SHELLAC, IRNINI MONS / 30.05.2022 - Hamburg, Kampnagel

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Das Jahr ist noch über halbvoll, und ich war schon auf einigen Konzerten: Motorpsycho, The Knickebeins, Die Königsberger Klopse feat. Frank Frikadelle, to name a few; aber wenn ich im bisherigen und vielleicht auch verbleibenden Jahr irgendwo gewesen sein MUSS, dann vorgestern Abend bei SHELLAC auf Kampnagel.

 

SHELLAC

 

In seiner längeren Ansage zum krass deepen Track „Killers“, der anno punkbroke mal auf einem Touch&Go-Sampler landete (gerade für‘n Zehner bei Discawgs bestellt), erklärt Steve Albini, daß es um den Kampf der „…defenders of fun…“ gegen die „…killers…“ gehe, die beim geringsten Aufkommen von Spaß die „…authorities…“ alarmieren, damit der Spaß aufhört. Das könnte mein Thema werden. „Der Backlash wird kommen“, prophezeit Sven Meyer, mit dem diesen Abend zu verbringen ich den Spaß habe und dessen Beiträge diese Story bereichern, „so billig gibt‘s ihn dann erstmal nicht wieder.“ Das stimmt, und wenn er käme, der Spaß-Backlash, würden Shellac einfach weitermachen wie eh und je.

 

„This evening represents a triumph of normal people over businessmen and over social manouvres and celebrities and politicians“, hört man Albini in einem Youtube-Clip sagen, den das Produktionshaus Kampnagel in der Ankündigung dieses Konzertes geteilt hat. Danach spielen Shellac „Billiard Player Song“ von ihrer ersten Single, was sie heute Abend aber nicht tun werden.

 

Heute trägt Steve Albini ein Misfits-T-Shirt, dessen Schriftzug bei genauerem Hinsehen aber „Mosfets“ lautet, also, wie jede/r weiß, Metalloxid-Halbleiter-Feldeffekttransistoren. Mehr kann ich dazu nicht sagen, ich verbuche es einfach mal als Elektrikerscherz und beiläufiges Mosaiksteinchen in Shellacs, speziell Albinis Materialkult. Gleichzeitig sind dieses T-Shirt und erst recht Bob Westons irgendwie blaues Polohemd so dermaßen normal, daß sie für mich nach den Erlebnissen der vergangenen 48 Stunden fast schon gleichberechtigte Teile der Show sind, neben den Musikern und allem Kladderadatsch. Aber ich bin ja auch gestört und neige zur Gegenüberstellung und zur Überinterpretation. Hier ist jedenfalls nichts durchcodiert, regelkonform, serviceorientiert oder langweilig, hier geht es einzig und allein um ein konsequentes Abbrennen alleinstehender Kunst. Rockmusik ist auch noch dabei, und diese Kombi ist selten.

 

SHELLAC

 

Das fängt schon bei IRNINI MONS aus Lyon, dem support, an: 2 Frauen (gt, dr) und 2 Männer (gt, bs), wie ABBA, nur normaler aussehend, betreten die Bühne, dronen sich ein paar Sekunden warm (Die orangefarbene Debüt-LP ist schon gekauft!) und schaffen es dann eine gute Dreiviertelstunde lang, fortwährend zu überraschen ohne einen einzigen konstruiert klingenden Moment. Alle 4 singen. Gemeinsam, in Grüppchen, allein bzw. wechselnd allein und das alles gern auch in einem einzigen Song. Da werden Gleichstellung und Diversität on stage gelebt. Das Konzept der „Frontperson“ löst sich auf. Das Line-Up als Botschaft. Wenn man sowas doch nur öfter zu sehen bekäme!

 

Wenn die Damen die Stimme(n) erheben, erwachen Assoziationen Richtung STEREOLAB, bei den Herren wird‘s franko-wavig, und zu viert legen sie choralartige Linien über die Musik. Das finde ich beim Opener „Feu De Joie“ zunächst milde irritierend, aber schon bald ziehen nicht nur mich Irnini Mons in den Bann ihres Sounds. Sie amalgamieren mühelos Shoegaze, Dreampop, Post- und den guten alten Indierock, Postpunk und Noise. Und haben Spaß dabei! Blickkontakte, Lächeln, kleine Besuche, wenn der Song es erlaubt - Da hört und schaut man gern zu, und Irnini Mons ernten weit mehr als anerkennenden Vorgruppenapplaus. Da bleib ich dran.

 

SHELLAC

 

Shellac aus Nordamerika sind ein anderes Biest und knallen mit dem aus dem Beinahnichts kommenden „Canada“ erstmal alles weg und auch alles, was ich mir im Schnitt unter „gute Liveband“ vorstelle. Und ich bin ja einiges gewöhnt, aber ein derartiges In-den-Raum-explodieren habe ich lang nicht erlebt, wenn überhaupt je. Was für eine von der ersten Milisekunde an alles klarstellende Präsenz, was für eine trockene, präzise, schmerzhafte Wucht. Todd Trainer sieht aus wie Charlie Watts mit Zahnschutz und Vokuhila und verkloppt manisch und weit ausholend sein Kit, dessen Overheadmikrofonierung in der Umbaupause von der mitgereisten Stagehandfrau peinlich genau auf Symmetrie überprüft wurde. „It‘s in fact aerobatics. Formation flying, you understand“, stand irgendwo auf dem Büttenpapier-Begleitschreiben der „Uranus“-7“ vor fast 30 Jahren, und diese Kleinigkeiten erleben Sven, ich und ein paar Andere vielleicht auch schon als Teil des Theaterhaften (nicht theatralischen!), das feinstofflich stets unhörbar mitknistert, wenn diese Band auf einer Bühne steht. Dazu gehören z.B. auch deskriptive und nur rudimentär in Form gebrachte Texte über Pornodarsteller mit eisernem Willen und ebensolchem Großgemächt, die von der Mafia ausgebeutet werden und ihren eigenen fame nicht verstehen.

