SLIME, ZELLEN / 21.02.2020 – Kiel, Pumpe

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Philipp: Dass ich mir eine Band auf ein- und derselben Tour mehrfach angucke, passiert eher selten. Kann aber natürlich interessant sein – dieses Mal ergibt es sich bei SLIME, die unter dem Motto „40 Jahre SLIME – Durch alle Höllen und Tiefen“ unterwegs sind, eher zufällig. Und ich sage schon mal, dass sich der erneute Besuch gelohnt hat, gerade auch aufgrund der Tatsache, dass sich der Husumer Speicher (siehe Bericht) und die Kieler Pumpe doch sehr unterscheiden. Konnte letzte Woche von gemütlichem Zugucken in geselliger Runde gesprochen werden, ist in der ausverkauften Pumpe der Mob am Zocken und ich werde im Verlauf des Konzerts immer wieder mit einer neuen Ladung Bier besudelt. Kaum ist mein T-Shirt gerade halbwegs getrocknet, kommt der nächste (gefühlt volle) Bierbecher geflogen und überzieht mich mit einer frischen Schicht Bierlack. Die Frisur bietet am nächsten Morgen einen interessanten Anblick. Soll ja gesund sein.  

Vincent: Einige Veranstaltungen werfen ihre Schatten voraus, so im Falle SLIME aus Hamburg. SLIME haben sicherlich in 40 Jahren Bandbestehen viele Generationen von Punkrock beeinflusst und nachhaltig geprägt. 1979 in Hamburg gegründet, konnte mich diese Band schon in jungen Jahren begeistern, so war auch der Altersdurchschnitt an diesem Abend deutlich höher als bei anderen Konzerten. Aber immer schön der Reihe nach… Dokumentationen und die Bandbiographie „Deutschland muss sterben“ machten SLIME bekannt. Da hieß es pünktlich an der Kieler Pumpe sein, wo schon ordentlich Betrieb herrschte. Ich traf meinen alten Kumpel Hans und die Show konnte nun losgehen, in der Pumpe viele bekannte Gesichter, aber auch viel von Auswärts. Wir sicherten uns einen guten Platz und es stand prompt SLIME-Sänger Dicken neben uns, der uns freundlich begrüßte, ein netter Mensch.

 

SLIME

Fotos von Martina.

 

Philipp: Die (GRAUEN) ZELLEN passen in allen Belangen super zu SLIME. Zwischen letzter Woche und heute liegt natürlich auch noch ein Unterschied außer Größe des Ladens und Pogowut des Publikums: Hanau. Allen ist bewusst, dass sich in Deutschland etwas geändert hat und dass alle gefragt sind, sich dem rechten Terror entgegenzustellen. Da kommen Ansagen, wie Jan sie macht, mehr als willkommen und werden mit lauten „Alerta Antifascista!“- und „Nazis raus!“-Chören beantwortet. Ich finde, dass Jan sein Anliegen immer perfekt auf den Punkt bringt. Wie er seine Erlebnisse auf einer antifaschistischen Gedenkfahrt zu den großen Vernichtungslagern und den Konsequenzen, die er daraus gezogen hat, schildert, erzeugt bei mir jedenfalls ‘ne Gänsehaut: „Ich habe mir damals geschworen, alles dafür zu tun, dass die Millionen von jüdischen Opfern niemals vergessen werden!“ Musikalisch besetzen die ZELLEN immer noch eine ganz eigene Nische, die mit Punkrock nur ansatzweise beschrieben werden kann. Ist es vielleicht Proto Post Punk…? Jedenfalls reißen „Dieser Sommer“, „Nach Hause“ oder „Voran ins Gestern“ viele Besucher*innen mit und es wird deutlich, dass die ZELLEN mehr als nur eine „Vorband“ sind.

 

ZELLENZELLEN

   

Vincent: Auf der Bühne enterten die GRAUEN ZELLEN die Bretter und legten los. Ich habe die Zellen vor Jahren mal in der Rendsburger T-Stube bewundert, damals waren die Jungs angesagt. Heute erwachsen, präsentierten sie uns deutschen Punk und sprachen immer wieder die momentan schräge politische Lage an. Das Thema Rechtsradikalismus wurde angesprochen, ein jungs Mädchen stand am Ende des Sets mit auf der Bühne und sang mit. Der Sound war auf unserer Ecke leider etwas schwammig, eine interessante Vorband.

