HOFLÄRM FESTIVAL / 08.08.-10.08.2024 - Heinzelmännchen Hofcafé, Seelbach
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- Kategorie: Berichte aus dem Pit
- Veröffentlicht: Montag, 26. August 2024 10:03
- Geschrieben von Jörg Röschmann
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Leider geil!
Röschi gab dem Modell des mehrtägigen Rockfestivals mit Übernachtung im Feld nach Jahrzehnten der Abstinenz noch eine Chance und hat sich rückblickend intuitiv eine der schönsten Kulturperlen der Republik dafür rausgesucht.
Hier sein Bericht vom Hoflärm Festival, das vom 08. bis zum 10. August 2024 auf dem Gelände des Heinzelmännchen Hofcafes in Seelbach bei Hamm an der Sieg im Westerwald von Caspar Orfgen und seinem Vater Reiner mit Unterstützung vieler freiwilliger Helfer*innen nun schon zum sechsten Mal durchgeführt wurde:
01: Festivalflyer
Wenn man nicht säuft, ist das mit den mehrtägigen Festivals so eine Sache.
Und das wird nicht besser, wenn man auch noch alt ist.
Das sach ich Euch.
Tatsächlich ist es nun schon locker 20 Jahre her, dass ich mal auf einem Festival auch die Nacht verbracht habe.
Und selbstverständlich hatte ich mein letztes Mal mit der guten alten Tante Wilwarin.
Damals...
...als die noch so richtig geil war!
Der Campground des Wilwarin Festivals liegt allerdings so nah dran an meinem Zuhause, dass ich trotz vorhandener Zeltunterkunft meist noch zu Fuß aus dem Dixieland ins heimische Bettchen flüchten konnte, wo ich dann sicheren Zugriff auf meinen geliebten Flachspüler Modell Ideal Standard sowie meine warme Dusche hatte.
Und beides ohne Warteschlange.
Über Nacht im Zelt bin ich auch schon damals nur geblieben, wenn sich kurzfristig eine vielversprechende Bekanntschaft ergeben hatte und ich incognito bleiben wollte.
Irgendwann hab ich es dann ganz sein lassen mit den Festivals, weil mir die immer stärker um sich greifende breite marktorientierte Mischung der Stile sowie das damit einher gehende Arschloch-Konsumenten-Publikum nicht mehr entgegen kamen.
Und das mit den Bekanntschaften ließ dann auch irgendwie nach.
So wurde ich quasi über Nacht alt und weiß und über einen längeren Zeitraum das Desertfest Berlin, damals noch im Astra Kulturhaus, das einzige Festival, welches ich hin und wieder besuchte. Die Trefferquote beim Lineup lag da stets über 80% und das gut gealterte Fachpublikum kannte seine Konsumgrenzen meist haargenau.
Also kein dummes Gegröle, kein öffentliches Übergeben, kein Geschubse, kein Gerempel.
Und zum Schlafen ging es nach getaner Arbeit in eine feste Unterkunft mit allem sanitären Zipp und Zapp.
Die Mahlzeiten nahmen wir dort stets in einem der zahlreichen internationalen Restaurants rund um den Boxhagener Platz ein, wo man dann auch gleich ungestört einen abseilen konnte.
Nach mehreren Wechseln der Locations und ungezügeltem Wachstum, ist aber auch dieses Festival mittlerweile nicht mehr mein Ding.
Eigentlich ganz schön kacke, denn der verbleibende Rest der nicht wenigen stonerbasierten Festivals hierzulande spielt sich ausschließlich auf der Südhalbkugel unserer Republik ab.
Und alle sind sie draußen!
Was also tun, Du alter Heimscheisser?
Aus nicht mehr so ganz detailliert nachvollziehbaren Gründen bin ich dann letzten Winter auf Social Media über das Hoflärm Festival gestolpert.
https://www.instagram.com/hoflaerm/
Ich glaube es war, weil ich den Kieler Doomern von Earthbong auf Facebook treu folge, und bei denen irgendwann der Festivalflyer aufploppte. Da sich neben Earthbong auch noch Ouzo Bazooka im Lineup befanden, hatte ich schnell Feuer geleckt.
Denn die wollte ich schon sehr lange gerne mal live erleben.
Dumm nur, dass ich mein Dasein in Armut friste.
Also gab ich mir, trotzdem es nur 600 Weekendbändchen geben sollte, mit den Tickets noch etwas Bedenkzeit und ließ mal ganz nebenbei einen Suchauftrag bei Kleinanzeigen laufen.
Und so kam ich dann im Mai zu zwei erschwinglichen E-Tickets, die ein wenig unter dem offiziellen Vorverkaufspreis von ca. € 130,- lagen, was mir wohlgemerkt gemessen am Lineup und der echt niedrigen Besucher*innenzahl immer noch als verdammt günstig erscheint, zumal beim Hoflärm, welches vor sechs Jahren aus einer Überraschungsveranstaltung anlässlich Reiners 50ten Geburtstag hervorgegangen war, keine versteckten Nebenkosten wie Müllpfand, Trailerzuschlag, Soligroschen oder sonstiger Nepp anfallen.
Alle zahlen das Gleiche und feddich!
Das Restrisiko, dass der Verkäufer meine neuen E-Tickets schon mehrfach verkauft haben könnte, reduzierte dieser dann selbst, da er auf einem Telefonat bestand.
Dieses dauerte mehrere Stunden, und nun hatte ich so richtig Bock.
Marie auch.
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Am Montag, den 05. August gegen Mittag kamen wir dann endlich los.
Geplant war eigentlich ein morgendlicher Start, aber zwei Tage vorher war der Wohnwagen, den wir kostenlos hätten nutzen können, von so einem blöden Sozialpädagogen geschrottet und am Sonntag dann auch noch mein Kleinanzeigenkonto von bösen russischen Gangstern gehackt worden.
Es gab also viel zu regeln.
Oder doch lieber zu Hause bleiben?
Ach.
Drauf geschissen.
Ab dafür!
Über das Weserbergland, wo wir bei Verwandten schlafen konnten, und Leverkusen, wo wir einen mittelschäbigen Leihwohnwagen abholen mussten, sowie Bonn, wo wir noch ein bisschen Baggersee und Franchisepizza mit den Kindern machen durften, ging es am Dienstag Abend gegen 20:00 Uhr passend zum Ende der langen Regenzeit bei sommerlicher Bullenhitze dann Richtung Seelbach. Ich musste mir als unflexibler Holsteiner zu meiner eigenen Beruhigung einfach schon mal einen Überblick über das Gelände sowie die Zuwegung verschaffen.
Von dort aus wollten wir uns danach einen Stellplatz irgendwo am Straßenrand suchen, denn die Veranstalter*innen wiesen auf ihrer Homepage sehr deutlich darauf hin, dass eine Anreise vor Donnerstag (erster Festivaltag) 10:00 Uhr nicht erwünscht sei.
Außerdem wollten wir ja noch etwas urlauben, und die Landschaft im Westerwald hat so einiges zu bieten.
Und wie wir da so mit unserem Eckernförder Kennzeichen und der Wohnblase dumm im Dorf rumstanden und überlegten, wo es wohl lang ginge, kam eine extrem sympathische Frau vorbei gefahren, erkannte das Offensichtliche, hielt an, nahm das Gespräch mit uns Nordlichtern auf und erklärte uns freundlich aber bestimmt, dass wir doch schon am Ziel unserer Reise angekommen seien und nicht mehr umherfahren müssten.
Unser Argument, dass wir doch zu früh seien, ließ sie nicht gelten.
Stattdessen sollten wir doch lieber unser Lager 200 Meter weiter auf einer der beiden Zeltwiesen bei den schon anwesenden Helfer*innen aufschlagen und einen schönen Abend haben. Sie hätte jetzt auch Feierabend für heute.
Dem leisteten wir dann gerne Folge.
Später sollte sich herausstellen, dass es sich bei dieser freundlichen Frau um Birgit, die Lebensgefährtin von Veranstalter Reiner, handelte.
Auf der Zeltwiese angekommen, traf uns fast der Schlag, denn die beiden Campgrounds befanden sich auf zwei Hauskoppeln des Obersalterberger Hofs, eines alten Westerwälder Bauerngehöfts in dem sich im Rest des Jahres das Heinzelmännchen Hofcafe, betrieben von Reiner und seiner Exfrau Kathrin Brück, befindet.
Hier ein informativer Link zum Heinzelmännchen Hofcafe:
https://marktschwaermer.de/de-DE/producers/46258/farm
Auf Facebook teilen sich das Heinzelmännchen Hofcafe und das Hoflärm Festival folgenden Account:
https://www.facebook.com/Hofcafe.Hoflaerm/?locale=de_DE
Und da wir uns nun nicht mehr in der holsteinischen Tiefebene auf 19m über normal Null befanden, sondern je nach Standort auf dem Gemeindegebiet irgendwo zwischen 150 und 200m oder sogar mehr, bot sich uns ein Bild beinahe wie im Teletubbyland:
Extrem malerische, teils aber stark bewaldete (das ist bei den Teletubbies anders) Hügel mit durchaus erwähnenswerten Steigungen.
