HELL OVER HAMMABURG X / 01.03.2024 – Hamburg, Markthalle
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- Kategorie: Berichte aus dem Pit
- Veröffentlicht: Freitag, 15. März 2024 00:16
- Geschrieben von Torsten Matzat und Philipp Wolter
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Philipp: HELL OVER HAMMABURG, warum so geil? Für mich ist die Bandzusammenstellung des Festivals im besten und positiven Sinne als kühn zu bezeichnen. Da treffen klassische Heavy Metal Bands wie CENTURY, MEGATON SWORD oder SLINGBLADE auf den orthodoxen Black Metal von MARE, dazwischen tänzeln die Rock’n’Roll-Grenzgänger THE NEPTUNE POWER FEDERATION und dann kommen noch Punk/HC-affine Combos wie PHANTOM WINTER oder HYSTERESE dazu. Für mich genau die richtige Mischung, frei von Scheuklappen, offen für gute Musik, gleichzeitig bleibt Quatsch mit Riesen-Gummienten auf der Bühne einfach draußen. Und es funktioniert, wie immer ist die Markthalle ausverkauft. Rein ins Gedrängel, raus aus dem Wahnsinn, den andere Alltag nennen.
Torsten: Etwas müde von den zwei vorangegangenen Konzertabenden, sitze ich am Freitag im Zug und ärgere mich sogar ein bisschen, denn anstatt wie üblich am Hauptbahnhof auszusteigen und einfach zur Markthalle rüber zulaufen, führt der Reiseweg an diesem Wochenende über den Bahnhof Altona, von wo aus man mit der S – Bahn zum Ziel der Reise kommt. Ist grundsätzlich nicht weiter schlimm, aber wenn man die oben beschriebene Bequemlichkeit gewohnt ist, darf man auch mal maulig sein. Immerhin trifft man in Altona noch Freunde aus Kiel, die das gleiche Ziel haben. Das HELL OVER HAMMABURG 2024 kann beginnen!
Bilder von MJ und Torsten.
CENTURY
Torsten: Der 1. Festivaltag startet schwedisch mit CENTURY, die mit ihren Veröffentlichungen einiges an Staub im Untergrund aufwirbeln konnten. Ich frage mich immer wieder, wie jemand so geile Songs hinkriegt – melodiös ohne "Kinderlied – Modus" und trotzdem powerful! Geiler True - /Heavy Metal, der wunderbar aus den Achtzigern (NWOBHM) in die Jetzt-Zeit transferiert wurde. Da wird die Müdigkeit gleich erfolgreich weggegrifft. Schneidende Riffs jagen tolle Melodien und der Gesang/die Stimme ist super! Die Markthalle ist schon sehr gut gefüllt und CENTURY werden gebührend abgefeiert. Prima Eröffnung zum 10 – jährigen Jubiläum!
KRINGA
Torsten: Mit KRINGA betritt eine mir komplett unbekannte Band die Bühne. Die ist aber weniger bis gar nicht melodiös. Das klingt sehr eigenwillig, was die Herren aus Österreich da fabrizieren. Black Metal. Punk. Lärm. Dissonanz. Manchmal aber auch überraschende ruhigere Klänge. Dark Throne mit Punk und richtig abgefahren. Klingt mir alles etwas fremd, jetzt, beim ersten Erleben. Hat aber durchaus seinen Reiz. Der Meute gefällt's aber. Kaum jemand verlässt den Saal. Werde ich mich mit beschäftigen (müssen).
THE NIGHT ETERNAL
Philipp: Eine frühere Ankunft ist uns heute arbeitsbedingt nicht möglich, aber immerhin konnten wir uns gestern das komplette Warm-Up gönnen und verpassen heute „nur“ die ersten beiden Bands. Schade um CENTURY, die ich ja sehr liebe!
