SNIFFING GLUE, IRON, SCHWACH, KAPOT / 07.01.2017 – Hamburg, Hafenklang

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Philipp: Worte, die mensch nicht gern hört, wenn er oder sie gerade vor der Kasse steht: „Sorry, ausverkauft, keiner passt mehr rein!“ Aber zum Glück lässt sich Daniel Hafenklang von Lisas Worten „Wir sind extra aus Kiel gekommen!“ erweichen. Sein „Na gut, ihr seid aber absolut die letzten!“ klingt irgendwie nicht nur so, als habe er das heute schon mal gesagt, sondern auch so, als könnte er diese Worte später noch ein weiteres Mal äußern… 

Pan: Dieses Konzert wurde ja so rechtzeitig im Voraus angekündigt, dass ich mich darauf gefreut habe, es wieder vergessen habe und mich dann beim Wiederentdecken nochmal darauf gefreut habe. Also wird sich am Samstagabend trotz gemeingefährlichem Glatteis von der Couch geschält und der Weg Richtung Hafenklang angetreten. 


SNIFFING GLUE_IRON

Triple Review von Pan, Herb und Philipp.




Pan: KAPOT eröffnen vor dem bereits gut gefüllten Goldenen Salon und spielen Punk mit deutschen Texten. Die Band müsste inzwischen auch schon seit 1,2 Jahren unterwegs sein und ich finde, mittlerweile wirken die 4 gut aufeinander eingespielt und im positiven Sinne souverän. Textlich sind sie schön kritisch und ich freue mich, dass es mit „Nebellungen“ auch ein Lied gibt, das sich gegen rücksichtslose Raucher_innen wendet. Ich persönlich finde es ja echt mehr als ätzend, dass die vermeintliche „Freiheit“ von Raucher_innen in den meisten Venues nach wie vor über die Gesundheit von nichtrauchenden Menschen gestellt wird. Das Hafenklang ist übrigens heute mal explizit rauchfrei, was mich sehr freut – aber warum klappt das eigentlich nicht bei jeder Show?

Herb: Was gibt es Besseres, als das neue Jahr mit einem amtlichen Konzert zu starten? Nichts, also fahren wir Richtung Hamburg, wo SNIFFING GLUE, IRON, SCHWACH und KAPOT im Hafenklang spielen. Der gute Genremix sowie der faire Eintrittspreis (8 Euro) sorgen für einen richtig gut gefüllten Goldenen Salon im Hafenklang. Dabei ist das Publikum bunt gemischt. sXe-Hardcoreler*innen, Metaller*innen und Krusten, alle sind heute da. 

Kurz nach neun fangen KAPOT dann auch an. Musikalisch ist das hier neuer Deutschpunk, Richtung PASCOW oder KAPUT KRAUTS,, wenn auch mit ordentlichen HC-Einflüssen. Dabei wird hier aber nicht zuviel nachgedacht, sondern gerne auch straight Gas gegeben. Hinzu kommt eine ausgefeilte Gitarrenarbeit (Soli oder auch mal postpunkig wie bei 'Waidmannsdank'), dazu ein paar Ohohohs und allgemein das Bemühen, eben nicht wie die eben genannten Referenzen zu klingen, sondern eigenständig abzuliefern. Was meines Erachtens auch gelingt. Am Gesang scheiden sich zwar die Gemüter, alles in allem aber ein guter Auftakt. Sehr schön auch die Oury-Jalloh-Gedächtnisansage („Kien Vergeben, kein Vergessen“). 


Philipp: Leider sind KAPOT bereits durch, als wir den in der Tat restlos vollen Goldenen Salon betreten. Aber zum Rumärgern bleibt keine Zeit, denn SCHWACH zocken bereits und ziehen uns schlicht die Schuhe aus! Im Grunde hatte die Band bereits bei mir gewonnen, als ich zum ersten Mal ihren Namen hörte. Denn wie schön ist der bitte! Da machen so viele Toughguy-Spackos auf hart und da kommen diese Punks daher, nennen sich SCHWACH, packen ein Faultier auf ihr Debutcover und nennen das Ding „Kein Bock.“ Und sind allein damit schon mehr Punk als diese ganzen Pseudos. Angenehmerweise sind SCHWACH dann sogar noch besser als erhofft. Die Band hat so einen pumpenden Sound, der einen sofort mit Energie erfüllt. Kein Wunder, dass vorne bereits alles am Zappeln ist. Der Hammer sind auch die Texte, die ich zwar auf Anhieb live nur rudimentär verstehe, aber es gibt ausführliche und sehr sympathische Ansagen. Und die Platten der Band enthalten nicht nur Textblätter, sondern auch Linernotes. Dort heißt es zum Beispiel: „SCHWACH is against wage labour and for more laziness“. Oder mal ein Textauszug: „Dachten immer, wir trennen uns nie / Haben uns immer geschworen, nicht zu werden wie die / Von best friends zu Online-Bekanntschaft / Wir haben versagt, wir haben es nicht geschafft“ („Schwach 2“). Die Texte rotzt der Sänger derbe, aber gerade noch melodisch und in packender Rhythmik heraus, Gitarristen und Bassist grunzen immer mal ergänzend rein. Wer das Gefühl hat, dass es nur noch Affenhardcore oder Ironiezeug gibt, dem könnten SCHWACH den Glauben an Hardcore/Punk mit wat Inhalt und wat Wut zurückgeben!

