HEADBANGERS OPEN AIR XXIV / 29.07.2022 – Brande-Hörnerkirchen, Tag 2
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- Kategorie: Berichte aus dem Pit
- Veröffentlicht: Donnerstag, 11. August 2022 20:46
- Geschrieben von Philipp Wolter
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Nach dem Warm Up mit vier Bands und dem Donnerstag mit sechs Konzerten erwarten uns heute ganze zehn Auftritte. Mit TROYEN, DUN RINGILL und ANCESTRAL sind drei Namen dabei, die vielen Besucher:innen noch unbekannt sind. Finde ich super, dass es Jürgen und Thomas immer wieder gelingt, selbst dem Underground orientierten HOA-Publikum noch Überraschungen zu bieten. Etwas kurios erscheint mir die Platzierung von GLACIER hinter BLAZE BAYLEY, da letzterer doch vom Bekanntheitsgrad her eher der Headliner zu sein scheint. Wird diese Reihenfolge gelingen oder müssen die grandiosen GLACIER vor gelichteten Reihen spielen?
Bilder von Jan Bünning (DREAD SOVEREIGN, BLAZE BAYLEY, ICARUS WITCH, IRONFLAME) - Jans Instagram-Seite, Max Lobeck (TROYEN, ANCESTRAL) und MJ (MARTYR, GLACIER)
Wie viele richtig gute NWOBHM-Bands gibt es eigentlich? Irgendwann Mitte der Neunziger dachte ich, dass ich so langsam alle relevanten Releases dieses Subgenres in der Sammlung stehen haben müsste. Junge, lag ich da aber mal falsch! Mittlerweile weiß ich: Selbst wenn keine neuen Tonträger mit aktuellen Aufnahmen mehr erschienen, könnte man ewig weiter Platten abernten, die zwischen 1979 und 1983 in England entstanden. TROYEN zählen dazu und holen mich vom Fleck weg ab. Flutscht halt zeitlos geil rein. Häufig im Up-, manchmal im Midtempo angesiedelt zünden die melodischen Songs sofort. „Dreams Never Lie“ ist der Mini-Hit der Band vom ersten Demo aus dem Jahr 1981 (High Roller haben 2020 eine Compilation der alten Songs herausgebracht). Die seit 2014 wiedervereinigte Band hat aber auch diverse neue Songs am Start, die nahtlos an den alten Sound anschließen. „Your War Ain’t My Fault“ oder „Storm Child“ werden von den bereits zahlreich erschienenen Schüttelrüben abgefeiert. Solider Auftakt!
Ein überraschendes Highlight setzen DUN RINGILL. So ganz unbekannt ist mir die Band dann doch nicht – wurde sie doch 2017 von zwei Mitgliedern der Doomer THE ORDER OF ISRAFEL gegründet. Auch DUN RINGILL spielen Doom, der mit dezenten Folk-Elementen bereichert wird. Der Folk-Einfluss verwässert die Durchschlagskraft keineswegs, vielmehr klingen die Schweden brachial heavy. Schön fette Gitarren und schleppende Beats zwingen geradezu zum Headbangen. Hervorheben möchte ich auch den Gesang Tomas Erikssons, der rauh und melodisch zugleich klingt. Die Truppe bietet optisch ein interessantes Bild: Die drei Gitarren und der Bass werden von zwei Linkshändern und zwei Rechtshändern bedient werden. Natürlich hat man darauf geachtet, diese symmetrisch um den Sänger herum anzuordnen. Es nützt nichts, ich wollte heute eigentlich keine Platten mehr abernten, aber die beiden Longplayer von 2019 und 2020 kann ich nicht stehen lassen. Hammer und unbedingt empfehlenswert!
ANCESTRAL kommen aus Italien und klingen wie frühe HELLOWEEN, aber so, als hätten diese bereits Michael Kiske am Mikro gehabt. Nach vorne ballernder Power Metal in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes also, zu dem sich eine gute Dosis Speed/Thrash gesellt. Da die Band bereits seit 1999 existiert, ist ordentlich Erfahrung vorhanden. ANCESTRAL setzen auf schnell gespielte Doublebass, hirnzerschmelzendes Gitarrengeschredder und einen in hohen Tonlagen angesiedelten Gesang. Man spürt förmlich, wie hungrig die Band ist und dass sie sich hier beweisen will. Die Mission gelingt, der Innenraum füllt sich und ANCESTRAL dürften viele neue Fans gewonnen haben.
