NAZARETH, SPY # ROW / 30.11.2019 – Kiel, Räucherei

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Philipp: Puh, gerade noch ein paar Tage vorm Konzert Karten gekauft! Denn einen Tag vorher heißt es „ausverkauft“! Es hätte mich schon sehr geärgert, diese großartige Band erneut zu verpassen, nachdem ich bereits auf dem letztjährigen Wacken zu spät dran war und angesichts des überfüllten Zeltes den Rückweg antreten musste. Immerhin war ich 2017 bereits dabei – ein Konzert, welches mich mit Nachdruck daran erinnert hat, die NAZARETH-Abteilung in meiner Plattensammlung upzugraden. Dieser Tage sind die Schotten auf 50th Anniversary Tour und ein schönerer Grund zum Feiern und Touren als 50 Jahre Bandexistenz fiele mir nicht ein.

Torsten: Was für ein Zufall! Da will man eigentlich gar nicht auf ein Konzert und ist am Ende doch mittendrin. Es beginnt mit einer Tauschaktion für LPs, Kassetten und 'nem Shirt und es endet in der proppevollen Räucherei zwischen etlichen Karohemd– Trägern und Brezeln futternden Muttis (ist das noch Rock'n'Roll? Oder gar "schon wieder"?)

Ja, der Altersdurchschnitt heute ist ziemlich hoch. Ebenso die Disziplin – als ich an der Räucherei ankomme, sind die Türen noch nicht auf und eine ewig lange (ordentliche) Schlange Mensch steht in Zweierreihe (!!!) (wie brav) vom Einlass bis fast an die Straße. Ich bin fassungslos, hahaha! Soviel Rock'n'Roll hab ich lange nicht gesehen .... ;-) Nix für mich ... Denk ich noch als plötzlich ein Typ vor mir steht und mir sein Ticket unter die Nase hält: "Schenk ich dir. Ich kann heute Abend nicht." What!? Äh ... - oh, Ticket for free ... da "muss" ich dann wohl ...  Also auf ins Getümmel. Das NAZARETH–Gastspiel ist ja schon ein paar Tage ausverkauft. Demzufolge stapeln sich drinnen die AltrockerInnen und die Bedienung hinterm Biertresen kommt kaum mit dem Ausschank nach.

 

Philipp: Vor dem Vergnügen steht erst mal die harte Phase, in einem vollen und heißen Club Getränke zu ergattern und einen Platz zu finden, von dem aus man wenigstens semitgut wat sehen kann. Wobei die erste Band SPY # ROW im Grunde nur den Soundtrack dazu liefert, sich Song für Song ein wenig besser zu positionieren. Noch vor den Riesentypen, der das halbe Sichtfeld ausfüllt, ein wenig weiter weg von der laut schwatzenden Person mit der schrillen Stimme. Das Trio ist für meinen Geschmack zu zahm und zu glatt, um mich auch nur ansatzweise zu fesseln. Man könnte jetzt noch was von „gut gespielt“ faseln, aber komm, mehr als Standard wird hier nicht geboten, von wirklich inspiriert oder inspirierend sind SPY # ROW weit weg.  

Torsten: SPIRAL ROW (deren Bandnamen ich bei den vernuschelten Ansagen kaum verstanden habe) aus Frankfurt a. Main sind die Vorband. Vorband – genau das! Nicht mehr und noch weniger. Das ist so glatt und nichtssagend wie die Fönfrisuren der drei Musiker. Als die sich am Schluss mit der Menge fotografieren lassen, wirkt das wie fremdschämen, denn eigentlich waren die Reaktionen des Publikums grade mal höflich. Und nur weil der Laden voll ist, wird noch so'n typisches "Arme-Hoch-Foto" gemacht ... Nä ... geht gar nicht!

 