Pan: SCHWACH sind wirklich toll und kombinieren druckvollen Youth Crew-Punk mit intelligenten, deutschen Texten. Live feiere ich das Ganze immer noch ein bisschen mehr als auf Platte, weil sich für mich bei den SCHWACH-Shows jedes Mal wieder eine Wahnsinnsenergie transportiert und man den Beteiligten einfach anmerkt, dass sie nach wie vor richtig Bock auf das haben, was sie machen. Natürlich ist es heute nicht anders. Ab der ersten Minute springen alle 5 über die Bühne und lediglich ein paar erläuternde Ansagen von Tobi unterbrechen das Gezappel. 

Herb: Dann SCHWACH aus Berlin. Hier regiert der klassische Hardcore, aber nicht die metallische „Wir hören ganz viel Slayer“-Mosh-Variante, sondern das, was immer als positive Hardcore bezeichnet wird, dazu noch eine gewisse Punkkante. Ist auf jeden Fall verdammt energiegeladen, vor allem der Drummer peitscht die Songs in bester Hardcoremanier nach vorne, auch der Mix aus schnellen Abgehparts und langsameren Passagen passt. Dazu kommen Songs übers Vegan-sein ('Vegan' – weil Tofu einfach alles kann), wobei dem „Vegan for Fit“-Trend eine klare Absage erteilt wird und 'Mittelmeer' gegen das massenhafte Sterben in diesem. Richtig geiler Hardcore-Punk, SCHWACH liefern auf jeden Fall amtlich ab! 


Philipp: Eigentlich müsste ich ja vorbereitet auf das IRON-Gewitter sein, schließlich habe ich die Band nun mehrfach sehen können. Aber Thomas Rosén und Co. haben heute offenbar einen besonders guten Tag. Da klappt einem doch die Fressluke auf, wenn der Kerl losschreit und über die Bühne tobt. Die pure Aggression. Dann verschärft er die Stimmung noch, indem er auch in den Ansagen keine Zurückhaltung übt: „This is a song about being queer, being homo in a world that is about to crush you. To destroy you. Never give in. BURN IT DOWN!“ Dazu rasten auch die anderen Bandmitglieder hart aus, die Riffs fliegen dem Mob nur so um die Ohren, der Drummer peitscht wie Sau und der Bass dengelt kurios verzerrt, allerdings auch etwas zu laut. Der Sound ist heute generell ein kleines Manko, alles ist etwas undefiniert. Macht aber nicht viel aus, denn die transportierte Energie ist dennoch immens. Immer mehr Crowdsurfer segeln durch die Luft, die Stimmung ist phänomenal. Oder wie IRON am nächsten Tag selbst sagen: „Hamburg!! What happened?! We had the time of our lives! Can't thank you all enough! That vibe that lasted through the evening was incredibly nice. Crusties, sxe kids, and metal heads side by side is what we love to see and that's how it should be!“ Ja, genau, Aller!   

Pan: Jo, auch ich habe von IRON bisher keine mittelmäßige Show gesehen und entsprechend ist auch bei diesem Set ab der ersten Sekunde die Energie fast greifbar. Die Band spielt eine Auswahl aller bisherigen Songs und gibt auch einen Vorgeschmack aufs kommende zweite Album. Thomas turnt wie immer voller Energie über die Bühne, springt in die Menge und sucht immer wieder den direkten Kontakt zum Publikum. Auch textlich hat die Band einiges drauf und ich empfehle an dieser Stelle, sich IRON auf jeden Fall mindestens mal bei Bandcamp reinzuziehen. 