Auftritt Nr. 1 von zwei für Andrew D’Cagna, der heute zuerst einen Einsatz mit ICARUS WITCH und später einen mit IRONFLAME hat. Nicht ohne, gerade als Sänger. Witziger Side-Fact: 2006 spielten ICARUS WITCH bereits auf dem HEADBANGERS OPEN AIR und zwar genau wie heute am selben Tag wie MARTYR. Schon damals überzeugten mich die Twin-Gitarren und der glockenhelle, kraftvolle Gesang. Daran hat sich nichts geändert, 16 Jahre später liefern ICARUS WITCH auf unvermindert hohem Niveau ab. Seltsamerweise habe von der Band noch keine Platte, während ich von IROM FLAME bisher alles abgeerntet habe. Wird nachgeholt. Vielleicht können Kenner:innen der Band mir verraten, mit welcher Scheibe man beginnen sollte?
Mit DREAD SOVEREIGN erfolgt einer der Höhepunkte des gesamten Festivals! Die drei Iren um Alan Averill reanimieren eine fast vergesse Tradition des ursprünglichen Rock’n’Roll: Die Songs werden nicht wie auf Platte reproduziert, sondern durch spontane Improvisationen und Jams auf der Bühne regelrecht geschlachtet und um Zitate von BLACK SABBATH bis BATHORY ergänzt! Dazu gesellt sich eine Fuck-Off-Attitüde, die dermaßen ausgelebt wird, dass wohl jede:r Besucher:in jetzt noch Alans ausgereckten Mittelfinger in der Nase spürt. Obwohl ich alle Scheiben der Band besitze, könnte ich nicht sagen, welche Songs sie gespielt haben. Aber versteht mich nicht falsch: Ich begrüße das in diesem Fall ausdrücklich. Denn DREAD SOVEREIGN kommen dadurch wild, gefährlich und völlig unberechenbar rüber. Schubsen sich die Musiker gleich gegenseitig in den Graben? Könnte absolut passieren. Springt Averill von der Bühne und zieht irgendeinem Menschen den Bass über den Schädel? Denkbar. „I’m made of metal, you can watch my fuckin‘ circuits gleam, you cunt”, ist noch eine der höflicheren Ansagen. DREAD SOVEREIGN schaffen etwas, was im Plastik-Einheitsbrei des Metalmainstreams kaum noch zu finden ist: Sie kreieren Musik, die polarisiert, die in diesem Moment genossen oder vollständig abgelehnt werden kann. Ich bin sicher: Lemmy Kilmister hätte diesen Auftritt geliebt!
Wie gesagt hatten auch MARTYR 2006 bereits auf dem HOA gespielt. Und auch sie überzeugen nach all der Zeit, als wären seit dem letzten Mal nur 16 Tage vergangen, nicht aber 16 Jahre. Beim Lesen meines damaligen Reviews muss ich grinsen, denn beim heutigen Auftritt wiederholen sich einige Szenen in sehr ähnlicher Weise: „Der Sänger (…) entpuppt sich als positiv Verrückter, der sich gut zum Affen macht, ins Publikum springt, seinem Schlagzeuger einen Beckenständer samt Becken mopst, um darauf Luftgitarre zu spielen (…), sich ständig Leute auf den Rücken lädt, die nicht schnell genug wegrennen können“. Damals wie heute räumen MARTYR gnadenlos ab. Die Songs der Klassiker „For The Universe“ (1985) und „Darkness At Time’s Edge“ haben den test of time bestanden und erweisen sich abermals als zeitloser Heavy/Speed Metal. Auch die neue Scheibe „Planet Metalhead“ sollte offenbar angecheckt werden. Dutch steel killers!
Yeah, endlich wieder IRONFLAME! D’Cagna hat sein Hemd gegen ein T-Shirt ausgewechselt und donnert mit Hilfe seiner Genossen stählerne Hits wie „Firestorm“, „Marching On“, „The Contract“, „Seekers Of The Blade“, „Blood Red Cross“ oder „Shadow Queen“ in den Garten. Alles so geil gespielt und so herrlich gesungen, dass die Band auch nach vier Alben unverbraucht und frisch klingt. Klassischer US Metal, der mal im Uptempo nach vorne prescht, dann midtempolastig alles niederstampft und dabei stets energisch und eingängig klingt. Dass Andrew D’Cagna bei den meisten Releases fast alle Instrumente selbst einspielt, mag man kaum glauben, denn der Freak wirkt nun überhaupt nicht wie ein Studio-Nerd, sondern eher wie für die Bühne geboren. Blood red victory for these guys… again!
