BENT CROSS, RUIDOSA INMUNDICIA, THINK AGAIN / 25.09.2012 – MS Hedi, Hamburg

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Wenn ich als kleiner Knirps zu meinen Großeltern fuhr, war das große Highlight eines jeden Besuches ganz klar mit der Fähre über die Elbe zu schippern. Dieselgeruch, ein schaukelndes Deck unter den Füßen, die Nase in den Wind halten... Warum auch immer verbirgt sich darin für mich seit jeher tiefste Urgemütlichkeit. Was kann es also geileres geben, als mit einem Boot zum Konzert zu fahren? Richtig, die Show einfach direkt auf dem Wasser zu zocken!




An den Landungsbrücken angekommen explodiere ich bereits schier vor Aufregung. Tatsächlich habe ich mich lange nicht mehr so auf ein Konzert gefreut, zumal ich trotz (vermutlich übernächtigter) Vorverkaufsnutzung bis vor Kurzem noch im Irrglauben war das Konzi wäre auf der Stubnitz, also einem amtlichen Dampfer mit Bühne im Bauch. Aber nix da! Die MS Hedi ist tatsächlich nur eine handelsübliche Barkasse Marke „Vergnügliche Sonntags-Kaffeefahrt mit Kapitän Knut und seinem Schifferklavier“ mit Platz für bummelig 90 Personen, Bands und Crew schon eingerechnet. Scheiß auf „Full Metal Cruise“ für paar tausend Euro, in Hamburg bekommst du die Hardcore Hafenrundfahrt für 'nen Sechser! Und man muss sich auch keine „Hochkaräter“ wie DORO als Galionsfigur an den Kahn nageln um die Bude voll zu kriegen. Der gut gemeinte Rat seitens der Veranstalter den Vorverkauf zu nutzen, weil: „voll ist voll und weg ist weg“ bewahrheitet sich dann auch. Ein paar Landratten die nichts ahnend auf Abendkassentickets vertraut haben bleiben taschentuchschwenkenderweise auf dem Festland zurück als das Boot kurz nach 20Uhr voll bepackt bis unter die Decke zur ersten Band in See sticht.


Dicht an dicht gequetscht wie die Ölsardinen wird der einen oder dem anderen kurz flau im Magen, als das Schiff sich beim Ablegen quer zur Strömung dreht und doch recht arg zu schaukeln beginnt. Aber wir sind hier nicht auf irgendeinem abgewrackten Seelenverkäufer und Tante Hedi kämpft sich tapfer in ruhigere Gewässer. Positiver Nebeneffekt der ganzen Schaukelei: Es ist von Anfang an mehr Bewegung im Pit als auf so mancher Clubshow, selbst konsequente Armeverschränker kommen auf der Suche nach Halt immer wieder in Wallung. BENT CROSS ringen zuerst auch noch ein wenig mit dem Gleichgewicht, fügen sich aber schnell in die Kraft der Elemente und zimmern auch in Schräglage eine ordentliche Ladung unters Volk. Der Sound ist nicht perfekt, was aber kaum erstaunt, weil Band, Publikum und Backline nun einmal auf engstem Raum zusammengepfercht sind. So bleibt der Gesang leider größtenteils auf der Strecke, dafür packt die Band eine doppelte Portion Spielfreude drauf und brabbelt schön viel Quatsch in den Pausen. Die räudig-dreckigen Songs tun schnell ihre Wirkung, der Mob frisst es mit Begeisterung. Musikalisch auf Platte und/oder live über bessere Anlage mit Sicherheit ein Knaller! Wider Erwarten gehen weder Ratten noch Punker während des Gigs über Bord und so entert die Hedi nach einer knappen Stunde wohlbehalten die Landungsbrücken für einen kurzen Zwischenstopp vor der nächsten Band.


Der zweite Törn gehört RUIDOSA INMUNDICIA, einer krustigen Kapelle mit Frauengesang und spanischsprachigen Texten. Die WienerInnen treten deutlich mehr aufs Gaspedal als BENT CROSS, verzichten dafür aber auch auf komplexere Melodien in ihren Songs. RUIDOSA INMUNDICIA fabrizieren stattdessen ultraschnelles Anarchogetrümmer, das einen die schwappende Elbe draußen vor den Fenstern vergessen und in Raserei verfallen lässt. Der Bandname bedeutet übersetzt wohl soviel wie „Lauter Dreck“, passt ideal, hehe! Vielleicht liegt es am Tempo, dass die Lieder in meinen Ohren alle recht gleich klingen. Tragisch finde ich das aber gar nicht! Das Set scheint insgesamt deutlich kürzer als bei BENT CROSS, bei der Geschwindigkeit haben sie aber vermutlich trotzdem ihre komplette Diskographie herunter geknüppelt. Wieder zurück in den Hafen und angelegt. Letzte Runde für heute!


Die aus Japan angereisten THINK AGAIN haben beim Auslaufen noch mit technischen Problem zu kämpfen. Irgendwie will der Amp nicht so wie der Gitarrist es will, liegt anscheinend am Kabel. Als das störrische Utensil getauscht ist läuft glücklicherweise alles wie geschmiert. Der Drummer knotet sich während des Soundchecks noch schnell ein Stirnband um und los geht’s mit einer der krassesten Shows die ich dieses Jahr bisher gesehen habe. Das Trio legt ein derart schnelles und intensives Brett hin, dass einfach mal die komplette versammelte Mannschaft austickt und völlig aus dem Ruder läuft! Andauernd kleben Crowdsurfer unter der Decke, die Meute schwappt in bierschäumenden Wogen durch die Hedi und alle paar Songs segeln Leute ins Schlagzeug, was den Musikern aber völlig wumpe ist. Die rasten nämlich selbst total aus, der Drummer springt immer wieder von seinem Hocker auf und pöbelt mit Wahn in den Augen durch den Raum, während der Bassist seine Klampfe gen Himmel reißt und sich selbst mit dem Mikro malträtiert. Zuschauer und Band verschmelzen nach und nach zu einem brodelnden Chaos mitten im Hamburger Hafen und der Steuermann dreht vermutlich heimlich eine kleine Extrarunde, aus Angst vor der bevorstehenden Meuterei, sollte er das Treiben vorzeitig beenden. Irgendwann ist die Zugabe dann aber doch verzockt und die Band schleppt sich abgekämpft ans Deck, nicht aber ohne sich vorher dutzendfach bei den Gästen zu bedanken.


Teile der Meute gehen noch Merch abernten oder ergattert das coole Konzertposter (Godzilla und Kaiserin Sissi sitzen miteinander kuschelnd aufm Boot) das extra noch in kleiner Auflage gesiebdruckt wurde, danach geht es zu arbeitnehmerfreundlich angenehm früher Stunde mit 'nem Grinsen auf den Backen nachhause.


Der Termin für die nächste Hafenrundfahrt steht übrigens schon! Am 15. Oktober schicken euch die Kanadier von CRUSADES zusammen mit NO WEATHER TALKS über die Planke, auch fett!


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