LUCIFER, ANGEL WITCH, THE NIGHT ETERNAL / 02.02.2024 – Flensburg, Retro Music Hall
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- Kategorie: Berichte aus dem Pit
- Veröffentlicht: Montag, 05. Februar 2024 14:20
- Geschrieben von Philipp Wolter
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Retro Music Hall? Handelt es sich etwa um einen komplett neuen Laden in Flensburg? Nein, eher um einen neuen Namen für das Roxy. Offenbar hat ein neuer Eigner den Schuppen übernommen. Ob die Umbenennung auch für einen Neubeginn steht? Schließlich hat das Roxy aufgrund des KATEGORIE C-Konzertes seinen Ruf ruiniert, ich kenne kaum jemanden, der seitdem dort noch hingeht. Mein letzter Konzertbesuch dort datiert sogar aufs Jahr 2007 (TANKARD), noch Jahre vor dem erwähnten Skandal. Naja, der war 2010, was dann auch schon 14 Jahre her ist. Unter den Bedingungen kann man es schon mal überdenken, ob man dem Club eine zweite Chance gibt.
Bilder von MJ und Rüdiger Naffin.
Das scheinen sich heutige einige zu denken, denn die Retro Music Hall füllt sich erstaunlich gut. Ich habe hier in den Nuller Jahren CANDLEMASS, NAPALM DEATH, IGNITE, METAL CHURCH, KATAKLYSM und TANKARD gesehen und meiner Erinnerung nach war es immer schwach besucht. LUCIFER, ANGEL WITCH und THE NIGHT ETERNAL hingegen können sich über eine gut besuchte Veranstaltung freuen. Liegt es am neuen Namen? Oder eher am starken Billing? In Hamburg werden ja ANGEL WITCH nicht mehr dabei sein, stattdessen rücken ATTIC nach. Dass heute Freitag ist, mag auch eine Rolle spielen. Tatsache ist, dass das Tourmotto „Satanic Panic“ gut gewählt wurde, mit ANGEL WITCH eine echte Ikone gefunden werden konnte (ursprünglich waren COVEN geplant) und die neue LUCIFER das bisher stärkste Album der deutsch-schwedischen Kollaboration ist.
Dazu kommen mit THE NIGHT ETERNAL noch eine der heißesten neuen deutschen Bands, wenn man nach einer EP und zwei Alben noch von einem Newcomer sprechen kann. Bisher gelang ihnen mit jeder Veröffentlichung eine positive Weiterentwicklung. Ihr Stil ist old school genug, um auf Festvals wie Headbangers Open Air oder Keep It True zu passen, gleichzeitig reichern sie den klassischen Heavy Metal um einen dunklen Gothic-Rock-Touch an, entfernt vergleichbar mit UNTO OTHERS oder IN SOLITUDE. Der heutige Gig haut mehr rein als der aufm Wacken neulich. Die Jungs hängen sich voll rein, die Gitarristen rennen nach vorne, reißen die Klampfen hoch und bangen manisch. Der Sound bringt die Details schön zu Geltung. So überzeugt mich auch das Drumming total, die Arbeit an der Hi-Hat ist super und erinnert mich an frühe MERCYFUL FATE. Super auch die Stimme Ricardo Baums, der ab und zu an den Schinkengott zu dessen besten Zeiten erinnert. „Prince Of Darkness“ wird Ozzy Osbourne gewidmet und fräst sich hartnäckig in mein Gehirn. Auf dieser Tour spielt übrigens Jannik Stüber, den man auch von WARLUST kennt, den Bass. Ich bin gespannt, wie sich THE NIGHT ETERNAL weiterentwickeln werden.
