THE BETHS, CHERYM / 20.04.2022 - Hamburg, Molotow

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„I‘m not getting excited“, singt Elisabeth Stokes ohne viel Aufhebens und gibt ihrer Gitarre die Sporen. Kann ich von mir nicht gerade behaupten. Ich hab so dermaßen Bock auf dieses Konzert, und das liegt immer noch daran, daß es diese Art Kulturveranstaltung überhaupt wieder geben darf. THE BETHS aus Auckland haben eine etwas andere pandemische Vorgeschichte als „wir“ hier so: Ihr Livealbum aus dem vergangenen Jahr wurde dank der strikten No-Covid-Politik Neuseelands 2020 in Auckland aufgezeichnet, in dem Jahr also, in dem die Veranstaltungskultur hierzulande komplett außer Betrieb gesetzt wurde. Als hätte man auf zwei verschiedenen Planeten gelebt. Heute lasse ich mir nach dem Konzert von allen 4 Bandmitgliedern die „Jump Rope Gazers“ unterschreiben und trage meine FFP2 vor allem aus Höflichkeit der Band gegenüber.
 
 
THE BETHS
 
 
Auf besagter Liveplatte geben The Beths ihre jeweiligen Votings ab für einen most-popular-bird-Wettbewerb; irgendwas Neuseeländisches oder gar Band-internes, ich hab‘s nicht so richtig geschnallt. Elizabeth Stokes favorisiert die Takahe, eine auf der Südinsel Neuseelands beheimatete, flugunfähige große Ralle, die größte Rallenart. Vögel, Gitarren und fetzige Lieder - The Beths müssen eigentlich genau meine Band sein.
 
CHERYM aus Londonderry/Nordirland supporten. „Cherym are 3 grown men with hairy chests from Derry serving their own unique recipe for pop rock“, steht auf ihrer FB-Seite, aber so sehen sie gar nicht aus. Man solle etwaige Komplimente bitte nicht mit dem Pronomen „Ladies“ versehen, bitten sie sich aus (was mir aus geschmacklichen Gründen sowieso nie in den Sinn käme), denn auch wenn es vielleicht den Anschein habe: Nicht alle in der Band seien girls.
 
 
CHERYM
 
 
Und Komplimente müssen gemacht werden, denn Cherym spielen ein krachendes Set mit Singalong-Animation, main-act-praising, jeder Menge guter Laune und einer Handvoll knalliger Songs. Gitarristin und Sängerin Hannah (she/her) ist eine, wenn ich das so sagen darf, ziemliche Rampensau, und die rhythm section, bestehend aus Nyree (Baß, they/them) und Alannagh (Drums, she/they), propellert die Stücke tight, effizient und druckvoll durch das mit ca. 200 Nasen gut gefüllte Molotow. Schade, daß Cherym kein Merch mithaben, ein Tape hätte ich genommen.?
 
 
Im Vergleich sind The Beths natürlich gediegener, nicht juvenil und sophisticated. Spielen besser, singen besser und haben bessere Songs als any punkrock dude. Ist ja auch kein Punkrock, ist ja Powerpop. Und es stimmt einfach alles. An ungenau einer einzigen Stelle passiert Elizabeth Stokes trotz Tee und Honig ein gelblicher Ton. Weil ich ihn registriere, fühle ich mich umgehend wie scheiß Dieter Bohlen, was zur Folge hat, daß mir schlecht wird, mein Gehirn im Bestreben, sich jemand anders zu suchen, den Schädel verlassen möchte und sich gleichzeitig eine neunschwänzige Katze wünscht, mit der ich mich selbst geißeln soll.
 
 
THE BETHS
 
 
Auch der Sound ist vom ersten Ton an super, wird aber noch besser. Transparent, episch, gegen Ende richtig laut. Jede kleine Sauerei in den reichhaltigen Arrangements kommt zur Geltung, sei es instrumentell, sei es gesanglich, so daß die mitunter gar vierstimmigen Satzgesänge aufs Bezauberndste ihre Wirkung entfalten. Sowas hört man selten heutzutage, und es mag daran erinnern, daß dieses Quartett aus Jazz-Absolvent:innen besteht. Das soll gar nicht hochnäsig rüberkommen; ich bin der Letzte, der gegen einen vergrützten Akkord oder eine abgeschmierte Note was einzuwenden hätte, dennoch ist die musikalische Qualität dieses Vierers über alles erhaben, z.B. über „Coolness“. Da geht selbst Schlagzeuger Tristan Decks Latzjeans glatt durch, sie spielt keine Rolle, wird am Ende durch die schiere Brillianz der Beths ein fashion statement of cool.
 
Und die Songs! Sagte ich es schon? Tolle Songs! Keinesfalls die Neuerfindung der Musik aber so tolle Songs! Ich liebe „Uptown Girl“ mit dem Mandolinengeshredder im halsbrecherisch galoppierenden Solo-/Instrumentalpart; ich schmelze dahin, wenn die Bridge von „Little Death“ sich gen Climax schraubt und erst recht, wenn der Refrain dieses Versprechen nicht einlöst, statt dessen die Spannung hält und Elizabeth Stokes mit ihrer anrührendsten Kopfstimme singt: „I die, I die a little death“; ich höre mich nicht satt an „Whatever“ und „Future Hates Me“; und „Jump Rope Gazers“, das mir in seiner weit ausholenden Downtempo-Mellowness bisher vielleicht doch etwas zu sehr Richtung AOR ging, entpuppt sich heute als vielleicht schönstes Stück des Abends. Bester Technikmoment des Konzerts ist Gitarrist Jonathan Pearces beherztes Umschalten von Stokes‘ troggle switch auf die richtige Position (Stegpickup!) - und zwar während sie spielt!
 
Neu gibt es das bereits digital veröffentlichte „A Real Thing“ und das noch neuere „Silence Is Golden“. Beide bringen ein wenig mehr rockige Härte ins Portfolio der Beths, aber insgesamt bleibt alles nett im bestdenkbaren Wortsinn und keinesfalls im Sinne einer womöglich gar nicht existierenden kleinen Schwester von Scheiße.
 
 
THE BETHS
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