SPIDERGAWD, DRAKEN / 23.03.2023 – Kiel, Pumpe

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Schlägst du im Lexikon unter „uplifting“ nach, findest du dort SPIDERGAWD! Strecker vergleicht sie im Review des jüngsten Albums „VI“ mit AUDREY HORNE und HIGH SPIRITS, was ich in Bezug auf die euphorisierende Wirkung ihrer Musik unterschreibe, wobei ich sie eher als „THIN LIZZY mit Saxofon“ bezeichne. Anyway, diese Musik soll schon Lahme wieder zum Gehen gebracht, Blinde sehend gemacht und Durstige noch durstiger gemacht haben.

Achtung, kurzer autobiografischer Abriss der Marke „wie ich auf die Band gestoßen bin“, wer sowas hasst, bitte überspringen: Ich geriet erstmals nach einer langen Nacht in der Schaubude in Kontakt mit SPIDERGAWD. Budenpapst Dicki Durstlöscher drückte mich ins Sofa und sprach: „Nun hör dir das an!“ Es handelte sich um das erste Album der Band, betitelt „I“. Ich spürte die Musik so intensiv wie die Farben auf dem Cover, wähnte mich gar kurz im purpurfarbenen Körper eines der dort abgebildeten Aliens. Dennoch erntete ich erst Jahre später eben jenes Album ab, in einem Plattenladen in Chemnitz, als ich dort mit meinem Vater durch seine Heimatregion wanderte. Dieses Album klang bereits auf dem lütten transportablen Plattenspieler super, den ich auf Reisen mitzuführen pflege. Zeitgleich zum Release war ich aber erst bei Album Nr. 6 am Start, also 2022. Ebenfalls ein unfasslicher Uplifter. Musik, die dem Hörenden ein Versprechen macht: Komm mit auf die Reise, lass alles zurück! Und bei der du weißt: Auf diesem wilden Ritt warten die Freiheit und die Liebe auf dich! Unlängst erst veräußerte mir ein Erntehelfer Album Nr. „III“, sodass ich zum heutigen Konzert in Kenntnis von genau der Hälfte des bisherigen SPIDERGAWD’schen Schaffens bin. Nachdem die Band in Wacken leider ohne ihren Saxofonisten auftrat, bin ich heute gewiss, dass das oben geschilderte Versprechen eingelöst wird. THIS IS THE NIGHT!

 

SPIDERGAWD

Fotos von Ingo Scheel, Dennis Otto und Rüdiger Naffin.

 

Immerhin ca. 300 Nasen finden sich in der Pumpe ein. Angesichts der Qualität dieser Band eine Frechheit, aber: It’s a long way to the top. Viele bekannte Gesichter, mit denen ich gern länger gesabbelt hätte, sind dabei, doch viel mehr als die Replik „Geile Story, rock on“ kann ich nicht äußern, da beginnt auch schon der Support DRAKEN.

 

DRAKEN

 

Betrachtet man die Cover der DRAKEN-Alben, gewinnt man den Eindruck eines starken Kontrastes zu SPIDERGAWD. Zeigen letztere farbenfrohe Fantasiewelten, prangen auf den DRAKEN-Schutzhüllen düstere Satansmessen in Schwarz-Weiß. Letztlich ist der stilistische Unterschied gar nicht soo groß. DRAKEN spielen mitnichten Death oder Extrem Metal, sondern ebenfalls luftigen Hardrock mit Stonerkante (sie selbst sprechen von „Thunder Metal“). Ebenfalls aus Norwegen stammend, teilen sich DRAKEN mit SPIDERGAWD den Bassisten Hallvard Gaardløs, der bei beiden Bands auch Gesangseinsätze übernimmt. Während Gaardløs mit klarer Stimme singt, tönt die des Gitarristen Even Helte Hermansen eher knurrig. Der Schlagzeuger Andre Drage Haraldsen spielt auf einem Mini-Set, welches auf die sieben nötigsten Teile reduziert ist. Sein Stil kommt angenehm lässig und gleichzeitig mit dem nötigen Punch. Hinter ihm ragt das SPIDERGAWD-Set auf, welches im Vergleich riesig wirkt, obwohl es eigentlich lediglich Standardgröße hat. Ich höre übrigens tatsächlich jemanden danach das Klischee äußern, dass „wahre Könner kein großes Schlagzeug“ bräuchten. Das ist eine leere Phrase, denn natürlich kann die Ergänzung bestimmter Schlagzeugteile auch das klangliche Spektrum erweitern (genau das werden wir später bei SPIDERGAWD erleben, zum Beispiel bei den herrlichen Läufen, die Kenneth Kapstad auf den Toms spielt). Letztlich muss es der/die Schlagzeuger:in selbst wissen, ich empfinde für klassischen Hardrock eine standardartige bzw. größere Ausstattung als sinnvoll und angemessen. Nun, aber zurück zum Geschehen: DRAKEN machen Laune, spielen sich mit jedem Stück stärker in die Gunst des Publikums, welches Song für Song näher rückt. Bei einer Nummer kommt als Gast der Saxofonist von SPIDERGAWD hinzu und erweitert den Klangspektrum mit wuchtigen Baritonsax-Attacken. Gute Band!

