VISIGOTH, NECK CEMETERY / 11.03.2024 – Hamburg, Logo

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Im Musikjournalismus werden gerne mal Superlative benutzt. So fiel mir schon wiederholt der Begriff „Jahrhundertalbum“ auf, bezogen auf das Genre Heavy Metal, welches bekanntlich noch gar nicht derart lange existiert. Auf der anderen Seite ziehen Bands wie JUDAS PRIEST mittlerweile über 50 Jahre durch und die Heerscharen junger Newcomer reißen nicht ab. Insofern darf man getrost sicher sein, dass der Heavy Metal die 100-Jahres-Grenze irgendwann durchbricht, und zwar alive and well. Die Frage, welche Alben dann im Rückblick auf ONE HUNDRED METALYEARS genannt werden, interessiert mich durchaus. Werden es weiterhin vor allem die Klassiker der 70er und 80er sein? Oder erkennt man in den kommenden Jahrzehnten verstärkt die Leistungen der Bands aus den Nuller und Folgejahren an? VISIGOTH haben in meinen Augen schon jetzt für ein Reshuffling der Bestenlisten gesorgt und mit „The Revenant King“ sowie „Conquerer’s Oath“ zwei Alben für die Ewigkeit geschaffen.

 

VISIGOTH

Bilder von MJ und Rüdiger Naffin.

 

NECK CEMETERY aus Köln sind ein würdiger Support. Dadurch dass hier mit Boris Dräger ein Ex-Kieler (NOISY FARTS, JIGSAW, EROSION, THE FYREDOGS, BLACK SHERIFF) eine der beiden Gitarren zockt, bin ich natürlich seit Jahren mit der Band vertraut. Da wir uns regelmäßig auf Festivals sehen (Boris gehört auch zur VISIONS Of FEAR-Filmcrew, welche die Beiträge für die KEEP IT TRUE-DVDs erstellt), konnte ich 2019 das „Death By Banging“-Demo und 2020 die 7“ „The Night False Metal Dies“ frisch beim Erzeuger abernten. Mittlerweile haben NECK CEMETERY zwei Alben draußen, aber live konnte ich sie noch nicht sehen. Endlich ist es soweit! Die Bühne ist schon mal extrem liebevoll und mit viel Details dekoriert, auf den Stacks haben die Bandmitglieder Mini-Grabmäler mit den Namen und Lebensdaten verstorbener Musiker:innen aufgebaut (u.a. Martin Ain R.I.P. 2017 und Kelly Johnson R.I.P. 2007). Die Liebe zur Geschichte des Heavy Metal zeigt sich auch in den Coverartworks und natürlich in der Musik. Es ist zwar kein leichtes Unterfangen, die auf VISIGOTH wartenden Maniacs dazu zu bringen, ihre Köpfe zu verlieren, aber NECK CEMETERY nutzen für dieses Ziel jede Minute ihrer Spielzeit. Von den in Kutten gewandeten Nackendehnern werden die Riffs rausgeschraubt und die Drums Of Doom geklöppelt, bis die Pommesgabeln sich nach oben recken. Sänger Jens Peters (ja, der Kollege vom ROCK HARD) nutzt zusätzlich Requisiten wie einen ranzigen abgehackten Kopf, zwängt sich in ein Ganzkörperskelettkostüm samt Totenkopp-Maske und fuchtelt mit einem riesigen Schwert herum. Das Geheimnis des Stahls wird ergründet, der König der Toten erweckt und ein Blick hinter die Maske geworfen (igitt!). Spätestens bei der Hymne „The Night False Metal Dies“ haben NECK CEMETERY den Laden mehrheitlich auf ihrer Seite und das clever arrangierte RAMONES-Cover „Pet Sematary“ bildet den krönenden Abschluss. Shake a leg, break a neck!   

 

NECK CEMETERYNECK CEMETERYNECK CEMETERY

 

 

Das war schon mal super, aber was nun folgt, spottet im Grunde jeglicher Beschreibung. Da versagt mein Metal-Vokabular! Ich bekomme jetzt noch beim Schreiben eine Gänsehaut. Obwohl alle VISIGOTH-Dudes Vollgas geben, mache ich das an der Präsenz, dem Charisma und der unglaublichen Stimme von Jake Rogers fest. Seine kristallklaren Vocals veredeln jeden VISIGOTH-Song und erfüllen mich mit Begeisterung. Dabei hört man in den Ansagen, dass Jake stark erkältet ist. Zwischen den Songs klingt er mehr als angeschlagen. Aber während er singt, ist davon nichts (!) zu hören. Mit „Steel And Silver“ geht es episch as fuck los – das Logo zerbirst fast vor dem Schalldruck der mitsingenden Horden: „By steel, by silver / I slay like a wolf in the night“! In der Folge zeigt sich wieder, dass VISIGOTH ausschließlich Volltreffer in der Setlist haben, die Spannungskurve fällt nicht einen Moment ab. „Dungeon Master“, „Mammoth Rider“, „Outlive Them All“ und „Abysswalker“ kommen in tollen Versionen, bevor das vom Debut bekannte MANILLA ROAD-Cover „Necropolis“ auch eine Fremdkomposition ins Spiel bringt. Ich behaupte mal, dass MANILLA ROAD noch nie besser gecovert worden sind (wobei ich die „Cage Of Mirrors“-Adaption von SMOULDER auch sehr mag). Geht’s noch geiler? Tatsächlich ja: „Blood Sacrifice“ zerstampft alles und den Refrain singt Jake mit derart viel Gefühl, dass ich nur mit äußerster Willenskraft nicht auf die Knie falle (der Boden klebt ja auch ganz schön, ne). „Hammerforged“, das langsam beginnende und sich in einen Spielrausch steigernde „Traitor’s Gate“ (Moshpit-Alarm!), der überlebensgroße Refrain von „The Revenant King“ („Immortal blood courses through my veins / I won’t be denied; your battles lost in vain“) und schließlich „Iron Brotherhood“ (Jake stürzt sich in den verschwitzten Mob) bilden den Abschluss eines denkwürdigen Auftritts. Wenn ich mich umblicke, sehe ich ausschließlich glückliche, ja euphorisierte Gesichter.

 

VISIGOTHVISIGOTH 

 

Was für eine Energie hier heute freigesetzt wurde! VISIGOTH zählen zu den Bands, die ich immer wieder live sehen will.  

 

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Bewertung: 5 / 5

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