WITH FULL FORCE XI / 02.07.04 - Roitzschjora, Tag 2

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Nach einer Nacht ohne Störungen (wahrscheinlich waren alle zu platt um noch Party zu machen) konnte man mit guter Laune auf ein fettes Programm vorausblicken. Angesagt waren einerseits große Namen wie FEAR FACTORY, SIX FEET UNDER, AGNOSTIC FRONT oder DIMMU BORGIR, andererseits auch Underground-Tipps, z.B. I DEFY, PUNISHABLE ACT und SWORN ENEMY. Da I DEFY um 14.00 Uhr die erste Band im Zelt waren, war gar nicht soo viel Zeit für Frühstück und Morgentoilette...

Bei diesem Stichwort fällt mir übrigens wieder ein, wie erstaunlich akkurat manche Leute auch nach tagelangem Zelten und Festivalstrapazen aussehen: Haare sorgfältig gekämmt, Schminke aufgetragen, saubere Klamotten – tz tz tz.
I DEFY mussten unter anderen Bedingungen loslegen als noch gestern SIDEKICK, das Zelt war noch erschreckend leer. Zum Glück wurden dann doch noch viele Freaks hellhörig, als klar wurde, dass hier ein astreines Hardcore-Brett mit Punk-Einflüssen geboten wurde. I DEFY sind eine der wenigen Bands auf dem WFF gewesen, die eher den klassischen Hardcoretyp vertreten. Also ohne Metaleinflüsse und vor allem mit kritischen Textinhalten und Ansagen (von vielen Ami-Metalcoretruppen kam außer „thanx for coming down“ oder „we have merchandise in the back“ ja nix weiter rüber). So musste der Sänger sich erst mal Luft machen über die Arschlöcher von Conservativepunk, diesem Internet-Forum von Leuten wie Dave Smalley, Leonard Phillips, Booby Steele und Michael Graves, die sich dort für den Irak-Krieg aussprechen und linken Organisationen den Kampf ansagen. „Das ist kein Punk, das ist Bullshit“ wetterte Raoul und Recht hat er. Des Weiteren verkündete er treffend, dass Hardcore „kein Soundtrack für Nazis“ sei. Sehr gut gefiel auch sein kreischiger Gesang, der ordentlich Power hatte. Man spielte Songs von der Mini und vom aktuellen Longplayer „The Firing Line“ und rotzte noch ein schönes SLIME-Cover, nämlich „Disco“, runter.
Da uns weder A.O.K noch EKTOMORF oder BREED 77 interessierten, fanden wir uns wieder zu CHIMAIRA vor der Hauptbühne ein. Ich war überrascht, wie viele Leute sich bei dieser Band eingefunden hatten. War es Neugier oder sind die bereits so bekannt? Schlecht waren sie auch nicht, so moderner Metal mit viel Groove und Wechsel zwischen Schrei- und melodischem Gesang. Hat man andererseits auch schon oft in ähnlicher Art gehört, also versetzte mich das nicht in Ekstase. Der Sänger trug den Spitznamen Metal Moses und dementsprechend teilte er die Mengen, um eine Wall of death zu bilden und sich dann auf sein Kommando gegenseitig die Köppe einzurennen. Nun ja, auch dieses Spielchen wird langsam alt...
Szenenwechsel zum Zelt: SWORN ENEMY waren an der Reihe und überzeugten mich viel eher als in HH neulich. Wie MAROON hatten sie da natürlich eine leere Halle vor sich gehabt und mit technischen Problemen zu kämpfen. Ein volles Zelt mit begeistertem Publikum motiviert da doch wesentlich mehr...So kam ihr groovender Metalcore deutlich druckvoller und die Band machte auch mehr Action auf der Bühne. So’n synchrones Gehüpfe ist zwar nicht wirklich mein Ding, trieb die Massen aber ordentlich zur Nachahmung an. Vor allem der Basser gab mit Kickbox-Sprüngen, aggressivem Headbanging und fiesen Grimassen wirklich alles und war zumindest sehr unterhaltsam anzuschauen.
