PALLBEARER, TERYKY / 11.05.2025 - Hamburg, Headcrash
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- Kategorie: Berichte aus dem Pit
- Veröffentlicht: Montag, 19. Mai 2025 16:07
- Geschrieben von Steffen Frahm
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PALLBEARERs Kuscheldoom hatte ich letztes Jahr anhand des mittlerweile ein Jahr alten „Mind Burns Alive“ aus einer Laune heraus mal so mitgenommen und mir später aus einer weiteren Laune heraus ein Ticket für die Show im Hamburger Headcrash besorgt.
Exkurs: Besagtes Headcrash ist im Hamburger Berg, einer der vollgeschissensten Straßen des ekligen „Kiezes“. Ich hasse die Reeperbahn, und ihr Status als Hamburger Wahrzeichen löst bei mir ähnlichen Würgereiz aus wie die Tatsache, dass Bild die auflagenstärkste Zeitung Deutschlands ist. Außerdem zirkuliert der besoffene Neandertaler, der mir Samstag auf die Fresse geben wollte, weil meine Frau im SC-Trikot im Kieler Normalo-Block stand (und nicht als einzige), noch in meinem System, aber ich hatte früher auch schon Angst, wenn mich auf der Reeperbahn nachts um halb eins Prostituierte ansprachen. Exkurs Ende.
Da ist man froh, wenn man endlich im Venue angekommen ist und dort auf im Schnitt eher feinsinnigere Typen mit Haaren, Bärten, Band-T-Shirts (MESSA) und Kutten stößt. Ein paar Frauen sind aber auch da. Der Club an sich wirkt etwas seelenlos, Fritz hamse auch keine, so what.
Da ich mal wieder null Bock auf support habe, empfange ich die lokalen TERYKY von vornherein nicht mit offenen Armen, aber ihr etwas gleichförmiges Deathdoom-Konzept becirct mich dann auch nicht weiter. Sympathische Leute, kurzes Set. Ist ja auch Sonntag.
Relativ langer Changeover mit Schlagzeugumbau, aber dann signalisieren PALLBEARER dem Mischer mit thumbs up, dass es losgehen kann und starten ohne Umschweife ihren ersten Song. Vier relativ unprätentiöse Typen in schwarz, Understatement, aber was für eine akustische Präsenz vom ersten Akkord an: Der Sound könnte besser sein, manchmal knackt es aus der PA, sicher ist das Amplifikationsmobiliar zu laut (was man auch daran hört, dass die Ampeg-Schrankwand in Brett Campbells vocal mike bleedet, sobald das Gate aufmacht), aber Pallbearer spielen so tight, die Sounds ihrer Instrumente sind so wunderbar komplementär und die Riff-Verläufe so ausdifferenziert, das kriegt die mediokerste Abmischung nicht kaputt, und es wird besser mit der Zeit.
Apropos Brett Campbell: Seine Stimme ist natürlich sehr kennzeichnend für Pallbearers Sound. Er singt nicht übermäßig maskulin, ist schon gar nicht anyone‘s Grunzguntram, klingt eher wie Ozzy Osborne mit dem seidigen Timbre eines Tobias Forge. Seine Lines bestehen meist aus langen, sehr sauber intonierten Tönen, da ist viel Reverb und Echo auf seinem Mikrofon, und der Gesang wirft akustische Lichtstrahlen durch den melancholischen Sludge der Musik. Wenn dann entweder Bassist Joseph D. Rowland oder der andere Gitarrist Devin Holt mit ihren Harmonies einsteigen, reißt die wabernde Wolkendecke noch etwas weiter auf.
Pallbearers Riffing ist wirklich kunstvoll, die Phrasierungen sind immer wieder überraschend, mitunter irritierend, so dass einem für eine Sekunde das Metrum abhanden kommt, bevor die Band den doomigen Faden weiterspinnt und du weißt, SIE waren natürlich den ganzen Moment lang stahlhart auf der Time, während DU ESEL sie sofort verlorst. Singlenote-Passagen und twin guitars (als Pendant zu den Satzgesängen) reichern die Klangpalette weiter an, und wenn beide Gitarristen simultan ungniedelige, coole Soli spielen, fühle zumindest ich mich für einen Moment an die wahrscheinlich vergessenen THIN WHITE ROPE erinnert. Schlagzeuger Mark Lierlys Akzente kommen dazu todsicher auf den Punkt, seine Rolls sind auch bei höherer Schlagfrequenz niemals zuppelig, er stellt die mächtige Musik auf fernsehturmdicke Beine - Es stimmt alles, und in einer gerechteren Welt würden Pallbearer Aberhunderttausende Platten verkaufen. Heavy Love, um rein assoziativ auch nochmal NEIL YOUNG zu zitieren.
Also wieder eine Band, die aus dem vermeintlich schmalen Brett des Doom eine ganze Welt generiert und eine eigene noch dazu! Sie spielen sieben oder acht Stücke (alle im 10-Minuten-Bereich), zum Abschluß zieht eine erwartbare aber trotzdem tolle wall of feedback die Traversen wieder gerade, und dann war es das; keine Zugabe, genau richtig bemessen. Ich kaufe CDs und ein Shirt, vergesse mein im Eingangsbereich abgegebenes Deo und doome Pallbearer hörend in meiner schwarzen, kuscheligen Karre durch die Nacht nach Haus.
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