ROCK HARD FESTIVAL XX / 28.05.2023 – Gelsenkirchen, Amphitheater, Tag 3

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Philipp: Ich nerve meine Reisegruppe bereits beim Frühstück, da ich ausschließlich mit Songtiteln und –texten der MICHAEL SCHENKER GROUP kommuniziere. Wünscht mir jemand einen „guten Morgen“, trällere ich ein „Are You Ready To Rock?“ zurück. Will man über die allgemeine Weltlage diskutieren, brülle ich „Cry For The Nations“ dazwischen. Äußert ein:e andere:r Magenbeschwerden, rezitiere ich aus „Doctor, Doctor“. Selbst der Taxifahrer bekommt auf die Frage, wo wir denn hinwollen, einen Schenkertitel zwischen die Lauscher: „Into The Arena!“ 

Strecker: Beim Frühstück hatten wir die  Attack Of The Mad Axeman ähh Dremu-Schreiberling.

 

ENFORCER

Fotos von MJ, Stefan Harkonnen und Christian Claußen.

 

IRON FATE

 

ROCK HARD FESTIVAL 2023

 

Philipp: Noch so eine neue deutsche Überfliegerband! Spätestens seit dem Zweitwerk „Crimson Messiah“ spielen IRON FATE ganz oben mit, was sie letztes Jahr auch mit der hervorragenden Performance auf dem KEEP IT TRUE RISING II unterstrichen. Für mich ist es die Stimme Denis Brosowskis, die den Unterschied zwischen „verdammt gut“ und „boah, phänomenal!“ ausmacht. Dazu kommt das 1A-Songwriting, das an US Metal-Perlen wie CRIMSON GLORY und QUEENSRYCHE erinnert. Den RHF-Mob haben IRON FATE schnell im Sack, denn hier weiß nahezu jede:r derartige Qualitäten zu schätzen. Ich finde es faszinierend, wie IRON FATE stets abwechslungsreich bleiben, ohne frickelig oder zu verkopft zu werden, dann wieder mächtig nach vorne donnern, ohne stumpf zu hacken. „Strangers (In My Mind)“ , „Crimson Messiah“, „Lightning Bolt“ und „We Rule The Night“ werden von vielen mitgesungen, das QUEENSRYCHE-Cover „Walk In The Shadows“ mag eine fast schon zu offensichtliche Wahl sein, unterstreicht aber, dass Brosowski einem Geoff Tate ebenbürtig ist und sorgt für Maulsperren bei Langschläfern und Zuspätkommenden.  

 

Strecker: IRON FATE hatte ich bisher noch nicht bewusst gehört. Wusste aber in etwa, was mich erwartet.  Trotzdem bin ich überrascht von dem starken Songmaterial. Die Band ist merklich überrascht von den guten Resonanzen aus dem Publikum und hat von Song zu Song mehr Spaß. Zusätzlich zu dem guten Konzert gibt es bereits einen Cocktail und die Sonne scheint. Der Tag kann nur gut werden. Mittlerweile bin ich auch Besitzer einer IRON FATE Platte.

 

 

UNDERTOW

 

UNDERTOWUNDERTOW

 

Philipp: Eiei, UNDERTOW habe ich zuletzt vor fast zwanzig Jahren gesehen, 2004 als Support von CROWBAR. Es wird also echt mal wieder Zeit, zumal ich den Gig damals gut fand und mir das 2010er Album „Don’t Pray To The Ashes“ sehr oft angehört habe. Die Band gefällt mir mit ihrer unprätentiösen Art. Zwischen schweren Doom-Dampfwalzen und Thrash-Attacken machen die Baden-Württemberger durchweg eine gute Figur. Gesanglich erinnert Joachim Baschin mich wiederholt an Kirk Windstein, was natürlich nichts Schlechtes ist und gut zum heavy Gesamtsound von UNDERTOW passt. Zwischen IRON FATE und WUCAN hätten UNDERTOW mit Pech etwas untergehen können, was aber nicht der Fall ist. Die Resonanzen sind gut, der Halbkreis vor der Bühne ist mit Kuttenträger:innen gefüllt.

 

Strecker: Ähnlich wie Philipp hatte ich UNDERTOW vor einigen Jahren mal auf einem Festival gesehen und war durchaus angetan von dem Konzert, trotzdem habe ich die Band nicht weiter verfolgt. Im Vergleich zu IRON FATE wird es nun deutlich gradliniger und es gibt 45 Minuten auf den Kopp. Gefällt mir und dem Großteil des Publikums gut. Zum Ende hin empfinde ich die Songs dann aber als etwas zu eintönig und bei mir bleibt zu wenig hängen, um beim nächsten Besuch im Plattenladen nach UNDERTOW Platten zu gucken. Bei einem Festival gucke ich mir die Band aber gerne wieder an.   

