GAS WASSER INDIEPOP (JOY BOY’S CHOICE), ZUNDER, CHAUSSÉE DEFORMÉE / 29.03.2025 – Flensburg, Volksbad
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- Kategorie: Berichte aus dem Pit
- Veröffentlicht: Mittwoch, 02. April 2025 16:36
- Geschrieben von Philipp Wolter
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Habe ich eigentlich schon hinreichend deutlich gemacht, wie liebevoll die Konzertgruppe WASCHZWANG E. V. ihre Konzerte gestaltet? Das zeigt sich in diversen Details, allein schon darin, dass hier nicht einfach irgendeine Playlist in den Pausen und nach den Konzerten heruntergedudelt wird, sondern ein Mensch echte Platten auflegt (DJ PS Eykohol gleich Ex-Moorloch Eyk). Für den Sound steht Terje gerade, da muss man wohl auch nichts weiter zu sagen. Und dann laden sich die Zwanglis für jeden ihrer Waschgänge immer wieder tolle Bands ein, heute in Verbund mit einer besonders kreativen Idee, nämlich JOY BOY’S CHOICE. Der Gedanke dahinter wurde Imkes eigenen Worten zufolge auf dem letztjährigen ENZO geboren: „Hihi, lass' ma' Joy Boy fragen, ob er Bock hat, nen Waschzwang bei uns zu spielen...hihihi...und er darf sich aussuchen, mit welcher Band er kommt...und dann, hihi, nennen wir das Joy Boy's Choice, weil das so witzig klingt...hihihi. *Hier das gurgelnde Geräusch eines Trinkhalms in einem leeren Cocktailbecher einfügen*“.
Bilder von MJ.
Es ist Samstag, die Spannung steigt – mit welcher Band wird JoyBoy wohl kommen? Tatsächlich erfahre ich erst vor Ort im Gespräch, dass für JoyBoy nur eine recht eingeschränkte Wahl bestand. Mittlerweile haben sich nämlich alle seiner vermeintlich noch bestehenden Bands und Projekte aufgelöst oder sind „on hold“. Außer GAS WASSER INDIEPOP und die spielen dann auch logischerweise heute. Ob wir TIPP, DIE BULLEN, MOMS DEMAND ACTION oder POWER dennoch irgendwann noch mal sehen? Gerade letztere haben ja regelmäßig behauptet, es gäbe sie nicht mehr – um dann häufiger live zu spielen als so manch „aktive“ Band. Nein, aber im Ernst: Ich hoffe gerade bei MOMS DEMAND ACTION mindestens noch auf ein Abschiedskonzert! Und manchmal erkennen Musiker:innen oder Bands erst nach der Auflösung, wie viel Spaß es gemacht hat und legen doch wieder los. Hoffen wir das Beste. Und auch wenn es nur noch eine JoyBoy-Band gibt – die Idee von JOY BOY’S CHOICE ist trotzdem super, so!
Die mir unbekannten CHAUSSÉE DEFORMÉE eröffnen den Abend, das Volksbad ist bereits sehr gut besucht. Der Name ist ja schon mal geil, geht bestimmt nach ein paar Humpen immer noch flüssig von der Zunge! Die Flensburger haben mich schnell im Sack mit ihrer postpunkigen Mische aus HOTEL KEMPAUSKI, GAS WASSER INDIEPOP und/oder Rachutstoff. Ob das überhaupt ihre Einflüsse sind, weiß ich natürlich nicht, aber der angepisste Gesang zwischen Geschrei und Melodei lässt mich ab und zu an Schrammi denken und so viel Punk mit Orgel kenne ich auch nicht. Herrlich auch das gespielte Angezicke zwischen Gitarrist und Orgelkönig/Sänger! Letzterer stoppt seinen engagierten Kollegen wiederholt und verweist auf die vereinbarte Reihenfolge: „Halt! Erst umblättern und Sound einstellen!“ Spricht’s, blättert in einem Büchlein (vermutlich mit den Songtexten, möglich wären natürlich auch ganz andere, von CHAUSSÉE DEFORMÉE losgelöste Texte, vielleicht ist der Typ ja ein unterfordertes Genie, der lediglich mit der einen Hirnhälfte spielt und singt, während er mit der anderen existenzialistische Gedichte studiert) und schraubt an seiner Orgel. Die Musik gefällt mir außerordentlich gut, mal rockt sie härter nach vorne, mal schwelgt sie in wave-punkigen Sounds. Auch die Texte gefallen, krieg ich jetzt leider nicht mehr zusammen, aber da waren tolle Lines bei in Songs wie „Unangenehm“ oder „Bosporus“. Guck ich mir gern wieder an!