Nach dem stimmungsvollen Intro mit THE WHO setzen THE NIGHT ETERNAL zum Triumphzug an! Ich hatte es geahnt, dass diese Band mal vor vollen Hallen begeistern wird. Noch ist das nur durch Festivals wie das HOH möglich, aber wer weiß, vielleicht machen die Jungs bald unwesentlich kleinere Klubs auf eigener Headlinertour voll. Das Potenzial dafür ist definitiv da. Die Band macht schon rein optisch was her auf der Bühne, wirft sich mit Herzblut ins Zeug und hat einen ganzen Sack voller grandioser Songs am Start. Die ganze Markthalle hat die Fäuste oben, feiert mit Sprechchören und schmettert mit. „Stars Guide My Way“, „Prince Of Darkness“, „Elysion (Take Me Over)“ oder „Moonlit Cross“ paaren gekonnt die duster-melancholischen Elemente von UNTO OTHERS oder IN SOLITUDE mit Riffs der NWOBHM und Rhythmen der frühen MERCYFUL FATE. Jetzt, da ich THE NIGHT ETERNAL zum vierten Mal live sehe, mache ich Robert Richters gefühlvolles Gitarrenspiel als eine der Stärken der Band aus. In anderen Reviews hatte ich schon die geile Stimme Ricardo Baums sowie das akzentuierte Drumming Aleister Präkelts gefeiert, aber natürlich stinkt hier keiner ab, die gesamte Mannschaftsleistung sorgt für den Tagessieg in Sachen Stimmung. Super, I want more!
Torsten: Bei THE NIGHT ETERNAL ist die Hütte richtig voll und die Halle steht Kopf! Irgendwas machen diese Jungs so richtig richtig! Eben noch im Bambi Galore, jetzt auf der großen Markthallen–Bühne. Hier wie dort wirkt die Band äußerst motiviert und Frontmann Ricardo ist nicht zu bremsen (später sieht man ihn auch bei diversen Bands vor der Bühne) – er hat das Publikum im Griff, welches aus voller Kehle mitsingt und TNE komplett abfeiert. Auch hier (wie im Bambi) nur Hits plus ein paar mehr Songs. Der Sound im Bambi gefiel mir zwar sogar etwas besser als heute hier in der großen Markthalle. Das aber tut dem Siegeszug der EWIGEN NACHT keinen Abbruch. ALLE lieben diese Art von Dunkelheit! "Take Me Over"? Auf jeeeden Fall!
PHANTOM WINTER
Philipp: Fuuuck! Obwohl mich PHANTOM WINTER bereits auf dem KIEL EXPLODE V im Jahr 2015 begeistert hatten, war ich nicht auf das gefasst, was nun kommt. Nun gut, das ist auch bereits fast neun Jahre her und irgendwie muss ich die Band etwas aus den Augen verloren haben. Eigentlich nicht entschuldbar, denn bereits die Vorgängerband OMEGA MASSIF war 2014 auf dem HOH super. Mittlerweile haben die Würzburger ihren Stil verfeinert, denn obwohl sie immer noch „wie der letzte Atemzug Darth Vaders“ (Quelle unbekannt) klingen, weben sie subtile Melodien ein. Mich packen PHANTOM WINTER an der Kehle und lassen mich nicht mehr raus aus dem Würgegriff. Was für Gefühle hier freigesetzt werden, fragt ihr? Da ist Wut, gellend herausgeschrien von gleich zwei Stimmen (Christian – hö – Krank und Gitarrist Andreas Schmittfull), wobei der Leadgesang wie das Geröchel eines Sterbenden klingt, während sein Kollege auf rotzig-punkige Art Melodien einbringt. Da ist Verzweiflung, zu spüren in doomiger Drone-Düsternis malmender Riffs. Winterdoom, wie PHANTOM WINTER ihren Stil selbst benennen, vereint Black Metal, Sludge, Post-Elemente – und ich höre da auch Punkvibes heraus. Was mich freut: Die Hütte ist richtig voll, das Publikum erweist sich als aufgeschlossen und spendet donnernden Applaus. Ich kann nicht anders und ernte danach die mir fehlenden letzten drei Alben der Band ab. Solltet ihr auch tun.
Torsten: Nach soviel melodiösen und mitsingtauglichen Sachen muss unbedingt ein Bruch her. Typisch HELL OVER HAMMABURG kommt der auch. Mit PHANTOM WINTER in Form von massivem Druck und dunklen Klängen. PHANTOM WINTER machen da keine Gefangenen! Gleich mit "Bombing The Witches" wird aufgezeigt, was die Doom Clock schlägt. Was für ein Moloch! Das sind die folgenden Stücke ja auch – dunkle, fiese Klangwände ohne Hoffnung auf Erlösung. Der Gesang/das Gebrüll/das Gekeife (sehr geil!) kommt aus zwei Kehlen. Gitarrist Andreas und Frontmann Christian teilen sich das. Gibt ne schöne Dynamik. Dazu schiebt und drückt die Soundwand alles nieder. Ein Wunder, dass die Halle voll bleibt. Diese Klänge sind nicht für jeden gleichermaßen erbaulich. Ich find's stark und knie mich tief in den Sound hinein. Bitte mehr davon!