 

Ich meine natürlich „Il Porno Star“ von Shellacs 1. LP „At Action Park“. Dafür gäb‘s anderswo Auftrittsverbot, obwohl Steve Albinis Lyrics schon immer Zeugnisse menschlicher und gesellschaftlicher Abgründe und Grotesken aber auch anrührender Zartheiten waren - z.B. in „Scrappers“ (Ich behaupte mal, es heißt so), in dem ein kleines Mädchen in Chicago seinen Vater fragt, ob er nicht seinen entfremdeten Tackerklammerjob aufgeben möchte, um sich einen Laster zu kaufen und damit recyclebares Material zu sammeln. Sie säße auf dem Beifahrersitz, und „…we‘ll be pirates!“

 

SHELLAC

 

Anrührend, wie gesagt, aber den Song in aller gebotenen Ernsthaftigkeit anzusagen und das Gelächter Einiger erklingen zu lassen, das ist partiell auch schon wieder Teil von Shellacs subtiler Selbstinszenierung, die mit Rock- oder Punkstargehabe null zu tun hat, in keiner Weise plakativ ist und genau wie die Musik nach komplett eigenen Regeln funktioniert. Keine, wirklich KEINE Band klingt und strahlt aus wie Shellac. Keine Girarre knirscht und klirrt wie die von Steve Albini, der nach wie vor einer der coolsten (und lustigsten!) Typen im Underground-Showgeschäft ist.

 

Was hat man ihm damals für eine Verehrung entgegengebracht. Er hat nichts davon verspielt, nur die Verehrung ist alterungsbedingt verflacht, aber wenn dieser Typ sich sein metallenes Instrument umgürtet (nicht -hängt!), poppt das ganze Albini-Universum wieder auf: Sein Nimbus als unbestechlicher recording engineer, dessen „suggested bass and treble positions“ im Booklet von NIRVANAs „In Utero“ angegeben sind, seine entschiedene Bevorzugung des Wertigen, des Analogen, alter Neumann-Mikrofone und solchem geilen gear, aus dem er und die Band eine bis dahin nicht dagewesene Ästhetik generiert haben, seine kategorische und argumentativ jederzeit stichhaltig begründete Ablehnung jedweden Plattenfirmenquatsches undsoweiter, bis hin zu seinen Erfolgen beim Poker.

 

Aber Shellac sind eine Band aus 3 gleichberechtigten Individuen, nicht Albini und die anderen 2. Sie sind so brutal gut aufeinander eingespielt, sie brauchen keine Einzähler: Wenn Trainers Sticks das erste Mal auf die Felle BALLERN, ist der Song da. Ruckelfrei, wie eingeschaltet. Shellac sind hart, ohne fett zu sein. Sie sind sehnig und versatil. Ihre Arrangements sind mätzchenfrei und doch reichhaltig. Minimalismus mit maximaler Wirkung. Sie klingen so gut, daß ein einziger ausschwingender Ton schon ein Ereignis ist. Sie machen immer das Gleiche. Ein neues Album ist im Kasten und erscheint irgendwann. Merch und Zugaben? Fehlanzeige.

 

„The End Of Radio“ ist nur einer von vielen Sethöhepunkten. Bob Weston spielt die immer gleichen 3 Bassakkorde mit der routinierten Gnadenlosigkeit einer Metallstanze. Mit Begriffen wie „soulful“, „groovy“, „feeling“ oder „flow“ brauchste hier nicht anzukommen, sie sind lächerlich, sie sind die Sprache der Uninspirierten, der hilflos stammelnden Muckerhippies mit ihren Ampsimulationen.

 

Der Song dehnt sich aus, lebt von Albinis beschwörendem Monolog und Trainers meist auf frei dynamisches Snaregeklöppel beschränkten Schlagzeugspiel. Er handelt vom letzten Sprecher in der letzten Sendestation der Erde, vom letzten Watt, das den Transmitter verläßt. I & I is the air. Er handelt vom Verschwinden einer Welt. Wenn sie endgültig verschwunden ist, wird es nur noch Läden geben wie den, in den ich gestern einen Klienten begleitete, weil der sich da zippelige Earplugs für sein Smartfon kaufen wollte: Millionen Handyhüllen, Adapter, Ladekabel, Spielkonsolen, Konsolenspiele, billige Bling-Bling-Uhren, Tand, Grabbelkram und Schrott. Ein „House Full Of Garbage“, um einen weiteren Shellac-Titel zu zitieren; oder, um mich selbst zu zitieren: Ein Laden voller Scheiße.

 

No one in the venue may look Schacke Krüger in the eye.

An Fotos machen hab ich nicht gedacht, statt dessen abfotografierte Shellac-Cover.

 

SHELLAC

 

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