OPETH, (GRAND MAGUS) / 15.02.2025 - Hamburg, Docks

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OPETH haben gestern im ausverkauften und logischerweise etwas engen Docks (viele Männer mit T-Shirt-Plauzen halt) eindrucksvoll demonstriert, wo der Prog-Hammer hängt, um es mal doof und ungenau auszudrücken. Gegeben wurde ein Querschnitt durchs umfangreiche Oevre, der wegen der epischen Länge vieler Stücke und der schieren Masse an theoretisch spielbarem Material zwangsläufig kompromißhaft ausfallen mußte: Nichts von „Orchid“, „My Arms, Your Hearse“, „Still Life“, „Watershed“ und „In Cauda Venenum“.
 
 
OPETH
 
 
 
Naturgemäß gab es aber 4 Stücke vom aktuellen und zurecht gefeierten Werk „The Last Will And Testament“ zu hören. In den letztjährigen Rezensionen zu diesem Album ging es nach meinem Eindruck oft vor allem darum, dass Mikael Åkerfeldt wieder growlt; dass Opeth ihre Musik nebenher nochmal auf ein ganz anderes Level gehoben haben, wurde hingegen von manchem Schreiber kaum registriert. Und dementsprechend waren die Brüche im Programm gestern Abend immer dann am größten, wenn einer der Paragraphen (Songtitel gibt‘s ja kaum) von „The Last Will And Testament“ angestimmt wurde. Aber das ist okay und unvermeidlich bei einer Band mit einem Spektrum wie Opeth, die in einen Song packt, wozu Andere ganze Diskografien (mit Line-Up-Wechseln und Reunion) brauchen.
 
Wir sind hier ja nicht bei Scooter. Hier ist jeder Song eine eigene Welt, da sind Brüche unvermeidbar, z.B. auch dann, wenn sie (zugegeben, fairerweise nach dem psychedelisch-jazzoid mäandernden „Häxprocess“) „In My Time Of Need“ spielen, eine der wunderbar schwermütigen Folkrock-Balladen von „Damnation“ [2003]. Åkerfeldt animiert die begeisterte Menge zum Absingen des Refrains, wie man es von der Livebox „Garden Of The Titans“ [2018] kennt. Eigentlich ja echt eine abgeschmackte Rockkonzert-Standardsituation, doch wenn die vielen Textsicheren (zu denen ich leider nicht gehöre) inbrünstig aber diszipliniert die Zeilen „Summer is miles and miles away/And no one would ask me to stay“ schmettern, finde ich das im Kontext dieses besonderen Konzertes tatsächlich berührend. Warum?
 
Opeth könnten sich auf die Bühne stellen und fehlerlos selbstzufrieden ihr irre kompliziertes Zeug präsentieren, abliefern, akademisch und entrückt wie die Stadionrockbands der Erzählungen aus den 70er Jahren. Niemand würde es ihnen übelnehmen. Audience participation als aktives Mitnehmen des Publikums, als integrativer Akt ist aber das genaue Gegenteil! Was für eine Spanne! Geil! Man muß sie lieben dafür! Die Götter sind aus dem Olymp herabgestiegen und lassen uns teilhaben am Schönen, das sie erschaffen.
 
Apropos „fehlerlos“: Als Keyboarder Joakim Svalberg, von lila Lichtkegeln fokussiert, ein lyrisches Interlude auf dem E-Piano spielt und sich gegen Ende so richtig reinlehnt, berührt sein Bauch oder der Aufschlag seiner Lederjacke, man kann’s nicht sehen, die Tastatur des Mellotrons, und ein Mißton fährt ihm voll in die Glissandi. Tuuuut! Svalberg verzieht das Gesicht, der Kopf rutscht ihm zwischen die Schultern, alles lacht, Mikael Åkerfeld tritt ans Mikro und moderiert staubtrocken: „Only for you Hamburg, only for you.“
 
Fehlerlos dagegen das NAPALM-DEATH-Cover „You Suffer“, in „…the key of D…“, wie Åkerfeldt musiklehrerhaft vorausschickt. Immer wieder zum Kichern, dieses Understatement, das sich eben nicht als ölige Bescheidenheit äußert, sondern lieber gleich mit der Brechstange der Koketterie daherkommt. Oder wie hyperironische Angeberei. „Just some songs, you know…“, erklärt Åkerfeldt zu Beginn, „It‘s not brain surgery.“ Und wenn sich der Feingeist des Opethschen Schaffens schon in meiner Wortwahl für diesen Schrieb niederschlägt (scheint mir so zu sein), dann ist Åkerfeldts Hang zur verbalen Derbheit sicher auch antizyklisch gemeint. Das hat er schon immer so gemacht, und er hat dabei keine Angst vor Peinlichkeit.
 
