HEADBANGERS OPEN AIR XXIV / 30.07.2022 – Brande-Hörnerkirchen, Tag 3

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Gespräche vor und in Dixi-Toiletten können unterhaltsam sein, das weiß ein:e jede:r Festivalgänger:in. Und wir bekommen aufgrund der nahen Lage unseres Zeltes zu einer ganzen Dixi-Batterie eine Ladung davon mit. Heute Nacht schießt ein Kerl den Kackvogel ab. Der wackere Entschlacker kriegt nach seiner Sitzung die Tür nicht wieder auf! Nun bleibt er zunächst gelassen, singt Lieder und verfällt immer wieder in wirres Faseln: „Tss. Wie geht’n das hier? Wo ist der Ausgang? Wir haben doch keine Zeit!“ Natürlich hätten wir uns nicht länger untätig an seinem Unheil ergötzt und beginnen damit, uns aus den Schlafsäcken zu pulen und nach unseren Klamotten zu suchen. Inzwischen glaubt der Typ, er befände sich in einem FAHRSTUHL! „Wo issen der Knopf zur Rezeption? Rülps!“ Das muss man erst mal fertig bringen – einen Fahrstuhl mit einer vollgeschissenen Dixi-Toilette verwechseln! Bevor der Kollege durch das vermeintliche Manhole in den Keller klettert, klappt es aber und wie durch ein Wunder öffnet sich die Tür. Selig singend und glücklich wankt der von allen Sinnen Verlassene durch die Nacht…

 

 ULI JON ROTH

Bilder von Jan Bünning (LOUDNESS, BAPHOMET, ULI JON ROTH, JAMES RIVERA) - Jans Instagram-Seite, Max Lobeck (OLD MOTHER HELL) und MJ (PENTAGRAM) 

 

OLD MOTHER HELL

 

OLD MOTHER HELLOLD MOTHER HELL

 

Der Tag beginnt zunächst nach außen hin wie geplant. Allerdings ist seit Tagen bekannt, dass heute der Elbtunnel komplett gesperrt wird. Ob alle Bands die damit verbundene Verzögerung eingeplant haben? OLD MOTHER HELL treten jedenfalls zur anvisierten Uhrzeit auf und wirken wie ein Eimer kaltes Wasser mitten ins Gesicht. Das knallt und besitzt mittels fettester Riffs den Hallo-wach-Effekt. Was ich noch gar nicht mitbekommen hatte: OLD MOTHER HELL sind mittlerweile zu viert. Mit Frank Herbold steht ein neuer Gitarrist auf der Bühne, so dass sich Bernd Werner vollständig auf den Gesang konzentrieren kann. Witzigerweise wird sein Gesang häufig mit dem von Blackie Lawless verglichen, was ich nicht so ganz nachvollziehen kann, höre ich doch eher Charles Rytkönen (MORGANA LEFAY) heraus. Aber egal, einigen wir uns darauf, dass der Typ geil singt! Und als die Band ihr Set beenden möchte, passiert es: Da die nachfolgenden Bands im Stau stecken, werden OLD MOTHER HELL gebeten, doch bitte noch ein Stück ranzuhängen. Und noch eins. Und noch eins… So gerät dieser Auftritt von der Spieldauer her zur Headlinershow. Und wer beschwert sich? Richtig, niemand! Vielmehr herrscht über diesen Killer-Opener einhellige Begeisterung. Mein Highlight: „Avenging Angel“, Heavy Metal mit Hooks für die Ewigkeit.

 

Aber was nun? Thomas Tegelhütter hält eine kurze Ansprache und informiert uns über die Situation. Zur Überbrückung der Wartezeit könnte eine Band von Mittwoch, Donnerstag oder Freitag nochmal spielen, aber entweder sind die angefragten Musiker:innen bereits abgereist oder liegen noch im Koma. Nun, so kann man mal kurz irgendwo sitzen und wat snacken.

 

TYGERS OF PAN TANG

Letztendlich spielen TYGERS OF PAN TANG dann fast zur ursprünglich anvisierten Zeit, während der Auftritt von TYTAN leider ausfällt (später hängen sie immerhin noch einen Song ans BAPHOMET-Set ran). Der TYGERS-Gig gerät ähnlich wie der von PRAYING MANTIS am Donnerstag zum Triumphzug! Es sind natürlich vor allem die Klassiker, bei denen der Gartenmob komplett ausrastet. „Gangland“, “Raised On Rock”, “Love Don’t Stay”, „Do It Good“, „Slave To Freedom“, „Suzie Smiled“, „Hellbound“, “Don’t Touch Me There”, you name it. Purer mit Rock’n’Roll gefüllter Heavy Metal, der der Seele guttut. Aber auch die Songs der letzten drei Longplayer werden mit Leidenschaft und urwüchsiger Zockfreude auf und vor der Bühne zelebriert, was nicht zuletzt an der Perfomance von Sänger Jacopo Meille (seit 2004 dabei) liegt. Und selbstverständlich am Spiel von Robb Weir, der das Baby 1978 zeugte (zusammen mit drei anderen Vätern, die bekanntlich nicht mehr dabei sind).   

