitten hinein ins Publikum und jeder bekommt das Mikro vorgehalten, um in das „Wir sind die Türken von morgen“ einzustimmen. Bei einem anderen Lied kommt eine täuschend echt wirkende Donald Trump Maske zum Einsatz und ich fühle mich mehr in Alabama als in Altona.
Erwähnen sollte ich zuletzt noch, dass ´Die Auferstehung´ neben ein paar obskuren Black Metal Raritäten das Lieblingsalbum meiner Tante Frieda ist. So lief es in Dauerrotation bei ihrer dritten Heiratsfeier Mitte der 90er wie auch auf ihrem 80ten Geburtstag in Endlosschleife.
Trotz kleinerer Kritik wie die Ansage über Fernost kann ich nur sagen: OHL hat mal wieder eine Schlacht gewonnen! Nein, wir alle haben sie gewonnen!