Der letzte ANGEL WITCH-Auftritt, dem ich beiwohnte, liegt auch bereits vier Jahre zurück, 2019 mit NIGHT DEMON und HAUNT im Knust. Wobei man 2022 auf dem HOA ja auch die Kevin Riddles-Variante mit KEV RIDDLES‘ BAPHOMET sehen konnte. Das war überraschend gut, aber DAS Gesicht von ANGEL WITCH stellt nun mal Kevin Heybourne dar. Mal ganz davon ab, dass er die Band gegründet hat, und zwar 1976 unter dem Namen LUCIFER (!). Und es ist erstaunlich, wie gut gealtert seine Stimme ist! Der Gesang strahlt immer noch diese jugendliche Frische aus, auch wenn Heybourne um die 70 sein dürfte. Überhaupt muss der Gesamteindruck als zeitlos benannt werden. Ohne viel Gewese rocken ANGEL WITCH ihren NWOBHM in die Retro Music Hall, darunter viele Stücke, die ohne Übertreibung als Ultraklassiker bezeichnet werden dürfen. „Atlantis“, „Sorceress“, „White Witch“, „Dr. Phibes“, „Angel Of Death“, „Baphomet“ und „Angel Witch“, also fast das gesamte Debut, werden in tollen Versionen gezockt. Und zum Glück lassen ANGEL WITCH die beiden guten Platten „As Above, So Below“ (2012) sowie „Angel Of Light“ (2019) nicht aus, spielen davon immerhin vier Songs („Death From Andromeda“, „Angel Of Light“, „Dead Sea Scrolls“ und „The Night Is Calling“), die sich gut behaupten. Natürlich steht besonders bei „Angel Witch“ die Halle Kopf, diese Hymne funktioniert einfach immer!
LUCIFER-Fans, die wegen Nicke Andersson zur Hörerschaft der Band gestoßen sind, dürften zunächst enttäuscht dreinblicken. Der Kerl sitzt heute nämlich nicht am Schlagzeug, hat offenbar andere Verpflichtungen. Ich wusste nichts von seiner Absenz, finde aber nicht, dass das die Qualität irgendwie mindert. Denn mit dem DEAD-LORD-Drummer Adam Lindmark haben LUCIFER einen „Ersatz“ am Start, den ich genauso kultig finde. Nicke sieht man außerdem doch ständig live, sei es mit IMPERIAL STATE ELECTRIC oder HELLACOPTERS oder (sonst) LUCIFER. Im Mittelpunkt steht eh Johanna Sadonis und die ist heute richtig gut drauf. Die Bühne ist mit Sarg und Grabkerzen angemessen gestylt, der Sound ist klasse, alle haben Bock. Mittlerweile haben LUCIFER sich stilistisch freigeschwommen, Johannas Gesang klingt stärker denn je. Sympathisch finde ich ja, dass die Sängerin nur während der Songdarbietung die große Zeremonienmeisterin spielt, dazwischen aber Ansagen in Straßendeutsch bringt: „Ja, Flensburg, Prost, ne!“ Hätte ja keiner kritisiert, wenn sie wegen ihrer schwedischen Musiker Englisch gesprochen hätte. Los geht’s mit „Ghosts“, das krachig und düsterdröhnig gespielt wird. Es zeigt sich, dass LUCIFER sich mittlerweile auf eine Menge Hits stützen können, da seien mit „At The Mortuary“, „Leather Demon“, „The Dead Don’t Speak“, „Slow Dance In A Crypt“ (geile Atmosphäre!), „Coffin Fever“, „Bring Me His Head“, „California Son“ oder „Reaper On Your Heels“ nur einige Beispiele genannt. Die Meute bangt, schmettert mit und verkleckert viel Bier (immer ein gutes Zeichen). Ich mache bei alledem mit und schließe mit einem begeisterten „Hell yeah“!
Man darf gespannt sein, ob sich die Retro Music Hall auf Dauer vom alten Ruf freischwimmt. Die Verhältnisse vor Ort finde ich besser als früher, wobei mein letzter Besuch wie gesagt auch schon 17 Jahre her ist. Damals fand ich die Atmosphäre zu steril, der Laden wirkte halt immer kalt und riesig. Durch ein paar Veränderungen kommt das jetzt besser, wobei der mehrere Meter breite Graben vor der Bühne immer noch übertrieben wirkt. Jetzt nur keinen „Deutschrock“-Fail begehen…