Sewer Rats, Grave Pleasures, Tiger Army / 17.11.2019 - Hamburg, Bahnhof Pauli

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So wirklich erklären kann ich es mir bis jetzt nicht, warum das gestrige Konzert von der Fabrik in den Bahnhof Pauli verlegt werden musste (Laut Inernet steht es 1200: 400). Ich hatte ehrlich darauf getippt, dass es zumindest ziemlich voll werden wird in der Fabrik. Zumal Tiger Army gerade ein neues Album am Start haben und das restliche Line-Up wirklich punkten kann. Und das letzte Gastspiel als Headliner im Logo liegt auch schon etwas länger zurück. Vielleicht liegt es an der (vermeintlichen) (musikalischen) Engstirnigkeit der eher puristischen Psychobillyszene?  

 

Ich bin mir zumindest sicher, dass einige die Entwicklung der Hauptband nicht mehr mitgemacht haben. So ist jedes Album etwas anders geartet. Die früheren Alben beinhalteten eher gothwavigen punkigen hymnischen Psychobilly, der mehr und mehr durch rock'n'rolligere/(fuzz)garagigere Elemente und allgemeinem Luschern auf die 50s/60s inklusive Surfelementen verdrängt wurde. Obwohl man ehrlich sagen muss, dass jede Phase dieser Band mit tollen Melodien aufwarten kann und Nick 13s markanter Gesang thront eh über dem Ganzen. Kurzum, Stilgrenzen sind dieser Band ziemlich fremd. Vor allem das Album „V“ sorgte sicher durch seinen hohen Popappeal für Gesprächsstoff. Auch ich fand es ersma gar nicht gut, konnte meine Meinung nach zahlreichen Hören aber komplett revidieren. Heute finde ich es sehr gelungen und ich mag den Retrobezug sehr gern. Musikhistorisch kann man gegenwärtig auch richtig einordnen, dass insbesondere die erste Punkwelle (allein alterstechnisch) durch diese Zeit der 50s/60s geprägt waren. Man denke da zum Beispiel an die mighty Ramones samt ihren Harmonien, die sich laut eigener Aussage stark an diese Dekaden orientierten. Auch der neue Rohling „Retrofuture“ reiht sich mit seinem Quasi-Mix aus allen Veröffentlichungen gut in die bisherige Diskografie ein, wobei es für mich keinen der vorderen Plätze belegt.  

 

Nun ja, für die Bands war die Verlegung dann schlecht, ich für meinen Teil war gespannt. Die Location „Bahnhof Pauli“ kannte ich bis dato nur vom Hörensagen und somit war ich nicht nur auf die Bands sehr gespannt! So ging es nach Burgermampfen im „Grilly Idol“ (wann kommt ihr endlich nach Kiel?) mit den sehr sehr frühzeitig erworbenen Tickets (dieses Mal sogar bedruckt mit dem „Retrofuture Tour“-Design) ein paar Straßen weiter zum sonntäglichen, musiktechnisch abwechslungsreichen Dreiergespann.  

 

Vorbei am schon aufgebauten X-Mas-Markt zum Spielbudenplatz in den Keller des durch LED hell erleuchteten Klubhauses St Pauli. Und ich kann schoma sagen, im Stil eines stillgelegten U-Bahnhofes ist die Location schon ganz abgefahren. Wobei mir das schlussendlich dann doch etwas zu „gewollt“ is mit den Graffitis, alte U-Bahn umgebaut zur Bar etc.. Programmtechnisch ist da auch eine Vielfalt, bei der man nicht wirklich von Rock'n'Roll-Schweiß sprechen kann. Zunächst wirkte es im Vergleich zur Fabrik echt erschreckend klein.  

