WACKEN OPEN AIR XXXIII / 03.08.2024 – Wacken, Tag 4
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- Kategorie: Berichte aus dem Pit
- Veröffentlicht: Dienstag, 18. Februar 2025 16:01
- Geschrieben von Michael Strecker, Roman Szymura & Philipp Wolter
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Philipp: In meinem Bekanntenkreis mehren sich die Leute, die nicht mehr nach Wacken fahren und natürlich gibt es immer wieder die Klassiker-Argumente in jeder Wacken-Diskussion, gegen die man den eigenen Besuch fast schon verteidigen muss. Meist werden drei Dinge genannt: Erstens sei das Festival zu groß geworden. Dagegen lässt sich nichts sagen, wobei man es vor der Wasteland Stage häufig recht gemütlich hat. Zweitens fänden zusehends mehr nicht-musikalische „Attraktionen“ aufm W:O:A statt. Den Punkt finde ich wenig überzeugend. Diese Programmpunkte muss man meist doch aktiv suchen, um überhaupt von ihnen mitzubekommen. Dann steht da halt irgendwo ein Zelt für Gaming-Nerds – na und? Dazu kommt, dass manche dieser Dinge auch interessant ist und durchaus Bezug zur Musik haben, z.B. Lesungen, Spoken-Word-Auftritte oder Kino. Gerade den ersten Punkt könnte man aus meiner Sicht gern ausbauen, schließlich erscheinen immer mehr Autobiografien (gerade die von Tex Brasket und Peavy Wagner abgeerntet) und Werke zu bestimmten Genres („Heavy Kraut“ z.B.). Jo, aber was ich albern finde, ist die Behauptung, dass drittens in Wacken „gar keine richtigen Metalbands“ mehr aufträten. Als Gegenargument kann allein der heutige Tag gelten, denn ich sehe nacheinander TANKARD, RAVEN, EXUMER, HIRAX, SEBASTIAN BACH, BRUTUS, VIO-LENCE, ULI JON ROTH, FLOTSAM AND JETSAM sowie THE BABOON SHOW. Als Alternativen hätten noch WOLF, THE BLACK DAHLIA MURDER, TESTAMENT, PRIMORDIAL bereitgestanden. Voller Tag also, let’s go:
Triplebericht von Strecker, Roman und Wolter, Bilder von Strecker und Roman.
Strecker: Ich sehe es ähnlich. Es niemand wird gezwungen Riesenrad zu fahren (gab es überhaupt eins?) oder ins Gaming Zelt zu gehen anstelle Konzerte zu besuchen. Dies kann, darf und soll jede/r Besucher/-in frei und selbst entscheiden. Beim Schreiben des Berichts fällt mir mal wieder auf welch ein Überangebot an Bands bei dem Festival sind und die Anzahl der Bands, die ich gern gesehen hätte ist wieder deutlich höher als die Zahl der Bands, die ich gesehen habe. Ich habe ausschließlich Konzerte besucht und die Nebenaktivitäten komplett ignoriert. Nach meinem Dafürhalten könnte die Anzahl der Bühnen gern etwas reduziert werden. Nur als Beispiel am Samstag hätte ich folgende Bands gern gesehen, was aufgrund von Überschneidungen nicht möglich war. EXUMER, HIRAX, RED FANG, THE BLACK DAHLIA MURDER, BRUTUS, VIO-LENCE, JOEY BELLADONNA feat. THE CLARKS, BEHEMOTH, AMON AMARTH, CRADLE OF FILTH, ARCHITECTS und MAYHEM.
