IRON MAIDEN, AIRBOURNE, LORD OF THE LOST / 04.07.2022 – Berlin, Waldbühne

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Es gibt nur zwei Typen von großen, seit Jahrzehnten aktiven Bands: Die einen veröffentlichen keine neuen Alben mehr und spielen auf Tour ein reines Best-Of-Set. Die anderen kreieren zwar durchaus neue Musik und bringen Platten raus, von den neuen Stücken schaffen es aber wegen der vielen Klassiker, die gespielt werden „müssen“, nur ein oder zwei ins Liveprogramm. In beiden Fällen sind die Überraschungen rar gesät. Und dann gibt es IRON MAIDEN, die schon seit einiger Zeit viele dieser „Regeln“ brechen. Vergleicht man die Setlists vom Waldbühnenauftritt 2016 mit der vom heutigen Auftritt, stellt man fest: Es gibt bei jeweils 15 gespielten Songs gerade sechs Überschneidungen! Einen der Klassiker habe ich sogar trotz unzähliger gesehener MAIDEN-Konzerte (seit 1985 nur eine Tour verpasst) noch nie live erlebt. Und zwei Stücke stammen aus der kommerziell am wenigsten erfolgreichen Phase mit Blaze Bayley am Mikro. Fazit: IRON MAIDEN sind eine stolze Band, die nur zum Teil Rücksicht darauf nimmt, was „die Fans hören wollen“. Und diese Haltung wird interessanterweise belohnt: Die Waldbühne ist mit 22.000 MAIDEN-Maniacs komplett ausverkauft, zwei Tage zuvor spielte die britische Legende vor 40.000 Menschen in Köln und für die bisherigen Open Air Konzerte 2022 in Deutschland wurden laut Wizard Promotions 160.000 Tickets verkauft (Quelle: Newsletter der Konzertagentur vom 04.07., https://wizpro.com/iron-maiden).

 

IRON MAIDEN

Bilder von Bö Börbel - viele weitere in der Galerie

 

Über 20.000 Menschen, das hört sich nach einem anonymen Massenevent an. Ist es eigentlich auch. Dennoch treffen wir alle paar Meter Bekannte und die Stimmung ist verrückterweise fast als familiär zu bezeichnen. Daran hat natürlich auch die Waldbühne ihren Anteil, dieses Amphitheater darf als eine der schönsten Freilichtbühnen Europas bezeichnet werden. Klar, konzipiert und erbaut wurde sie in der NS-Zeit, aber es ist doch perfekt, wenn man ursprünglich negativ konnotierte Orte umfunktioniert und mit ROCK positiv besetzt. Wir erhaschen herrliche Plätze inmitten einer Gruppe von Freund:innen und lassen in bester Laune die Humpen kreisen.

 

LORD OF THE LOST

 

LORD OF THE LOST sind offenbar nur mir vollständig unbekannt, denn sie werden wohlwollend begrüßt. Die Mischung aus Gothic und Metal lässt mich emotional unberührt zurück. Generell habe ich nichts gegen eine Kombination der genannten Stilrichtungen, aber das Zerbrechliche, was mich z.B. bei UNTO OTHERS fasziniert, finde ich hier nicht. Die Herangehensweise ist offenbar schlicht eine andere, denn hier treffen eher HIM und RAMMSTEIN aufeinander als IRON MAIDEN und SISTERS OF MERCY. Das martialische Gestampfe und die poppigen Melodien sprechen viele an, ist auch alles handwerklich gut gemacht und stimmlich souverän vorgetragen. Nun, gesehen, abgehakt, brauche ich nicht noch einmal.

 

AIRBOURNEAIRBOURNE 

 

Auch AIRBOURNE sind nicht ganz mein Ding. Im Vergleich natürlich schon mal geiler, denn diese Australier rocken bekanntlich im AC/DC-Stil, aber irgendwie zünden die Songs nicht. Was bei KROKUS oder BULLET bestens funktioniert, wirkt in diesem Fall konstruiert. Eine Ausnahme will ich AIRBOURNE allerdings zugestehen: Der Song „Boneshaker“ wird von einem wahrlich großen Riff getragen, das die gesamte Arena zum Swingen bringt. Wie schon bei LOTL kann man vor der Bühne von oben Circle Pits beobachten, welche kleine Staubwolken in die Luft schleudern. Sieht putzig aus, wobei die Dinger später bei MAIDEN enorme Ausmaße erreichen und man irgendwann von einer Dreckschicht überzogen wird. Für den Ausflug ins Publikum bekommt Joel O’Keeffe (v, g) ‘nen Pluspunkt in der B-Note.

 

IRON MAIDENIRON MAIDEN 

 