Hohe Schule für Camper, besonders wenn der Wohnwagenverleiher seinem Vehikel keine Unterleghölzer für den Höhenausgleich mitgegeben hat.
Von adäquatem Werkzeug ganz zu schweigen.
Aber irgendwie haben wir dann doch einen erhabenen, gut beschatteten sowie wenig geneigten Platz für unsere Bummsblase gefunden, diese mit Hilfe der anwesenden Festivalhelfer*innen zügig in Fluchtrichtung aufgestellt und uns so ganz nebenbei ohne viele Umschweife gleich mit einem Teil von denen bekannt gemacht.
02: Angekommen
Zum feierlichen Sonnenuntergang gegen 22:00 Uhr, der dem großen William Turner zur Ehre gereicht hätte, gab es dann noch ein geselliges Feierabendgetränk mit ein paar sympathischen Eifelanern sowie einem Uckermärker, und danach schnell ab ins Bett.
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Der Mittwoch empfing uns spät.
Dank des morgens noch schattigen Plätzchens war es schon mitten am Vormittag, als ich vom romantischen Nageln eines 1959er McCormick D-217 Standard zum Verlassen des Trailers veranlasst wurde.
Ich beobachtete die Rangierkünste des Treckerfahrers, der einen uralten blechverkleideten Bauwagen direkt neben unserem Camp am Hang platzierte, sah von einer Beschwerde wegen Ruhestörung ab und stellte mich stattdessen ihm und seiner Freundin artig vor.
Anderhalb Stunden hatten Michi (aus der Gegend) und Sibylle (aus dem tiefsten Schwarzwald) für die 15 Kilometer weite Anfahrt gebraucht. Auch sie gehörten als Stammgäste mit dem kleinen Trecker zum Inner Circle des Festivals. Während der An- und Abreisephase würde das ehrwürdige Dieselross Jahr für Jahr so manchem Wohnwagenzug die Berge hinauf helfen.
Beim feuchten Gral aller Hippiefestivals, dem Burg Herzberg Open Air, sind die beiden mit ihrem betagten Schleppverband auch schon mal gewesen.
Da hat dann ein Weg drei Tage gedauert.
Marie und ich bauten noch den Pavillon unserer neuen Nachbarn mit auf und bereiteten uns anschließend auf die Wanderschaft nach Hamm (Sieg) vor, um die Gegend zu erkunden und noch ein paar alkfreie Biere zu besorgen.
Mit mittelfestem Schuhwerk und Regenzeug bewaffnet machten wir uns auf den (Feld- und Wald-) Weg ins ca. 4 Kilometer entfernte Hamm. Einerseits war es unser Plan, das Parkprivileg nicht zu überstrapazieren indem wir den ganzen Tag auf dem Gelände rumnerven und wie dumme Touris allen im Weg rumstehen. Darüber hinaus wollten wir den angekündigten Gewitterregen gemütlich in einem Cafe aussitzen und danach bei etwas erträglicheren Temperaturen gestärkt zurück wandern.
Natürlich wollten wir diesen fremden Teil des Landes auch näher kennen lernen.
Über Berg und Tal durch die lebhafte Landschaft passierten wir irgendwann das größte Naturfreibad des Westerwalds, das Waldschwimmbad Thalhausermühle.
Erfrischung und Hygiene waren also auch schon mal gesichert.
Die App schickte uns vom Waldschwimmbad aus über einen steil ansteigenden, ausgewaschenen Geröllsteig in Richtung Hamm. Dieser endete dann unversehens an einem Feldrain, der wiederum an einen über 300 Jahre alten jüdischen Friedhof grenzte.
https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCdischer_Friedhof_Hamm_(Sieg)
Geschichte lauert wirklich hinter jedem Strauch.
Und manchmal kann sie einen auch ganz schön runter ziehen.
Zumindest hierzulande...
03: Jüdischer Friedhof am Feldrain
Nach ein paar hundert Metern ging der begehbare Feldrain (ein befestigter Weg zum jüdischen Friedhof existiert nicht) nahezu nahtlos in die Randbezirke von Hamm, Geburtsstadt des Sozialreformers Friedrich Wilhelm Raiffeisen, Mitbegründer der genossenschaftlichen Bewegung im Deutschland des 19. Jahrhunderts, über.
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Wilhelm_Raiffeisen
Die Auswirkungen seines reformerischen Schaffens hallen bis heute nach. Seine Haltung zum Judentum, das erachte ich in diesem Zusammenhang und besonders zu dieser konfliktreichen Zeit für erwähnenswert, ist nach wie vor umstritten.
Wenn man es zulässt, kann Reisen doch bilden.
Nach einer kurzen Stadtbegehung, die uns dann natürlich noch an dem Platz vorbei führte, an dem einst in direkter Nähe zu zwei großen und immer noch genutzten Steinkirchen, die von den Nazis zerstörte Synagoge stand, fanden wir eine kleine „Mall“, „genossen“ nachdenklich ein Heissgetränk, stockten unsere Vorräte auf und traten schwer beladen den bergigen Heimweg über Stock und Stein an.
Körperlich völlig kaputt entledigte ich mich nach der insgesamt fast vierstündigen Bergtour in der schwülwarmen Gewitterluft sofort meiner Kleidung, schmiss mich auf die Wiese und hoffte weiter auf die Abkühlung durch den bislang ausgebliebenen, erlösenden Gewitterregen.
Aber der sollte nicht kommen.
So läuteten wir mit Michi und Sibylle den Feierabend ein.
Im Lauf des Abend gesellte sich noch Elke aus dem Odenwald zu unserer kleinen Gruppe. Die drei kennen sich schon einige Jahre von unterschiedlichen Festivals. Unter dem Pavillon, direkt an der Einfahrt zum Zeltplatz genossen wir zu fünft den Blick auf den steilen Hügel des zweiten Campgrounds.
Hier würde es morgen zur Anreise sicher einige spaßige Szenen zu beobachten geben.
Schnell bekam Michi mit, dass ich Motorräder besitze und zeigte mir eine umfangreiche farbige Veröffentlichung über eine lange Motorradreise rund um das schwarze Meer, die er und sein Freund der Mönchengladbacher Stadtarchivar Dr. Dr. Helge Kleifeld im Frühjahr 2019 als offizielle „Wacken Ambassadors of Metal“ in gerade mal fünf Wochen unter dem Slogan „Metal is Peace“ durchgeführt hatten.
Die 15.000 km lange Reise führte sie durch die Ukraine, Rumänien, Bulgarien, die Türkei, Armenien, Aserbaidschan, Georgien, die damals schon fünf Jahre annektierte Krim, Russland, Weißrussland und Polen.
Die 90-seitige und inhaltlich hochinteressante Broschüre ist mittlerweile wohl vergriffen, aber vielleicht noch hin und wieder gebraucht erhältlich. Interessierte sollten einfach mal „Metal is Peace“ googeln.
Hier nur mal ein informatives Ergebnis meiner Onlinesuche:
https://metalogy.de/metal-is-peace-von-moenchengladbach-nach-moenchengladbach/
Durch unseren Kontakt zu Sibylle und Michi, die offensichtlich wirklich Gott und die Welt zu kennen schienen, ergaben sich im Laufe des lauschigen Abends noch eine Menge weiterer neuer Bekanntschaften, herzlicher Begrüßungen und mal mehr mal weniger tiefsinniger Gespräche.
Da war zum Beispiel Jan, einer der Helfer. Da er tagsüber noch arbeiten musste, kam er nur abends auf den Platz. Und weil er ein sehr hilfsbereiter Mensch ist, konnte er unseren Freunden während der nächsten Tage von seinen Touren regelmäßig neue Getränke gleich Kistenweise mitbringen.
Jan und sein noch schulpflichtiger Sohn Philian, der ab Freitag dabei sein sollte, sollten während des gesamten Festivals zu einer festen Größe für uns werden.
Teach 'em young!
Auch mit dem Hofbesitzer und Mitorganisator Reiner, der mit seinem Deutz mal vorbei getuckert kam, wurden wir nun endlich persönlich bekannt gemacht.
Ein freundlicher Mann...
Ausgepowert von der Wanderung, nachdenklich von den Eindrücken, euphorisiert von der Atmosphäre und voller aufgeregter Erwartung ging es dann gegen elf wieder ins Bettchen.
Morgen sollte es endlich los gehen, und zwischen sieben und neun war Regen angekündigt. Das könnte eine schöne Rutscherei auf den Hügeln geben...
Gab es aber nicht.
Der Regen blieb aus.
Auch OK.