 

 

WUCAN

 

Philipp: Kaum zu fassen, aber WUCAN sind noch besser geworden! Besonders deutlich wird dies an der Präsenz von Energiebündel Francis Tobolsky. Was für eine Power hat diese Frau bitte! Selbst wenn sie nur Querflöte spielt, klingt es kraftvoll. Aber man sollte die anderen Kräuterbeuter nicht vergessen, denn die gesamte Band ist on fire. Mit einer tollen Kombination aus Spielfreude und Tightness bringen WUCAN „Fette Deutsche“, „Don’t Break The Oath“ (Liebe!), „Kill The King“ oder die Coverversion „Zwischen Liebe und Zorn“ von der CLAUS RENFT COMBO (neben mir steht ein Ostrock-Kenner, der anerkennend grinst und die Version total feiert). Francis Tobolsky wechselt mit unfasslicher Schnelligkeit von Theremin zu Keyboard zu Gitarre oder zu der bereits erwähnten Querflöte. Dazwischen und dabei singt sie ja auch noch und das ausdrucksstärker denn je. Ich bin völlig geflasht. Diese Band MUSS endlich viel bekannter werden!

 

Strecker: WUCAN hatte ich länger nicht gesehen. Da mich die bisherigen Konzerte immer begeistert haben, freue mich auf ein Wiedersehen. Ich bin auch gespannt, wie die Band bei einem Großteil des Publikums ankommen würde. Die 70iger Jahre Krautrock-Hommage ist nicht unbedingt was für True Metal Ohren. Während des Konzerts sieht man aber fast überall grinsende Gesichter und es passt alles zusammen. Die Sonne scheint, der Kater vom Vortag weicht einem leichten Glimmer und auf der Bühne steht eine Band, die eine positive Energie ausstrahlt. Für mich ein Highlight des Festivals.

 

 

LEGION OF THE DAMNED

 

LEGION OF THE DAMNEDLEGION OF THE DAMNED

 

Philipp: Der Auftritt von LOTD gleicht einem Hammerschlag zwischen die Augen. Ich muss es gestehen, dass ich die Band etwas aus den Augen verloren hatte. Als sich die ehemaligen OCCULT umbenannten, begeisterten sie mit dem LOTD-Debut „Malevolent Rapture“ und holten mich auch live immer wieder ab. Von Platte zu Platte verblasste der Glanz aber irgendwie und auf der Bühne kamen die Niederländer für meinen Geschmack zu routiniert rüber. Wer das auch so empfand, sollte sich unbedingt die neue Besetzung angucken und gleich auch das aktuelle Album „The Poison Chalice“ abernten. Die Band hat an allen nötigen Stellschrauben gedreht, klingt abwechslungsreicher, melodischer und aggressiver denn je. Das ballert richtig! Dazu wirken Maurice Swinkels und seine Schergen wieder viel motivierter und bringen bewegungstechnisch mehr Action auf die Bretter. Der Pit entlädt sich folgerichtig vehement und schickt große Staubwolken gen Himmel. Ich bin sicher, dass LEGION OF THE DAMNED heute nicht nur mich zurückgewonnen haben.

Strecker: Ich empfinde das LEGION OF THE DAMNED Konzert etwas anders. Die Band besteht aus herausragenden Musikern, die wissen, wie die Gitarren-Saiten zu bewegen sind. Dennoch fehlt mir ein Wiedererkennungswert und eigener Stil und das macht die Band für mich austauschbar. Trotzdem erhält die Band positive Resonanzen für ein solides Konzert. Aber bei mir bleibt nicht viel in Erinnerung. Ich empfinde es als ein Konzert von vielen.

 

LEGION OF THE DAMNED

 

 

ENFORCER

 

ENFORCERENFORCER

 

Philipp: Unermüdlich beackern die Schweden die Festivals und Clubs – und räumen überall ab. Und das mit Recht! Ich bin ja Fanboy und verteidige auch das etwas „kommerziellere“ „Zenith“ gegen alle Hater. Es war doch auch zu ahnen, dass ENFORCER es wie PRIEST in den 80ern machen würden und danach mit einer härteren Platte zurückkehren. So ist es mit „Nostalgia“ nun geschehen. Das Eröffnungstriple „Destroyer“, „Undying Evil“ und „From Beyond“ lässt eh keine Fragen offen. Bei letzterem Song singt offenbar das gesamte Amphitheater voller Wonne mit. Arschgeiler Refrain! ENFORCER gehen den gesamten Auftritt über kaum vom Gas und donnern „Death Rides This Night“, „Mesmerized By Fire“ oder „Running In Menace“ in Speed-Metal-Manier herunter. Die tollen Melodien bleiben dabei aber nicht auf der Strecke und Olof Wikstrand hat seine Stimme gut im Griff. Die letzten drei Stücke bringen nochmal ganz großes Melodiekino: „Take Me Out Of This Nightmare“, „Katana“ und „Midnight Vice“ – griffige Heavy-Metal-Songs auf MAIDEN-Niveau!