 

JAMES RIVERA’S METAL ASYLUM / SABBATH JUDAS SABBATH

 

JAMES RIVERAJAMES RIVERA

 

Zunächst bin ich doch skeptisch, ob diese Doppel-Show JAMES RIVERAs das gewohnte Niveau des Ausnahmesängers halten kann. Denn der Einstieg mit FLOTSAM AND JETSAMs „Hammerhead“ ist keine optimale Wahl – die Version ist hölzern gespielt und nicht wirklich gut gesungen. Der Song hat indes seine Berechtigung, denn James war Im Jahr 2001 kurz Teil der Flots. Nun, in der Folge gewinnt der Wahlvampir an Stimmkraft und kredenzt uns eine Perle nach der anderen aus seiner reichhaltigen Disco- bzw. Biografie. Stücke von DESTINY’S END, SEVEN WITCHES, MALICE, KILLING MACHINE, DISTANT THUNDER und natürlich HELSTAR können keinen Metalhead kaltlassen, zumal auch die Band immer besser in den Flow kommt. Tatsächlich existiert das „Projekt“ bereits seit 20 Jahren, erklärt uns Rivera, der sich ausgesprochen gut gelaunt präsentiert. Vor fast jedem Stück erzählt er uns etwas zu der Entstehungsgeschichte. Auch die Musiker:innen, die ebenfalls in der slowenischen Band METALSTEEL zocken, werden liebevoll vorgestellt. Ob man jedes Detail so glauben mag, z.B. dass die Schlagzeugerin seine Tochter sei, steht auf einem anderen Blatt, aber charmant ist der Meister ohne Zweifel. Die Covershow, die gleich im Anschluss erfolgt, wird gekürzt, da man nun doch zeitlich in Verzug geraten ist. Ich finde diese Entscheidung in Ordnung – wo sollte man kürzen, wenn nicht bei einer Coverband? Das soll aber nicht heißen, dass die nun folgenden Stücke von BLACK SABBATH („Neon Knights“, „Children Of The Sea“) und JUDAS PRIEST (u.a. „Judas Rising“ und "Night Crawler", herrlich ausgewählt!) nicht Spaß machen, im Gegenteil. 

 

JAMES RIVERAJAMES RIVERA

 

KEV RIDDLES‘ BAPHOMET / TYTAN

 

BAPHOMETBAPHOMET

 

So gut hatte ich mir KEV RIDDLES‘ BAPHOMET nicht vorgestellt! Ich hatte aber auch nicht recherchiert und wusste nur, dass Kevin „Skids“ Riddles Teil der frühen ANGEL WITCH (1978 – 1981) war (außerdem: TYTAN, SAMSON, THE DEEP). Somit war schon klar, dass es ein ANGEL-WITCH-Set geben würde. Nicht klar war mir hingegen, dass Tony Coldham von THE DEEP und TYTAN am Mikro steht und dass die Band die alten Songs derart nah am Sound des ikonischen Debuts zockt! Für viele Besucher:innen markiert der Auftritt den absoluten Höhepunkt des HOA 2022, das habe ich zumindest häufig gehört. Natürlich ist „Angel Witch“ DER Song dieses Ultra-Klassikers, aber auch die Versionen von „Sweet Danger“, „Confused“, „Sorceress“, „White Witch“, „Gorgon“, „Free Man“ oder „Angel Of Death“ kommen geradezu magisch. Nur einer sitzt etwas bedröppelt da: Der Orgler von TYTAN, Andy Thompson, der einzige Musiker von TYTAN nämlich, der nicht auch bei BAPHOMET spielt. Immerhin kommen er und sein Instrument noch für einen Song zum Einsatz, dem umjubelten „Blind Men And Fools“. Dazu wird verkündet, dass TYTAN ihren verpassten Auftritt 2023 nachholen werden. Hurra!

 

BAPHOMETBAPHOMET 

 

ULI JON ROTH

 

ULI JON ROTHULI JON ROTH

 

Bis auf die noch jungen OLD MOTHER HELL gehört die HOA-Bühne heute lebenden Legenden. ULI JON ROTH verzaubert das Publikum mit einer überirdisch guten Darbietung. Was für ein seelenvolles Spiel, was für ein Klang! alle Augen sind auf den Maestro gerichtet, obwohl auch die gesamte Band auf ganzer Linie überzeugt. Mit jedem Stück tanzen sich Besucher:innen tiefer in die Enthemmung. Neben dem unfasslichen Gitarrenspiel ist es natürlich auch die Setlist, welche die Verzückung erklärt: SCORPIONS-Frühphase-Klopfer wie „We’ll Burn The Sky“, „Fly To The Rainbow“, „Pictured Life“, „In Trance“ (göttlich!) oder das von Uli selbst gesungene „Dark Lady“ sind zeitlose Meisterwerke. Mit „All Along The Watchtower“ deutet Roth auf seine eigenen Roots hin. Von Booker Jörg Schrör höre ich später, dass der Saitenhexer selbst „zufrieden“ gewesen sei.