SUMERLANDS
Philipp: Endlich! Das zweite SUMERLANDS-Album „Dreamkiller“ zählt zu meinen Lieblingsscheiben der letzten Jahre. Sänger Brendan Radigan hatte mich schon live bei MAGIC CIRCLE, PAGAN ALTAR und TIME LORD begeistert, auf Tonträger zudem bei STONE DAGGER und SAVAGE OATH (er singt übrigens auch Backings auf der letzten KREATOR). Der zweite bekannte Name in der Band: Arthur Rizk (ETERNAL CHAMPION, STONE DAGGER, POWER TRIP und was der alles produziert hat, davon fange ich lieber gar nicht erst an). Nun muss so ein Namedropping ja noch nichts heißen, aber das Tolle an SUMERLANDS sind gerade die herrlichen Songs, die Epic Metal mit Hardrock und zum Teil gar Classic Rock verbinden. Es zündet gewaltig, zumal Radigan die Meute nicht nur durch ein souveränes Auftreten sondern auch mit humorvollen Ansagen überzeugt. Mit „Twilight Points The Way“ geht’s los und bis zum finalen Stück „Force Of A Storm“ werden keine Gefangenen gemacht. Wenn ich mich umgucke, kann ich sehen, dass nahezu alle bangen und/oder grinsen!
Torsten: Aaaahhh – herrliches Gewalze! Nu' aber was catchiges: SUMERLANDS. Auf die freue ich mich sehr, haben sie mir mit "Dreamkiller" doch eine ungemeine Überraschung auf den Plattenteller gelegt. Besonders "Twilight Points The Way" und "Edge of the Knife" haben es mir angetan und als beide auch gespielt werden, ist im Himmel Jahrmarkt. Toll gemacht diese perfekte 80 -er Hommage! Bei SUMERLANDS kreuzen sich mitsingtauglicher AOR mit rauerem Heavy Metal und Hardrock-Zitaten. Mastermind/Produzent/Gitarrist Artur Rizk hat da eine äußerst delikate Mischung erdacht, die sehr gut und wunderbarerweise funktioniert. Bemerkenswert auch, dass eine so melodiöse Scheibe beim "Krach - Fetisch – Label" Relapse erscheint. Allein das war schon ein Grund SUMERLANDS anzutesten. Dass sich das gelohnt hat, zeigt nicht nur das fulminante Konzert heute Abend. Hervorragend!
MARE
Torsten: Aus Norwegen, genauer: aus Nidros/Trondheim, kommen MARE. Black Metal in besonders scheinbar. Der hochgezogene Vorhang auf der Bühne lässt die Erwartungshaltung rapide steigen. Das gibt bestimmt ‘ne amtliche Show. Die Spannung steigt; ein Intro wabert unheilvoll aus den Lautsprecherboxen. Und wabert, und wabert ... Gehört das so? Das nimmt überhaupt kein Ende. Haben die etwa schon gespielt und das Outro erklingt schon? Auch als der Vorhang endlich fällt, gibt es keine Antworten auf diese Fragen. Nur ein einzelner fünfarmiger Kerzenleuchter "erhellt" das Nichtgeschehen. Die intronale Musik läuft weiter. Das Publikum verliert nun aber doch die Geduld, es kommt zu Pfiffen und Buh – Rufen. Mehr Kerzenleuchter werden auf die Bühne gebracht. Und irgendwann erscheinen auch MARE. Zumindest einer von ihnen. Und es beginnt die dunkelste Lithurgie, der ich jemals beiwohnen durfte. Gebetsartig intoniert die geschminkte, in eine lange Robe gewandete, Gestalt düstere Worte. Es bleibt dunkel auf der Bühne; nur Kerzen flackern. Die Atmosphäre ist dicht und beinahe greifbar. Auch als (endlich) die ersten instrumentalen Töne erklingen, bleibt es duster. Man erkennt nur Schemen, während der Black Metal nun vollends erklingt. Keine Raserei. Meist im Midtemo, ab und an zügiger. Die Rhythmik beinah monoton. Gutturaler Gesang dazu. Das ist nicht einfach in sich aufzunehmen. Soll es auch nicht sein. Das ist ein schwerer, unverdaulicher Brocken. Dunkel, böse, abstoßend und fordernd. Erst in der Nachbetrachtung fällt mir auf, wie gut diese Zeremonie war. Eine (unheilige) Erfahrung sondergleichen.. All Hail Nidrosian Black Metal!
