SLIME, TOXOPLASMA, KNOCHENFABRIK, HASS / 27.12.2024 – Hamburg, Docks

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Am Ende des Jahres kommen SLIME noch mal auf Tour und spielen natürlich auch in Hamburg, das war in den letzten Jahren schon zu einem festen Ritual geworden wie die Weihnachtstour von PETER AND THE TEST TUBE BABIES. Dieses Jahr gibt es ein paar Unterschiede: SLIME haben sich zum Songwriting fürs nächste Album etwas zurückgezogen und haben ein Jahr nicht live gespielt. Jetzt kommen sie mit einem fetten Paket unter dem Namen „Grobes Fest 24“ zurück nach Hamburg, Berlin, Oberhausen und Frankfurt, jeweils mit TOXOPLASMA, KNOCHENFABRIK und HASS. Geradezu ein Mini-RUHRPOTT-RODEO. Die einzige Kröte, die man dafür schlucken muss, ist der Veranstaltungsort, das Docks. Was soll’s, wir haben Bock!

 

TOXOPLASMA

Bilder von MJ.

 

Trotz Mutantenalarm auf der Reeperbahn und schwieriger Parkplatzsituation sind wir schön pünktlich vor Ort. Etwas verbessert zeigt sich die Garderobenorganisation, denn man gibt die Jacken etc. jetzt ganz oben ab, was deutlich schneller als früher geht. Die Docks-Garderobe galt ja mal als die langsamste der Welt. Ich musste einmal derart lange anstehen, dass meine Kumpels einfach ohne mich nach Hause gefahren sind, weil sie dachten, dass ich nicht mehr komme und woanders mitfahre (dass mein Rucksack, meine Haustürschlüssel und anderer Kram noch bei ihnen im Auto lagen, hat diese These komischerweise nicht ins Wanken gebracht, naja). Schlimm ist allerdings weiterhin, wie unfassbar langsam es am Tresen vorangeht. Und noch schlimmer die Toiletten… Kann es sein, dass es bei über 1000 Leuten nur vier Pullerplätze (gut, plus drei Toilettenkabinen) gibt? Diese Schlange durch die Dockskatakomben kann man jedenfalls nur mit viel Geduld und Humor ertragen. Ich verkneife mir dieses Erlebnis daher weitestgehend und gehe während des gesamten Abends einfach nur zweimal pullern. Immerhin ist das Docks ausverkauft, aber das Ticketkontingent zum Glück an die realen Verhältnisse angepasst. Bei z.B. GHOST war man 2017 ja so eingepfercht, dass die Schlussfolgerung nahelag, dass hier mehr Karten verkauft wurden, als eigentlich Menschen reinpassen.

 

HASSHASS

 

HASS beginnen den Reigen und die Meute ist schnell auf Betriebstemperatur. Der stumpfe und eingängige Punkrock knallt ohne Umschweife rein. Allerdings trübt die übersteuerte Bassdrum das Vergnügen, die alles dominiert und gerade den guten Gesang schwer verständlich macht. Das bessert sich erst im letzten Drittel und wird sich bei KNOCHENFABRIK wiederholen. HASS gibt es ja mit der „Pause“ zwischen 2001 und 2013 seit 1978, die Menge an Klassikern ist immens. Ich mag das 2020er Album „Macht kaputt, was längst kaputt ist“ sehr, auf dem der neue Sänger Marv Mandela immerhin schon mit einem Song vorgestellt wurde („Zum Scheißen zu doof“, ansonsten sang auf der Platte noch Thomas Sohns). Von der Platte kommt heute zum Glück auch mein Fave „Mama, was macht der Panzer vor der Tür“, dessen Text 2024 leider noch bedrückender oder aktueller erscheint. Ansonsten sind u.a. „Zurück in die Psychiatrie“, „Gebt der Meute, was sie braucht“, „Ich sehe dich nicht“, „Hooligans“, „Bulle“ und das RIO-REISER-Cover „Menschenfresser“ dabei. Gründungsmitglied und Gitarrist Peter Blümer ist ganz offensichtlich unverändert mit Herzblut dabei und hat wie die gesamte Band viel Spaß auf der Bühne. Randnotiz: Ein Typ in den ersten Reihen hält die ganze Zeit ein Pappschild hoch. Was da wohl draufsteht, der Lieblingssong, eine Botschaft an die Band oder ist es ein Protest- oder Trampschild?

 

KNOCHENFABRIKKNOCHENFABRIK

 