Der KURHAUSsche Christian offenbarte uns derweil sein aktuelles Hobby: Bierbecher einsammeln. Denn auf die gab es einen satten Euro Pfand. Und 40 hatte er schon abgegeben...
Wir warfen noch ein paar Blicke auf THE BONES, die jedoch recht langweilig rüberkamen. Mir gefallen sie eh schon auf Platte nicht besonders, und selbst BONES-Fan Strecker befand, dass dies eine der wenigen Bands seien, die live deutlich schwächer seien als auf Platte.
Also schnell rüber ins Zelt, wo mit MAD SIN eine Band aufspielen sollte, über die man das beileibe nicht behaupten kann. Im Gegenteil, MAD SIN sorgten für einen absoluten Stimmungshöhepunkt. Wow, der Sänger ist trotz massiver Leibesfülle ein echter Wirbelwind auf der Bühne. Ihr Rockabilly-beeinflusster Punkrock wurde mit größtmöglicher Wucht gespielt und brachte alle Tanzschuhe zum Glühen. Die Show war inkl. Feuerspuck-Einlagen durch den „Bandmanager“ absolut mitreißend. Da legte sich der Sänger auf den Rücken, der Basser stellte sich mitsamt Kontrabass auf seinen Wanst und zockte grinsend weiter und sein Kollege schmetterte unverdrossen unter ihm weiter. Wow, echte Entertainer, die auch noch gute Songs im Gepäck haben. Da überraschte es selbst die Band, als der Gig sich leider dem Ende näherte und der Sänger schrie mit gespielt hysterischer Stimme: „Was? Der letzte Soooong? Oh, mein Gott, welchen sollen wir denn jetzt spielen?“
Danach trafen wir den Kieler Ragnar, der alleine mit dem Zug angereist war und der sich dann auch gleich ’nen Rückfahrplatz bei uns schnorrte.
Wir entschieden uns für eine Pause und hatten im Nachhinein einen wirklich guten Zeitpunkt gewählt, denn kaum saßen wir unter Christians Vorzelt, gab es den einzigen wirklich krassen Niederschlag zu verzeichnen. Sogar Hagelkörner kamen runtergeprasselt – da flüchteten die Besucher zu Hunderten vom Gelände.
Für GRAVE DIGGER war das wirklich Pech. Der Platz vor der Hauptbühne war nun arg gelichtet. Zwar hörte es zu ihrem Gig wieder zu regnen auf, doch ein Großteil der Leute war nun erst mal in den Zelten. Überhaupt waren GRAVE DIGGER auf diesem Billing etwas der Exot, nämlich die einzige True Metal-Band alter Schule. Schon etwas skurril, wenn nach all den Texten von der Straße nun Songtitel wie „Valhalla“ oder „Excalibur“ angesagt wurden. Da sah man doch einige Leutchen, die sich über die Recken eher lustig machten. GRAVE DIGGER ficht das jedoch nicht an, mit Spaß in den Backen warfen sie sich in jedes Metal-Klischee, welches der Metal in den letzten dreißig Jahren hervorgebracht hat. Gitarrensoli en masse, der hohe Kreischgesang Uwe Boltendahls und Texte wie „the grave is open – the digger smiles, he takes me under the deadly skies“ – das war schon für viele starker Tobak. He he, die dürfen das aber auch, sind sie schließlich schon über zwanzig Jahre am Start! Als Fan der ersten Stunde und „Headbanging Man“ erklärte ich natürlich meine Solidarität und verließ das Hauptgelände erst zu den Klängen des finalen „Heavy Metal Breakdown“.
Im Zelt sollte ja eigentlich Old School der anderen Art angesagt sein, doch DISCHARGE hatten abgesagt! Schon wieder! Die sollten ja letztes Jahr schon spielen, da waren sie schon nicht gekommen. Verwirrenderweise standen dafür jetzt die Berliner von PUNISHABLE ACT auf der Bühne, die doch eigentlich gestern hätten spielen sollen. Hm, recht platter Hardcore im 80er Stil. Nicht schlecht, aber mir war’s irgendwie zu prollig, ohne dass ich das jetzt explizit begründen kann. Obwohl sich die Band in „Tough Guy Sissie“ über ebensolche lustig macht, entsprachen sie für mich ziemlich genau diesem tough guy-Klischee. Wie immer kann ich da völlig falsch liegen, aber so empfand ich’s nun mal.
