CORECASS / 13.10.2024 – Hamburg, Goldener Salon (Hafenklang)
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- Kategorie: Berichte aus dem Pit
- Veröffentlicht: Dienstag, 22. Oktober 2024 11:46
- Geschrieben von Philipp Wolter
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Während die meisten unserer Bekannten heute zum Konzert von BLACKBRAID, DÖDSRIT und LAMP OF MURMUUR gehen, haben wir uns für CORECASS im Hafenklang entschieden. CORECASS existieren seit über zehn Jahren und sind im Prinzip ein Soloprojekt der Musikerin Elinor Lüdde. Musikalisch könnte man das Ding mit düsterer Filmmusik vergleichen, in die Elemente aus Black Metal und Dark Ambient einfließen. Darauf wäre ich wohl auch nie gestoßen, wenn Lüdde nicht mit zwei guten Bekannten arbeitete – Kniffel (CATBREATH, ASH RETURN, Ex-MIOZÄN) an Gitarre und Bass und Micha Tunk (FVNERAL FVKK, SEENOT, BRÜCKENTICK RECORDS etc.) am Mischpult. Da ich ja mit Kniffel bei CATBREATH spiele und man viel zusammen on the road ist und unweigerlich zusammen auch die Projekte des Anderen hört, kam ich also vor zwei Jahren erstmals in Kontakt mit der CORECASS-Mucke. Und die ist auf eine eigene Weise extrem. Du hast sofort Bilder im Kopf oder assoziierst Filmsequenzen, die Alpträumen gleichen. Wasser, Ertrinken, Angst, Verzweiflung, Wut – das waren meine ersten Begriffe, als ich mit dem Sound konfrontiert wurde. Und heute laden CORECASS zur Release Party der neuen LP „Tar“ in den Goldenen Salon.
Bilder von MJ.
Wir kommen später als zur offiziellen Startzeit an, aber zum Glück hat das Konzert noch nicht begonnen. So können wir sogar noch mit den diversen Nasen schnacken, die wir unter den Besucher:innen kennen. Es ist angenehm besucht, nicht ausverkauft oder so, aber eben auch nicht leer. Nebelschwaden ziehen über die Bühne, das Setup aus Harfe, Orgel/Klavier, zwei Gesangsmikros, Gitarre/Bass und Rechner weckt Neugierde. Los geht’s!
Ich muss vorweg sagen, dass ich Musik ohne Schlagzeug meist wenig mitreißend finde. Gerade live habe ich nach Tausenden besuchter Konzerte für mich festgestellt, dass es den oder die schwitzende:n Schlagzeuger:in braucht, um bei mir eine emotionale Resonanz hervorzurufen. Ich merke aber gleich, dass CORECASS in dieser Hinsicht eine Ausnahme darstellen. Elinor Lüdde sitzt zwischen ihren Instrumenten und nutzt je nach Situation mal das linke, mal das rechte Mikro. Schwere Orgelsounds wechseln mit Pianoklängen – oder werden miteinander kombiniert. Das klingt an sich schon mächtig. Die Stücke mäandern zwischen flächigen Sounds und Drone-Heaviness. Kniffel setzt immer wieder Akzente mit der Gitarre (und bei zwei Stücken mit dem Bass), was nur mit einem Klick auf den Ohren funktioniert. Faszinierend auch der Gesang, der mal verhallt und wie aus der Ferne klingt und nicht nur live erzeugt wird, sondern von Samples ergänzt wird, mal in ein verstörendes Black-Metal-Schreien übergeht. Viele Passagen fallen ruhig aus, geradezu zerbrechlich, wobei eigentlich stets eine unbehagliche Stimmung bleibt. Während des Konzertes verstehe ich natürlich nur Fragmente der Texte, aber ein späterer Blick in das Textblatt der LP bestätigt diesen Eindruck: „By night I summon my demons / At dawn I wake my truth / No truce ever laid upon me / I rampage, breastfeeding my curse / Drip into my mind / Leave myself in darkness / Till I crack under my weight“ („Disrupt“). Ganz ohne Schlagzeug kommt das Konzert übrigens nicht, denn es werden auch perkussive Elemente eingespielt, ebenso weitere Instrumente, die zur Vielschichtigkeit der Kompositionen beitragen. Als besonders effektiv empfinde ich die Harfe, die Elinor Lüdde wiederum live spielt. Hier wird das entrückte Element zur Geltung gebracht, als Hörer bekommt man ein Gefühl des Dahinschwebens vermittelt.
Insgesamt sehr beeindruckend, ein Konzert mit wenig „Spektakel“, aber mit Musik, in die man sich fallen lassen kann. „Tar“ gibt es dann auch heute abzuernten, ansonsten für Interessierte über MOMENT OF COLLAPSE zu beziehen.