Im Dressingroom, erzählt er, gebe es eine Lüftungsklappe (oder sowas), die würde wie Scheiße riechen. Die erste Reihe solle sich also nicht wundern, wenn er zwischendurch auf sie raufkotzen würde. Ähem. Bevor sie „A Story Never Told“ spielen, damit das reguläre Set beenden und Fredrik Åkesson wieder das Solo aller Soli intoniert, stellt Åkerfeldt fest: „I didn‘t vomit at all!“; und fügt mit perfektem timing hinzu: „Are you sad?“
 
 
OPETH
 
 
Als erste Zugabe spielen sie „Sorceress“, Titelstück des gleichnamigen Albums aus dem Jahr 2016, und halten endgültig Einzug in die persönliche, ansonsten völlig bedeutungslose Liste meiner All-time-Lieblingsbands. 2008 brachte mich „Watershed“ zurück zum Metal, dem Sound meiner Kindheit und Jugend, und seitdem habe ich einiges Neues über Musik und das Leben gelernt. Danke, Opeth! Über den Backdrop und die auf der Bühne verteilten Screens flackern indessen Details des entsetzlichen Cover-Pfaus der mit roten Augen auf blutigem Schädelschmodder steht.
 
Dann kommt Åkerfeldt ein letztes Mal ins Plaudern: Über deutsche Bands, allen voran die SCORPIONS, seine absolute Lieblingsgruppe, die zu treffen er die Gelegenheit hätte haben können, sie aber, von Ehrfurcht gelähmt, ausschlug, weil er befürchtete, Klaus Meine fände ihn nicht cool; und über Mille Petrozza (KREATOR), der ihn mal gefragt habe: „You listen to Krautrock, right? It‘s sh*t“. „No, Mille“, habe er erwidert, „it‘s great music, you know, bands like CAN, NEU!…“ - An dieser Stelle wird die Applausdecke wie damals, als Bowie bei „Wetten, dass…“ über Krautrock sprach, während Gottschalk und 99,98% der verschissenen Grugahalle keinen Schimmer hatten, merklich dünn. Ich bin einer von vielleicht 10, die kennerhaft die Patschehändchen aneinanderschlagen.
 
Später habe er Mille mal wiedergetroffen, man habe ein paar Bier gezischt, sei zusammen betrunken geworden, und Mille habe eingeräumt: „I‘ve listened to Krautrock. It‘s great!“ Siehste, Mille. Vielleicht, so Åkerfeldt, gäbe es ja Klaus-Dinger-mäßige Motorik-Beats auf dem nächsten Kreator-Album.
 
Zwischendurch spielt er, einfach so, mehrere Male „Exciter“ (KISS) an, Fredrik Åkesson steigt mit ein, Abbruch, Gelächter, und Åkerfeldt räumt ein, sein Lieblingssong von „Lick It Up“ [1983] sei das aber nicht, sondern „All Hell‘s Breakin‘ Loose“, „…pioneering a crossover between rap and metal.“ - der einzige musikalisch halbwegs innovative Moment in Kiss’ Karriere.
 
Endlich werden auch die Musiker vorgestellt. Jeder erhält herzlichen Applaus, besonders Waltteri Väyrynen, der, solang er hinter seiner Doublekick-Burg thronte, wie eine junge Frau mit langen, schwarzen, glatten Haaren aussah. Später, ganz am Ende, wenn sie sich gemeinsam verbeugen, wird er neben Åkerfeldt stehen, jung, glücklich lächelnd, mit einem großen umgedrehten Kreuz an einer langen Kette um den Hals. Da wird mir warm ums Herz.
 
Und dann spielen sie „Deliverance“. Als Mikael Åkerfeldt nach gut neuneinhalb Minuten die einleitende Figur zum Outro spielt, fliegen die Pommesgabeln in die Luft. Es ist so grandios unheilig, mir läuft‘s kalt den Rücken runter. Synkopierte Gegenwart, pures, cooles Jetzt. Immer noch der beste Part, der je geschrieben wurde.

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