„MAYHEM LIVE IN LEIPZIG – WIE ICH DEN BLACK METAL NACH OSTDEUTSCHLAND BRACHTE“, Abo Alsleben (Buch, Bookra Verlag 2020)

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ABO ALSLEBEN

 

Im Jahre 1990 organisierte der spätere Herausgeber des feinen CADAVER, COPRSE & BOWELS-Fanzines Abo Alsleben drei Konzerte der norwegischen Black-Metal-Band MAYHEM in der Ex-DDR und begleitete die Band auf Tour. „Pff, 30 Jahre her und dann liefert der Kerl nur 150 Seiten!“, höre ich schon die Nörgler*innen unter euch. Aber hey, Goethe hat 60 Jahre an seinem „Faust“ geschrieben und so viel dicker ist der auch nicht.

Die eher knapp gehaltene Schreibweise Abo Alslebens hat ihre Stärken, kommt der Autor doch häufig mit markigen Kommentaren zum Geschehen auf den Punkt. Hätte er jetzt daraus eine Art Abo-Alsleben-Biografie gemacht, läge der Fokus eben auch nicht mehr auf den verrückten Tagen im November, in denen die Extremisten MAYHEM sich in den Zug gesetzt haben und über tausend Kilometer nach Ostdeutschland gereist sind.

Alsleben beginnt mit seiner musikalischen Sozialisation in der DDR, schildert den Briefkontakt mit Euronymous und dann natürlich die Konzerte an sich und deren folgende Mystifizierung, verbunden mit einem kritischen Blick auf das kurz darauf folgende Geschehen (Deads Suizid und dessen Ausschlachtung, der Mord an Euronymous durch den Faschisten Vikernes). Die Fakten an sich mögen hinlänglich bekannt sein, aber der Blickwinkel und der Stil Alslebens sind einzigartig. Es ist sauinteressant, allein den Briefwechsel der beiden zu verfolgen und mit Euronymmous‘ naiver Begeisterung für Sozialismus und Kommunismus konfrontiert zu werden, gleichzeitig aber auch dessen nachdenkliche Kommentare zur gesellschaftlichen Entwicklung lesen zu können: „Wissenschaftler haben uns noch neun Jahre gegeben, die Erde vor einer nicht mehr rückgängig zu machenden Verschmutzung zu bewahren, aber die multinationalen Konzerne kümmern sich nur um ihren Profit und da es nicht profitabel ist, die Umwelt zu schützen, tun sie es auch nicht.“ (S. 24)

Der Trip in Deutschland wird lebendig geschildert, ein typisches selbst organisiertes D.I.Y.-Chaos im Jahre 1990. Für die Bühne soll Abo Schweineköpfe kaufen, erledigt das in Chemnitz während der Wartezeit auf den Bus, indem er in den erstbesten Fleischerladen geht. Dort teilt ihm die Verkäuferin mit, dass man nur Hälften im Angebot habe: „Ich überlegte. Wir hatten wenig Zeit, der Bus nach Annaberg fuhr bald los und ich wollte die Band nicht enttäuschen. Ich bat die Verkäuferin, mir die drei linken und die eine rechte Hälfte zu geben. (…) Anschließend sprintete ich ins gegenüberliegende Konsum-Kaufhaus und kaufte in aller Eile einen Nadel-und Faden-Pilz. Der dünne Faden würde mir aber nichts nützen, überlegte ich. Die Fleischbatzen waren viel zu schwer! Ich kaufte noch zwei Sternzwirn und hastete zum Bahnhof, wo die anderen schon vor dem abfahrbereiten Bus nach Annaberg standen.“ (S. 33)

Die Konzerte wären vielleicht gar nicht zum Kult geworden, hätte nicht Matthias Herr über den Auftritt im Leipziger Eiskeller (später Conne Island) geschrieben UND hätte Abo Alsleben nicht spontan eine Leerkassette organisiert, um einen Mitschnitt als „nette Erinnerung an das Konzert und die Tage auf Tour“ (S. 74) anfertigen zu lassen. Dieser durch den Tontechniker getätigte Mitschnitt ist dann später von Euronymous an Roberto Mammarella vom italienischen Label „Obscure Plasma Records“ übergeben worden, der das Ding als die „MAYHEM LIVE IN LEIPZIG“-Platte herausgebracht hat.

Die ganzen Details sind an sich schon interessant und mit diversen haarstäubenden Anekdoten verbunden, man erhält auch einen Einblick in die Charaktere der Band.

Abo Alsleben bezieht auch erfreulicherweise klar Position gegen die damals aufkommende Neonazischeiße: "Gerade die Metalheads hätten sich der Gefahr durch Neonazis bewusst sein müssen, da sie lange Haare trugen und nicht dem Bild eines volksdeutschen Ariers entsprachen. Trotzdem redeten sie sich stets damit heraus, mit Politik nichts am Hut zu haben. Das ist, wie wenn eine Maus sagt, sie interessiere sich nicht für Schlangen oder Katzen..." oder „Deutsche Nazis stehen für Gewalt: Sie wollen eine deutsche ‚Rasse‘ auf deutschem Raum (wieder) erschaffen. Alle anderen werden rausgeschmissen und wer nicht schnell genug weg ist, wird eingeschüchtert, später eingesperrt und am Ende umgebracht. Und wenn Du hörst, dass eine Naziband in Deiner Nähe spielt, dann gilt es, dieses Konzert zu verhindern!“ (S. 96/97) So isset!

Als Anhang gibt’s Faksimiles von Euronymous‘ Briefen plus jeweiliger Übersetzung, allein schon den Kauf wert.

Insgesamt ein hochinteressantes Zeitdokument mit vielen kultigen Fotos!

 

ISBN: 9 783943 150667

 

CADAVER, CORPSE & BOWELS

 

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