POWER "Overthrown by Vermin" Pt. II - Tour 2013, Teil 3

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Tag 6, Dienstag, 02.04. - Turbo Mongol, Lausanne

 

Der französischsprachige Teil der Schweiz kann was. Der allgemeine Lebensstandard liegt den Preisen nach zu urteilen deutlich über dem was unsereins gewohnt ist. Umgerechnet kann man auf jedes Pommesbudengericht locker zwischen 3 und 5 € auf den gewohnten Preis draufschlagen. Auch inmitten des hübschen Lausannes ist das Turbo Mongol, ein liebevoll gestaltetes, buntes Squat ein echter Blickfang. Einer der Bewohner spricht fließend Deutsch, einige Spanisch oder Englisch, die meisten natürlich Französisch. Die Akzeptanz gegenüber Englisch ist aber deutlich größer als in Frankreich. Das ist ganz praktisch angesichts dieses Sprachgemisches.

Der Schlafraum, der uns zur Verfügung gestellt wird sieht zwar gemütlich aus, ist aber so feuchtkalt und pilzbelastet, dass man sich dort binnen Minuten fühlt wie Kelling. Für Kelling und Bocky gilt das natürlich nicht, die fühlen sich dort noch kranker als ohnehin schon.

 

 

Wir weichen zunächst auf den schönen Wintergarten des Hauses und später auf die Schlafräume im wirklich komfortablen Squat der Veranstalterin aus. Letztere hat es aus Hamburg zwischenzeitlich hierher verschlagen, was durchaus nachvollziehbar ist.

Ähnlich bunt wie im Turbo Mongol insgesamt geht es auch im heutigen Programm zu, in das wir irgendwie rein gerutscht sind. Wir sind der einzige von vier Programmpunkten, bei dem überhaupt ein Schlagzeug vorgesehen ist. Mein Durst nach subkultureller Exotik wir hier aus Eimern gestillt. So ungewöhnlich scheinen abenteuerlich zusammengewürfelte Abende hier nicht zu sein, auf jeden Fall wird unsere noch immer sehr reduzierte Darbietung wohlwollend positiv aufgenommen. Ich versuche Kellings, Ollis und Bockys Backgroundchöre und Teile von Ollis Gitarrenparts zu übernehmen, was zum Einen seltsamerweise nicht geht und zum Anderen die mir zur Verfügung stehende Konzentration insgesamt überfordert. Multitasking: Fehlanzeige. Es wird wirklich Zeit für etwas Genesung. Trotzdem für mich bisher der beste der Auftritte mit unserem letzten Aufgebot.

Das Logo des nächsten Projekts (Band wäre eine eher unpassende Beschreibung) besteht nur aus dürren vertrockneten Stöckern. Nichtmal mit viel Fantasie lässt sich daraus irgendwas erahnen. Vielleicht handelt es sich auch um eine Fantasieschrift und -sprache, denn auch die Performance bedient sich keiner Sprache und Form, die mir schon begegnet wäre. Zwei schwarz verhüllte Menschen, von denen nur eine ein Gesicht hat, jagen Gejaule, Gestöhne und kryptisches Geflüster gemischt mit unter- und außerweltlichen Klängen durch Synthesizer- und Effektketten. Dazu laufen rätselhafte selbstgedrehte Videosequenzen über den Beamer. Dark-Ambient irgendwo zwischen EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN, Christoph Schlingensiefs „Menü Total“ und FRAKTUS 2. Ich bin tatsächlich irgendwie gefesselt davon, ohne mir wirklich irgendeinen Reim darauf machen zu können. Danach folgt eine Band, die über Stunden hinweg schmerzhaft-schräge, düstere Elektromusik produziert. Dem kann ich dann auch mit Mühe nichts mehr abgewinnen. Irgendwann ist dann ja auch mal gut mit fremdartiger Subkultur...äh... Oi! Die letzte Band wird resolut verpasst.

Die verstörenden Darbietungen (möglicherweise in Verbindung mit der extrem substanzdurchtränkten Luft im Konzertraum) verursachen bei mir zu viel späterer Stunde die äußerst reale Vision eines Hornbläsers der laut trötend durch mein Zimmer läuft. Nachdem ich minutenlang schlaftrunken versuche zu ergründen, was das denn nun schon wieder sollte, wird mir klar, dass der reale Auslöser dieser Erscheinung Kelling war, der sich einer quitschenden Tür bediente. Ich bin nicht der einzige, dem seltsame Dinge widerfahren. Ollis Songtexte schlagen in Form von Spaniern die ihn Nachts versehentlich anwrestlen auf ihn selbst zurück. Bocky schimpft heiser.

