AC/DC, THE PRETTY RECKLESS / 04.08.2024 – Hannover, Messegelände
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- Kategorie: Berichte aus dem Pit
- Veröffentlicht: Dienstag, 06. August 2024 09:51
- Geschrieben von Philipp Wolter
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Schon seit Jahren verfolge ich das Ziel, AC/DC wenigstens noch einmal live zu sehen. Denn diese Band begleitet mich im Grunde schon mein gesamtes Leben, aber meine letzte AC/DC-Show liegt nun bereits 23 Jahre zurück, nämlich 2001 auf der „Stiff Upper Lip“-Tour (Trabrennbahn, Hamburg). Davor sah ich sie zum Glück seit 1984 (Monsters Of Rock, Karlsruhe) regelmäßig, aber die „Black Ice“-Tour hab ich verpasst und das 2016er Konzert mit Axl Rose gezielt gemieden. Die Nummer mit diesem Schnösel stellte für mich einen herben Kratzer im Lack der mächtigen Bandgeschichte dar. Doch mit der Rückkehr von Brian Johnson und der starken „Power Up“-Scheibe haben AC/DC die richtigen Schritte vollzogen. Dass Phil Rudd nun nicht mehr dabei ist, ist natürlich schade, aber für mich stellt die aktuelle Besetzung mit Angus Young, Brian Johnson, Stevie Young (Neffe von Angus und – R.I.P. – Malcolm), Matt Laug (u.a. ALICE COOPER, SLASH, ALANIS MORISSETTE) und Chris Chaney (u.a. JANE’S ADDICTION, ALANIS MORISSETTE) auf dem Papier ein würdiges Erbe dar. Wie gut es nun wirklich werden würde, darauf war ich supergespannt und habe wie immer sämtliche Berichte und Infos über Setlists etc. ignoriert. Los geht’s, FOR THOSE ABOUT TO ROCK WE SALUTE YOU:
Bilder von Rüdiger Naffin.
Ein Auftakt nach Maß: Nach einem eigenen Gig in Hannover mit EXODUS und vier Tagen in Wacken starten wir pünktlich, um uns um 11:00 Uhr auf einem Park & Ride-Platz in Wasbek zu treffen, wo mich Rüdiger Naffin (Fotos) aufpickt. Die frühe Uhrzeit erweist sich als angemessen, denn durch diverse Staus zieht sich die Hinfahrt und wir kommen einigermaßen pünktlich zum Einlass an. Das Messegelände kannte ich bisher nur von der Expo. Die Menschenmassen sind kaum zu fassen. Wie groß kann eine Band werden? 75000 Leute sollen es heute sein – und das, obwohl AC/DC ja gerade vor vier Tagen bereits hier gespielt haben. Das Wetter ist perfekt, wir brauchen kein Regenzeug oder Pullis mitzunehmen. Das wirkt sich auf die Stimmung positiv aus, irgendwie ist jede:r entspannt und du siehst keine dieser typischen deutschen Frustfressen, die sonst auf Großveranstaltungen üblich sind. Eine Besucherin erzählt uns später, dass sie ihr Ticket kurz vom Check-In verloren habe, weil sie davor noch ein Dixie aufgesucht habe und die Karte ihr dabei unbemerkt aus der Tasche gerutscht und ins Klo gefallen sei. Das habe sie zehn Minuten später bemerkt, aber da sei ein Rettungsversuch bereits vergeblich gewesen, obwohl das Ticket noch aus den Fäkalien herausragte… Shit happens. Aber ein Ordner habe sie zu einem Produktionsbüro geführt und dort habe sie eine Art Ersatzticket bekommen. Auch nicht selbstverständlich, da hatte sie echt Glück.
Gegen einige dieser Verbote wurde skandalöserweise verstoßen!