 

Philipp: Das Intro passt perfekt zum Tourmotto, denn aus düsteren Klängen schälen sich mit der Zeit zunächst undeutlich und verhallte Wörter wie Erinnerungsfetzen aus der Vergangenheit. Dann ertönt plötzlich deutlich der junge Dirk Jora: „Ihr kleiner Scheißhaufen werdet dieses Konzert nich in Arsch machen!“ Ich hatte es schon im Husum-Bericht geschildert, wie dann „A.C.A.B.“, „Hey Punk“ (dieser Übergang!) und „Legal/Illegal/Scheißegal“ die Setlist der legendären Pankehallen-Livescheibe wiederholt, aber noch nicht verraten, dass danach mit Klassikern und Überraschungen weiterhin nicht gegeizt wird: „We Don’t Need The Army“ oder „Artificial“ halten den Pit ebenso in Atem wie „Alptraum“ oder „Alle gegen alle“. Auch Dicken bezieht sich auf Hanau, ist gleichsam bei bester Laune und grüßt auch explizit „alle Langhaarigen“. (Sind hier in Kiel eigentlich mehr Kuttenträger als sonst? Auffällig ist das schon.) Ein schnurrbärtiger Bühnenerklimmer will irgendwas ins Mikro labern, wird aber abgewisen (Dirk: „Ich hatte eigentlich nur keinen Bock auf diesen Schnurrbart“). Schwers legt so ein Tempo vor, dass Dicken sogar Mick Jagger zitiert: „Charlie’s good tonight“, das dann auf Alex Schwers bezieht: „Digger, was hast du vor heute! Aber du bist ja auch noch jung…“  Jo, überhaupt fällt auf, dass SLIME gerne auch den ROCK im Punkrock betonen, IGGY AND THE STOOGES, MC5 oder TON STEINE SCHERBEN beim Namen nennen oder sich in „Mensch“ hineinjammen, was gerade Elf und Christian Mews zu genießen scheinen. Zu „Gewalt“ darf Dicken mal ein Päuschen einlegen, denn hier singt Elf, der auch bei einem der fünf neuen Stücke den Leadgesang übernimmt. Hier widmet er sich dem Thema „der große Austausch“ und dreht diese bekloppte Right-Wing-Verschwörungsscheiße um, indem alle Rechten gedanklich auf Schlauchbooten übers Mittelmeer „reisen“ dürfen. Ich bin gespannt auf das kommende Album, gefallen mir diese Songs doch beim zweiten Hör sehr gut. Auf „Schweineherbst“ folgt ein ungewöhnlich langer Block an Zugaben bzw. mehrere Blöcke hintereinander und es scheint, als könnten SLIME gar nicht genug bekommen. Ich müsste schon wirklich auf die Platten gucken und überlegen, ob mir noch ein Hit fehlt (vielleicht „Etikette tötet“ oder „Disco“, haha!), aber hier gibt’s mal nichts zu meckern.

 

SLIMESLIME

 

Vincent: Nun füllte sich die Hütte aber, das Intro von SLIME ertönte und die Band stand komplett edel in schwarz auf der Bühne. Der Song „A.C.A.B“. wurde als erstes gespielt und zündete auch bei den Zuhörern. Eine lange Setlist wurde uns nun präsentiert, auch von der im März erscheinenden neue Scheibe waren Songs dabei wie z.B. „Wem gehört die Angst“ usw. Ein Kumpel erzählte mir, dass es am Tresen wohl Ärger gab und die Securities einschreiben mussten, ohaaaa… Klassiker wie „Störtebeker“, „Goldene Türme“, „Gewalt“, „Gerechtigkeit“, „Ich kann die Elbe nicht mehr sehen“ bis „Religion“ waren alle vertreten. Beim Song „Gewalt“ wurden die Akustikgitarren rausgeholt und alle Bandmitglieder grölten mit. Sänger Dicken war an diesem Abend echt angepisst und hielt immer wieder Ansprachen, sich gegen Rechts gerade zumachen und nicht mehr wegzusehen. Das Publikum ging ab und es enterte ein Typ die Bühne, den Sänger Dicken aber belustigt wieder ins Publikum schickte. „In Hamburg sagt man Tschüss“ wurde aus der Box gespielt und das Licht ging an. SLIME hatten die Pumpe zerrockt und es war gegen 23.30 Uhr Schluss. Fazit: Ich habe SLIME sicherlich schon ein paarmal live gesehen, doch dieses Konzert war etwas Besonderes und Sänger Dicken war bei Laune…. 25, Euro- Eintrittspreis war auch in Ordnung, so verließen wir zufrieden die Pumpe.

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