Philipp: Mir geht es ganz ähnlich wie Torsten: Die Abfolge mehrerer Intros wirkt ermüdend und natürlich auch antiklimatisch. Die Frage „Gehört das so?“ beantwortet Veranstalter Wolf später online: Nein. Ich schiebe seine Worte zur Erklärung mal kurz dazwischen:
„Da es gleichermaßen um lückenlose Information wie auch Respekt vor der Privatsphäre eines „unserer“ Musiker geht, versuchen wir es mal mit diesen Zeilen: Man stelle sich bitte folgende Situation vor: MARE waren bestens vorbereitet, ihre Ankunft war für den Tag vor der Show terminiert – doch plötzlich stirbt ein nahestehender Mensch eines der Musiker. Die Beerdigung wird terminiert, auf den Termin hat der Musiker keinen Einfluss. Er wird aber auf der Beerdigung dabei sein. Und diese findet am Tag der Show statt. Also fliegt die Band ohne ihn wie geplant nach Hamburg, und für ihn wird ein neuer Flug gebucht. Aufgrund der Kurzfristigkeit waren nur noch ein Flug mit 2 x Umsteigen möglich. Trondheim – Oslo – Kopenhagen – Hamburg. What a pain in the ass. Geplante Landezeit auf dem Hamburger Flughafen: 55 Minuten vor Showtime. Denkste… Halbe Stunde Verzögerung in Kopenhagen… Um es abzuschließen: Das lange Intro wurde einzig deshalb abgespult, um die Zeit zwischen Passkontrolle – Taxifahrt – Ankunft in der Markthalle zu überbrücken. Wenn er gar nicht angekommen wäre, hätten MARE sogar ohne ihn den Gig bestritten. Allein die Tatsache, dass es für MARE keine Option war, das Hell Over Hammaburg zu canceln und uns somit kurz vor Festivalbeginn im Stich zu lassen, nötigt mir riesengroßen Respekt für die Band ab. Und ich möchte mich für diese freundschaftliche, konstruktive und professionelle Verhaltensweise von MARE und speziell ihres später angereisten Bandmembers nochmal ganz explizit bedanken!
Und dass dann der Sound zu Anfang des Gigs nicht optimal war, ergibt sich dann zwangsläufig von selbst, denn der vorangegangene Line-Check erfolgte nicht mit voller Besetzung. Wenn in dieser Causa jemand zu kritisieren ist, dann bin ich das. Ich habe es bei allem Stress und Zittern versäumt, vor dem Intro das Mikro zu ergreifen und ein paar erklärende Worte ans Publikum zu richten. Rückblickend ein Fehler, man lernt auch nach 10 HOH nicht aus.“
Mir gelingt es zum Glück, den unglücklichen Anfang irgendwann auszublenden und erkenne, dass MARE tatsächlich ziemlich großartig sind. Der harsche Black Metal setzt Atmosphäre über Spieltechnik, manifestiert sich in Gänsehaut-Songs, die das schaffen, was nur der richtig gute Stoff in diesem Genre schafft: Es entsteht ein hypnotischer Sog, der mich in einen Zustand der Trance versetzt. Hölle, was sind Stücke wie „Blood Across The Firmament“ und „These Fountains Of Darkness“ für Eruptionen! Schade, dass viele Leute die Geduld verlieren und die Halle frühzeitig verlassen. Ich bin froh, mir den Auftritt komplett gegeben zu haben und ernte danach die Tapes „Ebony Tower“ sowie „Spheres Like Death / Throne Of The Thirteenth Witch“ ab. Wahnsinn!
Philipp: Da ich am nächsten Tag selbst spiele (mit VLADIMIR HARKONNEN in Husum), wird Torsten den HOH-Samstag übernehmen. Warm-Up und erster Tag waren der erwartete Hammer! Danke an Wolf und die gesamte Crew für dies Organisation dieses einzigartigen Festivals!