Nee. Lass mal sein. Außerdem sollte ja nun mit FEAR FACTORY ein Knüller auf der anderen Bühne folgen. Und HELL YEAH – die reformierte Band machte alles richtig und überzeugte auf ganzer Linie. Selbst ein wieder leicht einsetzender Nieselregen konnte die Stimmung nicht trüben. FEAR FACTORY spielten nur die stärksten Songs und das bei fast optimalen Klangverhältnissen. „Nothing you say matters to us“ – diese Zeilen aus „Cyberwaste“ vom aktuellen Comebackalbum konnte schon beinah jeder mitgröhlen. Und die alten Klopfer wie „Edgecrusher“, „Self Bias Resistor“ oder „Martyr“ steckten eh noch in Jedermanns Knochen. Bei „Replica“ gab es dann endgültig kein Halten mehr und man sah hüpfende Menschenmassen, wohin das Auge reichte. Einen Dino hat da wohl keiner vermisst, zumal Byron Stroud sich so gut ins Gesamtbild einfügte, als habe er schon immer zum Line-Up gehört.
Nach einem kurzen Kaffeepäusken machten wir uns bereit für den Endspurt. Die LOKALMATADORE machten sich ihren Spaß aus der Absage von DISCHARGE: „Wir sind übrigens DISCHARGE aus Mühlheim“. Ja ja, der Humor der Ruhrpott-Asis fand natürlich Gehör bei allen vertretenen Vertretern der verschiedenen Jugendbewegungen. Ein „Pillemann Fotze Arsch“ gröhlt halt der Metalhead von nebenan genauso gern mit wie der frisch geschorene Skin... Die Songs erreichten ein Mitsinglevel, vom den andere Kapellen nur träumen können. „Erika“ und „Viva Lokalmatador“ (dessen Zeilen „Er war fast dreißig und der größte Asi der Stadt“ ich immer gern Karl-Heinz ins Ohr säusel, mit dem Unterschied, dass aus „dreißig“ dann „vierzig“ wird, he he) waren da wohl die Höhepunkte. Na ja, alles ganz witzisch, aber ich habs neulich schon mal geschrieben: Ein Witz, den man öfter erzählt bekommt, verliert irgendwo seine Wirkung. Zumal es dann Songs wie „Whitney aus Surinam“ gibt, die mit dümmlich-naiver Glorifizierung von Puff-Erlebnissen hausieren gehen. Aber genug davon und lieber rechtzeitig vor die Hauptbühne.
Denn auf SIX FEET UNDER hat ich genau jetzt RICHTIG Bock und ich sollte nicht enttäuscht werden. Nach anfänglichen Mischproblemchen (Gesang zu leise) geriet der Gig zur Abrissbirne schlechthin. Juchhu, da konnte man willenlos die Rübe schwingen und alle Gliedmaßen von sich schmeißen. Im Retrospektive hab ich bei keiner anderen Band so abgemoscht wie bei Chris Barnes & Co.! He, wenn ich die Playlist hätte erstellen dürfen –sie hätte GENAU SO ausgesehen. Los ging’s mit „War Is Coming“, es folgten in irgendeiner Reihenfolge u.a. „Revenge Of The Zombie“, „Murdered In The Basement“, „Feasting On The Blood Of The Insane“, „Nonexistence“, „Human Target“, “When Skin Turns Blue” und „Victim Of The Paranoid“ – geil! Und dann auch noch das AC/DC-Cover “TNT” zum Abschluss. Eine Death Metal-Band, die auch und gerade auf großen Festival-Bühnen ihre volle Wirkung entfaltet.