 

SPIDERGAWDSPIDERGAWD 

 

Und ab! Ich hatte es erhofft, dass der heutige Auftritt besser wird als der erste, den ich von SPIDERGAWD gesehen hatte. Aber eine derartige Watsche hatte ich dann doch nicht erwartet! SPIDERGAWD spielen mit einer Grandezza auf, die wahrhaftig an THIN LIZZY erinnert. Überhaupt haben sie die Bestandteile des 70er Songwritings der ganz Großen (JUDAS PRIEST, HUMBLIE PIE, BLUE CHEER...) analysiert, auf ihre Bestandteile zerlegt, neu zusammengebaut und in ihr eigenes Universum transformiert. Kenneth Kapstad – ich sehe es genau – besitzt acht Arme, muss folgerichtig als TIER bezeichnet werden. Der Kerl spielt ja nebenbei sowohl in Death Metal- als auch in Jazz-Projekten und zockt mit einem Swing, der mich an Vinny Appice oder an Clive Burr erinnert. Genial auch die Tatsache, dass die Band drei tolle Stimmen besitzt, wobei Hauptsänger und Gitarrist Per Borten heute leicht kratzig klingt. Das mag an der Tourbelastung liegen, ich finde es so gerade geil. Der völlige Flash sind die Gitarrensoli, welche die beiden Gitarristen (zweite Leadgitarre: Brynjar Takle Ohr) sich mehrfach so übergangslos teilen, dass man die Schnittstelle gar nicht mitbekommt, wenn man den Freaks nicht just auf die Finger guckt. Geschickt nutzt die Band den Raum, um den Eindruck einer großen Show zu erzielen: Während Borten und Ohr vorn am Bühnenrand agieren, stehen Gaardløs und der Baritonsaxofonist (heute spielt ein Ersatzmann statt Rolf Martin Snustad) meist auf dem Drumriser. Sieht geil aus, klingt geil. Das Saxofon hält sich mal im Mix zurück, legt sich dann über die Soli und übernimmt die Melodie, was für eine ungeheure Dynamik sorgt. Die Songs haben einerseits etwas Hymnenhaftes, sind dann aber gerade im Gesangsbereich für die breite Masse wohl nicht eingängig genug. Am ehesten gilt das vielleicht für Songs des Albums „IV“, welches ich nach dem Konzert am Merch abernte. Im Nachhinein fällt mir auch auf, dass SPIDERGAWD davon recht viele Nummern spielen, z.B. den grandiosen PRIEST-artigen Schieber „Strangehold“ oder die nicht minder mitreißenden „Is This Love…?“, „Loucille“, „The Inevitable“ und „What You Have Become“. War der Mob zu Beginn des Abends noch etwas zurückhaltend, fliegen schließlich nur so die Köpfe und Bandkopf Borten kann sich kaum noch zum Kabelaufheben bücken, so nassgeschwitzt sei seine Hose. Seine eigene Wortwahl wird vom Rest der Band aufgegriffen und so dürfte vielleicht der Kieler Auftritt Borten für den Rest der Tour den Spitznamen „Mr. tight & sweaty“ verpasst haben.

 

SPIDERGAWDSPIDERGAWD

 

Was für ein mitreißender Auftritt! Ich überlasse das Fazit Ingo Scheel: „Auf der Suche nach Superlativen elendig gescheitert. All hail SPIDERGAWD, what a night, what a band, absolut unwiderstehlich. Und dann noch aufm Hometurf XL, in der unkaputtbaren Pumpe, und soviele Lichtgestalten am Start.“ Ganz genau. Jetzt muss mir ich wohl wirklich mal MOTORPSYCHO anhören, aus deren Umfeld SPIDERGAWD ursprünglich entsprangen.

 

SPIDERGAWD

Bewertung: 5 / 5

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