 

Strecker: ENFORCER treffen mit der Songauswahl genau den Nerv des Publikums und werden ordentlich gefeiert. Speed Metal mit eingängigen Melodien von einer sympathischen und engagierten Band gespielt funktioniert auf einem Metal Festival natürlich auch immer. Von daher hätte die Band  gern etwas später und mit etwas längerer Bühnenzeit spielen können / müssen. Band und Publikum haben mindestens noch Lust auf mehr. Der Soundmann nicht, der hat schon während des letzten Songs Feierabend und macht die Anlage aus.

 

ENFORCER

 

 

TANKARD

 

TANKARDTANKARD

 

Philipp: TANKARD sind ein Garant für Spaß und einfach die perfekte Festivalband. 40 Jahre Thrash mit deutlich mehr Höhen als Tiefen – ich war (fast) von Anfang an mit dabei (die Demos habe ich mir erst später besorgt) und finde die Qualität der letzten Jahre wieder erfreulich hoch. TANKARD knüpfen heute an die vielen legendären Shows an, die man von ihnen gesehen hat (meine Top 3: Kiel, Traumfabrik & Verden, Dampfmühle sowie 2018 auf dem HEADBANGERS OPEN AIR). Gerre reißt einen Spruch nach dem anderen, singt schön angepisst und rennt von einer Bühnenseite zur anderen. Der Mob feiert natürlich hart, denn Thrash ist hier eh populär und die Songs kennt nahezu jede:r Besucher:in. Man kann dabei nicht sagen, dass TANKARD den Schwerpunkt auf eine bestimmte Phase oder eine besonders populäre Platte legen. Vielmehr pflügen die Hunde wild durch ihre Discografie – und alle finden’s geil! Ob neuer („Ex-Fluencer“, „One Foot In The Grave“), mittelalt („Rectifier”, “Octane Warriors”) oder uralt (“The Morning After”, “Chemical Invasion”, “Zombie Attack”) – die Stimmung reißt nie ein. Und bei “(Empty) Tankard” bebt natürlich das ganze Stadion. Super!

 

Strecker: TANKARD sind wie immer gut, unterhaltsam und machen einfach nur Spaß. Die Songs sind eingängig und die Texte können auch von Leuten, die in der Schule beim Englischunterricht lieber in der Raucherecke waren, nachvollzogen und mitgegröhlt werden. Die Musiker sind ständig in Bewegung und suchen den Kontakt zum Publikum.  Da wundern die teilweise euphorischen Reaktionen nicht. Party im Amphitheater.  

 

 

KATATONIA

 

Philipp: KATATONIA sind die einzige Band des Festivals, die mich generell nicht interessiert oder anspricht. Okay, „Dance Of December Souls“ ist ein schwermütiger Doom/Death-Klassiker, aber der ist auch schon 1993 erschienen und danach klang die Band aus meiner Sicht zu glattgebügelt. Der Auftritt unterhält trotz eines fehlenden Gitarristen dennoch. Mich fasziniert der offenbar scheue Sänger Jonas Renkse, der sich den gesamten Gig über so hinter seiner Matte versteckt, dass man nie sein Gesicht sieht. Das hat schon wieder was! Rein musikalisch hauen mich die Schweden aber auch nicht um. Ich werde es sammlungstechnisch beim Debut belassen.

 

Strecker: Nach der Party, die TANKARD veranstaltet haben, können KATANONIA mit ihrer schwermütigen Musik eigentlich nur verlieren. Ich benötige ohnehin eine Pause, einen Kaffee und etwas zu essen KATATONIA lasse ich daher aus. Im Amphitheater ist es sehr kompakt und die Wege sind kurz. Von daher ist die Musik gut zu hören und ich denke, dass meine Entscheidung richtig war. Das Konzert hätte mich nach den vorherigen Bands nicht mehr abgeholt.