Yeah, ZUNDER bieten ja immer ein Spektakel, ich guck das gern, wenn Roman und Dominik ihre Gitarren quälen und der Doppelgesang ertönt. Schon beim Wilwarin (Review kommt ohne Scheiß bald!) war die neue Sängerin Sarah dabei, die mit Urmitglied Sascha um die Wette schreit. Und wenn ich mich nicht irre, ist auch ein neuer Bassist an Bord. Ich weiß gar nicht genau, woran es liegt, aber ZUNDER gefallen mir besser denn je. Wie auch Waschzwang-Imke habe ich den Eindruck, dass die neue Besetzung weiter zusammengewachsen ist. Der Anarcho-Hardcore/Punk böllert jedenfalls vehement nach vorne und setzt sofort pogende Punks in Gang. So einen aggressiven, von zwei Menschen herausgekotzten Brüllgesang habe ich jetzt schon länger nicht gehört, früher gab es das ja häufiger, gerade im Crustbereich. Und wieder muss der Sound positiv erwähnt werden, ist nicht selbstverständlich, dass so unterschiedliche Bands alle top klingen. Gerade zwischen den völlig anders gelagerten CHAUSSÉE DEFORMÉE und GAS WASSER INDIEPOP kommen ZUNDER mit dem höchsten Ballerfaktor genehm und erfrischend.
Beim letzten GAS WASSER INDIEPOP-Konzert, dem ich beiwohnte (Hansa48), war Kocky krank. Irgendwie haben sie es damals zwar trotzdem hinbekommen, aber jetzt zeigt sich, um wie viel besser die Band MIT Kocky klingt. Überhaupt muss der Gute mal hervorgehoben werden! Was für ein Punch, was für ein Groove! Ich bin sicher, dass ich ihn mittlerweile unter vielen anderen Drummern „blind“ heraushören würde, nachdem ich ihn über die letzten 40 Jahre oder so in vielen Bands hab trommeln sehen. Und obwohl Bassist Gunnar Vosgröne (u.a. früher bei ESCAPADO, GRAND GRIFFON und ANY PORT IN THE STORM, aktuell LINHAY und BAKER SEATS) noch gar nicht so lange dabei ist, harmoniert das Zusammenspiel vorzüglich, quasi als hätten die schon zusammen im Sandkasten Steine auf Kochtöpfe gekloppt. Mittlerweile habe ich die Platte häufig gehört und empfehle sie jedem Menschen, der offen genug für andere Einflüsse im Punk ist. Klar, durch Jochen hast du immer diesen Touch von KZIMALPP, aber gerade die Orgel/Gitarre von JoyBoy bringt auch andere Einflüsse hinein. Muss man einfach selbst hören und am besten auch sehen! Denn erst wenn du JoyBoy in so ‘ner Glitzer-Hotpants und Jochen mit seinem X-Bein-Tanzmove (schön entspannt die Knie zusammenschlackern) siehst, erschließt sich dir das ganze GWI-Universum. Einige Besucher:innen gucken erst mal, was zur Hölle da abgeht, aber ich habe den Flensburger Mob schon häufig als sehr musikoffen erlebt und so entwickelt sich auch heute ein herrlicher Austausch. „Der Prominente im Sack“ und „Die Autobiografie eines Heizlüfters“ sind für mich die Highlights im Set.
Wat soll man sagen! Trotz Muskelkater und blauer Flecken vom RKL-Konzert am Vortag ein purer Musikgenuss. Join the Waschgang, give in to the Waschzwang!