TANKARD
Philipp: Um 11:30 Uhr bereits Frühschoppen mit TANKARD, sportlich. Aber wer denkt, dass Strecker und ich allein vor der Faster Stage stehen, der irrt gewaltig. Die Thrasher und Thrasherinnen erweisen sich als Frühaufsteher und kommen in Scharen. Mit „One Foot In The Grave“ und „The Morning After” geht der Spaß los und sofort bilden sich gigantische Circle Pits. Spektakuläre Szenen spielen sich direkt vor unseren Augen ab, während TANKARD auf der Bühne ebenfalls alles geben. Die Setlist stößt auf Zustimmung, denn neben unverzichtbaren Klassikern wie „Chemical Invasion“, „Zombie Attack“ (hach!) oder „Alien“ gibt’s auch gute neue Songs, z.B. „Ex-Fluencer“ (gegen Social-Media-Wichtigtuer), „Beerbarians“ oder „Rules For Fools“ (na gut, der hat auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel). Mit „Himbeereis zum Frühstück“ (die folgende Refrainzeile „Rock’n’Roll im Fahrstuhl“ sprudelt automatisch aus mir heraus – verblüffend, wie hartnäckig sich gerade totaler Quatsch einprägen kann!) würdigt man den TANKWART-Rerelease, zum Schluss gibt’s natürlich „Freibier“ (leider nur das Stück) und „Empty Tankard“. Dass mit Gerd Lücking ein neuer Schlagzeuger spielt, hört man gar nicht und das ist ganz klar als Kompliment gemeint.
Strecker: Vor TANKARD spielen bereits BLACK SABBITCH auf der W:E:T Stage, aber nicht mal Philipp hat es geschafft dort kurz vorbei zu schauen und so habe ich überhaupt kein schlechtes Gewissen, dass ich auch erst zum TANKARD Konzert auf dem Gelände bin. Ohne lange zu überlegen wurde der erste Bier-Boy, der an uns vorbei läuft gestoppt, Schließlich ist das Motto des Konzerts „Frühschoppen mit TANKARD“. Wir haben keine andere Wahl und müssen unsere Empty Tankards befüllen lassen. Das Konzert war erwartungsgemäß gut. Es reihte sich Band Hit an Hit und paar Songs von der Tankwart Platte sind ebenfalls in der Setlist enthalten. Trotz der frühen Uhrzeit war der Platz vor der Bühne gut gefüllt und Publikum und Band haben Spaß. Sehr schöner Start.
Roman: Der Samstag startete für mich gegen Mittag mit Frühschoppen mit Tankard. Ich hatte erst vor kurzem die „The Morning After“ für mich entdeckt und hatte echt Bock, die Thrasher zu sehen. Im Schlepptau von Strecker und Philipp und dem ersten Bier des Tages, haben die Frankfurter echt für viel Spaß gesorgt. In einer rockigen Version wurde zum Ende des Sets noch der Schlager „Himbeereis zum Frühstück“ dem Publikum zum Besten gegeben. Auch wenn ich mit der Discographie nicht ganz so vertraut bin, schien es, als hätten Tankard ein breites Spektrum ihrer Alben abgedeckt.
RAVEN
Philipp: Leider wechselt nur ein Teil des Publikums rüber zur Harder Stage. So verpassen viele einen astreinen RAVEN-Abriss, der ihnen eigentlich gefallen müsste. Zwar spielen RAVEN natürlich keinen Thrash, sondern NWOBHM, aber die Energie, die hier entfesselt wird, fühlt sich ähnlich an. Mike Heller (auch FEAR FACTORY) treibt die Gallagher-Brüder an, die ihr Ding mit Schaum vorm Mund und polteriger Chaosmagie durchziehen. Eine völlig wahnsinnige Band! Diese hohen Schreie von John gehen mir tief unter die Haut. Weil eben auch die Melodien so geil sind und sich jedes Riff direkt ins Gehirn schraubt. „Destroy All Monsters“, „Hell Patrol“, “The Power”, „Surf The Tsunami“, „Turn Of The Screw”, “Rock Until You Drop”, “Faster Than The Speed Of Light”, “Inquisitor” (KULT!), “All Hell’s Breaking Loose”, “Break The Chain” und “Chain Saw” heißen meine Highlights. Besser kann man Heavy Metal weder komponieren noch performen.
Strecker: Auch nach 50 Jahren auf den Bühnen dieser Welt haben RAVEN noch immer richtig Bock auf ihre Konzerte. Gas. Schade, dass nicht mehr ganz so viel Menschen vor der Bühne sind wie noch bei TANKARD und vermutlich eine Grillung dem RAVEN Konzert vorziehen. Der Band ist es egal und die 3 Musiker sind mit vollem Einsatz dabei und die positive Energie überträgt sich auf das Publikum und so wird das Konzert zu einer Party am Sonntagmittag. Einige Leute haben sich im Anschluss über den schlechten Sound beschwert. Mag am Standort oder meinen kaputten Ohren liegen, aber ich fand den Sound völlig in Ordnung.
Roman: Nach diesem gelungenen Set geht es dann ein paar Meter weiter zu Raven. Auch wenn ich da eine große Bildungslücke habe, dachte ich mir, kann man auch mitnehmen, wenn man schon mal hier ist. Die drei Männer haben sich auch ordentlich ins Zeug gelegt und für einen unterhaltsamen Gig gesorgt. Bei Gelegenheit muss ich mich mal durch ihre Platten arbeiten.
EXUMER
Philipp: Nach diesem geilen Doppel-Auftakt geht es raus zu den Headbangers- und W.E.T-Bühnen. EXUMER und HIRAX gleich nacheinander, hier treffen sich natürlich Thrasher:innen aus aller Welt wieder. Mittlerweile erkennt man sich, nickt einander zu. EXUMER haben einen fies drückenden und glasklaren Sound, der die Rüben meterweise absägt. Circle Pits beginnen sofort beim Opener „The Raging Tides“ und kreiseln bis zum letzten Stück „Possessed By Fire“ durch. Für Sänger Mem von Stein war die Anreise aus New York wohl stressig, die Ankunft knapp vor Konzertbeginn, was sich aber, wenn überhaupt, dann nur positiv bemerkbar macht. Die Setlist ist perfekt, denn die etwas schwächere zweite Platte bleibt außen vor und Hit an Hit vom Debut und den drei grandiosen Scheiben der Neuzeit gespielt. „Fire And Damnation“ und „Vermin Of The Sky“ bestehen den Pit-Test jedenfalls neben „Fallen Saint“ und „Journey To Oblivion“. Total super auch das Drumming von Jerome Reil (yes, dat ist Ventors Sohn!), der alles aufs Tighteste wegknüppelt. Stark!
HIRAX
Philipp: Kinners, wat kann es Schöneres geben, als sich eine Killer-Thrashband nach der anderen reinzukesseln? Wenn ich mich wiederhole, dann nur weil der Spaß auch direkt so weitergeht: Entfesselte Circle Pits, hochgereckte Fäuste und eine generell euphorische Stimmung. Katon, der alte Profi, riecht die Blutwurst wie ein hungriger Eber und feuert den Mob noch an, indem er sich gleich zu Beginn kopfüber über die Absperrung in die Maniacs stürzt. HIRAX funktionieren immer, denn ihr Thrash hat so einen überschäumenden Hardcore-Punk-Faktor. Die gelungene Mischung aus alten und neuen Songs („Lightning Thunder“, „Bombs Of Death“, „Hellion Rising“, „Blind Faith“, „Hostile Territory“…) wird sogar noch ergänzt um zwei brandneue Stücke des kommenden Albums (den Rough Mix der Platte kennt ja eh schon jede:r), nämlich „Faster Than Death“ und „Drowned Bodies“. Katon ist ein Witzbold, fordert er uns doch dazu auf, zu seiner Karre zu kommen, er verkaufe die Scheibe voll underground direkt ausm Kofferraum. Wo steht denn dein Auto, Diggi? Naja, trotzdem Bombe!
SEBASTIAN BACH
Philipp: Ich hätte jetzt gut auch hinten bleiben können, um mir THE BLACK DAHLIA MURDER anzugucken. Aber die habe ich mehrfach gesehen, SEBASTIAN BACH hingegen noch nie. SKID ROW habe ich früher in die Glamkiste gepackt, was nicht ganz korrekt ist. Ein großer Fan bin ich zwar bis heute nicht, aber „Slave To The Grind“ ist mittlerweile in meiner Sammlung und selbstverständlich ein Klassiker. Insofern schließt sich hier durchs Wacken eine weitere Lücke. SEBASTIAN BACH hat insofern Pech, als dass er den einzigen Slot des gesamten Festivals erwischt, bei dem es regnet. Der Sänger nimmt es mit Humor und zieht trotzdem durch, was auch für das Publikum gilt. Regencape über die Birne und gut. Ja, stimmlich ist SEBASTIAN BACH gut in Form, wobei sein Gesang heutzutage etwas rauher klingt, was mir gerade gut gefällt. Die Band agiert souverän und spielt die hauptsächlich aus SKID-ROW-Songs bestehende Setlist so authentisch wie möglich. Die größten Hits sind dabei und das ist schon cool, die mal live zu erleben. „Slave To The Grind“, „18 And Life“, „Monkey Business“ und „Youth Gone Wild”, immerhin vier überlebensgroße Songs, die jede:r kennt, der Metal hört, auch wenn er/sie sich nicht weiter mit SKID ROW beschäftigt hat. Die Stücke seiner Soloscheiben und ein Coversong sind mir komplett unbekannt, gehen in Ordnung, bleiben aber auch nicht hängen.
Roman: Nach RAVEN ist erstmal eine längere Pause angesagt. Hatten wir die letzten Tage echt gutes Wetter, so änderte es sich leider im Laufe des Nachmittags. Kurz vor dem Auftritt von Sebastian Bach fing es richtig an zu schütten. So saß ich mit meiner Frau Carmen und Strecker Backstage und überlegten, ob wir lieber im Trockenen bleiben oder uns in den Regensturm wagen. Nach den ersten Tönen war Strecker und mir klar, wir müssen vor die Bühne! Dem Wetter entsprechend war vor der Bühne jetzt nicht so viel los. Dennoch wars mega geil. Die alten Skid Row Songs mal live vom Originalsänger zu hören, war schon was Besonderes. So war die Band eine der ersten Hardrock Bands, die mich in jungen Jahren zum Metal gebracht haben. Mit einer guten Band im Rücken konnte Seb mit Songs wie „Slave To The Grind“, „Big Guns“, „18 and Life“, „Monkey Business“ und „Youth Gone Wild“ nichts falsch machen.
BRUTUS
Philipp: Und wieder steht eine Entscheidung an: TESTAMENT oder BRUTUS? Angestrichen habe ich mir beide. Aber BRUTUS habe ich erst dreimal gesehen und TESTAMENT bestimmt dreißigmal. Da das nächste TESTAMENT-Konzert eh bald ansteht (mit KREATOR und ANTHRAX) entscheide ich mich für BRUTUS. Vor der Headbangers Stage angekommen, bin ich doch überrascht ob der Menschenmenge – BRUTUS haben den Status des Geheimtipps offensichtlich hinter sich gelassen. Und es ist toll anzusehen, wie begeistert ein Metalpublikum auf die Band reagiert! Das war ja schon beim HELL OVER HAMMABURG so. Musikliebende Menschen müssen BRUTUS eigentlich mögen, aber das denkt man ja so oft und steht manchmal auf den berühmten –„Zwei-Betrunkene-ein-Hund-Konzerten“. Doch hier klappt es, alles passt, die Menge reagiert auf jede Nuance der sehr bescheiden und unprätentiös wirkenden Band. Unfassbar, wie das belgische Trio mit Tempi, Stimmungen und Atmosphäre spielt und all diese Aspekte stetig variiert. Stefanie Mannaerts bleibt mit ihrem Spiel und ihrem Gesang der Mittelpunkt, aber auch die fetten Basslinien und die flirrenden Gitarren kommen genial. Ich kann danach keinen Songtitel nennen, obwohl ich alle Platten habe und regelmäßig höre. Aber wie bei ULI JON ROTH wenig später bin ich halt den ganzen Auftritt über IN TRANCE…
TESTAMENT
Strecker: Die letzten Stunden habe ich mich etwas treiben lassen und bei einige Konzerte kurz besucht, um einen Eindruck zu bekommen. Das nächste Konzert in voller Länge sind TESTAMENT. Die Setlist ist ein kleiner Traum und es werden die ersten beiden Platten der Band nahezu vollständig gespielt. Chuck Billy ist gut in Form und freut sich merklich über die große Zuhörerschaft. Der Rest der Band liefert ebenfalls ab, der Sound ist gut und laut und das Konzert gleicht einem Triumphzug. Sehr schön. Habe ich bei TESTAMENT auch schon ganz anders erleben müssen.
Roman: 15 Minuten später und ein paar Meter weiter stehen Testament vor der Bühne und reißen die Hütte ab. Das Wetter hat sich gebessert, dennoch bleibt es matschig und rutschig. Da muss man schon aufpassen, dass man bei den Circle Pits nicht umgenietet wird. Ehrlicherweise fand ich Testament auf ihrem letzten Wacken-Auftritt vor ein paar Jahren schon sehr langweilig. Auf CD liebe ich Testament, aber live wurde Dienst nach Vorschrift geliefert. Nicht aber dieses Jahr! 2024 hat die Band voller Leidenschaft und Power mit einer Best-of-Setlist alles in Grund und Boden gethrasht. Richtig geil!
VIO-LENCE
Philipp: Bei VIO-LENCE hat sich das Line-Up gehörig verändert. Seit der letzten Tour (2022) sind Musiker ausgestiegen (Phil Demmel), andere können die Tour nicht mitspielen. Es scheint aber kein böses Blut zu geben und auch die 24er Euro-Tour-Besetzung transportiert die typische Energie der Thrash-Legende. Sean Killian und Christian Olde-Wolbers haben mit Nick Souza am Schlagzeug (Steve Souzas Sohn!), und den Schreddern Max Mayhem (EVIL INVADERS) sowie Mario Salcedo (FUELED BY FIRE) aber auch ein gutes Team versammelt. Die Songs kommen wüst, brachial und präzise aus der PA gehämmert, so dass die Meute (siehe oben, internationale Thrasherhorden) völlig durchdrehen. Was willste auch machen, wenn „Eternal Nightmare“, „Serial Killer“, „Phobophobia“, „Calling In The Coroner“, „Kill On Command”, “Officer Nice”, “Upon Their Cross” und -yeah! – “World In A World” so herrlich gespielt werden? Birne bangen, im Kreis wetzen, Fäuste recken und natürlich mitschmettern! Bier trinken nicht vergessen und danach Nase putzen, weil der hochgewirbelte Dreck überall hinkommt. Saugut!
BEHEMOTH / CRADLE OF FILTH
Roman: Danach geht es mit Behemoth weiter. Keine Ahnung, wie oft ich diese Band gesehen habe, aber es war jedes Mal ein Fest. Ich denke aber, langsam habe ich Ermüdungserscheinungen. Es wurde der 33 jährige Geburtstag gefeiert und mit „Cursed Angel of Doom“ haben die Polen auch einen alten Schinken aus der Mottenkiste geholt. Ansonsten blieben große Überraschungen aus. Für mich wars ganz nett aber zum Ende des Konzerts bewege ich mich schon in Richtung Louder Stage, um gleich Cradle Of Filth anzuschauen. Und Cradle holten mich wie immer ab! Es ging gleich los mit „Existential Terror“, „Saffrons’s Curse“ und „She is a Fire“. Richtig cooles Eröffnungstripple. „Cruelty Bought Thee Orchids“ und „Dusk and her Embrace“ dürfen natürlich nicht fehlen. Das einzige Problem, das ich mit Cradle seit einiger Zeit habe: Ich sehe keine Band auf der Bühne, sondern Dani und seine Angestellten. Trotzdem kann ich die Band genießen, wenn ich dieses Gefühl zur Seite dränge. Dafür ist die Musik einfach zu geil und die Band begleitet mich seit fast 20 Jahren. Irgendwie bleibt man da einfach unkritischer Fanboy.
ULI JON ROTH
Philipp: Der Meister ist mal wieder so köstlich entspannt, dass schon die Ansagen zwischen den Songs einen Genuss darstellen. Wobei Uli Jon Roths Worte mich auch wirklich berühren, als er von seinem verstorbenen Bruder erzählt. Der habe unter dem Namen Zeno auch Musik gemacht und Roth spielt uns die ergreifende Ballade „Don’t Tell The Wind“. Ein magischer Moment, der unterstreicht, dass ULI JON ROTH und seine Band nicht nach Schema F vorgehen. Ebenso toll ist es, die alten SCORPIONS-Stücke live zu hören, zumal Gesang und Instrumentierung mehr als überzeugend ausfallen. Am besten gefallen mir heute „Sun In My Hand“, „We’ll Burn The Sky“, „In Trance“, „Fly To The Rainbow”, “Pictured Life”, “Catch Your Train” und das unfassbare “The Sails Of Charon”, bei dem so einige anwesende US-Musiker auf die Knie sinken. Deutschland hat nicht so viele überlebensgroße Rocklegenden hervorgebracht, aber neben Michael Schenker gehört Jon Uli Roth zweifellos dazu. Richtig toll, ein echtes Original!
Strecker: Vor einigen Jahren noch habe ich es nicht für möglich gehalten ULI JON ROTH überhaupt mal live zu sehen. Mittlerweile habe ich einige Konzerte von seiner Band und ihm gesehen und bin jedes Mal angetan. Auf der W.E.T und Headbangers Stage ist heute fast ausschließlich Thrash angesagt und ULI JON ROTH mag mit seiner hippiemäßigen Art nicht so recht dahin passen. Trotzdem ist der Platz vor der Bühne gut gefüllt und auch das Thrash Publikum genießt die entspannte Atmosphäre des Konzerts in der Abendsonne. Hoffentlich kann ich noch einige ULI JON ROTH Konzerte sehen.
FLOTSAM AND JETSAM
Philipp: Die FLOTS sind ja auch eine der Bands, die viel bekannter sein müssten. Gerade die letzten vier Alben stellen eine Serie hochklassigen Thrash Metal an der Grenze des klassischen Heavy Metal dar, wie es besser nicht geht. Eric AK sieht mittlerweile etwas verknitterter aus, singt dabei so gut wie eh und je. Wenn nicht noch besser! Mir fallen nicht viele Sänger ein, die nach vier Jahrzehnten immer noch derart makellos abliefern. Kraftvoll, melodiös, mit diesem charismatischen Ausdruck („the axe came down. Blood all around“…) – argh! Natürlich wählen FLOTSAM AND JETSAM für so einen Festivalauftritt das Best-Of-Programm und so böngt Flotzilla einen Banger nach dem anderen ein, von „Hammerhead“ (Top-Opener einfach) über „Dreams Of Death“ bis hin zu „I Live You Die“ und „She Took An Axe“. Das spannende „Iron Maiden“ hat die Band 2016 für viele re-etabliert (ich mochte sie immer), fließt daher mit Recht ein. Absolut episch wird es dann beim Finale, bestehend aus „No Place For Disgrace“ und „Doomday For The Deceiver“, zwei der besten FLOTSAM-Nummern und auch der stärksten Thrash-Metal-Songs überhaupt. Das verging wie im Fluge.
THE BABOON SHOW
Philipp: Die Schwed:innen haben sich seit über zwanzig Jahren durch die Clubs geackert. Ich hatte das Glück, sie ab 2010 in kleineren Läden sehen zu können und finde, dass es nur gerechtfertigt ist, dass die Bühnen jetzt für sie größer werden. Dennoch hatte ich nicht mit einem solchen Hammerauftritt gerechnet! Ich sag, wie es ist: THE BABOON SHOW waren noch nie so gut! Die ganze Performance strahlt eine Power aus, dass man teilweise mit offenem Mund dasteht. Cecilia Boström fegt wie ein Derwisch über die Bühne, tanzt, verdreht und verrenkt sich – und singt dabei scheinbar so mühelos, als laufe der Gesang so nebenbei. Eigentlich müsste ich müde sein, aber ich bin geflasht! Håkan Sörle ist leider nicht mehr dabei (wegen MANDO DIAO), aber sein Nachfolger Simon Dahlberg trägt die Gitarrenfackel kompetent weiter. Die Songs rocken hart, fahren dazu mit ihren melodischen Gesangslinien und Refrains tief unter die Haut. Ich freue mich z.B. sehr über „The Shame“, „Queen Of The Dagger“, „You Got A Problem Without Knowing It”, “Tonight”, “Playing With Fire”, “It’s A Sin” sowie “Radio Rebelde”. Lustful and free!
Strecker: Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen ist die BABOON SHOW bisher an mir vorbei gegangen und es ist tatsächlich mein erstes Konzert, das ich von der Band. Nach dem Konzert bin ich noch ratloser, warum ich die Band vorher noch nicht gesehen habe. Die positive Energie hat mich umgehauen. Sängerin Cecilia Boström erinnert mich mit ihrer Ausstrahlung und Präsenz an eine Punk-Rock Version von Dr. Frank N. Furter aus der Rocky Horror Picture Show. Schön wars und ein würdiger Abschluss des Festivals.