Einzig blöd, dass man nun nur noch vier Songs von IGNITE abgreifen konnte. Die waren auch in Hochform und das Zelt war wirklich am Kochen, als wir und viele andere uns reindrängelten. Und die Songs, die noch kamen, waren die größten Volltreffer! Es kamen nämlich noch „Veteran“ (ist DAS nicht ein geiler Refrain? „Yeah you`ve abandoned so sorry / You’ve just a waste of their time / Yeah you`ve been lied to once again / yeah well they’ve paid you no mind / WHERE ARE WE WHERE ARE WE NOW?”), “Sunday Bloody Sunday” und “ A Place Called Home”! Die Leute sangen doch tatsächlich noch lauter mit als zu LOKAL. Zoli ließ sich rücklings in die Menge fallen und sang den letzten Song auf der Menge schwimmend weiter. Was auch cool war: In der kurzen Zeit, in der wir anwesend waren, brachte Zoli mehr kritische Ansagen, als so manche Band während ihres gesamten Gigs: „Don`t take your freedom for granted...“ und dann grinsend „and stay HARDCORE!“ Dann entließ er uns noch zu AGNOSTIC FRONT und verkündete zur allgemeinen Überraschung, dass deren neuestes (kommendes) Album das beste sei, was die je aufgenommen hätten.
Also schnell vor die große Bühne. Und WAS WAR DAS? Ich weiß, dass es kaum zu glauben ist, aber AGNOSTIC FRONT waren wirklich unglaublich gut! Die müssen einen neuen Drummer haben, der mit Double Bass losknatterte, als sei die Band in einen Jungbrunnen gefallen. ENDLICH gab es wieder Songs von der „One Voice“ zu hören, was ja seit der Reunion nicht der Fall gewesen war und rein technisch vom bisherigen Line-Up gar nicht gebracht werden konnte. Die „Metalsoli“ überließ man einem zweiten Gitarristen, während Stigma die Melodien spielte. Alle rannten wie von der Tarantel gestochen rum, gerade Roger Miret wollte wohl allen Jungspunden zeigen, wer hier der Chef ist. Also wirklich, das hatte ich nicht erwartet, nachdem die letzten Gigs doch an Engagement nachgelassen hatten. Es gab tatsächlich „One Voice“, „New Jack“, „The Tombs“ und „Your Fall“ zu hören, außerdem natürlich ein paar Oldies und die besten Songs von „Something Gotta Give“ und „Riot Riot Upstart“, wobei natürlich „Gotta Go“ wieder frenetisch abgefeiert wurde. Schade, dass es einige technische Probleme gab und die Mikros mehrfach ausfielen, aber dennoch war`s das beste AF-Konz, was ich von der Band seit 1993 gesehen habe.
Nach kurzer Erholungsphase gab es dann die letzte band auf der Hauptbühne, nämlich DIMMU BORGIR. Ich guckte mir’s mal von weiter weg an und habe es genossen. Hervorragende Lichtschau, schöne Songauswahl (gleich zu Beginn „Spellbound By The Devil“) – das hat richtig Spaß gemacht. Wer hat da nu eigentlich getrommelt? Ich weiß es nicht, aber der Mann hatte einen tierischen Kick. Das merkte ich vor allem bei einer Sitzung auf`m Dixi-Klo! Die Dinger standen nämlich genau neben der Hauptbühne und das Dixi hat vielleicht gewackelt. Die Bässe wummerten derart heftig, dass alles schepperte und dröhnte. Voll geil, ich blieb nach dem Scheißen freiwillig noch ein paar Takte sitzen und fühlte mich, als würde direkt über mir ein Zug hinwegrollen. Kann ich nur empfehlen, bei ’ner Knatterband unter ähnlichen Umständen mal kacken zu gehen. Jo, erwartungsgemäß beendeten die Dimmus ihren Gig mit „Mourning Palace“, wär ja auch Frevel, wenn sie den wegließen.
Danach ließen wir das Saturday-Night-Fever-Programm sausen und genehmigten uns lieber ein paar Glühweine, es war nämlich verdammt schattig geworden. Und der Rest hat keinen zu interessieren, also bis morgen.
- Beitrag von: Philipp

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