BELL WITCH & MONARCH / 03.04.2018 - Hamburg, Hafenklang
0
0
- Details
- Kategorie: Berichte aus dem Pit
- Veröffentlicht: Montag, 09. April 2018 20:01
- Geschrieben von Steffen Frahm
- Zugriffe: 1726
Nirgendwo in der gentrifizierten, vollverlofteten, spezialgeschäftlichen und schnöselgastronomigen Großen Elbstraße stinkt es so nach Pisse und sogar Scheiße wie vor dem „Hafenklang“. Wären meine Schwester Niesie Ha und ich blind und taub, wir könnten immer noch am Aroma erkennen, daß wir da sind. Im Foyer treffen wir die beiden Blitz-Typen L. und H. nebst mitgebrachter Stammkundschaft. Wie wir reisen sie im Mercedes an und bringen den zusammenkonsumierten Merch direkt im Kofferraum in Sicherheit. Schon vor dem Einlaß fiel mir dieser studentisch anmutende junge Herr auf, der säuberlich seinen mit einem der üblichen unleserlichen Spinnenbein-Spaghetti-Logos beflockten Jutebeutel auseinanderfaltete; was sich gut machte zur wie aus dem Ei gepellten schwarzen Kutte, deren meticulously getetriste Patches allesamt fleckenlos wie ondulierte Stubenkatzen im schwindenden Licht um die Wette repräsentierten.
Soweit ich es in Erinnerung habe, neigten viele Metalheads tatsächlich schon immer zum pfleglichen Umgang mit Fan-Ware. Aber besagter Kuttenträger erinnert mich eher an einen feingeistigen Briefmarkensammler. Allein das Wort „Kutte“ wirkt schon anstößig im Glanze seiner Ausgehjoppe. Früher war mehr Speck. Und L. stellt die Hypothese auf den Gehsteig vor dem „Hafenklang“, daß sich der durchschnittliche BMI in der Metalszene in den letzten Jahren locker um 10 Punkte nach unten bewegt haben dürfte. Ich füge hinzu: Von mehr oder weniger rühmlichen Ausnahmen wie mir abgesehen (ganz zu schweigen davon, daß ich outside bin). Philthy „Animal“ Wolter, die Margot Käßmann der aufgerissenen Marshall-Endstufe, ist ja heute Abend bei NAPALM DEATH…würde mich direkt mal interessieren, wie es da so rein specksoziologisch vonstatten ging. Sein Review dürfte ganz in der Nähe sein.

Souvenirs vom Satanistenkonzert: Opfere deine Eltern, ER will es so...
Neue Besitztümer neben der Monarch-CD: 2 BELL WITCH-Tapes, 1 Bell Witch-Demo-LP, 1 CD von SORDIDE, einem ziemlich geilen Black Metal-Projekt des Monarch-Drummers Benjamin Sablon und 1 Monarch-Büdel. Das hat man selten, DREI Formate! Und apropos „outside“: Immer wenn ich mal wieder zum Planeten Metal rübermache, wie gestern Morgen auf dem Weg zur Maloche, als ich mich für die Landstraße entschied, um der neuen Bell Witch mehr Zeit zu geben (und ZEIT braucht dieser Riemen wahrlich!), denke ich: Man müßte ein extra Leben haben, in der man NUR SOLCHE MUSIK hört. Nach einer Weile wird es mir zuviel, und ich gehe erstmal wieder woanders hin.

Emilie Bresson, Sängerin bei Monarch ist eine zierliche Person mit Handtäschchen und einer Ladung Kerzen unter dem Arm. Die stellt sie auf ihr mit umgedrehten Kreuzen beklebtes Effekt-Pult und zündet sie an. Einige reicht sie an ihre Mitmusiker weiter. Kurzer Vocalsoundcheck Madame Bressons und des growlenden Bassisten (an dessen Instrument die G-Saite fehlt, was ich völlig verständlich finde), und dann geht es auch schon los.

Monarch benennen u.a. die mächtigen MELVINS (deren letzte gefühlt 20 Alben es irgendwie nicht gebracht haben) als Einfluß. Wenn ich dem bereits erwähnten Benjamin Sablon (und später auch dem Bell Witch-Schlagzeuger) bei der Arbeit zuschaue, bekomme ich wieder den Eindruck, daß Dale Crovers idiosynkratisches Spiel bei ungezählten Drummern tiefe Spuren hinterlassen hat. Kick und Snare melden sich zwar überwiegend auf 1 und 3, aber das heißt ja nicht, daß man etwa einen zwar äußerst langsamen aber dennoch profanen Beat spielen würde; statt dessen freies Akzentuieren und variantenreiches Gebreake um die Time herum. Dank dieser Methode entsteht einerseits die Anmutung eines Verharrens vom Typ „Schwebender Monolith“, andererseits bewegt die Musik sich ächzend und ruckend vorwärts. Und die ausgesprochene Laaaangsamkeit versetzt Monsieur Sablon in die Lage, seine Schläge in expressive Gestik zu verpacken, die oft nach Martial Arts mit 2 Schwertern aussieht. Toll anzusehen und rumst wie ein Laster voller Hinkelsteine! Seine Kollegen werfen sich dazu todesverachtend in jeden angeschlagenen Akkord, und die Saiten der Gitarren wobbeln wie dicke Taue. Was sie angeht, ist dieser Auftritt erwartungsgemäß eine einzige in die Länge gezogene Halspickup-Situation. My Humbucker weighs a ton. Genau das Richtige für Leute wie mich, die ihren Metal gern auf Mehlschwitzebasis mögen.

Das überwiegend von Galeerenschlägen auf die Toms getragene und kurze „Song To The Void“ ist der isolierbarste, genau, Song des etwa einstündigen Sets. Ansonsten verlieren Fragen wie „Ist das schon das nächste Stück?“ oder „Ist das eine ruhige Stelle in diesem Stück?“ oder „Ist das Ganze vielleicht ein einziges Stück?“ bald an Bedeutung. Alles ist im stetigen Fluß bei Monarch, kocht hoch und wieder runter. Die Arrangements sind halboffen, legen sich nicht fest, und tatsächlich erwähnen Monarch in ihrem Presseinfo Momente der Improvisation. Die leisesten Stellen bestehen aus runtergedrehtem Ambient für Elektriker (auch bekannt unter der Bezeichnung „Drone“) und geflüsterten Worten Emilie Bressons, die ihre Hall- und Echoeffekte selbst regelt. Am oberen Ende ihres Dynamikspektrums klingen Monarch wie eine BLACK SABBATH-Single auf 16 Umdrehungen (die Vocals natürlich ausgenommen). Immer wieder verdammt Aha-mäßig, wie diese Ur-Band aus unzähligen anderen rauszuhören ist.

Monarch entlassen ein begeistert applaudierendes und vereinzelt gar Zugaben anmahnendes Publikum. In unserer zusammengewürfelten Gruppe herrscht Meinungsvielfalt: H. stellt zurecht fest, daß Tightness offenbar nicht ihr oberstes Ziel ist und scheint sich nicht sicher zu sein, ob er das kritikwürdig finden soll. Für Niesie Ha war das Ganze etwas zu bedrückend, ich hingegen mache ein weiteres Mal die Erfahrung, daß Verdammnis ohne Umschweife mit meinem Romantikzentrum kommuniziert. Der äußerst gelehrte Frank Schäfer hat in seinem Buch „111 Gründe, Heavy Metal zu lieben“ dargelegt, daß Metal wie Karneval ist. Bin zwar auch keine Faschingstrine, aber da kann ich ´ne Menge mit anfangen. Gerade extremere Doom-Derivate öffnen bei mir Räume, in denen ich bestimmte Aspekte anders empfinde und bewerten kann: Was mir in gewohnten Fahrwassern prätentiös, kitschig, lächerlich erscheinen würde, kann ich hier plötzlich kuschelig und sogar leicht anspiritualisiert finden. Nehmen wir beispielsweise WOLVSERPENT aus Boise, Idaho (auch um allmählich zum Thema „Doom-Duos“ überzuleiten): Ich kann mir ewig lang Brittany McConnells mehrstimmiges Gefiedel anhören, während im Hintergrund das Lagerfeuer knackt. Das ist wie „Herr der Ringe“, und dann sitze ich da, starre in die Glut und erwarte das Ende meines Zeitalters.
L. berichtet noch, er habe während des Monarch-Auftritts mit seiner Mutter geschrieben, was ich an sich schon ganz reizend finde. Was das denn für ein Konzert sei, wollte sie wissen. „Ein Satanistenkonzert“, lautete seine Antwort. Er bemängelt außerdem unauthentisches, allgemein übermäßiges Stage-Acting. Habe ich ganz anders erlebt, aber so ist die Welt.
Eigentlich erstaunlich, daß ausgerechnet Doom Metal so viele Duos hervorgebracht hat: Die extrem verdichteten DARK CASTLE aus Florida, OMMADON aus Schottland (ca. wie SUNN O)))) mit Drummer) oder eben Bell Witch aus Seattle. Weniger als 50% Leute auf der Bühne als bei Monarch, aber L. antizipiert schon beim Wiederreingehen, daß es jetzt wohl im unteren Frequenzspektrum nochmal üppiger wird. „Und muckeriger“, ergänze ich, aber das ist ausnahmsweise mal nicht böse gemeint.