 

Die erste Band des Abends waren Sewer Rats, die ich vor zig Jahren in der Bude schon sehr beeindruckend fand. Gestern kam mir auch schnell wieder ins Gedächtnis, warum das so war: die unglaubliche Spielfreude des Trios bleibt einfach haften. Das is so eine Band, der das anscheinend total egal is, ob sie vor 2, 200 oder 2000 Leuten spielen. Ihnen war der undankbare Slot, als erstes das Publikum zu vergnügen, bestimmt auch bewusst. Auf die eigentliche Tanzfläche verlor sich außer einem hippen St Pauli-Rocker-Fotograf dann auch zunächst keiner. Hauptaugenmerk war das immer noch aktuelle '17er-Album „Heartbreaks And Milkshakes“. Auch bei ihnen is eine musikalische Entwicklung zu vernehmen, damals zu „Wild At Heart“-Zeiten noch so rockabillyger Punkrock mit Slapbass, heute eher auch vom Kleidungsstil Richtung kalifornischer Bubblegum(pop)punk. Aber die Pomade blieb. Wie von allen Bands des Abends habe ich mindestens zwei Pladden im Schrank stehen und ich attestiere hier einfach ma ein gutes Händchen für schmissige Melodien. Teils vierstimmig endeten sie nach einer guten Dreiviertelstunde das Set mit „Too Punk For You“.  

 

Im Anschluss kamen dann für ungefähr die gleiche Spiellänge nach einer kurzen Pause die ex-Beastmilker Grave Pleasures. Fand ich das erste Album noch geradezu sensationell, schlich sich beim Debüt unterm neuen Namen leider etwas Ernüchterung ein. Vielleicht war der Überraschungseffekt nicht mehr vorhanden? Das Nachfolgealbum fand ich dann aber auch wieder gut (obwohl da auch viele sagen: laaangweilig). Allesamt in schwarz gekleidet betraten sie die Bühne und fingen an. Ich bin mir nicht sicher, ob alle im Publikum sie wirklich einordnen konnten. Dem Sänger in seinem Samtanzugsjacke schien etwaige Reaktionen egal, man hatte das Gefühl, dass er in seinem „Film“ war, und das meine ich absolut positiv. „Death Reflects Us“, „Be My Hiroshima“ sind sicherlich nicht nur bei mir große Hits. Referenzen a la Sisters Of Mercy, The Cure, Joy Division sind defintiv nicht von der Hand zu weisen. Hätte mir bei ihnen gewünscht, dass der Saal mehr abgedunkelt wird, das hätte die Atmosphäre noch verstärkt. Fand aber, dass es ein guter Auftritt war! Auch bei ihnen hatte man den Eindruck, dass die meisten eh wegen Tiger Army da waren.  

 

Nach einer dieses Mal etwas längeren Pause folgten Nick 13 und seine Tiger Army. Allgemein wird hier Ästhetik großgeschrieben, seien es nun die (wundervoll trashigen) Albumcover, der Kleidungsstil und die Verwendung von originalen alten Vintageequipment. Ich kann hier nicht wirklich irgendein Lied in den Vordergrund stellen, jedes der mittlerweile sechs Alben wurde bedacht, wobei „Pain“ mittlerweile so der Live-Mitgröhllied zu sein scheint. Songtechnisch wurde die ganze Stilvielfalt ausgebreitet. So verlassen sich ja einige Bands in dieser Größenordnung auf garantierte, sichere Live-Smasher, die nach vorne gehen und die Meute mitziehen. Hier wurde nach einem eher schnelleren Song z.B. das Gaspedal auch gern ma gedrosselt oder gar ein instrumentales Interlude eingeworfen. Das ändert natürlich wesentlich die Dramaturgie eines Abends. Ich fand es schon auch ein wenich mutich, mit den Erwartungshaltungen zu spielen und im Grunde auch nichts drauf zu geben. Ich glaube eh, dass vielen die gesamte Diskografie eher nicht ganz geläufich war. Flattops, alte Bowlinghemden und ganz viel Pomade gab es gar nicht zuhauf, wie gedacht. Am Ende durfte jeder noch ma sein Können an den Instrumenten zeigen (Slapbass-Spieler sind schon eindrucksvolle Musiker) und nach einem kleinen Zugabenblock war dann auch nach einer guten Stunde Schluss an diesem (auch eher undankbaren) Sonntag. Kein totaler Abriss und ich hab ein paar Hits sehr vermisst, aber ein wirklich gutes Konzert! Drei von drei Bands waren gut! Das hat man auch nicht immer!  

 

P.S.: T-Shirts von Gildan für 25€ muss nicht sein. Ich finde es nach wie vor echt schade, dass gerade in einer Szene, in der vieles kritisiert/politisiert/polemisiert etc. wird, es nicht Gang und Gebe ist, Fairtrade(Bio)Ware anzubieten Das würde ich mir wirklich wünschen, das Geld sollen die Bands ja auch gerne kriegen!

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