Herb: Jetzt wird es voll vor der Bühne, denn IRON betreten selbige. Sänger Thomas macht sich schon mal warm und dann geht es mit einer kurzen Ansage („We're IRON, vegan straight edge hardcore“) und dem neuen Song 'Betrayer' auch schon los. Das Hafenklang explodiert, ein amtlicher Moshpit entsteht, es wird fleißig mitgebrüllt und immer wieder segeln Crowdsurfer*innen übers Publikum. Kein Wunder, denn IRON sind mit ihrem sXe-Hardcore eine Macht. Schnelles Geballer wechselt sich mit heftigen Moshparts ab, dazu schreit sich Thomas die Seele aus dem Leib. Und die Band hat auch was zu sagen. Sei es 'The Flood' gegen Massentierhaltung und Schlachthöfe oder 'Drugfree Resistance', bei dem betont wird, dass es auch ok ist, nicht Straight Edge zu sein, Hauptsache, mensch denkt für sich selbst. Und als letztes wird 'Songs Of War' allen „antifascists, anarchists and revolutionary marxists“ gewidmet. In Sachen Hardcore sind IRON einfach großartig, ein grandioser Auftritt. 


Philipp: Kann diese Stimmung bei einer vierten Band noch gehalten werden? Verdammt, ja! SNIFFING GLUE wissen aber auch, was zu tun ist und dass sie keine Zeit mit Getüdel verplempern dürfen. Vom ersten Moment an ist Sänger Marcel (auch: ABFUKK) eher in der Luft als am Boden und auch der Bassist Andi trotzt erfolgreich der Schwerkraft. SNIFFING GLUE sind nicht so derbe wie IRON, aber ihre Stücke sind abwechslungsreicher, was auch gut kommt. Natürlich ballert das Hardcore-Quartett sehr gern, überzeugt aber immer wieder durch vehemente Midtempo-Passagen. Mit punkigem Ungestüm und dem Melodieverständnis alter US-Klassiker (CIRCLE JERKS, BLACK FLAG, ist klar) rüpeln sich SNIFFING GLUE durch ihr Set. Zwei Ultraklassiker gibt’s auch, nämlich DEAD KENNEDYS – „California Über Alles“ und REAGAN YOUTH – „New Aryans“ (diese Gitarre!). 

Pan: Mit SNIFFING GLUE hatte ich mich zugegebenermaßen vorher nie befasst und lasse mich deshalb einfach mal überraschen, was da so kommen mag. Und ich bin positiv überrascht! Ich meine, irgendwas in Richtung rumpeliger 80er Ami-HC-Punk rauszuhören, andererseits hatte ich es mit Genrebezeichnungen eh noch nie. Auf jeden Fall finde ich es super und mag die zumindest musikalisch latent dramatisch-düstere Stimmung der Songs. Textlich habe ich keine Ahnung, worum es geht und Marcel verschwendet auch keine Zeit mit erklärenden Ansagen. Nach den sehr energetischen Auftritten von SCHWACH und IRON haben SNIFFING GLUE es natürlich schwer, dieses Level zu halten und ich würde behaupten, so ganz gelingt es ihnen auch nicht. Dazu sind die Songs teilweise dann doch zu Midtempo-lastig und zu wenig hasserfüllt gebrüllt. Das Set ist trotzdem immer noch ein ziemliches Brett und wird auch entsprechend vom Mob vor der Bühne gewürdigt. Und für mich isses ehrlich gesagt ein super Abschluss des Abends und eine Band, von der ich mir künftig mehr zu Gemüte führen werde.

Herb: Können SNIFFING GLUE da mithalten? Um es vorweg zu nehmen: nicht ganz. Aber ein großer Spannungsabfall ist ebenfalls nicht festzustellen. Vor der Bühne wird ebenfalls fleißig gepogt, dazu verzichtet die Band nahezu komplett auf Ansagen (nur der letzte Song, das REAGAN-YOUTH-Cover 'New Aaryans' wird IRON gewidmet), sondern ballert ein HC-Punkbrett nach dem nächsten ins Publikum. Klar in den Achtzigern verwurzelt, da passt das 'California Über Alles'-Cover sehr schön zu, immer schön geradeaus, schnörkellos, simple, punkige Riffs, treibendes Drumming und ein Sänger mit rauer Stimme. SNIFFING GLUE wissen, wie mensch Songs schreibt, für Abwechslung ist gesorgt und energiemäßig geht’s auch gut ab. Einziges Manko: zwei, drei Songs weniger hätten es auch getan. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau, ein schöner Abschluss eines rundum großartigen Abends!


Philipp: Fazit: Superkonzi, ey. Nur viel zu voll. Ich glaub, der gierige Hafenklang-Typ hat zu viel Leute reingelassen! So ein Schwein.

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