Dylan Desmond führt in den nun anbrechenden gut 50 Minuten eindrucksvoll vor, daß man eine 6saitige Baßgitarre durchaus sinnvoll nutzen kann. Er ist ein Meister des achtfingrigen Hammerings, und diesen Fachbegriff bringt man ja gemeinhin mit Leuten wie Erwin Van Halen oder Ingrid Malmsteen in Verbindung, aber damit hat DAS HIER nichts zu tun. Am unteren Ende des breiten Griffbretts hämmert er Akkorde, weiter oben Melodielinien. Dabei sind seine Hände konfiguriert, als bediene er eine riesige Querflöte, und die von Akkord zu Akkord sich neu sortierenden Fingersätze lassen eigentlich eher an Tasteninstrumente denken. Dylan Desmond ist 2,5 Musiker, er ist Bassist und mindestens ein Gitarrist. Logisch, daß so ein Typ 3 Amps braucht, aber diese undurchdringliche und doch jede Nuance seines Spiels (auch die mikroskopisch kleinen Verhacker) abbildende Talsperre-of-sound rechtfertigt jeden technischen Aufwand. Dazu singt er auch noch: Einerseits mönchische Töne in vollstem Bariton, der sich wunderbar mit dem Klang seines Instruments mischt, andererseits melodische Lines mit zarter Stimme, die der überbordenden Soundgewalt eine zerbrechliche, geradezu demütige Nuance einhauchen. So tieftraurig ist diese Musik, so unendlich melancholisch verharrend und gleichzeitig so archaisch und unbeugsam voranschreitend wie tektonische Platten.

Daran hat Jesse Shreibman, der den tragischerweise verstorbenen Adrian J. Guerra am Schlagzeug ersetzte, keinen geringeren Anteil. Sein Drumming ist brutal auf den Punkt, jeder der zahllosen Akzente sitzt wie gemeißelt, und mit einem Fuß spielt er Grundtöne auf einer Orgeltastatur. Außerdem ist er für langgezogene, trockene Growls zuständig, die sich aus der Musik schälen und wieder darin versinken. Ich erlebe es selten, daß ich Musiker über die gesamte Dauer eines Auftritts anstarre, weil ich so gebannt bin von ihrer Arbeit. Die auf eine Seitenwand projizierten Filmausschnitte beachte ich kaum. Ohne daß ich sagen kann, was es da wirklich zu sehen gibt, kommen sie mir vor wie eine assoziative Mischung aus Eraserhead, Nosferatu und Buster Keaton, aber wie gesagt: Wäre gar nicht nötig gewesen. Was diese 2 Topplayer hier veranstalten ist gleichermaßen Genuß für Ohr, Seele und Auge. Als es vorbei ist, braucht es nicht mehr davon. Wir sind reich beschenkt worden.


Der Besitzer dieses Arbeitsplatzes ist 2,5 Musiker.
Nachdem L., ein Freund von L. und ich, die wir zusammenstanden, wieder zu uns gekommen sind, bleibt die Frage, was genau Bell Witch da eigentlich gespielt haben, unbeantwortet: L.s Freund behauptet voller Überzeugung, mindestens das zweite Stück (Gab es ein zweites Stück? War das nicht alles EIN Stück, siehe oben?) sei von der „Four Phantoms“ (2015) gewesen. Ich gehe davon aus, gerade die erste Hälfte der „Mirror Reaper“ (2017) gehört zu haben. Und L. meint, er habe was vom Debüt „Longing“ (2012) erkannt. 3 Typen, 3 Meinungen. Wir sind mir schon so´n paar Experten. Ist aber ja eigentlich auch egal.
powered by social2s
Kommentare
Waren schonmal da? Da wäre ich GERN bei gewesen!
Interessant, daß Du meinen Vergleich als Wolter-DISS interpretierst, haha.
Alle Kommentare dieses Beitrages als RSS-Feed.