MAYHEM
Roman: So und dann ist das Wacken auch schon fast zu Ende. Ich bleibe in der Nähe der Louder Stage und schaue mir den restlichen Auftritt von Amon Amarth aus der Ferne an. Die letzte Band, die ich mir auf dem Wacken 2024 ansehen möchte, sind Mayhem, die circa 90 Minuten später nach Cradle auf der Louder Stage spielen. Mayhem habe ich auf diverse Male gesehen. Auch da reicht das Spektrum von richtig Scheiße bis „alter Schwede!!!“. Vor paar Jahren wurde noch im Zelt der Klassiker „De Mysteriis Dom Sathanas“ komplett durchgespielt, so stehen heute die 40-jährige Bandgeschichte im Vordergrund. Und die Show hat es in diesem Jahr in sich! Es ist dunkel und die Gruppe schafft es auch eine dunkle Atmosphäre zu erschaffen. Hinter dem Schlagzeug werden unterschiedliche Videos und Clips gezeigt, die die Musik hervorragend ergänzen. Oft gehören sogar geschichtliche Schnipsel dazu. Den verstorbenen Band-Mitgliedern wird visuell Tribut gezollt und Bilder von brennenden norwegischen Kirchen dürfen natürlich auch nicht fehlen. Die Setlist beginnt in der Neuzeit und man arbeitet sich Stück für Stück zurück. Von jedem Album wird mindestens ein Song gespielt. Von „„De Mysteriis Dom Sathanas“ und „Deathcrush“ schaffen es sogar jeweils drei Songs ins Set. Und dann fragt man sich, warum steht am linken Bühnenrand noch ein weiteres Schlagzeug und die Antwort folgt am Ende. So kommen für die Klassiker „Deathcrush“, „Necrolust“ und „Pure Fucking Armageddon“ die ehemaligen Mitglieder Messiah (Gesang) und Manheim (Drums) auf die Bühne. Alles im alle liefern Mayhem einen stimmungsvollen Gig, bei dem allen Anwesenden sich sicher sind, das war heute was ganz Besonderes.
Fazit:
Strecker: Ich fasse mich kurz. Ich finde, man merkt dem Festival eine gewisse Weiterentwicklung an. Die Organisation ist bemüht, dass die Kritikpunkte beseitigt werden und ich muss sagen, dass sich die Änderungen, die in diesem Jahr umgesetzt wurden durchweg positiv waren und gerade die An- und Abreise deutlich vereinfacht wurde. Nach wie vor finde ich, dass vor allem auf dem Infield die Toilettensituation verbessert werden kann und man versuchten sollte, das Infield noch weiter zu entzerren. Gerade bei Headlinerbands ist es schwierig zu seiner Reisegruppe zu gelangen, wenn man mal kurz zum Klo, beim Getränke- oder Essensstand war oder auch einfach mal nicht aufgepasst hat und nicht schnell genug hinterher gekommen ist.
Klar, die Preise könnten günstiger sein und die Qualität und Menge an einigen Speiseständen haben Luft nach oben. Verglichen mit anderen Festivals ist aber alles noch im Rahmen. Man weiß auch, dass Wacken kein D.I.Y. Festival ist und viele Menschen daran verdienen möchten und müssen. Ist schließlich deren Job für den Lebensunterhalt.
Den Kritikpunk zu wenig Metal kann ich nicht nachvollziehen. Bei der Masse an Bands sollte jeder halbwegs metalaffine Besucher genug Konzerte finden, um über den Tag zu kommen.
Mir hat es wieder viel Spaß gemacht und an Petrus: Wacken funktioniert auch ohne bzw. mit wenig Regen.
Philipp: Jo, sehe ich auch so. Ich kann mich erstaunlich gut an die Auftritte erinnern, die ich gesehen habe, da war schon einiges Spektakuläres dabei. Organisatorisch bleibt da wenig Luft nach oben. Für 2025 sind jetzt auch echt schon ein paar Knaller angekündigt, so zum Beispiel AMENRA, 3 INCHES OF BLOOD, SEVEN SISTERS, GEHENNAH, WARBRINGER, KING DIAMOND, WASP, SAXON, MICHAEL SCHENKER GROUP, DIRKSCHNEIDER, SAXON, LITA FORD, OBITUARY, NAILBOMB, GRAVE DIGGER, DESTRUCTION, FORBIDDEN, MACABRE, KRISIUN, PRONG, KYLESA, SMOKE BLOW, VICTORY, EXHORDER, BENEDICTION, DOOL, NIGHT DEMON, MIDNIGHT oder fucking HELLBUTCHER.