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Dennoch saßen wir am Donnerstagmorgen pünktlich um 10 Punkt Hundert frühstückend und erwartungsvoll mit unseren neuen Freunden auf unserem Pförtnerplatz und sahen...
...rein gar nichts!
Die große Show blieb aus.
Der Anreiseverkehr zu diesem Festival verlief so still, unauffällig und staufrei, dass man ihn quasi nicht bemerken konnte.
Lediglich zwei mal mussten wir mit dem 17 PS Zweizylinder McCormick, den Michis Opa Heinrich 1959 neu gekauft hatte, Wohnwägen an ihre Plätze bugsieren, aber das war's dann auch schon.
Und irgendwann war es 14:00 Uhr, und die Campgrounds waren gut gefüllt.
Auch rund um unser Lager hatte sich durch den Freundeskreis unserer beiden „Locals“ unsere Peer Group um Menschen aller Altersklassen aus der Thüringischen Rhön und der Pfalz sowie weitere ortsnahe Helfer*innen erweitert. Sogar ein Winzer war dabei.
Und alle waren sie ausnahmslos offen, sympathisch und entspannt.
Genau wie das ganze Festival.
Wie unaufgeregt und entspannt dieses Festival ist, lässt sich anhand des Zeitplans sehr gut erfassen, der auf große Banner gedruckt an verschiedenen Stellen des Geländes an Zaunelementen angebracht war:
04 Timetable
Großartige Idee!
Um 15:15 Uhr sollte die erste Band spielen, und erst ab 14:30 Uhr wurde der Einlass mit der Vergabe der Festivalbändchen geöffnet.
Um fünf nach drei holten wir uns dann mit vielleicht insgesamt 300 weiteren Besucher*innen ganz entspannt und ohne nennenswerte Wartezeit unsere Bändchen ab, hatten noch genug Zeit, die Lokalitäten abzuscannen, um dann pünktlich zur ersten Band vor der einzigen Bühne zu stehen.
Wie schön es doch ist, wenn man nicht wie ein verkappter Topmanager Anfangszeiten von verschieden Stages auswendig lernen muss, um dann hektisch im Stechschritt von Bühne zu Bühne zu eilen, und dort dann doch von einer Verzögerung wieder ausgebremst zu werden, kann ich gar nicht genug betonen.
Und dann noch die kurzen Wege.
Ich behaupte mal, dass die Bühne von jeder Stelle der beiden Campgrounds in maximal fünf Minuten erreichbar war.
Nüchtern jedenfalls.
Nahezu pünktlich eröffnete dann die erste Band Kant aus Aschaffenburg mit ihrem Heavy Psychedelic Rock das diesjährige Hoflärm Festival.
https://www.facebook.com/kantbandofficial/?locale=de_DE
https://www.instagram.com/kant.music/?hl=de
Die Musik der vier jungen Menschen war gemessen am restlichen Lineup eher von der ruhigeren Sorte. Aber das passte zur sonnigen Wetterlage und irgendwie auch zur Tageszeit.
„Soft Entry“ lautete hier die Devise.
05: Kant, Aschaffenburg, Heavy Psychedelic Rock
Fans von Tarantino-Filmen, Nick Cave, Madrugada, der Surfmusik der 60er Jahre oder auch den zahlreichen inzwischen mittelalten Schwedenbands wie Mando Diao, kamen hier auf ihre Kosten.
Nach wenigen Takten war der Platz vor der Bühne respektabel mit Zuhörer*innen gefüllt. Andere beobachteten das Treiben auf der Bühne von den zahlreichen schattigen Sitzplätzen aus, die den Moshbereich einrahmten.
Ein schöner Start.
Nach Kant blieben wir gleich stehen und gaben uns direkt die nächsten Kapelle Astral Kompakt aus Köln mit ihrem mal schleppigen mal wuchtigen Fuzz Stoner Rock.
https://www.tonzonen.de/astral-kompakt
https://www.facebook.com/astralkompakt/?locale=de_DE
https://www.instagram.com/astralkompakt/?hl=de
Das Instrumentaltrio erhöhte geschmackvoll den Härtegrad der Veranstaltung ohne dabei in böse oder gar doomige Sphären abzudriften, was auch sehr passend in Anbetracht dessen war, was als nächstes kommen sollte.
06: Astral Kompakt, Köln, Fuzz Stoner Rock
Denn als dritte Band des ersten Festivaltages traten die von mir sehr geschätzten Ouzo Bazooka aus Tel Aviv, Israel mit ihrem fröhlich-orientalisierenden Middle Eastern Psych Rock an.
https://www.facebook.com/ouzobazookarocks/?locale=de_DE
https://www.instagram.com/ouzobazooka/?hl=de
Zumindest sollten sie das, doch von den mal vier, mal fünf Musiker*innen hatte es offensichtlich nur der musikalische Mastermind und Gitarrist Uri Brauner Kinrot geschafft, „fucking Israel“ (Zitat Uri) zu verlassen. Uri ließ in einer seiner Ansagen seiner Wut über das „fucking System“ in seiner Heimat sowie selbstverständlich auch die „fucking Hamas“ freien Lauf, und man merkte ihm seine echte Wut über die derzeitigen katastrophalen Verhältnisse im mittleren Osten deutlich an.
Dazu passend trat er mit zwei Musikern aus Berlin an Bass und Schlagzeug, die mir nicht namentlich bekannt sind, quasi als Power Trio an und verlieh seiner ursprünglich sehr leichtfüssigen durch einen cheesy orientalisch klingenden Synthesizer Sound sowie gelegentlich weiblichem Backgroundgesang aufgelockerten an Surf Rock angelehnten und extrem tanzbaren Musik eine für mich ganz neue, eher rohe und eben auch wütende Note.
Der gesamte Auftritt von Ouzo Bazooka wurde zudem leider noch durch heftiges Dauerfeedback auf den Bühnenmonitoren überschattet, welches dem Trio die Arbeit merkbar erschwerte.
Und so kamen wir in den Genuss eines Ouzo Bazooka Auftritts mit einer speziellen garagigen Attitude, in dessen Rahmen Uris manchmal nach einer elektrischen Saz klingende Gitarre die Arbeit des Synthesizers mit erledigen musste.
07: Ouzo Bazooka, Tel Aviv, Israel und Berlin, Middle Eastern Psych Rock
Wir hatten vor dem Konzert auf dem Zeltplatz kurz Gelegenheit mit Uri ein paar Worte zu wechseln, und ich hatte mir fest vorgenommen, ihn hinterher nach dem Geheimnis seines Gitarrensounds zu fragen, ließ aber aufgrund der angespannten Gesamtsituation davon ab.
Es ist aber auch nicht wirklich mein Ding, Musikern nach Konzerten wie eine Arschfliege am Kuhhintern das Leben mit dummen Fragen schwer zu machen.
Das können andere besser.
Alle, die Ouzo Bazooka nicht kennen, sollten sich auf YouTube mal das wirklich witzige Video zu „Space Camel“ anschauen.
https://www.youtube.com/watch?v=TYo323jqHOI
Bleibt zu hoffen, dass der Glaubenskrieg im nahen Osten sich sehr bald selbst beenden wird, dort endlich ein stabiler Frieden Einzug hält und wir in absehbarer Zeit Ouzo Bazooka in Vollbesetzung live und unbeschwert in Deutschland erleben können.
Wie stand es unter anderem so passend in den einfach zu verstehenden Festivalregeln an einem großen Banner, das am Hausgiebel des Obersalterberger Hofs hing?
NO RELIGION!
Unterschreibe ich blind!
08: Einfache Regeln
So langsam bekam ich Hunger, und wir sondierten ersma die Versorgungslage. Neben Fritten in diversen Spielarten und Slushed Ice in allen Regenbogenfarben gab es ein breites Spektrum an fleischigem und auch vegetarischem bzw. veganem Essen aus der Hofküche, die unter der Aegide von Caspars Mutter Kathrin stand.
Wir entschieden uns für die Schwarze Seele, ein sehr dunkel eingefärbtes längliches Brötchen mit Kümmel an einem köstlichen selbstgemachten Hummus und genossen diese unter einem Schatten spendenden Baum auf einem Baumstamm sitzend mit Sicht auf die Bühne.
Äußerst lecker!
09: Der kulinarische Höhepunkt - Schwarze Seele
Mittlerweile war es sieben durch, und Siena Root sollte als nächste Band folgen. Aber ich brauchte eine mentale Pause.
https://www.facebook.com/sienaroot/?locale=de_DE
https://www.instagram.com/sienaroot/
So gönnten wir uns eine kleine Auszeit unter Michis Pavillon und lauschten aus der Ferne dem, was ich mal wegen der Schiebeorgel und des weiblichen Gesangs als „Female Fronted Purple“ bezeichnen würde.