Philipp: NAZARETH wirken von Anfang an gut gelaunt und lassen sich auch nicht von technischen Fuck-Ups im ersten Drittel der Show irritieren (der Gesang scheint irgendwie im Mix immer mal von den Instrumenten verdrängt zu werden). Erstaunt stellt man fest, wie gut, ja, selbstverständlich Carl Sentance mittlerweile von den Fans angenommen wird. Das spricht wirklich für den kultigen Sänger (PERSIAN RISK, DON AIREY, Ex-KROKUS), besitzt Originalreibeisen Dan McCafferty doch eine der charismatischsten Stimmen des Rock’n’Roll. Es gibt genug Fälle, in denen ein Nachfolger auch nach Jahrzehnten immer noch als „der Neue“ angesehen wird oder bei jedem Konzert die „nicht schlecht, aber mit XY waren sie viel besser“-Sprüche kommen. Das höre ich heute nicht ein einziges Mal. Carl Sentance singt halt schlicht grandios und ist ein charmanter Bühnenmensch, der herrliche Sprüche raushaut und eine positive Ausstrahlung besitzt. Mit dem „Loud’n’Proud“-Knaller „Turn On Your Receiver“ (dit mach ich jeden Tag, Junge) geht es los, recht früh folgen „Razamanaz“ und „This Flight Tonight“. Spätestens jetzt haben NAZARETH die Menge im Sack. „Dream On“ folgt, eigentlich ja eine fiese Schnulze, aber so geil gesungen, dass ich leider von einer Gänsehaut berichten muss, die mir über die Kopfhaut krabbelt. Mittendrin allerdings ein plötzlicher Schock: Direkt neben uns erleidet ein Besucher einen Herzinfarkt! Schrecklich. Martina reagiert schnell und holt Security-Leute, während ein Freund den Mann solange stützt, bis er aus der Menge gebracht werden kann. (Man darf sich bei einem Herzinfarkt wohl auf keinen Fall hinlegen.) Seltsamer Zufall: Genau ab diesem Moment hat der Techniker/Mischer den Sound im Griff und die Qualität des Auftritts zieht noch mal an. Wir müssen das Gesehene zwar noch verdauen, werden aber schnell wieder in den Sog des Rock’n’Roll gerissen. Wahnsinn, was für einen knackigen und präsenten Basssound Originalmitglied Pete Agnew fährt! „Beggars Day“, „Changing Times“, „Hair Of The Dog“… die Band haut fast nur verdammte Klassiker raus und die zwei, drei Stücke des 2018er Albums „Tattooed On My Brain“ gefallen auch. Natürlich kommt auch „Love Hurts“ zum Zuge, für Freaks wie Lee Agnew (seit 1999 am Schlagzeug dabei) und Jimmy Murrison (Klampfer seit 1994) eine leichte Fingerübung. Ackern müssen sie dann wieder beim furiosen Finale mit „Miss Misery“, „Where Are You Now“ und „Go Down Fighting“. Ich bin fast wunschlos glücklich und habe nur „Expect No Mercy“ und „Every Young Man’s Dream“ vermisst, aber die waren beim letzten Mal dabei und es ist ja auch schön, wenn eine Band nicht ewig dasselbe Programm abspult. Nee, geil, das hatte Seele und sehr bald schon, nämlich im Januar 2020, darf man sich auf die fette „Music & Stories“-Tour mit URIAH HEEP, WISHBONE ASH und halt NAZARETH freuen! Geile Story, rock on!

 

Torsten: NAZARETH: Reibeisenstimme. Hardrock. Siebziger. Achtziger. Balladen. Coole (Fantasy-) Cover (ausgeschnitten aus der Melodie & Rhythmus 1988 oder so). Razz. Naz. 50!!! Jahre!!! Razamanaz. Verdammt cool! Und jetzt seh ich die Band sogar mal live. Ich staune klammheimlich in mich hinein.

Los geht's mit Dudelsäcken. Kommen ja aus Schottland, die Herren. Also kurz akustisch ab in die Highlands. Dann wird aber hardgerockt! Zwar ist DIE Reibeisenstimme (Dan McCafferty) nicht mehr dabei. Aber "der Neue" (Carl Sentance – sieht'n büsch'n aus wie Wolle Petry ;-) setzt seine Stimmbänder genauso gut und gekonnt ein (aber warum in diesem oll'n Rammstein – Shirt?). Egal, ob rockige Stücke ("Turn on your Receiver", "Hair of the Dog" oder auch neue (harte!) Stücke: "Never Dance with the Devil", "Tattooed on my Brain") oder eben die nicht totzukriegenden (Kuschelrock-) Balladen wie "Dream on" (ganz früh im Set) und "Love Hurts" – klingt alles super und macht tatsächlich Spaß! Es gibt zwar Soundprobleme (über die der Frontmann öfter Witze reißt), aber so nach und nach klingt es besser. Einziges Ur-Mitglied ist Bassist Pete Agnew (dessen Sohn Lee mittlerweile am Schlagzeug sitzt); man sieht ihm die 50 Jahre Rock kaum an; er brilliert am Bass und grinst hinter seiner dunklen Brille in sich hinein. Gerade auch dann, wenn Frontmann Carl das Kieler Publikum auf's Wochenende und auf's Partymachen einschwört und doch nur verhaltene (schüchterne?) Reaktionen erntet. Typisch Kiel, nech!? ;-) Egal, so nach und nach kommt die Chose in Gang. Am meisten natürlich bei den richtig bekannten Songs. Da schwelgen wohl alle in Gedanken an die (wilde) Jugend, erste Küsse und wer weiß sonst noch was. Für einen Konzertbesucher ist das zuviel. Direkt neben mir erleidet der einen Herzinfarkt und nur durch die schnelle Reaktion und Hilfe anderer Besucher, gelingt es, ihn nach draußen zu bringen. Gute Besserung! Puh, nicht so schön. Aber der Rock'n'Roll–Train rollt immer weiter. Das flutscht nun echt gut und es ist schade, als die Band sich verabschiedet. Aber tatsächlich holt das Publikum NAZARETH zurück und es folgen noch drei (richtig gute) Zugaben! Wat'n Glück! Tolle Show! Nix erwartet und gut eingeschenkt bekommen. So muss dat! Hard-Rock'n'Roll never dies! Da kriegt man Appetit auf den nächsten Happen – Razamaaannnaaaaaaazzzz!!!!!

 

PS: Vielen Dank nochmal an den unbekannten Kartenverschenker!!! Ich hab für dich mitgerockt, Mann!!!

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