 

ULI JON ROTHULI JON ROTHULI JON ROTH 

 

LOUDNESS

 

LOUDNESSLOUDNESS

 

Wer hätte noch bis vor wenigen Jahren gedacht, dass man LOUDNESS mal nahezu regelmäßig live sehen können würde! Nach dreißig Jahren des exzessiven LOUDNESS-Hörens konnte ich die Japaner 2016 endlich live im Marx sehen. Seitdem kommen die Hunde immer wieder – zum Glück! Heute HOA, nächste Wochen gleich wieder aufm Wacken. Und auf beiden Festivals schaffen es LOUDNESS wieder, mich komplett mitzureißen. Bei den neuen Songs scheint mir Minoru Niihara von Backing-Chören aus dem Off unterstützt zu werden, was bei den Klassikern wiederum nicht der Fall ist. Nun, geschenkt. Die Band spielt mal wieder extrem tight auf und vor allem Akira Takasaki sorgt für Maulsperren im Dutzend. „Crazy Nights“, „In The Mirror“, „Heavy Chains“, „Like Hell“, „S.D.I.“ oder „Crazy Doctor“ überstrahlen die neueren Stücke, besitzen letztere nicht diese mit Leichtfüßigkeit gepaarte Magie. Schlecht sind die aktuellen Songs nicht, aber für meinen Geschmack etwas zu sehr auf Midtempo fixiert. Dafür sind die Refrains sehr melodisch und mehrstimmig ausgearbeitet, was möglicherweise den Einsatz von Dosengesang erklärt. Als ein Besucher in einer Pause einen langen Scream hören lässt, unterbricht Niihara seine Ansage und würdigt den Urheber: „Aijaijai! I liked that!“

 

LOUDNESSLOUDNESS 

 

PENTAGRAM

 

PENTAGRAMLOUDNESS

 

Hätte man vor dem Festival ein HOA-Wettbüro aufgemacht und seine Knete auf PENTAGRAM gesetzt, wäre man wohl um ein paar Dollar reicher geworden. Denn ausgerechnet der Hengst macht das Rennen, mit dessen Absage viele Besucher:innen am ehesten gerechnet hätten. Liebesspieler Bobby Liebling hängt sogar schon Stunden vorm Auftritt im Garten ab, gönnt sich die eine oder andere Sportzigarette und steht für zahllose Selfies zur Verfügung. Der Auftritt ist dann die Krönung. Ich hatte es gehofft, es wird wahr: Liebling ist gut bei Stimme, wirft sich in völlig absurde Posen und gestikuliert obszön. Die Setlist enthält ausschließlich Großtaten, ich nenne beispielsweise „Run My Course“, „Be Forewarned“, „Review Your Choices“, „Sign Of The Wolf (Pentagram)“, „When The Screams Come“, “Dying World”, “Relentless”, “Forever My Queen” und “20 Buck Spin”. Vom Setting her klingt die Band eher nach den “moderneren” PENTAGRAM als nach dem ursprünglichen 70er Sound. Aber die fetten Gitarren nutzen PENTAGRAM bereits seit „Be Forewarned“ (1996), das geht aus meiner Sicht völlig klar. Die Stimme Lieblings jagt einem Schauer über den Rücken, sie ist es, die dieses außerweltliche Flair erzeugt. Ob dies wirklich die Abschiedstour ist? Falls ja, dann möge sie möglichst lange dauern.

 

PENTAGRAM 

 

Letztlich gibt es an der 2022er Ausgabe des HOA so gut wie nichts zu meckern. Mir fallen eigentlich lediglich die Dixis auf dem Infield ein, die am Samstag nicht mehr wirklich zumutbar waren. Es bleibt das beste Open Air Festival, fürs nächste Jahr sind bereits VICIOUS RUMORS, FIFTH ANGEL, TRESPASS, ELIXIR, LADY BEAST, METALL, AIR FORCE, DEALER, STORMWARRIOR, STEELPREACHER, BATTLEAXE und RHABSTALLION angekündigt. ONWARD TO HOA 2023!

Kommentare   

+1 #2 Philipp 2022-08-27 13:00
JAMES RIVERA-Pics von Jan Bünning ergänzt. Yeah, Danke!
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+1 #1 Philipp 2022-08-23 16:10
Weitere Bilder ergänzt: Jan Bünning knipst ULI JON ROTH - großartig!
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