Jo, wir kommen tatsächlich bis ins vordere Drittel des Geländes und können recht gute Sichtverhältnisse genießen (Rüdiger steht später weiter entfernt, weswegen die Fotos das nicht ganz wiedergeben). Davor hatte ich auch etwas Bedenken, in kilometerweiter Entfernung zu stehen, denn so wurde mir es schon häufiger von dieser Location berichtet. Bierboys wuseln durch die Menge und versorgen uns zu abartigen Preisen, nämlich 7,- Euro plus 3,- Pfand. Ich gönne mir davon auch nur einen Humpen, will ich doch den Platz nicht verlassen. Das klappt auch richtig gut, denn wir haben es gemacht wie die oben erwähnte Besucherin, nur ohne Kartenverlust. Jo, das Publikum ist extrem breit gemischt von ganzen Familien über Fans der „ersten Stunde“ bis hin zu Schüler:innen. Gemeinsam ist fast allen, dass sie AC/DC-Shirts tragen, ein Phänomen bei großen Bands, das ich schon immer kurios fand. Rüdiger und ich fallen mit unseren BLACK-SABBATH-Shirts (Zufall, immerhin unterschiedliche Motive…) regelrecht auf. Die Vorfreude steigt, mit zunehmender Wartezeit schmettert die Menge zusehends lauter zur gut gewählten Beschallungsmucke mit.
Mit THE PRETTY RECKLESS als Vorband haben AC/DC keine schlechte Wahl getroffen. Ich kannte bisher nur den Namen und auf sozialen Netzwerken kommt man ja nicht an Bildern von Taylor Momsen vorbei. Der Stil erweist sich als Mischung aus Hardrock/Rock’n‘Roll mit Alternative-Einflüssen, wobei Momsen mit ihrer Stimme soulige und bluesige Anteile einbringt. Ich bin schon mal erleichtert, dass der Sound schon jetzt recht druckvoll und differenziert klingt, denn das war auch eine Aussage über das Messegelände, die ich mehrfach hörte, dass der Klang hier häufig schlecht sei. Die Sängerin zieht mit ihrem Charisma durchaus die Blicke an und kann sich bereits nach kurzer Seit über ein Meer aus hochgereckten Händen freuen. Das ist in der Vergangenheit nicht jedem AC/DC-Support so ergangen. Das rollt aber auch angenehm düster über uns hinweg, ist melodisch, ohne zu poppig zu wirken und besitzt meist ein getragenes Tempo mit seltenen Ausbrüchen in schnellere Gefilde. Momsen steht im Mittelpunkt und aalt sich lasziv im Sonnenlicht, ihre Stimme weckt bei mir wiederholt Assoziationen zu Lita Ford. Die Songtitel, die ich verstehe („Witches Burn“, „Make Me Wanna Die“, „Going Down“ und „Take Me Down“) deuten nicht gerade auf fröhliche Textinhalte hin. Insgesamt würde ich von einem soliden bis guten Auftritt sprechen, auch wenn ich in der Vergangenheit schon kultigere AC/DC-Supports wie z.B. FASTWAY (1986) und DOKKEN (1988) sehen durfte.
Ah, die Spannung steigt und wird mit einem witzigen Intro endlich aufgelöst: Man folgt der Perspektive eines Helldrivers, der seine Karre über Highways bis auf die Bühne donnert, wo sich der Vorhang teilt und wir uns selber sehen, eine Menschenmenge bis zum Horizont, aus der sich Zehntausende von Händen recken und diese Teufelshörner aus Plastik auf vielen Köppen leuchten. Dann ertönt Angus‘ Gitarre und allein ihr Klang löst eine unerwartete Euphorie in mir aus. Der Gesamtsound ist richtig gut! „If You Want Blood (You’ve Got It)“ ist der Opener, was für eine geile Wahl! Und alles ist da: Dieser typische Groove und die Tightness der gesamten Band, denn nicht zuletzt spielt Matt Laug im typischen Phil-Rudd-Beat. Stevie Young (sieht Malcolm sehr ähnlich) und Chris Chaney halten sich klassischerweise dezent im Hintergrund, steuern aber die wichtigen Chöre bei und lassen ansonsten Angus und