Auch wenn bei KNOCHENFABRIK wieder die oben erwähnten Soundeinschränkungen auftreten, lache ich mich doch fast den gesamten Gig über schlapp. Es sind einmal die Texte, über die ich mich auch beim x-ten Hören freuen kann, dazu kommt die Art, wie Claus Lüer und Hasan Onay ihre Verspieler kommentieren. „Ja, da kam ich eben nicht richtig rein“, erklärt Lüer, „den hab ich mit einem anderen von unseren Saufliedern verwechselt“. Das würde ich übrigens gern mal von einer Black Metal Band hören: „Sorry, guys, I mixed this up with some of our other songs about Satan“. Schön auch Onay nach einem verunglückten Anfang: „Entschuldigung, ich hab was Anderes gespielt. Welcher Song kommt denn jetzt? Ich habe meine Brille vergessen!“ – Lüer: „Das wundert mich!“ – Onay: „Was denn?“ – Lüer: „Dass du die Brille vergisst! Ich finde, mit der Brille siehst du besser aus. Also heutzutage, früher nicht.“ Yeah, aber natürlich erstrahlen die „Ameisenstaat“- (immer noch das KNOCHENFABRIK-Referenzwerk) Klassiker trotz dieser Fuck-Ups in all ihrer Pracht. „Grüne Haare“ und „Filmriss“ mögen die bekanntesten Stücke sein und die werden auch von der ganzen Halle mitgebrüllt, ich finde heute irgendwie „Notruf“ am geilsten. Was ist das auch für ein herrlicher Text! „Auf der Straße vor Deiner Tür trinken Jugendliche Bier / Doch der Spaß ist schnell vorbei / Denn Du rufst die Polizei - / Tatütata gleich isse da (…) / Und Du wählst die 110 zum X-ten Mal / Du bist wahrscheinlich nicht mehr ganz normal“. Wie immer super.

 

TOXOPLASMATOXOPLASMATOXOPLASMA

 

Endlich fast durchweg guten Sound gibt es dann bei TOXOPLASMA und SLIME, wobei der Mischer hier jeweils den Gesang erst nach der ersten Strophe in den hörbaren Bereich zieht. Etwas schade, denn Granaten wie „S.O.S.“ oder im Falle von SLIME „Komm schon klar“ werden ja nicht umsonst an den Anfang gesetzt. Das sind Statements! „Alles hat sein Ende und wir sind bereit / Wir sind nicht blind wie die andern, denn wir seh'n die Wirklichkeit“ oder „Herzlich willkommen in der Scheiße!“ Zum Glück aber wie gesagt nur kurz am Anfang, danach sind TOXOPLASMA voll da und zeigen sich in Topform. Ich habe die Band seit 2006 nicht mehr gesehen, aber Elan und Wucht sind auch 18 Jahre später uneingeschränkt vorhanden. Vor allem ist Wallys Energie beeindruckend, der Kerl tigert über die Bühne, singt aggressiv und eindringlich und springt schließlich in den Graben, um den Mob noch mehr anzustacheln. Die sehr gut eingespielte Band (Top-Gitarrist!) haut natürlich vor allem die Klassiker des Debuts raus („Ordinäre Liebe“, „Vakuum“, „Weltverbesserer“, „Wir warten“…), streift aber auch den „Köter“ („Der Teufel verdirbt die Jugend“) oder „Leben verboten“ („Deutsch in Kaltland“, „Stillstand“) sowie „Gut & Böse“ („Allesfresser“, „Schwarz Rot Braun“). Der Mob dreht zu Recht vollkommen durch, Wahnsinn!

 

SLIMESLIME

 

Yeah, SLIME haben richtig Laune nach einem Jahr der Bühnenabstinenz! Ich finde es auch interessant, dass bei diesem ersten Gig noch nicht alles 100%ig hinhaut, es ein paar Verspieler und verpasste Einsätze gibt. Wenn Tex mal einen alten Song nicht ganz unfallfrei hinbekommt, springt sofort Elf ein und schmettert die entsprechende Strophe. Das kommt aber auch nur selten vor, insgesamt kommt die Band souverän wie gewohnt rüber. Neue Songs bleiben noch außen vor, dafür eine schöne Mischung aus SLIME-Hits der Diggen-Zeit und der „Zwei“-Phase. Von der Reunion seit 2009 haben es ansonsten nur noch wenige Stücke der drei Diggen-Platten in die Setlist geschafft (super: „Sie wollen wieder schießen (dürfen)“). Ich hätte ja auch gern wieder was von der „Sich fügen heißt lügen“ gehört, die Platte wird ebenso wie „Viva La Muerte“ gern unterschätzt. Aber die Liste an Songs, die quasi gespielt werden müssen, ist bei SLIME auch pervers lang. Meine absoluten Highlights heute: „A.C.A.B.“, „Alle gegen alle“, „Safari“, „Schweineherbst“, „Sein wie die“, „Deutschland“, „Lieben müssen“, „Taschenlampe“, „Störtebecker“ und „Religion“. Mir fällt auch wieder auf, wie packend Tex Braskets Texte sind, allein die Zeile „Musste dir mal reinziehn: Tote auf der Straße - Menschen die vorbeigehn!“ ist einfach so wahr und auf den Punkt. Ich habe übrigens gerade angefangen, seine Autobiografie „Dreck und Glitzer“ zu lesen, sehr empfehlenswert. Tex weist auf die Hintergründe der Aussage „Deutschland muss sterben, damit wir leben können“ hin und sagt, er sei immer wieder erstaunt, wie viele nichts von diesem 1936 eingeweihten Denkmal für das Hanseatische Infanterieregiment Nr. 76 wüssten, welches die Inschrift trägt „Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen“: „Das verfickte Teil steht da immer noch!“ Sehr gut finde ich auch Elfs Danksagung an Mahler, der ja einen Großteil des „Schweineherbst“-Albums geschrieben hat und dafür nicht genug gewürdigt werden kann.

 

SLIMESLIME

 

Wie erwartet ein toller Abend in einem ungeilen Laden. Jetzt bin ich hart gespannt auf das kommende SLIME-Album!   

 

SLIME         

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