NO SUGAR, TOT / 04.10.2019 – Kiel, Schaubude

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So faul wie sich NO SUGAR auf ihrem Albumcover im Bett fläzen, können sie gar nicht sein, haben sie doch erst vor nicht mal anderthalb Jahren ihren ersten Auftritt gespielt (FKK) und präsentieren jetzt bereits ihre erste Scheibe „Rock’n’Roll Isn’t Boring, It’s You“.

Beim Nachdenken über den Plattentitel fällt mir zunächst auf, dass mir gegenüber noch niemand etwas Derartiges behauptet hat, dann aber auch gleich, dass ich privat auch gar keine Menschen (mehr) kenne, die nichts mit Rock’n’Roll am Hut haben. Wie auch, wenn man jede Minute seiner Freizeit mit Konzertbesuchen, Scheibenernte oder Musikgenuss verbringt… Hm, und beruflich? Meine Kolleg*innen sind echt eher so Bildungsbürger, die in die Oper gehen und/oder klassische Musik hören. Die mögen zwar keinen Rock’n’Roll, finden ihn aber nicht langweilig, sondern wohl eher barbarisch oder so. Da fällt mir ein: Ich habe mal einem Kollegen eine OMA HANS-LP geliehen, weil ich dachte, dass die Texte ihn ansprechen könnten, er gab sie mir sehr schnell mit den Worten zurück, dass ihm diese Musik „deutlich zu vital“ klinge.

 

NO SUGAR

Bilder von Svetlana Grigorieva

 

Auch TOT dürften zu vital für den geschätzten Kollegen aufspielen. zocken die Ostfriesen doch noisigen Garagenpunk. Der Anteil klassischen Rock’n’Rolls ist sehr hoch, die beiden Gitarristen des Vierers solieren und riffen in einer protopunkigen Art und Weise, die an MC5 denken lässt. Reizvoll finde ich auch die Gestaltung des Gesangs. Trotz wütender und politischer Inhalte, die sich schnell an Titeln wie „Ungehorsam“, „Knüppel und Granaten“, „Das Schlachthaus“ oder „Was sich nicht gehört“ ablesen lassen, wird eher entspannt-melodiös geschmettert. Gerade bei Zeilen wie „Die Schweine bringen uns leise um“ oder „Ich kann hier nicht mehr atmen – das Land gehört zerstört“ erzeugt das eine beißende Ironie. Aggressiver agieren TOT bei der „Kündigung“, einem Schieber, der mich an TREND (Landau) denken lässt. Insgesamt so überzeugend, dass ich die „nuclear edition“ des „Untergang“-Tapes abernte. TOT sind tot!

 

NO SUGARNO SUGAR

 

Als Intro für ihre Release-Sause haben NO SUGAR sich für DEF LEPPARDs „Pour Some Sugar On Me“ entschieden. Mitwippend und mitsummend beobachten wir, wie die Band die Bühne entert. Wohlwollend wird zur Kenntnis genommen, dass kein Bandmitglied einfach nur wahllos in den Kleiderschrank gegriffen hat. Nein, Flicke und Nina tragen schwarze Glitzer-Schlaghosen mit Flammen druff, die Oberteile passen farblich zu Willers Jacke in schmutzigem Straßenköterblau, dazu hat Nina sich noch eine Art Blumengelöt um die Haare gewickelt. Und Tim steckt in einer goldenen Frischhaltefolie, alles sehr stylish. Minimalistischerweise kommen die Songs mit wenigen Akkorden aus, enthalten aber dennoch viele Details. JoyBoy bezeichnet den Stil in seinem Wilwarin-Review als „eigenwillig zusammengestellten Neo/Retro-Rock’n’Roll“. Das empfinde ich als sehr passend, findet man in den Songs doch Elemente, die ebenso an 60ies Rock’n’Roll-Gitarren denken lassen wie auch an 80ies Pop-Gesang, jedenfalls wirken NO SUGAR sowohl old schoolig als auch modern. Die meisten Stücke werden durch den Doppelgesang von Flicke und Nina geprägt, wobei auch Willer diverse Gesangseinsätze hat. Die gut gefüllte Schaubude ist von Anfang an voll dabei und bringt Support für die Inhalte der Band, die sich u.a. gegen toxische Männlichkeit, sexistische Strukturen und/oder üble Rollenklischees im Rock’n’Roll richten. Ich habe NO SUGAR viel zu lange nicht sehen können und stelle eine enorme Weiterentwicklung fest. „Time’s Up“, „Pizza Girl“, „Can’t Help My Generation“ oder auch der auf Akustik-Saiten gespielte „Hidden Track“ bleiben auf Anhieb kleben. Und man spürt förmlich, dass die Band sich noch weiterentwickeln wird. Ich bin gespannt und drehe das Album jetzt nochmal um.  

 

NO SUGAR

Kommentare   

+2 #1 Tom GoStereo 2019-10-09 15:31
"... eine Art Blumengelöt um die Haare gewickelt." Da spricht der Hohzeits-Frisuren-Experte. :-D

Schöner Bericht zu nem schönen Abend!
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