ENDSEEKER, DÉCEMBRE NOIR, MESSTICATOR / 28.10.2023 – Hamburg, Bahnhof Pauli
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- Kategorie: Berichte aus dem Pit
- Veröffentlicht: Sonntag, 29. Oktober 2023 16:36
- Geschrieben von Philipp Wolter
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Wieder mal so ein Tag, an dem man sich zerreißen müsste, um alle sehenswerten Konzerte zu besuchen. Inner Lobusch zocken AGROTÒXICO, in der Markthalle findet das LAZY BONES FESTIVAL (u.a. mit GREENLEAF und ELDER) statt, im Bambi ballern STILLBIRTH, BRUTAL SPHINCTER u.a. und im Bahnhof Pauli wird die globale Erwürmung gefeiert. Ich entscheide mich für letzteres. Dank der Vorverlegung auf die Uhrzeit von 18:30 Uhr hätte man sogar noch Konzerthopping betreiben können. Die Kieler Fraktion freut der frühe Schluss, da sich die Strecke HH-KI zur Zeit leider absolut desolat darstellt. Je später du die Rückreise antrittst, desto komplizierter und länger verläuft die Fahrt mit SEV über unterschiedliche Teilstrecken. Egal, jetzt wird erst mal die Rübe geschüttelt!
Bilder von Thomas Harms.
Pünktlich beginnen MESSTICATOR und reißen mich aus der Überlegung heraus, was der Bandname wohl bedeuten möge („to masticate“ heißt „kauen“, was je nach Wahl des Kauobjekts natürlich durchaus metalkompatibel sein mag). Die Hamburger gefielen mir bereits auf dem 2022er MOSH IM MAI, heute bauen sie diesen guten Eindruck noch aus. Schneller Death/Thrash ballert aus den Boxen, wobei der Gitarrensound zunächst etwas undifferenziert kommt, was sich aber schnell bessert. Das Energielevel ist hoch, der Sänger/Bassist schreibrüllt im Stakkato, findet dennoch Zeit für zusätzlich motivierende Mitbrüllaufforderungen. Den Nerv der bereits zahlreich erschienenen Metalheads trifft natürlich auch das SLAYER-Cover „Repentless“. Das Trio verlässt die Bühne unter lautem Applaus und nicht wenige Besucher:innen verkünden danach, das Debüt „Forthcoming Revelation“ anchecken zu wollen.
Nun bin gespannt, denn von DÉCEMBRE NOIR habe ich verrückterweise noch nie etwas gehört. Das ist insofern erstaunlich, als dass die Thüringer bereits seit 2008 existieren und nicht weniger als fünf Longplayer veröffentlicht haben. Zunächst muss ich mich in den Sound der Band hineinfinden, der ein Stück weit aus dem sonstigen musikalischen Rahmen des Abends fällt. Ihr Stil erweist sich als Doom Death, der an die melodischen, aber noch aggressiven Frühphasen von PARADISE LOST , KATATONIA oder SWALLOW THE SUN erinnert. Der Gesang ist erleichternderweise durchgängig frei von Klargesang, der Sänger setzt auf schmirgelnde Growls. Wie bereits angedeutet handelt es sich aber nicht etwa um morastig klingenden Funeral Doom, dafür bringen die Gitarren zu viele melodische Elemente ein und auch das Drumming fällt nuancenreich aus. DÉCEMBRE NOIR gefallen mir von Stück zu Stück besser. Vielen Leuten im Mob sind sie bereits ein Begriff, was unschwer an den Reaktionen ablesbar ist. Als besonders einprägsam bleibt mir der Titelsong des aktuellen Albums „Your Sunset My Sunrise“ ein. Brachial und melancholisch zugleich bricht sich das Stück Bahn. Insgesamt also eine gelungene Vorstellung, die das Billing zudem abwechslungsreich hält.
„Oh Gott, hab ich einen Bock!“, ruft eine Besucherin hinter mir euphorisch aus, als ENDSEEKER die letzten Handgriffe zur Vorbereitung ihres Auftritts anlegen. Damit trifft sie perfekt meine Stimmung, denn ich bin ebenfalls ready to rock. Und als es dann losgeht, ist es sogar noch besser als erhofft! ENDSEEKER waren ja schon immer super, aber es ist unverkennbar, dass sie sich mittlerweile nochmal gehörig gesteigert haben. Woran liegt das, was macht den Unterschied zu den zahlreichen anderen Death Metal Bands aus? Einerseits liegt es dem Händchen für gutes Songwriting, denn Smasher wie „Cure“, „Unholy Rites“, „Bloodline“ oder „Violence Is Gold“ können ja nun wirklich mit Größen des Genres wie ENTOMBED und DISMEMBER mithalten. Die Performance von ENDSEEKER muss mittlerweile aber auch als mindestens ebenbürtig gelten. Durch unzählige Gigs sind die Hamburger zur Livemacht geworden. Der mörderische HM2-Sound trifft auf 1A-Groove und natürlich auf die charismatischen Growls von Frontglatze Lenny. Überhaupt: Lenny! Was der Kerl wieder für Grimassen abzieht, sprengt die Grenzen menschlicher Physiognomie. Und die Ansagen sind einfach nur herrlich: „Steht ihr auf Serienmörder?“ Lautes Jubeln. „Also, das finde ich jetzt irritierend. Die sind doch alle völlig gestört.“ Sehr schön auch: „Wir sind alte Männer. Alte, müde und rückenkranke Männer. Aber wir haben für euch heute tonnenweise Merch die Treppe runtergeschleppt! Hunderte von Kartons! Und wisst ihr, was alte Männer traurig macht? Wenn wir diese ganzen Kisten wieder hochschleppen müssen!“ Verstanden, ich fühle mich hinreichend motiviert und ernte die „Global Worming Deluxe“-Pizzabox ab, welche neben der LP auch diverse Goodies, eine Bonus-7“ und eine Zeitung mit Artikeln über die drohende Vernichtung der Erde durch eine Riesenwurmplage enthält. Ich sehe überall nur grinsende Gesichter – wenn nicht gerade hemmungslos gebangt wird. Die neuen Songs knallen voll rein und einige davon bleiben hoffentlich lange in der Setlist, z.B. „C.B.V.“, „Global Worming“, „Hell Is Here“ oder das bereits erwähnte „Violence Is Gold“. Wie die Würmer auf dem Plattencover den Planeten überziehen, so fallen die Horden danach über den Merchstand her – gefräßig, gierig, nichts zurücklassend. Nee, was für ein barbarischer Spaß!
Viele besuchen danach die Aftershowparty im Hausverbot und feiern weiter. Glückwunsch zum Releaseday, ENDSEEKER!