Seit fast zehn Jahren arbeitet BLAZE BAYLEY mit der Band ABSOLVA aus Manchester zusammen. Diese führt aber auch ohne Blaze seit 2012 ein eigenständiges Leben. Heute soll es eine Triple-Show geben, die erst ABSOLVA in den Fokus rückt, gefolgt von Best-Of-Seits der BLAZE-BAYLEY-Soloscheiben und seiner Zeit bei IRON MAIDEN. Die Kollaboration tut beiden Seiten gut, denn zusammen mit den ABSOLVA-Musikern hat Blaze einige richtig geile Alben veröffentlicht, wodurch erstere natürlich auch mit ihrer eigenen Band bekannter wurden. Der erste Teil haut noch keinen völlig aus den Latschen, das muss man ehrlich sagen. Dafür sind die ABSOLVA-Songs schlicht zu unbekannt und auch insgesamt zu unspektakulär. Es ist alles gut gespielt und hat seine Momente, aber die Vorfreude auf den BLAZE-Teil überstrahlt den Gig doch ganz klar. In guten Momenten erinnern ABSOLVA an SAXON, bedingt nicht zuletzt durch Chris Appletons Biff-ähnliche Stimme. Gegen Ende des Sets wird es immer voller vor der Bühne, weil alle Bock auf Blaze haben. Als der Charismat endlich die Bühne betritt, beginnt eine regelrechte Party. Es ist schon verrückt, dass seine Alben mit MAIDEN häufig geschmäht wurden, hier und jetzt aber hemmungslos abgefeiert werden. „Lord Of The Flies“, „Sign Of The Cross“, „The Clansman“ oder „Man On The Edge“ werden in großartigen Versionen gespielt, die Menge feiert es mit Chören, Jubel und gereckten Fäusten. Ich liebe auch die aus tiefstem Herzen kommenden Ansagen Bayleys, der sich immer wieder für den Support bedankt und sich mit klaren Worten gegen Krieg ausspricht. Geiler Typ, Hammer-Konzert!
Nein! Hä, was nein? Na, eingangs stellte ich doch die clickbait-mäßige Frage, ob GLACIER mit einer Show an letzter Position scheitern mögen. Davon kann zum Glück keine Rede sein! Natürlich gehen einige Leute nach dem BLAZE-Konzert Bubu machen, aber man sollte das HOA-Publikum nicht unterschätzen. Hier befinden sich doch so einige Heavy-Metal-Trüffelschweine vor Ort, für die die 1985er GLACIER-EP sowie das 2020er Killeralbum „The Passing Of Time“ zu den besten HM-Releases überhaupt zählen. Bitter für mich übrigens: Heute hatten GLACIER einen Kassetten-Repress ihres Demos „Ready For Battle“ (1984) am Merch, was ich leider erst mitbekommen habe, als es schon ausverkauft war. (Wer zwei Kopien abgeerntet hat: Schreibt mir gerne…) Bei glasklarem Sound liefern GLACIER ein glorreiches Konzert, welches den 2017er KIT-Auftritt sogar noch toppt. Leck mich fett, was kann der olle Haudegen Michael Podrybau (immer noch) schmettern! Mit „Eldest And Truest“, „Into The Night“ und „Devil In Disguise“ werden erste Schädel gespalten, „Valor“, „When Heaven’s At Hand“ und „Ride Out“ schmelzen jegliches vor Ort erstandene Poser-Vinyl, „Ready For Battle“, „Live For The Whip“ und „Speak No Evil“ lassen die bisher friedfertige Meute zu sabbernden Orks mutieren und „Sands Of Time“ sowie „The Temple and The Tomb“ scheinen den Sack mit zwei weiteren US Metal-Großtaten zuzumachen. Doch die zahlreichen „Zugabe“-Rufe ermöglichen eine letzte Runde zu später Stunde: Mit neu geweckter Power feiert der Garten den Klassiker „Vendetta“ ab, einen der großartigsten Metalsongs überhaupt.
Und morgen: Neun weitere sehenswerte Bands! TBC…