Brian Johnson ihr Ding machen. Brian Johnson zeigt sich bestens aufgelegt, singt erstaunlich gut, wobei ihm die hohen kräftigen Schreie mittlerweile schwerfallen. Er klingt aber super, wenn er auf melodischere Art singt. Und Angus ist der Hammer! Die Haare schlohweiß, aber in der Bühnenpräsenz gibt es nicht einen Millimeter Abstriche zu machen. Der Kerl rennt über die gesamte Bühne, macht den Duckwalk, bangt mit verzerrter Miene, malträtiert die Klampfe mit seiner Krawatte und wirft sich strampelnd auf den Boden. Die Meute flippt aus, ich auch! Überhaupt springe ich das gesamte Konzert über wie ein Flummi auf und ab, so sehr nimmt mich die Band mit. Schon als zweiter Song kommt „Black In Black“ mit schön passender Schwarz/Weiß-Optik auf den Screens. Hier hat Brian Johnson am meisten zu kämpfen, wird in der Folge aber immer besser mit diversen regelrecht magischen Momenten. Von diesen gibt es überhaupt viele, etwa wenn Angus und Laug Augenkontakt aufnehmen, das Ende von „Shot Down In Flames“ abstimmen und in einem Crescendo ausklingen lassen, was so spielfreudig wirkt, dass auch Stevie Young grinst wie ein Wegedieb nach einem erfolgreichen Handtaschenklau. Von „Power Up“ sind immerhin zwei Nummern dabei, „Demon Fire“ und „Shot In The Dark“, die beide gut runtergehen. Ansonsten haben AC/DC eine Killersetlist zusammengestellt, die wenig zu wünschen übriglässt. Schon an fünfter Stelle steht „Thunderstruck“, ein Höhepunkt in Sachen Publikumsgesang. Ich will mich nicht an der gesamten Setlist entlanghangeln, aber als totale Höhepunkte würde ich „Sin City“ (richtig tolle Gesangsleistung von Brian Johnson, vielleicht seine beste heute), „Rock’n’Roll Train“ (länger nicht gehört, zündet super), „Dirty Deeds Done Dirt Cheap“ (mit irrem Schrei und verrücktem Gelächter von Angus am Ende), „High Voltage“, „Riff Raff“, „You Shook Me All Night Long“, „Highway To Hell“, „Whole Lotta Rosie“, „Let There Be Rock“, „T.N.T.“ und „For Those About To Rock“ nennen. Die Showelemente sind im Vergleich zu früher etwas zurückgefahren worden, die Rosie räkelt sich z.B. lediglich auf den Videoscreens statt als Riesenfigur wie früher. Aber natürlich gibt’s die Glocke, eine hydraulische Extrabühne für Angus‘ Solo, einen Konfettiregen (alle Schnippel sind mit AC/DC-Logo versehen) und am Ende natürlich die Kanonen. Sieht alles ansprechend und würdig aus, die No-Bullshit-Attitüde steht mit einer über 130 Minuten dauernden Performance im Vordergrund. Ich bin am Ende nassgeschwitzt und begeistert, hätte nicht mit einer derartigen Qualität gerechnet. Dass Johnsons Stimme nicht immer perfekt klingt, hat auch was, hier laufen definitiv keine Backing Tapes.
War dieses letzte Deutschlanddate der Tour auch das letzte AC/DC-Konzert in Deutschland überhaupt? AC/DC haben nie etwas von Abschiedstour gesagt, aber wenn sie den bisherigen Rhythmus beibehalten, kämen sie erst in acht oder neun Jahren wieder, was vielleicht nicht mehr realistisch ist. Dennoch wirkten sie heute so vital, dass ich es nicht undenkbar finde, dass AC/DC in den nächsten Jahren wiederkehren, vielleicht ja doch auf Festivals.
Der Rückweg vom Messegelände erfolgt sehr zäh, denn die fast 80000 Menschen müssen sich erst mal durch die Gassen schieben. Ich glaube, wir brauchen anderthalb Stunden, bis wir nach Konzertende losfahren können. Aber auf diesem Marsch ziehen die Fans singend (!) ihres Weges, keiner schubst oder wird aggressiv. Dolles Ding!
ROCK’N’ROLL AIN’T NOISE POLLUTION!