WISHBONE ASH / 08.02.2023 – Hamburg, Fabrik

5 Dislike0

Mit einer Abfahrtszeit von 18:20 Uhr hatten wir die Pünktlichkeit der Fabrik dann doch etwas unterschätzt. Wobei die Überlegung, möglicherweise die ersten Songs einer potentiellen weiteren Band (some call it „Vorgruppe“) zu verpassen, schon auch im Raum stand. So cruisen wir entspannt und gut gelaunt, dabei die Black Metal Band SUNKEN hörend, von Kiel nach Hamburch, suchen uns in aller Ruhe einen genehmen Parkplatz, halten noch mit Bekannten ein Schwätzchen und bewegen uns dann erst in die heiligen Hallen hinein. Aber Entspannung am Arsch – kaum haben wir die Prozedur Pullern – Garderobe – Bier abgeschlossen, apparieren WISHBONE ASH auch schon auf der Bühne. Aah, schnell mittig vor die Bühne drängeln! Das erweist sich als gar nicht so einfach, pressen sich die dort bereits stehenden dicht gedrängten Reihen doch fest aneinander, Bauch an Bauch, Hüfte an Hüfte, dabei empört Sätze flüsternd „Die kommen erst jetzt und wollen unsere Plätze!“ Doch wir sind schon länger in the game, kennen jeden Trick. Dieser deutschen „Ich war zuerst hier“-Mentalität begegnet man am besten, indem man sich einfach die ca. drei- bis vierfache der eigentlich benötigten Menge Bier holt und die Becher vor sich herträgt – mit entsprechend determiniertem Blick. Gleich teilen sich die Reihen, so empathisch sind die Leute dann schon, dass sie den durstigen Kumpels, die ja irgendwo warten müssten, nicht ihr Getränk verwehren wollen. Biste dann am Platz deiner Wahl, bleibste einfach stehen und führst dir genüsslich die drei, vier Humpen zu Gemüte. Je nach Laune unter triumphierendem Gelächter Marke James-Bond-Schurke. Aber das Beschriebene verläuft automatisch, die Konzentration richtet sich vom ersten Moment an auf die Bühne: Dort stehen WISHBONE ASH, die heute ihr gesamtes „Argus“-Album spielen werden, verdammt noch mal!

 

WISHBONE ASH

Bilder von MJ

 

Nur eine ganz große Band kann es sich leisten, nicht mit einem Knaller zu beginnen, sondern gemächlich mit einem Song aus der dritten Reihe. „In The Skin“ vom 87er Album „Nouveau Calls“ kennt kaum jemand (ich auch nicht), somit jubeln die Leute zwar bei Erscheinen der Band, die Stimmung bleibt aber noch verhalten. Dennoch erkennt jede:r: Was für Musiker! Was für ein Sound! In fast schon greifbar fluider Form perlen die Töne um uns herum, in uns hinein und erzeugen ein Wechselbad der Emotionen: Melancholie, Triumph, Agonie, Gelassenheit. Mit den zwei neuen Stücken „We Stand As One“ und „Coat Of Arms“ ändert sich am verharrenden Zustand des Publikums noch nicht viel. Ich hingegen freue mich rübeschüttelnd, mag ich das 2020er Werk doch sehr. Hier pflegen WISHBONE ASH die von ihnen erfundenen Tugenden der Twin-Gitarren, Doppel-Soli und mehrstimmigen Gesänge. Andy Powell und Bassist Bob Skeat, der bereits seit 25 Jahren bei den 1969 gegründeten ASH spielt, harmonieren perfekt in der ausgeklügelten Dynamik ihrer Stimmen, mal liegen ihre Vocallines 100%ig aufeinander, mal tritt der eine, dann der andere in den Vordergrund. Gleichzeitig spielen sich Powell und sein Sidekick Mark Abrahams die Licks zu, bis die Ohren glühen. Der erst 2022 hinzugestoßene Drummer Mike Truscott lässt nichts anbrennen. Doch was ist das? Ab und zu setzt die P.A. für einen Sekundenbruchteil aus. Zwei, drei weitere Songs ignorieren die Musiker dieses Phänomen achselzuckend. Powell erzählt uns, dass der Song „Rock’n’Roll Widow“ auf einer wahren Begebenheit beruhe, dass nämlich auf ihrem ersten Konzert in Texas ein Besucher erschossen worden sei, was die Band schwer schockiert habe. Auch „Ballad Of The Beacon“ stammt vom Klassiker „Wishbone Four“ von 1973 bzw. von der ikonischen Livescheibe „Live Dates“, ihr wohl meistverkauftes Werk. Doch ein Stagehand erklärt nun, dass es eine kurze Zwangspause geben müsse – der Grund der P.A.-Probleme bestehe nämlich darin, dass ein Besucher sein Bier aufs Mischpult gestellt habe und dieses dann – natürlich – umgestoßen wurde und der Sud ins Pult gelaufen ist. Nun müsse man das Pult erst reinigen, um einen reibungslosen Verlauf und optimalen Sound zu gewähren. Rock’n’Roll. So werden WISBONE ASH zu ihrer eigenen Vorband und verlassen nach diesem Preset kurz die Bühne. Zum Glück haben sie der „Argus“-Darbietung ein paar Songs vorangestellt, sonst wäre der Rausch unterbrochen worden!

