FREEWAYS, RITVS / 17.04.2025 - Kiel, Schaubude im Hinterhof
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- Kategorie: Berichte aus dem Pit
- Veröffentlicht: Mittwoch, 23. April 2025 10:37
- Geschrieben von Philipp Wolter
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Nach einigen Monaten Betrieb kann man mittlerweile wohl sagen, dass die Schaubude im Hinterhof sich in Kiel als feste Adresse etabliert hat. Mit der heutigen Veranstaltung hat das Budenbooking einen besonders schmackhaften Zossen an Land gezogen: Gleich zwei Bands vom umtriebigen Label DYING VICTIMS PRODUCTIONS, die zusammen auf Tour sind! Egal ob Old School Thrash, Speed Metal, Heavy Metal, Hardrock, Doom oder Classic Rock – irgendwie hat Flo das richtige Händchen dafür, spannende Newcomer zu entdecken. Häufig scheinen diese Bands aus meiner Sicht wie aus dem Nichts zu kommen, bei RITVS und FREEWAYS war das anders: Von RITVS kannte ich schon die Veröffentlichungen „13. Winter“ sowie „Silhouettes“ unter ihrem alten Namen VULVA, bester Krautrock/Heavy Psych/70er Rock. Und bei den Kanadiern FREEWAYS hat mich gleich die erste Single „Cold Front“ verzaubert, mit dem herrlich chilligen Artwork (dessen Stil die Band auf den folgenden Veröffentlichungen auch weiterverfolgt hat) war das 2017 ein Blindkauf. Die folgende LP „True Bearings“ (2020) sowie die 7“ „Spark Eliminator“ (2021) erschienen auch noch auf dem leider nicht mehr existenten Label Temple Of Mystery, bevor FREEWAYS zu DYING VICTIMS wechselten und bekanntlich letztes Jahr das „Dark Sky Sanctuary“-Album veröffentlichten. Auch bei FREEWAYS kann man von 70er Hardrock sprechen, hier mit early PRIEST-Vibes und THIN LIZZY-Gitarren. Beides jedenfalls Lieblingsbands der letzten Jahre für mich, weswegen ich mit gehöriger Vorfreude zum Konzert gehe.
Fotos von MJ.
Okay, überspringen wir die üblichen Geschehnisse vor der Live-Action und kommen wir gleich zu RITVS! Die Aschaffenburger heben mit „Die Kinder Cuzcos“ ab wie ein Düsenjet und dürften somit der ozonfeindlichste Opener seit langem sein. Erfreulicherweise geht auch der Mob sofort mit, die sonst übliche gegenseitige Beschnupperungsphase fällt gleich mal weg. Die Band zockt blitzsauber, die Instrumente fliegen geradezu, Orgel und Gitarre erzeugen eine Stimmung, als würden URIAH HEEP auf BIRTH CONTROL und die PUHDYS treffen. Die deutschen Texte passen zu diesem Krautrockfaktor total gut, wobei alte VULVA-Songs meist englische Lyrics hatten und auch gut funktionierten. Aber mit der Umbenennung fiel wohl endgültig die Entscheidung für deutsche Texte und das kommt schon stimmig und auch sehr authentisch. Tobias Ritter schmettert glockenhell und klingt für mich dabei sehr angenehm. Die ganze Performance ist energisch und obwohl ich jetzt wiederholt Genres wie Krautrock oder 70er Rock benutzt habe, scheint ein übergreifendes Musikverständnis durch, es dürfte kein Zufall sein, dass gleich zwei Bandmitglieder T-Shirts von Thrashbands tragen (ZERRE und SLAYER). Die Vitalität und auch einige musikalische Ideen erinnern mich bisweilen zudem an WUCAN. Randnotiz: Beim neuen Stück „Bei Nacht“ verstehe ich in der dritten Zeile des Refrains wiederholt die Worte „Bademeister scheißt“. Beim Mitsingen merke ich, dass die Worte auch super passen. Nur was mögen sie bedeuten? Ein Alptraum über einen autoritären Schwimmmeister? Vielleicht hat Ritter doch etwas Anderes gesungen... Egal, Hammerauftritt, RITVS werden gebührend gefeiert und förmlich zu einer Zugabe gezwungen.
Wenig später setzen FREEWAYS den Musikgenuss fort. Auf andere Art, aber im selben Maße mitreißend und begeisternd. Der Vierer setzt auf zwei Gitarren mit Top-THIN-LIZZY-Melodien und einem gewissen NWOBHM-Einschlag. Die RITVS-Gang feiert vor der Bühne mit, völlig nachvollziehbar. Während des Konzertes wird der Bassist ausgetauscht. Wenn ich es richtig verstehe, konnte der Originalbassist Amar Amrith den Anfang der Tour nicht mitspielen, weswegen ein Kollege einsprang, der das Instrument heute wieder zurückgibt, und das direkt während des Gigs. Die Kanadier haben es drauf, einen ganz bestimmten Groove zu erzeugen, den ich bei Metalbands lange vermisst habe. Frühe JUDAS PRIEST hatten genau diesen Groove und Schlagzeuger Matthew Avenins trägt folgerichtig ein PRIEST-Shirt (und eine Sonnenbrille, die Sänger/Gitarrist Jacob Montgomery mit den Worten „It will look good on the pictures“ kommentiert). Am besten sind aber die Hooklines! Wirklich jeder Song kommt mit einer grandiosen Melodie auf den Punkt, die im Refrain noch gesteigert wird. Ganz große Songwritingkunst, die viel NWOBHM atmet! Es kommen natürlich diverse Stücke der neuen LP zum Zuge, allen voran das scheppernde „Forever Protected“, nicht wenger zwingend die Ohrwürmer „Give Em The Gears“, Can’t Deny Destiny“ oder „Dark Sky Sanctuary“. Aber erfreulicherweise werden „New Drag City“ und „Cold Front“ von der ersten 7“ nicht vergessen (hier klingen THIN LIZZY besonders stark durch, von den Riffs bis zum Gesang) und auch der Titeltrack der ersten Platte „True Bearings“ wird gespielt. Ich meine, dass auch FREEWAYS bereits einen neuen Song präsentieren – falls ich mich nicht irre, fügt der sich gut ein. Der Hammer ist aber das abschließende Cover – und zwar ALIENs „Could Have Done Better“, einer NWOBHM-Band, die es nur zu Samplerbeiträgen und einer Split auf NEAT-Records geschafft hat (der Song ist auch auf dem Sampler „All Systems Go: 1979 – 1984. The Neat Singles Vol One“ drauf), richtig geile Nummer.
Was soll man sagen! Das war so gut wie erhofft, wenn nicht noch besser!
Fun-Fact-Ergänzung: Der Ersatz-Bassist hatte sogar den Amrith-Look kopiert oder besitzt einen sehr ähnlichen Geschmack: