RIOT SPEARS, HOTEL KEMPAUSKI / 20.12.2024 – Kiel, Schaubude im Hinterhof
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- Kategorie: Berichte aus dem Pit
- Veröffentlicht: Montag, 23. Dezember 2024 21:56
- Geschrieben von Philipp Wolter
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Das hätte ich mir auch nicht gedacht, dass ich noch mal in die Disco gehe. Meine Bergstraßenzeiten liegen hinter mir, eigentlich hat es sie nie gegeben. Aber nun hat die Schaubude bekanntlich einen neuen Hafen gefunden, den Hinterhof. Nicht weit weg vom originalen Wirkungsort und doch ein Paralleluniversum. Bisher konnte ich keines der dort seit November stattfindenden Konzerte besuchen (FOLL FIES, NOVEMBER MOSH, BAD AGE, PHRENETIX/TYSON und WALDGEISTKARTELL), aber heute habe ich endlich Zeit. Also packen wir die Gelegenheit beim Schopf und sind gespannt, wie sich die „neue“ Schaubude präsentiert.
Bilder von MJ.
Ich muss zugeben, dass ich skeptisch war. Den Hinterhof hat man nicht als Konzertlocation im Kopf, das Fassungsvermögen mit ca. 400 Leuten erscheint für Schaubuden-Verhältnisse groß, vielleicht zu groß. Aber die Überraschung kommt bereits beim Eintreten: Nichts erinnert mehr an den alten Hinterhof, hätte man mich mit verbundenen Augen reingeführt und mir drinnen die Augenbinde abgenommen, wäre ich wohl nicht darauf gekommen, wo ich mich befinde. Die Bühne, deutlich breiter als die der alten Bude, befindet sich gleich rechts hinterm Eingang, in den Raum wurde offenbar eine neue Wand gezogen, vor dem sich ein ebenfalls schön breiter Tresen (der Bühne gegenüberliegend also) befindet. Das Wichtige: Es ist total gemütlich und old school schummerig. Den guten alten Raucherraum samt Tischkicker gibt’s nicht zurück, stattdessen aber einen größeren Raum mit Glastür, der so gut durchlüftet wird, dass man skandalöserweise gar nicht nach Rauch stinkt, selbst wenn man länger drin saß. Am Tresen gibt’s immerhin Spaten, damit kann ich leben. Es füllt sich erfreulich doll, natürlich nicht mit 400 Nasen, aber über 100 sind es definitiv und der Laden wirkt nicht leer.
Also ran zur Bühne, als HOTEL KEMPAUSKI loslegen. Und gleich kommt die nächste positive Überraschung: Der Sound ist gut! Zum Sound bei den bisherigen Konzerten hatte ich vorher unterschiedliche Ansichten gehört, von Vorteil mag es heute sein, dass eben viele Leute drin sind. So können HOTEL KEMPAUSKI schön vom Leder ziehen. Mittlerweile habe ich die Band ja häufig gesehen und würde sagen, dass es zwei Arten von HOTEL-KEMPAUSKI-Konzerten gibt. Einmal das sehr energische HOT-KEMP-Konzert, bei dem sie richtig zubeißen, wie z.B. in der Schaubude 2022 (mit MELKUS und REST IN FLEAS) und das eher gemütliche HOT-KEMP-Konzert, bei dem es fast shoegazig-entspannt zugeht, wie z.B. in der Hansa48 Ende 2023 (mit GAS WASSER INDIEPOP). Heute ist es die eher gemütliche Art. Interessant: Beide Varianten gefallen mir. Ich fühl mich selbst auch gemütlich heute. Die Band spielt gut und konzentriert, Schrammi latscht vor den Leuten hin und schmettert in seinem unnachahmlichen Stil. Die Texte und seine Ansagen erhöhen in meinen Augen den Reiz eines ohnehin schon tollen HOTEL-KEMPAUSKI-Konzertes noch. Zu einem meiner Faves hat sich „Foodtruck-Festival in Güstrow“ entwickelt, dessen Refrainzeilen heute abwechselnd von Teller, Lisa und Olli gesungen werden. Super auch „Moskito“, dessen Zeilen „Betonklötze, Brutalismus / Urbaner Lifestyle gleicht Sadismus. / Pinkes Fleisch im Neonlicht / Pickelface, sie hassen Dich / Kissen aus Stahl, Augenblick verweile / Antimöbel in der Einkaufsmeile / Das ist Hostile Design / Die Stadt sagt nein / Das ist Hostile Design / Die Stadt lädt Dich zum Gehen ein“ einfach mal wieder genial auf den Punkt getextet sind. Und heute gibt es sogar etwas Neues am Merch und aus den Boxen: Nämlich die selbstgebrannte „The BOAH Sessions Teil III“-CD. Hier covern HOT KEMP fünf Songs, wobei es sich z.T. um bekannte Classics wie „Police Story“ (BLACK FLAG) und „I Wanna Be Your Dog“ (THE STOOGES) handelt, z.T. um neuere Nummern wie „Mit guten Absichten“ (im Original „To Hell With Good Intentions“ von McLUSKY) und „Pause“ („Smoko“ von THE CHATS). Da ich die beiden letztgenannten im Original nicht kenne, höre ich nun witzigerweise das Cover zuerst. Gerade „Mit guten Absichten“ kommt gut, thematisiert die Profilneurosen vieler Musiker:innen („Meine Band ist größer als deine! / Ich hab keine Zeit für die Szene / Ich hab nur Zeit für meine Karriere“). Weitere tolle Momente: „Pünktliche Punks“ mit Gastgesang von Melli und die der Band abgetrotzte STOOGES-Zugabe. Jo, herrlich wieder!
Aus Berlin kommen RIOT SPEARS, ein Trio, das sich selbst als Grunge und Angry Pop definiert. Und diese Beschreibung passt echt gut! Ich hätte tatsächlich auch den Grunge-Vergleich gezogen. In letzter Zeit lese ich häufig, dass einer Band ein Grunge-Einfluss zugesprochen wird, und wenn ich sie dann höre oder sehe, kann ich das null nachvollziehen. Hier ist aber der NIRVANA- und Kurt Cobain-Bezug voll da. Wobei die Sängerin und Gitarristin ihren Stimmbändern noch ganz andere Töne entlockt. Nach ein paar Songs gefällt mir das richtig gut, gerade wenn sie faucht, grunzt und schreit. Bei manchen Death-Metal-Bands klingt das Gegrowle ja nach Sesamstraßenmonster, hier aber kommt fiese Wut und Aggression aus den Boxen. Aber eben auch nicht nur, manche Passagen geraten poppig und geradezu eingängig. Ein Song namens „Hot“ fräst sich fest, der treibt gnadenlos und beinhaltet beeindruckende Schreie und überhaupt einen extrem abwechslungsreichen Gesang, die Zeile „I am hungry – she is hot“ wird bis zum noisigen Exzess gesteigert. Scheint auch inhaltlich interessant zu sein, ich deute es mal vorsichtig als Absage an den ungesunden Drang, sich selbst mit anderen zu vergleichen. Die Bude bleibt voll, die Menge kommt schnell in Wallung.
Danach sitzen wir noch etwas beim Bier und können beobachten, wie die nun folgende Veranstaltung beginnt. Die Musik ist allerdings weniger nach unserem Geschmack. Egal, der Abend stimmt optimistisch für eine Zukunft der Schaubude. Man sollte nicht erwarten, dass es "so ist wie früher", die Schaubude im Hinterhof ist ein neuer Club, der aber einige Elemente der Vorgängerbude weiterführt.
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