 

WISHBONE ASHWISHBONE ASH

 

Erstaunlich schnell geht es weiter, die Reinigung dauert keine zehn Minuten. Und nun schraubt sich das Euphorielevel doch deutlich höher. Die sieben Songs von „Argus“ werden bei wunderbarem Klangbild chronologisch gespielt: „Time Was“, „Sometime World“, „Blowin‘ Free“, das geniale „The King Will Come“, „Leaf And Stream“, „Warrior“ und –argh – „Throw Down The Sword“. Herrlich! Ist dies vielleicht gar der vollkommenste Livesound, den ich je erlebt habe? Der seidig-warme Twin-Gitarrensound geht unter die Haut, dazu spielt Skeat auf seinem Fünfsaiter die unglaublichsten Basslinien. Das Publikum wogt hin und her, wiegt sich wie See-Anemonen in den sanften Strömungen abyssaler Tiefen. „Ich bin Punk“, raunt mir ein Mittsechziger vertrauensvoll zu, „aber seit ich 1972 zum ersten Mal WISHBONE ASH gehört habe, hat mich die Liebe zu dieser Band nie verlassen.“ Ich habe sie ja erst spät entdeckt, bin aber ebenso begeistert. Auf die „Argus“-Songs folgen drei Zugaben, die vielleicht noch mehr gefeiert werden als das bisher Dargebotene: Mit „F.U.B.B.“ wählt man das jammige Instrumental vom 74er Album „There’s The Rub“. Abermals unfassliches Bassspiel, herrliche Gitarren, verrückte Tempowechsel, magische Momente. Fucked Up Beyond Belief! Zum Abschluss greifen WISHBONE ASH auf Material der ersten beiden Platten zurück, „Jail Bait“ mit einem Gänsehaut-Solo und der einprägsamen Zeile „I’m wondering why your face no longer shines“, schließlich „Phoenix“, letzteres allerdings in einer gekürzten Instrumentalversion. Bei den beiden letzten WISHBONE ASH-Auftritten, die ich gesehen habe, hatten sie „Phoenix“ noch in Gänze gespielt. Ob diese Version ein Ausblick auf die nächste Tour sein soll, auf der sie dann das Debut in ganzer Länge zocken?

 

WISHBONE ASHWISHBONE ASH

 

Was soll man sagen? Dat war pure Magie! Wieder hat man gelernt: Ohne ELVIS kein NAPALM DEATH, ohne WISHBONE ASH kein THIN LIZZY oder IRON MAIDEN. Beim nächsten ASH-Gastspiel bin ich wieder dabei.    

 

WISHBONE ASH

Bewertung: 5 / 5

Stern aktivStern aktivStern aktivStern aktivStern aktiv