Es mutet fast wie ein Klischee an, dass so eine Band natürlich aus Schweden, dem Mutterland der musikalischen Wiederaufbereitung, stammt. Aus Stockholm, um genau zu sein.
„Es tut mir leid, Siena Root. Für Dich habe ich heute kein Foto“, würde Heidi Klum an dieser Stelle wohl sagen.
Aber sehr vielen Anderen hat deren Auftritt ausgesprochen gut gefallen.
Witziger Weise hatte ich mir am Mittwoch in Hamm für den Fall aufkommender Langeweile das aktuelle Heft des „Rock Magazins“ Eclipsed mit dem Themenschwerpunkt „Super Rock Jahr 1974“ plus CD gekauft. Zu dem Zeitpunkt konnte ich noch nicht ahnen, wie sehr ich in den nächsten tagen noch an diese, damals wirklich tolle Phase der Popularmusik erinnert werden sollte.
Von Musik Schaffenden, die damals allesamt noch Quark im Schaufenster gewesen waren, wohlgemerkt!
Wenn ich heutzutage solche evolutionslose Musik machen würde und aus Skandinavien käme, hieße meine Band vermutlich „STAGNARÖKK“...
Mit dem Brant Bjork Trio aus Palm Desert, Kalifornien, USA betraten gegen 21:00 uhr dann gleich zwei echte Desert Legends die Bühne des diesjährigen Hoflärm Festivals, denn der Meister, welcher der Stonergemeinde unter vielem Anderen nicht nur aus seiner Zeit als Schlagzeuger und Songwriter bei Kyuss sowie wegen seiner Arbeit mit Fu Manchu sondern auch als Mitbegründer der Desert Sessions, aus denen später unter anderem die Queens of the Stone Age sowie die Eagles of Death Metal hervorgehen sollten, bekannt ist, hatte in Gestalt seines langjährigen Freundes und Wegbegleiters Mario Lalli (Fatso Jetson, Yawning Man) quasi noch die oberste Gottgestalt, sozusagen den Potfather des Desert Rocks am Bass mitgebracht.
Das hat mich zwar sehr erfreut, ist aber auch nicht besonders verwunderlich. Die Szene dort ist seit jeher sehr fluid und experimentierfreudig. Und wie schon erwähnt:
Die beiden sind offensichtlich langjährige Freunde.
Beispielsweise spielt Brant Bjork im Gegenzug die Gitarre in Marios ebenfalls sehr sehr hörenswertem Projekt Mario Lalli And The Rubber Snake Charmers, und aus eben dieser Band stammt wiederum der dritte Mann des Abends, Schlagzeuger Ryan Gut.
https://de.wikipedia.org/wiki/Brant_Bjork
https://www.facebook.com/BrantBjorkOfficial/?locale=de_DE
https://www.instagram.com/brant_bjork/?hl=de
In ihrem gut einstündigen Set präsentierten die drei erfahrenen Recken dem mittlerweile zahlreich erschienenen Festivalpublikum ein sehr einfallsreiches, geradezu jazzig-grooviges Repertoire an Stücken, was nicht zuletzt auf Lallis grandioses Bassspiel und Guts akzentuiertes Drumming zurück zu führen war.
Nicht nur musikalisch, sondern auch in Sachen Bühnenaufteilung hielt sich Brant Bjork dezent am linken Bühnenrand zurück, während er seiner Rhythm Section viel Raum ließ. Es gab stets freie Sicht auf Ryan Gut. Und Mario Lalli, der ja heute nicht singen musste, übernahm durchaus Frontmann-Tätigkeiten, indem er sich verhältnismäßig aktiv über die gesamte Bühne bewegte.
Dieser progressiv lässige Auftritt hat mich als großer Lalli Fan sehr glücklich gemacht.
Brant Bjorks Solowerk, das ich bisher immer stiefmütterlich behandelt habe, wird in Zukunft etwas mehr Aufmerksamkeit meinerseits bekommen.
10: Brant Bjork Trio, Palm Desert, Kalifornien, USA, Stoner Desert Rock
Um mir meine schöne Stimmung nicht kaputt zu machen, verzichtete ich auf den letzten Auftritt des Tages, die Wine Lips aus Toronto, Kanada mit ihrem Garage Punk Psych Rock.
https://www.schoneberg.de/konzerte-shows/kuenstler/details/wine-lips.html
https://www.facebook.com/winelipsband/?locale=de_DE
https://www.instagram.com/winelipsband/?hl=de
Stattdessen gesellte ich mich mit Marie zu unseren neuen Freunden, die in mittelgroßem Kreis gemütlich unter ihrem Pavillon saßen, Bierchen, Sektchen und Weinchen schlürften und so manche Anekdote austauschten.
Hier kam mir meine Superkraft zu Gute, dass ich trotz absoluter Alkohol- und Drogenabstinenz problemlos genau so dummes Zeug reden und mich auch genau so peinlich verhalten kann wie ein Volltrunkener.
Ich glaube, dass ich nicht trinke, fiel den meisten in meiner Beer Group erst am Samstag Abend so richtig auf.
Gelernt ist gelernt... :-)
Dass unser stetig wachsender Kreis auf dem Hoflärm sehr bunt und vielschichtig war, erwähnte ich ja schon an anderer Stelle. Hier und jetzt muss ich Vilib und Marcel hervorheben:
Die zwei waren aus der Thüringer Rhön angereist und beide schon rein vom Outfit als massive Fans von Smoke Blow erkennbar. Sie wussten alles über diese Kieler Institution in Sachen Ballerrock und präsentierten mir solch eine Fülle an Insiderwissen, dass ich doch bass erstaunt war.
Klar weiß ich, dass Smoke Blow eine der ganz wenigen international beachteten Kieler Rockbands sind, aber dass sie solche geradezu fanatischen Anhänger außerhalb Kiels haben, hätte ich mir im Traum nicht einfallen lassen. Besonders Marcel, der sich über die Klamotten hinaus sogar noch tattootechnisch mit der Band identifizierte, kam aus dem Schwärmen gar nicht mehr raus.
Er hat Letten sogar verziehen, dass dieser jetzt Popmusik macht...
„Einmal im Leben dabei sein, wenn Smoke Blow ihr Heimspiel in der Pumpe abfeiern“, ist einer der bescheidenen Wünsche der beiden sympathischen Südlichter. Der zweite lautet, wie sollte es auch anders sein? „ Einmal Smoke Blow auf dem Hoflärm live erleben“...
Da geht doch was...
11: Smoke Blow Fans Vilib und Marcel mit dem deutschesten aller Cocktails – Korn-Fanta
Erstaunlich leise und unaufgeregt ging der erste Festivaltag für uns gegen Mitternacht zu Ende.
Zwar war von der Bühne noch etwas verhaltene Musik und auch Stimmengemurmel zu hören, als wir in der Koje lagen, aber das Horrorszenario mit dicken Blauzahn-Anlagen an jeden zweiten Zelt gab es hier nicht.
Die vielen Kleingruppen saßen in der Regel im Gespräch um eine Kerze herum und genossen den Augenblick.
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Nüchtern und sehr ausgeruht begannen wir den Freitag gegen acht.
Der Gang zum immer, auch zu dieser frühen Stunde, ausreichend sauberen Toilettenwagen war kein Thema. Zu dieser Zeit traf ich zwar schon einige altbekannte Gestalten, die fröhlich meine Grüße erwiderten, von Schlangenbildung war aber noch nichts zu spüren.
Spoiler: Eigentlich konnte ich mit minimalem Logistikaufwand, etwas Not-Klopapier und gesundem Menschenverstand während des gesamten Festivals die Toilette immer ohne langes Warten benutzen.
Die Schlange vor den warmen Duschen für € 3,- Unkostenbeitrag fingen um diese Zeit erst langsam an, sich zu bilden.
Das war aber nichts für uns. Stattdessen packten wir gemütlich unsere Badesachen, kleideten uns der Wärme entsprechend und machten uns gegen halb zehn auf die Wanderung ins Waldschwimmbad Thalhausermühle.
https://www.hamm-sieg.de/de/freizeit-tourismus/waldschwimmbad-thalhausermuehle/
Nach ca. 40 Minuten trafen wir dort ein, löhnten jeweils € 4,- ab und betraten das Gelände des größten Naturschwimmbads des Westerwalds mit seinem 60er Jahre Bonner-Republik-Flair.
Abgesehen von zwei Damen unseres Alters, die jeden Morgen dort ihre Runden drehten, waren wir die ersten Gäste.
12: Waldschwimmbad Thalhausermühle
Es war wirklich sehr wohltuend, den Camperdreck umgeben von kleinen Fischbabies ein paar Minuten lang in dem 23° warmen und extrem weichen Bergbachwasser einzuweichen und daraufhin eine ausgiebige heiße Dusche ohne den moralischen Druck einer Warteschlange zu genießen.