 

 

MSG / MICHAEL SCHENKER GROUP

 

MICHAEL SCHENKER GROUP

 

Philipp: Keuch, japs, Schnappatmung – wird der Schenker liefern und meine hohen Erwartungen erfüllen? Ich begebe mich weit nach vorne und bestelle mir während des Biertrinkens bereits den nächsten Humpen, um die Aufregung zu bekämpfen. Dann ist es soweit, die Band betritt die Bühne, Schenker geht ans Mikro und sagt einfach nur kaltschnäuzig: „Into The Arena“! Ja, scheiße, ist das geil! Wer bis eben noch saß, den reißt das wohl beste Instrumental der Metal-/Hardrockgeschichte aus der Horizontale. Der Sound ist nahe an der Perfektion, man hört jedes Detail, gleichzeitig wummert’s und hämmert’s. Klar hätte ich gern Gary Barden am Mikro gesehen, aber ob der so gut wie Ronnie Romero gesungen hätte? Letzterer hängt sich voll rein und schmettert sowohl MSG- als auch UFO-Songs mit Bravour. Auch die anderen Musiker sind der Wahnsinn, es handelt sich natürlich auch um Vollblutzocker wie Steve Mann (Keyboards), Bodo Schopf (d) und Barend Courbois (b). Die Setlist besteht zur Hälfte aus UFO-Songs, worüber man diskutieren könnte. Aber der Schenker hat die Dinger schließlich (mit)geschrieben, warum sollte er auf Überklassiker wie „Doctor, Doctor“, „Lights Out“ oder „Only You Can Rock Me“ verzichten? Ich freue mich aber noch stärker über die MSG-Klassiker und springe wie ein Flummi herum. „Cry For The Nations“, „Armed And Ready“, „Assault Attack“ – genau DAS wollte ich seit Jahrzehnten live vom Meister selbst hören! Das nun zu erleben, und das auf einem derartigen Niveau, stellt für mich ein großes Erlebnis dar. Ein Rock’n’Roll-Traum, der nach 40 Jahren in Erfüllung geht. Das i-Tüpfelchen sind ein paar Überraschungen, mit denen nicht zu rechnen war: „Looking For Love“, „Red Sky“ (!), „Sail The Darkness“, „Emergency“ und „We Are The Voice“. Es bleibt also dabei: Michael Schenker kills! Eine 90-Minuten-Show für die Ewigkeit!

 

Strecker: Gleich zu Beginn fällt positiv auf, dass die Musiker der MICHAEL SCHENKER GROUP bestens auf einander eingespielt sind und Lust auf das Konzert haben. Die Setlist beinhaltet neben MSG Klassikern und Überraschungen mehr UFO Songs, als ich erwartet hätte. Gut gefällt mir auch, dass viele Songs gespielt werden und es kaum Solo-Einlagen einzelner Musiker gibt. Das Gitarrensolo, das bei Rock Bottom eingebaut wird, ist dennoch ein Highlight der Show und zeigt, warum viele namenhafte Musiker Michael Schenker als Einfluss nennen. Tolles Konzert und ein sehr schöner Abschluss für ein rundum gelungenes Festival.

 

 

Fazit:

Philipp: Es wurde das erwartete Hammerfestival und ich konnte mit MSG eine ganz große Lücke schließen. Ich finde, dass beim RHF so ziemlich alles stimmt. Man muss schon mit der Lupe suchen, um hier etwas zu finden, was zu kritisieren wäre (hohe Essenspreise vielleicht). Gut, Strecker holt sich irgendwo einen fiesen Magen-Darm-Virus und kotzt das Airbnb voll, aber sowas kannste dir auch beim Aldi-Einkauf holen… Nächstes Jahr wohl wieder hin, das Billing lockt jetzt schon mit u.a. KK’s PRIEST, D-A-D, FORBIDDEN (!), RIOT, PRIMORDIAL, BRUTUS, EXHORDER, GRAVE, VANDENBERG, MAGGOT HEART, AIR RAIF, THRONEHAMMER und WINGS OF STEEL (super!).

 

Strecker: Ich bin mit dem Festival rundum zufrieden. Die Unterkunft war gut. Viele nette Menschen, die das abwechslungsreiche Programm zu schätzen wissen oder eben bei Bands, die nicht gefallen, eine Pause machen anstatt für schlechte Stimmung zu sorgen. Musik ist nun mal Geschmacksache. Was das Magen-Darm Problem angeht, hat es mich als ersten erwischt und weitere Teilnehmer unserer Reisegruppe hatten im Anschluss mit ähnlichen Problemen zu tun. Keine Ahnung, was der Auslöser dafür war. Kann das Festival aber nichts für und passiert mal.

 

Hier gibt es noch Live-Bilder, Interviews und Akustiksessions der beteiligten Bands:
https://www1.wdr.de/fernsehen/rockpalast/events/rock-hard-dreiundzwanzig-medien-100.html

 

Bewertung: 5 / 5

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