Aber nun: UP THE IRONS! Das U.F.O.-Intro „Doctor, Doctor“ ertönt und alle reißt es mitsingenderweise von den Sitzen. Darauf folgt erst mal das Intro für den Opener der aktuellen Scheibe „Senjutsu“. Ursprünglich war die Tour mit dem Titel „Legacy Of The Beast“ als IRON-MAIDEN-Werkschau geplant, als Streifzug durch die Bandgeschichte. Dann kam Corona, die Verschiebung der Tour und zwischendurch erschien 2021 „Senjutsu“. Was soll man nun tun? Einfach trotz neuer Scheibe die vorher begonnene Tour weiterführen? Eine „Senjutsu“-Tour daraus machen? MAIDEN haben sich für eine Art Zwischenlösung entschieden: Vor das „Legacy Of The Beast“-Set setzen sie einen Block mit neuen Songs. Die Kulisse im Stil des Album-Covers sieht atemberaubend aus. Passend zu den japanischen Pagoden kommt Eddie als Samurai auf die Bühne und fuchtelt mit einem Katana herum. Viel wichtiger: Wie geil singt der Dickinson bitte? Ist der etwa noch besser geworden? Selbstredend ohne Teleprompter oder andere Texthilfen schmettert Bruce Dickinson scheinbar mühelos und klingt zu keiner Zeit gepresst, wie man es auf früheren Konzerten ab und zu erlebt hat. Mit dem Titelsong plus „Stratego“ und „The Writing On The Wall“ (inkl. jetzt schon legendärer “Scheißenhaus”-Ansage) watscht man den Leuten also erst mal fast 20 Minuten neues Material um die Ohren. Zu viel? Mitnichten, die Arena feiert, alle Arme sind oben und gerade „The Writing On The Wall“ wird amtlich mitgesungen. Und die Herren auf der Bühne haben Spaß, das kann man deutlich sehen. Der Sound ist generell phantastisch, alles ist klar zu hören.

 

IRON MAIDENIRON MAIDEN 

 

Nach einem kurzen Umbau beginnt das „Legacy Of The Beast“-Set, das ich in drei Teile gegliedert sehe. Meine These ist die, dass MAIDEN ihre Songs offenbar zu inhaltlich-thematischen Blöcken sortiert haben. Inhalt geht vor Form, auch mal interessant und eher selten bei einer Rockband. Der erste Block hat das Thema Religion, was die Auswahl „Revelations“, „Blood Brothers“, „Sign Of The Cross“ und „Flight Of Icarus“ belegt. Auch besteht das Bühnenbild nun aus sakralen Motiven, die an Kirchenfenster erinnern (auch wenn der Eddie im Detail steckt). Die Arena kommt natürlich noch mehr in Fahrt, schließlich ist „Revelations“ ein seltener gespielter Ultra-Klassiker, der nach den Breaks geradezu zu Urschreien auffordert. „Blood Brothers“ hat an Bedeutung gewonnen und wird mittlerweile von vielen Fans als einer ihrer Favoriten bezeichnet. Dass „Sign Of The Cross“ mal wieder dabei ist, erfreut mich als BLAZE-Fan ja sehr. Den Vogel schießen MAIDEN aber mit „Flight Of Icarus“ ab, den die Band schon ewig nicht mehr gespielt hat. Dickinson schlüpft hier in die Rolle von Eddie auf dem 1983er Singlecover, der dem Icarus im Hintergrund mit einem Flammenwerfer die Flügel versengt hat. Dazu hat man ihn tatsächlich mit einem ähnlich aussehenden und funktionalen Flammenwerfer ausgestattet, was für ein Spaß und was für eine coole Umsetzung eines alten Bandmotivs!

 

IRON MAIDENIRON MAIDEN 

 

Der nächste Block ist offenbar dem Thema Okkultismus oder auch einfach Mumien, Monstren und Mutanten gewidmet, denn es folgen „Fear Of The Dark“, „Hallowed Be Thy Name“, „The Number Of The Beast“ und „Iron Maiden“. Mit der thematischen Ausrichtung geht auch eine Steigerung der musikalischen Intensität einher. Waren die ersten Songs eher getragen, kommen nun die galoppierenden Rhythmen im Uptempo ins Spiel, für die MAIDEN bekannt sind. Was da optisch alles abgeht, kann ich gar nicht alles in Worte fassen. Ein riesiger Eddie streckt seinen Kopf aus dem Hintergrund, Dickinson greift häufiger denn je auf Requisiten und Verkleidungen zurück (Maske und Gaslampe bei „Fear Of The Dark“ sind auch neu, meine ich). Das Zusammenspiel der sechs Recken ist super, zwei Timingfehler fallen mir auf, die aber nur zeigen, dass hier alles echt ist und nicht mal auf Klick gespielt wird, und die schnell mit einem Grinsen aufgefangen werden. Einziger Kritikpunkt: „Powerslave“ hätte hier doch auch noch reingepasst…

 

IRON MAIDENIRON MAIDEN

 

Ist nun Schluss? Jahrzehntelang markierte ja „Iron Maiden“ die allerletzte Zugabe. Mitnichten: Es herrscht Krieg und diesem Thema haben sich die Eisernen Jungfrauen häufig gewidmet. Der Zugabenblock setzt in jeglicher Hinsicht noch mal einen drauf, „The Trooper“, „The Clansman“, „Run To The Hills“ und „Aces High“ werden begleitet von Feuersäulen, Pyros und weiteren Eddie-Einsätzen. Dass „The Clansman“ mit seinem „Freedom“-Refrain in diesem Kontext so gut funktioniert, ist ein Statement. Ebenfalls gelungen: „Aces High“ mit der berühmten Churchill-Rede „We Shall Fight on the Beaches…“ als Intro zum Finale, bei dem eine „echte“ Spitfire per Seil über die Köpfe der Band gehievt wird.

 

IRON MAIDEN 

 

Wat soll man sagen? Das war ganz großes Kino, MAIDEN in Bestform mit einer gelungen aufgebauten Dramaturgie und mit einem nahezu perfekten Sound. Vielleicht die beste MAIDEN-Show, die ich bisher gesehen habe.

 

IRON MAIDEN 

 

UP THE IRONS!

Bewertung: 5 / 5

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