Gemütlich ging es dann den gleichen Weg zurück, mit der Ausnahme, dass uns jetzt vermehrt Grüppchen von Badelustigen begegneten.
Insgesamt hatte uns dieser Ausflug gute zweieinhalb Stunden gekostet, so dass wir gegen zwölf Uhr rechtzeitig zum Frühstück und zur Manöverkritik wieder bei den Nachbarn unterm Pavillon saßen.
Um 13 Punkt Hundert sollte vor der Bühne Yoga sein.
„Das können wir besser“, beschlossen wir und eh man sich's versah hatte Michi den McCormick vorgeglüht und gestartet. Zusammen mit den drei Kindern vom Zelt gegenüber starteten wir zum Treckeryoga.
Unsere Rundfahrt führte uns über die beiden Campgrounds, und wir bekamen erstmalig einen Überblick über die Ausmaße der ganzen Sache.
13: Treckeryoga
Nach einer guten halben Stunde parkten wir den Diesel wieder am Knick und stimmten uns auf die erste Band des Tages ein.
So gegen 14:30 Uhr nahmen Errorr dann als Opener ihre Arbeit auf. Die vier Berliner*innen machten Noise Pop auf zwei Gitarren, einem Bass sowie natürlich einem Schlagzeug.
https://silence-magazin.de/errorr-self-destruct/
https://www.facebook.com/errorrerrorrerrorr/?locale=de_DE
https://www.instagram.com/errorr_band/
Langsames, schweres Riffing erzeugte eine düster bedrohliche Grundstimmung, in die dann immer wieder mal richtig noisige Kaskaden reingefeuert wurden. Hin und wieder folgte auch mal eine aggressivere Nummer im garagigen Stil. Gesang wurde sparsam eingesetzt.
Zu den Einflüssen von Errorr zählen unter anderem The Jesus and Mary Chain.
14: Errorr, Berlin, Noise Pop
Nach Errors Auftritt folgte der Festivalabschnitt mit den tendenziell schwereren Musiken.
Das zeigt sich schon mit der nächsten Band Thronehammer, die im Jahr 2012 von Stuart West (bürgerlich: Torsten Trautwein ) an der gitarre sowie am Synthesizer als Nebenprojekt zu Obelyskkh gegründet wurde. Aber erst ab 2018 mit dem Beitritt der Englischen Sängerin Kat Shevil Gillham nahm die Band dann regulär den Dienst auf.
https://www1.wdr.de/fernsehen/rockpalast/bands/ueber-thronehammer-100.html
https://www.facebook.com/THRONEHAMMER/?locale=de_DE
https://www.instagram.com/thronehammer.official/?hl=de
Thronehammer betrachten sich als internationale Epic Doom Band.
Das klingt schon mal wuchtig.
Und das ist es auch.
Aber über der schweren und tatsächlich epischen Musik, die die vier Musiker im Hintergrund abfeuern, lebt Thronehammer von Frontfrau Kat Shevil Gillhams absolut aussergewöhnlicher Stimme und ihrer Stage Performance.
Ich bin ja bekanntermaßen der größte Skeptiker gegenüber dem weit verbreiteten Kotzgesang, allgemein als Growling euphemisiert, aber Frau Gillham zeigte eindrucksvoll, dass dieser tatsächlich doch ganz selten mal ohne Fremdschämen oder Lachanfälle funktionieren kann.
Sie hat's eben voll drauf.
15: Kat Shevil Gillham, Thronehammer, Epic Doom
Leider dauerte Thronehammers Auftritt nicht besonders lang. Auch deren Rockpalast-Mitschnitt auf YouTube geht gerade mal 36 Minuten...
Das soll wohl so sein.
Um Punkt 16:50 Uhr, genau nach Zeitplan begann der Auftritt der Garage Rocker von Bikini Beach aus Konstanz.
https://www.undressedrecords.com/?band=bikini-beach
https://www.facebook.com/BikiniBeachofficial/?locale=de_DE
https://www.instagram.com/bikini_beach_fuzz/?hl=de
Alter Schwede!
Was dieses Trio da abgefeuert hat, war wirklich beeindruckend. Mit Fuzz, Distortion und Delay zelebrierten Gitarrist Nils Hagstrom, Bassistin Charlotte Love und Drummer Manuel Tröndle die Lo Fi Garage Sounds der 60er Jahre wirklich ausgiebig nach allen Regeln der Kunst.
Aber eben nicht nur das.
Sie erweiterten diese Regeln der Kunst nach ihrem Gusto, dehnten und brachen sie, bedienten sich geschmackvoll kreuz und quer im stilistischen Malkasten der nun schon gut 60 Jahre währenden Geschichte der schraddeligen Stromgitarrenmusik und liessen sich beim Mischen neuer Nuancen weder von der Bundesaufsichtsbehörde für angewandten Blues, noch von der Rockstasi und schon gar nicht von der (mittlerweile auch schon über sechzig Jahre alten) Punkrock-Polizei vorschreiben, wie Musik zu sein hat.
Ganz nach dem alten Sesamstrassenmotto: „Wozu habt Ihr Kopf und Hände? Denkt Euch selber mal was aus!“
Und genau das ist das geile an den jungen Bands derzeit. Jedenfalls an den wenigen, die sich nicht darauf spezialisiert haben, ein bestimmtes Jahrzehnt der Musikgeschichte schön eins zu eins abzupausen, um den Best-Agern und Zombie-Boomern mit ihren verhärteten Synapsen kurz vor dem Kistensprung noch ein paar Rentengroschen für Vinül abzuknüpfen:
Einige junge Bands scheißen endlich wieder auf Konventionen!
Einige wenige junge Bands ziehen es vor, Lichtquellen zu sein anstatt billige Reflektoren!
Bikini Beach sind so eine Band.
Bikini Beach leuchten aus sich heraus!
Und sie sollen bittebitte bald mal nach Kiel kommen!
16: Bikini Beach, Konstanz, Garage Rock
Kaum hab ich's geschrieben, taucht schon so eine Band vom anderen Ende des Spektrums auf...
Mit Duel aus Austin, Texas in den USA und ihrem Heavy Psychedelic Stoner Doom Metal legte eine extrem energetische und schnörkel- aber eben auch progressionslose Southern Rock Band die Messlatte für Rockbands auf Altrocker-Motorradtreffen mal glatt um zwanzig Zentimeter höher.
Auch optisch repräsentierte das Quartett den klassischen Schwanzrock der 70er volle Kanne.
Trotz meiner Allergie gegen gelebte Langeweile und Klischees gefiel es mir jedes Mal aufs neue ausgesprochen gut, wenn die Gitarren des Sängers Tom Frank und des Leadgitarristen Jeff Henson unisono gespielt wurden und sich zu wundervollen Schwebungen verwoben.
Das war zum Teil wirklich rührend schön.
17: Jeff Henson, Duel, Austin, Texas, USA, Heavy Psychedelic Stoner Doom Metal
Inzwischen merkte man, dass es Freitag Abend geworden war. Eine größere Zahl Nachrücker*innen, die tagsüber noch arbeiten mussten, sorgten dafür, dass der Bühnenvorplatz schon jetzt zwischen 18:00 und 19:00 Uhr besser gefüllt war als noch gestern um die gleiche Zeit.
Das sollte gleich noch deutlicher werden, denn ab ca. 19:20 Uhr übernahmen die drei unfassbar wilden Typen von The Great Machine (noch mal) aus Tel Aviv, Israel das Ruder und brachten die Crowd mit ihrem Psychedelic Stoner Punk trotz der Hitze völlig zum Durchdrehen.
https://www.noisolution.de/band/the-great-machine
https://www.facebook.com/tgm11band/?locale=de_DE
https://www.instagram.com/the_greatmachine/?hl=de
Während ich mich noch fragte, warum Bassist Aviran Haviv und Gitarrist Omer Haviv statt auf sichere Instrumentenkabel auf eher instabile Funksendesysteme setzten, rissen die Typen kurzerhand das Schlagzeug ab, kletterten zum Höhepunkt des Konzerts von der Bühne und bauten das Zeug irgendwo zwischen dem FOH Turm und selbiger wieder auf.
Und weiter ging der Punk mitten in der Crowd!
Amtlich!
So geht Powertrio!
18: Omer und Aviran Haviv, The Great Machine, Tel Aviv, Israel, Psychedelic Stoner Punk
So langsam war ich jetzt wirklich durch, aber die ukrainischen Stoner Doom Metaller von Stoned Jesus aus Kiew musste ich unbedingt noch sehen, nicht zuletzt weil sie zu Kriegsbeginn ihre von mir schon länger herbeigesehnten Auftritte in Deutschland alle hatten absagen müssen.
Junge ukrainische Männer durften zu der Zeit das Land nicht mehr ohne Weiteres verlassen, damit sie gegebenenfalls zur Fahne gezogen werden konnten.