 

Tag 7, Mittwoch, 03.04. - Epple Haus, Tübingen

Sichtungen auf dem Erkundungslauf durchs beschauliche Tübingen: Katzen, Gartenzwerge, Videokameras, ein höfliches Hinweisschild, das Trampeljogger wie mich bittet, die Rückzugsorte der hiesigen Schwäne zu respektieren und Deutschlandfahnen. Einiges davon mag ich. Anderes nicht so.

Beim legendären Epple Haus leuchtet auf Anhieb ein, dass es nicht nur aufgrund seiner Geschichte legendär ist. Eine warme, komfortable Unterkunft direkt am Auftrittsort, gutes Essen, gute technische Möglichkeiten und viele gute Menschen, die mit all dem viel Gutes tun. Die Infizierten, von denen es mittlerweile den Schlagzeuggitarristen mit dem Immunsystem eines aidskranken Schmetterlings am übelsten erwischt hat, errichten auf der Stelle ein Quarantänelager. Beim Veranstalter wurde schon im Voraus Medikamentennachschub angefordert, der später nochmal in der örtlichen Apotheke aufgestockt wird. So sind also Touren mit Anfang 30 - es geht mehr Geld für pharmazeutische Artikel drauf als für Alkohol.

 

Die Bedingungen sind nahezu optimal, nur interessiert das heute weit weniger Menschen als vom Veranstalter erwartet. Ein kümmerliches Häufchen findet sich bei der ersten Musikdarbietung von einem österreichischen Drum'n'Bass-Soundtüftler, dessen Namen ich nicht mitbekommen habe ein. Viel mehr werden es auch bei uns und der Mitwipp-Hardcorekapelle TURN AWAY nicht, die mal sehr hübsche ALF-Aufklebermotive hatten.

Ich freue mich sehr, dass wir heute wieder einen Versuch zu fünft starten. Ich mag im Grunde Besetzungen mit nur einer Gitarre ganz gerne, weil die Songs dann meist automatisch aufgeräumter klingen, aber POWER sind klar für zwei Gitarren ausgerichtet. Der Druck ist sofort ein anderer, ich fühle mich musikalisch weniger nackt und einige Favoriten können wieder in das Set aufgenommen werden. Kelling schlägt sich wacker, braucht aber längere Pausen als gewohnt zwischen den Songs. Hoffentlich ist die Trendwende damit geschafft.

Später lernen wir unseren offiziellen „Bandbetreuer“ für die Nacht und das Frühstück kennen. Ein sympathischer Bekannter von SHUDDER & SPIT, der betrunken Stühle kaputtrepariert. Als er erfährt, wann wir am nächsten Tag nach Berlin aufbrechen wollen bilden sich Furchen auf seiner Stirn und Blut läuft ihm aus dem Mund. Um weiteres Unheil zu verhindern, schicken wir ihn ins Bett und versichern, die Aufbackbrötchen auch selbstständig in den Ofen schieben zu können. Gegen 2 Uhr nachts komme ich auf die Idee, den Bus mit der gesamten Backline noch schnell abzuschließen und erfinde einen einfachen und guten Titel für die Tour. Wer weiß, wozu's gut ist.

Bei der Kaffeemaschine haben wir, wie sich beim Frühstück herausstellt, allerdings unsere Selbständigkeit überschätzt. Bei der vierten Steckdose springt sie zwar an. Mit wiederholten Neustarts läuft auch das kochende Wasser durch, aber der Kaffee im Filter bleibt davon gänzlich unberührt. Es bleibt eine Kanne gelbstichigen heißen Wassers.

 

Kommentare   

+2 #2 toffi 2013-04-04 13:04
Zitat:
...und erfinde einen einfachen und guten Titel für die Tour. Wer weiß, wozu's gut ist.
"Tortour 2013"?
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+2 #1 Tom GoStereo 2013-04-04 11:40
So viel zum Thema "Die nächste Tour machen wir nicht schon wieder im Herbst, da werden wir alle immer nur krank"...
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