Soweit ich das noch erinnere, erging es damals einem Bandmitglied laut dem Facebook Account der Band tatsächlich so.
Da standen wir also vor der dritten Band dieses Festivals, die aus einem Kriegsland stammt, waren betroffen und konnten uns selbst doch nicht im geringsten vorstellen, wie sich das wohl anfühlen mag.
Was mag wohl in deren Köpfen vorgehen, wenn sie hier im friedlichen Wohlstandswesten Abend für Abend vor einer leidenschaftlich feiernden Partycrowd aufspielen, während in ihren Heimatländeren zur gleichen zeit Freund*innen und Familienangehörige durch kriegerische Handlungen ums Leben kommen?
https://www.season-of-mist.com/bands/stoned-jesus/
https://www.facebook.com/stonedjesusband/?locale=de_DE
https://www.instagram.com/stonedjesusband/?hl=de
Im Aussenauftritt zeigten sich Stoned Jesus, in erster Linie repräsentiert durch ihren Gitarristen Igor Sydorenko, wie vom ersten Tag des russischen Angriffs an, sehr kämpferisch und entschlossen und voller Stolz auf ihr Land und dessen Widerstand.
Dies zeigten sie natürlich auch durch die Präsentation der ukrainischen Flagge sowie einer Spendenbox für die Ukraine auf ihrem Merchandise-Tisch.
Musikalisch lieferte das Trio wie erwartet ab:
Schleppiger, schwerer Stoner Doom mit melodiösen Anteilen.
Ganz so, wie ich es mag.
19: Igor Sydorenko, Stoned Jesus, Kiew, Ukraine, Stoner Doom Metal
Ungefähr von neun bis zehn ging der gefeierte Auftritt der Ukrainer, und gegen halb elf begannen dann A Place to bury Strangers aus New York City, USA mit ihrem unfassbar wilden und lauten Mix aus Noise, Surf und Shoegaze.
https://www.aplacetoburystrangers.com
https://www.facebook.com/aplacetoburystrangers/
https://www.instagram.com/aptbs/?hl=de
Mastermind und Gitarrist von APTBS Oliver Ackermann ist nebenbei auch noch Chef der New Yorker Effektpedalschmiede Death by Audio und hatte schon den ganzen Tag lang eine Menge von deren extravaganten und schrägen Pedalen auf dem Merch-Tisch liegen.
Ein echter Mad Professor also.
Ich hatte für heute aber endgültig genug, und somit lauschte ich deren gefeierter Performance mit einigen anderen aus der Treckeryoga-Gang vom altbekannten Pavillon auf dem Zeltplatz aus.
Selbst die achte Band des Tages und neben The Great Machine wohl die punkigste Band des ganzen Festivals, Poison Ruin aus Philadelphia, Pennsylvania, USA verpasste ich freiwillig, auch wenn ich sie aus der Rückschau echt sehr geil finde. Wenn die mal in einem beheimateten Club wie der nun leider endgültig begrabenen Schaubude oder der hansa48 auftreten würden, wäre ich sofort dabei.
https://poisonruin.bandcamp.com/album/h-rvest
https://www.instagram.com/poisonruin/?hl=de
Nach sechs von acht Bands, darunter eine israelische und eine ukrainische, war ich einfach voll mit Eindrücken, Emotionen und Kopfkino.
Und so konnte ich nach einem kurzen Gedankenexkurs sogar gut zu deren Musik schlafen...
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Der Samstag begann noch sonniger als der Freitag.
Dennoch nahmen Marie und ich erneut den beschwerlichen aber auch reinigenden Weg ins Freibad auf uns, und unterm Strich war's auch nicht mehr Wegstrecke, als beim alljährlichen Tiefpunkt der Festivalsaison, dem Cosplayer- und Metalmäßigkeits-Ballermann in der Dithmarscher Einöde einmal vom Zelt zur Main Stage.
Nur nicht so peinlich.
Wandern, bezahlen, schwimmen, kacken, duschen, wandern, und schon war es wieder zwölf Uhr durch.
Kleiner Plausch, Treckeryoga die Zweite.
Nun stand natürlich das Pflichtprogramm an, denn die Kieler Stoner Doom Rocker von Earthbong eröffneten pünktlich um halb drei bei einer echten Bullenhitze den letzten Tag des diesjährigen Hoflärms.
https://earthbong.bandcamp.com/album/bong-rites
https://www.facebook.com/earthbong/?locale=de_DE
https://www.instagram.com/earthbong_doom/
Gemessen an der frühen Uhrzeit ihres Slots sowie den hohen Temperaturen und dem Bedürfnis nach Ruhe so mancher aktiv trinkender Besucher*innen von gestern (und vorgestern) hatten Claas (Gitarre), Tommy (Drums) und Selly (Vocals und Bass) den Platz in kürzester Zeit doch respektabel voll gespielt.
Sie sind aber auch geil!
Das war dann besonders nach ihrem Auftritt an der guten Menge Interessierter beim Merch ablesbar.
Sie haben aber auch tolles Merch!
20: Doom – Respekt, wer's selber macht
Und im kommenden Frühjahr werden sie Australien touren!
Respekt...
21: Earthbong, Kiel, Doom Stoner
Tornet aus dem schwedischen Göteborg übernahmen direkt nach unseren Kieler Jungs die Bühne mit ihrem Occult Retro Rock.
https://www.facebook.com/Tornet.GBG/?locale=de_DE
https://www.instagram.com/tornet_xvi/
Wie die Bezeichnung des Genres schon vermuten lässt, wurde es etwas epischer, getragener und mystischer. Natürlich hatte sich Sängerin Martina Svärd dazu passend in eine weite dunkle Robe gewandet und trug ein auffälliges Augen-Makeup.
Wie schon andere Bands vor ihnen, kamen auch Tornet (schwedisch für „der Turm“) als klassische Zwei Gitarren Band (in diesem Fall plus separatem Gesang) daher und gaben wie manche vorangegangene Band auf diesem Festival einige schöne Beispiele dafür zum Besten, was an melodiösen Verwebungen und Doppelungen in dieser Konfiguration machbar ist. Musikalisch würde ich deren Style am ehesten in die 80er, die Hochzeit des klassischen Metals, verorten (oder besser verzeiten).
Hatten Earthbong den Platz schon gut vollgespielt, begann dieser sich dieser währen des Auftritts der Schwed*innen kontinuierlich weiter zu füllen.
22: Tornet, Göteborg, Schweden, Occult Retro Rock
Während Tornet ihr Programm darboten, sprach uns eine junge Frau an.
Wie sich herausstellte war es die Gitarristin und Sängerin der gleich folgenden Band The Dharma Chain, Amanda McGrath.
Mit Amanda hatten wir gestern zu später Stunde noch eine ganze Weile auf dem Campground geschnackt, nachdem sie sich ein paar Schmerztabletten von Marie erbeten hatte.
(Ihr müsst ÄMÄNDA mal mit einem schweren australischen Akzent aussprechen. Es klingt so gut. Wir machen es immer noch, aber Marie hatte sie auch sehr lieb gewonnen...)
Jetzt, kurz vor ihrem Auftritt, war sie ganz schön aufgeregt, weil die Musik der australischen Band, ursprünglich aus Byron Bay, New South Wales, mittlerweile aber beheimatet in Berlin, alles in allem ihrer Ansicht nach wohl am wenigsten dem entsprach, was sich sonst so im Lineup des diesjährigen Hoflärms befand.
Tatsächlich hatten Marie und ich uns fast alle Bands des Festivals im Vorfeld aus dem Netz heraus angehört und konnten ihr glaubhaft versichern, dass ihre Sorge ungerechtfertigt war.
Nur wenige Minuten nach dieser Begegnung hatten Tornet ihr Set beendet, so dass The Dharma Chain wie geplant um „Sixteenfifty“ (Zitat Amanda und seit der vorangegangenen Nacht ein geflügeltes Wort in unserer Campgroundparzelle) loslegen konnten.
https://thedharmachain.wixsite.com/website
https://www.facebook.com/The.Dharma.Chain/
https://www.instagram.com/the.dharma.chain/?hl=de
Ja, die fünf Künstler*innen von The Dharma Chain boten keinen Doom, kein Punkgeballer und schon gar kein virtuos zergniedeltes, bluesbasiertes Gitarrengeknödel für die nächste Rockerbeerdigung, aber dennoch oder gerade deswegen passte ihre unterkühlte, schleppende 80s-Ästhetik, die mich unter vielen anderen Assoziationen mal an Swell Maps, mal an Mazzy Star, mal an Propaganda mit einer guten Portion Shoegaze erinnerte, sehr gut auf dieses Festival.
Das sahen ein paar hundert weitere Festivalbesucher*innen auch so, genau wie Michel, seines Zeichens Gitarrist bei Kiels derzeit heißester junger Garagenband Keeosk, der seit kurzem in Bonn lebt und es gerade noch rechtzeitig mit Bahn und Rad zu The Dharma Chain geschafft hatte.
Ihm waren The Dharma Chain von den wiederum mit Keeosk befreundeten Bikini Beach empfohlen worden.
Auch diese junge Band agiert vollkommen frei von irgendwelchen Korsetts der Geschmacksbehörden.
Und das Ergebnis ist toll. Ich würde sie sehr gern mal in die alte Mutter hansa48 holen.
23: Amanda McGrath und Giulia Piras, The Dharma Chain, Psychedelic Rock
Slomatics aus Belfast, Nord Irland, die kurz nach sechs quasi das Abendprogramm einläuteten, lieferten dann als Kontrastprogramm zu The Dharma Chain Sludge und Doom Metal in klassischer Trio-Besetzung.
https://www.facebook.com/Slomatics/?locale=de_DE
https://www.instagram.com/slomatics/
Das traf zwar mein Interessengebiet sehr gut, hielt mich aber nicht davon ab, ersma eine Pause in unserem freundlichen Camp Treckeryoga einzulegen.
Nach einigen Stunden lauter Musik brauchte ich doch immer mal eine kleine Ruhephase. Das wurde mir speziell an diesem mittlerweile dritten Tag bewusst.
Die Typen, die vier- oder fünftägige Riesenfestivals wie abgestumpfte Kopfschlachter Band für Band abarbeiten werde ich nie verstehen können. Irgendwann ist jeder Mensch doch schlicht überreizt, und der Genuss kommt zwangsläufig an seine Grenzen, Fanboy hin oder her...
All You Can Eat ist ja auch nur schön, solange man eben noch NICHT ALLES gegessen hat...
Apropos essen:
Abgesehen von dem schon erwähnten, vielfältigen Angebot der Hofküche konnte man nur wenige Minuten zu Fuß im Ort einen Gasthof besuchen und sich dort im Biergarten der umfangreichen Speisekarte widmen, was Vilib und Marcel gerne in Anspruch genommen haben. Auch leckere fleischfreie Gerichte gab es dort nach deren Schilderung.
Ich finde es zwar wichtig, die Veranstalter*innen auf allen Gebieten so gut es geht zu supporten, aber nächstes Jahr probiere ich das auch mal.
Nun begrüßte ich Michel ersma angemessen, baute mit ihm sein Zelt auf, und rechtzeitig zu Sacri Monti aus San Diego, USA waren wir zurück an der Bühne.
Inzwischen war die Hitze passend zur Band weiter eskaliert.
So sehr, dass das Ansagergespann das Bedürfnis verspürte, die erwachsenen aber manchmal nicht mehr ganz nüchternen Festivalbesucher*innen daran erinnern zu müssen, sich vor der Sonne zu schützen sowie reichlich Wasser zu trinken.
Gut, dass es sowohl auf dem Campground als auch neben der Bühne öffentliche und natürlich kostenlose Trinkwasserhähne gab, die Tag und Nacht frei zugänglich waren.
Aber das sei nur mal am Rande erwähnt.
Space Hard Rock nennen die fünf Kalifornier von Sacri Monti ihren Stil. Für mich war es in der Besetzung mit zwei Gitarren und einer Orgel eine weitere auch vom Outfit, Hairstyling und Barttracht sehr stilsichere aber auch berechenbare, wirtschaftlichen Erfolg versprechende Zeitreise zurück in die 70er.
https://sacri-monti.bandcamp.com/album/sacri-monti
https://www.facebook.com/sacrimontiband/?locale=de_DE
https://www.instagram.com/sacri_monti_band/?hl=de
„Lynyrd Allman“ auf Anabolika mit ein büsschen Purple Flair, lautete meine erste Zusammenfassung. Hier kamen auf jeden Fall die zahlreichen älteren Besucher*innen bzw. „Best-Ager“, wie die Wirtschaft sie nennt, mal wieder voll auf ihre Kosten.
„Hoffentlich halten die so viele Retro-Endorphine überhaupt aus“, durchfuhr es mich und mein Lieblingszitat aus dem völlig unterschätzten Hollywood-Film Pleasantville fiel mir ein:
„Auf der Bowlingbahn sind wir sicher.“
Aber auch bei aller berechtigter Häme gegenüber dem sich nur vorgeblich ewig neu erfindenden Stagnationsapparat namens Altherrenrock sei eines klar gestellt:
Sacri Monti haben amtlich abgeliefert, und sie haben das inzwischen trotz immer noch sehr hoher Temperaturen mittlerweile zahlreich erschienene Publikum auf höchstem Niveau unterhalten.
24: Sacri Monti, San Diego, Kalifornien, USA, Space Hard Rock
So voll wie heute war der Platz vor der Bühne während der ersten beiden Festivaltage noch nicht gewesen. Auch die äußere Form des Publikums hatte sich inzwischen verändert.
Die Crowd war jetzt irgendwie sehr „Köln“, also erheblich schicker und stylischer geworden.
Dieses Phänomen kannte ich tatsächlich schon vom Deserfest in Berlin.
Während man an den ersten Festivaltagen vorrangig ein nicht immer mit äußerlichen Attributen gesegnetes „Fachpublikum“ verzeichnen konnte, tauchten auch dort am Bundesausgehtag rechtzeitig kurz vor Sonnenuntergang eine große Menge gut gebauter junger oder dank ausreichender finanzieller Mittel auf jung gemachter Menschen mit schönen Gesichtern und allen derzeit notwendigen für Geld zu kaufenden Stylingaccessoires einer Großstadt auf.
Und ganz ähnlich kam es mir und hier heute auch vor.
Immerhin hatten sie Geschmack.
Denn jetzt waren endlich Dopethrone dran!
Ich hatte das wirklich brutal fette Sludge Trio aus Hochelaga, dem gelinde gesagt nicht so guten Teil des kanadischen Quebec schon einmal bei meinem ersten oder zweiten Deserfest Berlin vor ca. 15 Jahren live erleben können und wurde auch heute nicht enttäuscht.
Hier wurde nichts zitiert, keine Hommage abgefeiert oder andere dumpfe Nostalgiebedürfnisse gestillt.
Dopethrone stehen von alleine.
Und bei Dopethrone gibt es garantiert immer auf die sinnbildliche Fresse!
https://www.metal-archives.com/bands/dopethrone/3540282502
https://www.facebook.com/dopethrone.mthell/?locale=de_DE
https://www.instagram.com/dopethroneband/
Und das ganz authentisch und mit einer greifbaren Spielfreude.
Kaum eine andere Liveband dieses Festivals hat eine ähnlich harte und gleichzeitig fröhliche Energie so gut rübergebracht wie Dopethrone, abgesehen vielleicht von The Great Machine gestern.
„Dopethrone bringing Darkness to Hoflarrrrm“, verkündete Gitarrist und Sänger Vince während er auf den sich ihm bietenden Sonnenuntergang im Rücken des herrlich erregten Publikums wies.
25: Crowd und Stage Dopethrone, Hochelaga, Quebec, Kanada, Sludge
Und ein perfekter Auftritt im perfekten Setting auf dem perfekten Festival nahm seinen Lauf.
Und alle fanden es geil.
So geil, dass das Ganze letztlich in einer kollektiven Einnahme der Bühne durch Dutzende Menschen gipfelte, welche dann mit der Band einhellig vereint das Finale dieses grandiosen Auftritts bestritten.
Auch später am Merchstand waren die Musiker regelrecht von Fans umringt. Und sie nahmen sich alle Zeit der Welt, VOR dem Merchtandisetisch stehend, mit Begeisterung Gespräche zu führen, Fragen zu beantworten und Platten zu signieren.
Ich konnte beobachten, wie Vince, als der große Andrang abgeklungen war, mehrere Minuten lang angeregt mit einem Jungen aus den Niederlanden, vielleicht vierzehn Jahre alt, der mit seinen Eltern zum Festival angereist war und dessen Vater aus einiger Entfernung wohlwollend zusah, ins Gespräch ging und dies ganz offensichtlich mit echter Freude.
Jedenfalls nahm er sich dafür alle Zeit der Welt.
Das war gegen halb elf.
26: Dopethrone, Hochelaga, Quebec, Kanada, Sludge
Zu dem Zeitpunkt standen die nächsten Kanadier*innen schon auf der Bühne.
Die jungen Menschen von Black Mountain aus Vancouver nämlich.
Psychedelic Rock im Stil der 70er Jahre mit einer tüchtigen Portion Fuzz Rock stand auf dem Stundenplan des heutigen Headliners. Diesmal mit nur einer Gitarre, dafür aber angefettet von einem Keyboard zum Teppich Legen. Ergänzt wurde das Ganze dann noch durch den Gesang von Amber Webber.
Erneut das alte Retro-Spiel also.
Was mich dann aber doch vom Merchstand und Dopethrone weglockte war der extrem geschmackvolle Gitarrensound von Stephen McBean. Hatten die Mehrzahl der Rockbands beim Hoflärm ihren Kram über die bereitgestellten Orange Stacks in die Welt geschickt und bestenfalls mal ein Marshall Head da oben druff gestellt, benutzte er einen schlichten Fender Combo und sehr schön dazu passende Pedale.
Und das klang wirklich großartig, clean wie crunch wie auch bei voll angefahrener Endstufe.
Schönster Gitarrensound dieses Abends, würde ich mal sagen.
Vielleicht sogar der beste des gesamten Festivals.
http://www.blackmountainarmy.com/
https://www.facebook.com/BlackMountainOfficial/
https://www.instagram.com/blackmountainarmy/?hl=de
Musikalisch bedienten aber auch die fünf Kanadier*innen trotzdem ich alt und weiß und männlich bin, irgendwie mal wieder nicht ganz mein Spektrum.
Aber das ist ja allein mein Problem.
27: Black Mountain, Vancouver, Kanada,Psychedelic Rock
Nicht ganz allein, denn auch Marie hatte genug für den Tag.
Marie steht nämlich auf Musik, zu der sie herumspringen kann!
Jeder Jeck ist eben anders, und so zogen wir uns spürbar erschöpft von drei Tagen Druckbeschallung in den Trailer zurück und fielen, noch während die letzte Band, das phantastische Trio Earth Ship (auch wieder ein echtes Highlight, aber Schlaf geht vor) aus Berlin die passenden Doom Sludge-Lullabies dazu lieferte, in den wohlverdienten Schlaf.
https://pelagic-records.com/artist/earthship/
https://www.facebook.com/wearetheearthship/?locale=de_DE
https://www.instagram.com/earthship_official/
Nicht ohne mir vorher deren Album am Merch gekauft zu haben, versteht sich.
Diese Nacht war mit Abstand die längste und lauteste des diesjährigen Hoflärms. Immer wieder mal wurde ich kurz wach und konnte auch nach drei Uhr noch breites Stimmengemurmel und Hintergrundmusik vom Festivalground vernehmen.
Es war, als würde sich das Hoflärm 2024 noch einmal gegen sein bevorstehendes Ende auflehnen.
Bei unserem Nachbarn Schaumi soll wohl während dieser Nacht irgendetwas an seinem Wagen andauernd gepiept haben, und ein paar Zelte weiter sollen noch welche stundenlang und lautstark rumgefickt haben, aber all das habe ich trotz Straight Edge gut überschlafen können.
Schlafen kannich!
28: Blick aus dem Wohnwagen
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Wenn Du nicht säufst und zeitig ins Bett gehst, wirst Du früh wach. Das ist ein Naturgesetz.
Und so war ich am nächsten Morgen gegen halb acht einer der wenigen Bewohner des Planeten Hoflärm. Aber selbst nach dieser leidenschaftlichen letzten Nacht konnte ich den einsam dastehenden Toilettenwagen problemlos und gesundheitlich unbedenklich für mein Morgenritual nutzen.
Saubere Toiletten in ausreichender Zahl sind sooooo geil!
Im Gegensatz zu den Vortagen hatte niemand, auch ich nicht, das Bedürfnis, andere Menschen fröhlich und lautstark zu begrüßen. Jede*r nickte nur stumm und fuhr dann trübselig mit seiner Morgenroutine fort.
Das Hoflärm Festival 2024 war spürbar vorbei und zeigte dies wie ein lebender Organismus.
Auch Marie und ich hatten nicht viele Worte füreinander übrig.
Bedächtig und ganz leise packten wir unsere Sachen und brachten den Leihwohnwagen schon mal auf Vordermann während andere Festivalbesucher*innen schon zu dieser frühen Stunde verstohlen und leise mit ihren Autos den Platz verließen.
So auch Vilib und Marcel, die noch den weiten Weg nach Thüringen vor der Brust hatten und deshalb einen Frühstart bevorzugten.
Nachdem Michel sein Zelt sowie seinen Schlafsack verstaut hatte, ging ich mit ihm noch einmal auf den Bühnenplatz. Hier herrschte reges Treiben. Die Zäune waren schon artig gestapelt, und die Bühne wurde auch schon demontiert.
Dieses irgendwie zahnlose, beinahe gefledderte Bild passte gut in die allgemein vorherrschende Aufbruchstimmung.
Ich suchte Reiner, der mit seinem Deutz Sachen durch die Gegend fuhr, dankte ihm in aller Form für das schöne Festival und versprach ihm, nächstes Jahr wieder dabei zu sein.
Darauf verabschiedete sich auch Michel, stieg auf sein Rad und entschwand.
Mit unseren neu gewonnenen Freunden vom Team Treckeryoga gab es noch ein kleines Käffchen.
Danach zogen wir mit dem McCormick noch einen Wohnwagen aus dem Knick, drehten noch ein letztes Mal unsere traditionelle Runde über die sich unaufgeregt aber zügig leerenden Zeltplätze und nahmen uns zum Abschied alle noch ein letztes Mal fest in die Arme.
So unauffällig wie sich die Wiesen gefüllt hatten, hatten sie sich auch wieder geleert.
Und kein Krümelchen Müll blieb zurück. Nicht mal ein Kronkorken oder so.
Und das war wirklich sehr schön anzusehen.
Um Zwölf Punkt Dreissig verließen Marie und ich mit unserem Wohnwagengeschleuder dann den schon fast menschenleeren Campground.
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Leute!
Das Hoflärm Festival von Caspar und Reiner Orfgen nebst deren unzähligen Helfer*innen ist wirklich ein echtes Juwel in der mittlerweile so verkommenen und durchkommerzialisierten Festivallandschaft. Nichts lässt bei diesem gallischen Dorf unter den Festivals darauf schließen, dass nur ein Eventkaufmensch das schnelle Geld machen will oder so.
Die Mengen an freiwilligen Helfer*innen und die herzliche Atmosphäre ließen mich an die Anfänge des Wilwarin zurückdenken, als die Zeltplätze noch nicht wegen dummer Besucher*innen hinter Gittern versteckt werden mussten und jede*r jede*n kannte.
Das Musikangebot kann sich mit größeren Veranstaltungen wie dem Desertfest oder dem Freak Valley Festival und auch dem Burg Herzberg Open Air locker messen, und die Wege sind kurz.
Selbst sanitäre Anlagen sind in ausreichendem Maße vorhanden und werden vom Publikum sehr gut behandelt.
Was will mensch mehr? Hin da!
Der Vorverkauf für das siebte Hoflärm Festival vom 14. bis 16. August 2025 soll voraussichtlich schon im Oktober 2024 starten.
https://www.facebook.com/events/543466861356133/?ref=newsfeed
Für Impressionen vom diesjährigen Hoflärm möchte ich neben der Internetpräsenzen des Hoflärms auf die Internetauftritte der sehr engagierten Spanier von Denpa Fuzz verweisen. Die haben Bilder sowie Filme in großer Zahl ins Netz gestellt und erweitern dieses Angebot zur Zeit noch kontinuierlich.
https://www.facebook.com/DenpaFuzz
https://www.youtube.com/channel/UCbJviiwyKHkv5hTlVv8NjlA
https://www.instagram.com/denpafuzz/?hl=de
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Nun bin ich fast zwei Wochen zu Hause, habe gut die Hälfte dieser Zeit an der Erstellung dieser Rezension und der Recherche zu den vielen Bands etc. gesessen und darüber diese wundervolle knappe Woche meines Lebens immer und immer wieder auf's Neue durchlebt.
Und auch in der Retrospektive war es eine meiner schönsten in nun fast 58 Jahren.
Und das will was heißen.
So viel wie dort habe ich das letzte Mal vor über 25 Jahren gegrinst.
Aber da habe ich noch gekifft.
Und wie ich da am letzten Samstag mit meinem nagelneuen „The Great Machine – T-Shirt“ auf dem ebenfalls wundervollen Freevival im Aubrook stehe, tippt mich einer an und schenkt mir ein Plektrum mit einem Aufdruck der selben Band. Er hatte es „letztes Wochenende auf einem Festival“ bekommen.
Als ich ihm eröffnete, dass wir beide folglich auf dem Hoflärm Festival gewesen sein müssen, entspann sich sofort ein angenehmes Gespräch.
Und schon wieder hatte ich einen neuen Freund gefunden.
Rasmus heißt er.
Und das, liebe*r Leser*in, falls Du kein ADHS und es bis hier hinten durchgehalten hast, ist wohl die größte Magie des Hoflärms.
Versucht das mal mit Wacken!
29: In diesem Sinne: Kein Kölsch für Nazis...
...und auch kein Pils!
Kommentare
Mach nicht so viel Werbung. Haha.
Ich freue mich über den Spitzenmäßigen Bericht.
Michi.
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