FIRE AND FLAMES FESTIVAL mit BRIGADE LOCO, FONTANELLE, HARBOUR REBELS / 29.09.2023 – Kiel, Schaubude

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In letzter Zeit hörte ich häufiger die Klage, dass in Sachen Punk in Kiel nichts mehr los sei. Dieses Wochenende beweist das Gegenteil – die Schaubude ist am ersten Tag ausverkauft und der Folgetag in der Alten Meierei dürfte auch ordentlich Leute mobilisiert haben. Das Publikum existiert hier also weiterhin, ich glaube, dass es momentan schlicht an Konzertgruppen wie Anne Oan, Rotten Sprotten, Klownhouse etc. mangelt, die bis vor ein paar Jahren viele Punkbands nach Kiel geholt haben. Die Infernal Crust Brigade ist halt eher auf Black Metal fixiert und Fire And Flames können den Laden ja nun auch nicht allein am Laufen halten bzw. jede Woche eine Veranstaltung organisieren. Anyway, wahrscheinlich noch wichtiger: Die dumme Nazi-Demo am Samstag stößt auf enormen Widerstand, die Gegenveranstaltung des „Runden Tischs Gegen Rassismus und Faschismus“ erweist sich als x-mal größer und die Faschos können nicht mal losmarschieren. Da ist es natürlich von Vorteil, dass sich wegen des Festivals zusätzlich Antifaschist:innen in Kiel aufhalten und gleich die Gegendemo mitnehmen. Aber zurück zum Konzert am Freitag:

 

Zum Glück sind wir rechtzeitig an der Bude, um noch Tickets an der Abendkasse abgreifen zu können, denn wenig später ist es auch ausverkauft. Wir können noch unfassbar viele Bekannte begrüßen, die ich zum Teil seit Jahren nicht gesehen habe, als die HARBOUR REBELS auch schon loslegen. 

 

HARBOUR REBELS (HH) sind die einzige Band, die ich vorm Konzert schon kannte. Die Platte „Rebels Are Back“ musste ich einfach abernten, einfach schon weil die Band auf dem Cover vor der Lobusch steht, herrlich! No pasaran! Geboten wird eingängiger Streetpunk, den die Band auch live mit Wumms und guter Laune umsetzt. Gute Laune heißt allerdings nicht, dass es nur um Party und Biertrinken geht. Besonders gut gefallen mir die Texte von „Die Masken sind gefallen“ und „Grrrls On The Stage“. Ersterer bringt die Querdenker-Problematik perfekt auf den Punkt: „Die Masken sind gefallen, eure Fratzen kommen ans Licht / denn wer mit Nazis demonstriert, kapiert es einfach nicht.“ Der andere räumt mit Rollenklischees auf und appelliert für mehr Diversität. Einfach zwei totale Hits, bei denen die immer voller werdende Bude gut ins Tanzen gerät. Das gilt auch für die Ska-Punk-Nummer „1312“, deren Offbeats und Message den Nerv der Meute treffen. Sängerin Jule verrät, dass sie aus Kiel komme, hier früher jeden Sonntag den Buden-Soul-Allnighter mitgenommen und sich dafür nachts aus der Wohnung geschlichen habe – mit entsprechenden Folgen für den Schulstart am Montag. Ihre heute anwesende Mutter (!) nimmt es mit einem Grinsen zur Kenntnis. Guter Auftakt! 

 

Da ich gerade im Raucherraum sitze, bekomme ich es erst später mit: Die PA der Bude kackt beim folgenden Linecheck vollständig ab! Wie mir Joscha erzählt, ist die Garantie nach zwei Jahren und zwei Monaten auch gerade abgelaufen… Zum Glück steht in der Bude eine Ersatz-PA, eine Dauerleihgabe von Motordude Micha. Dafür, dass alles ausgewechselt werden muss, geht die Pause schnell herum, Respekt! Wir sind indes auch vollständig abgelenkt, sehen wir heute doch zum ersten Mal, dass die Hinterwand des Raucherraums durchbrochen wurde und sich dort ein weiterer Raum samt Zusatztresen und Chillout-Ecke befindet. Das Bier dort ist zwar warm, aber hey, dafür spart man mehrere Meter hin und zurück. 

 

Wenn ich jetzt die Worte „Fontanelle“ und „Gänsehaut“ in einem Satz schreibe, zeigt ihr mir mit Sicherheit einen Vogel. Doch ich sage es laut: Beim Gig von FONTANELLE bekomme ich ‘ne Gänsehaut! Mich hat schon lange keine Oi!-Combo mehr so abgeholt. Die Leipziger zocken rohen Oi!-Punk mit fiesem Gesang. Die Kombination von Klumpfuß-Tempo und tief rausgekotzten Vocals erzeugt eine mitreißende Wirkung. Obwohl der Gesang so räudig ist und aus den Abgründen der Kanalisation heraufzudringen scheint, verstehe ich fast jedes Wort von den Texten. Und die haben es mit ihrer antifaschistischen Haltung in sich. In „Oi! gegen Oi!“ holt die Band zum Schlag gegen Grauzonen- und rechtsoffenen Oi! „vom Bauernhof oder vom Stammtisch“ (O-Ton Sänger Barackus) aus. Eine deutliche Sprache sprechen auch Zeilen wie „Unser Kiez bleibt roooot!“ oder „Skinhead Antifascist“. Wie Barackus ausführt, gehe für FONTANELLE ein Dasein als Skinhead ausschließlich nur mit antifaschistischer Positionierung zusammen. Der Mob ist mit den Texten und Songs sehr gut vertraut und kommt jetzt richtig in Fahrt. Es herrscht Oi!-Unfallgefahr. Da peitscht mir doch glatt ein Hosenträgerverschluss ins Gesicht, der sich von der Hose eines enthemmt tanzenden Skinheads neben mir gelöst hat. Und so manches Bier wird „Verläbbert“, ein weiteres gewichtiges Thema, dem FONTANELLE einen Song widmen. Früher hatten FONTANELLE übrigens wohl einen anderen Sänger, der deutlich höher gesungen habe, wird mir erzählt. Ich find’s so gerade geil und ernte für ‘nen Fünfer das „Oi! The Session“-Tape ab, das einige der Songs enthält, die auch heute gespielt wurden.  

 

Auch BRIGADE LOCO aus dem Baskenland waren mir bis jetzt vollständig unbekannt. Der Fünfer erhöht das Tempo, bietet rasenden Streetpunk und Hardcore/Punk und transportiert eine Wahnsinnsenergie. Musikalisch erweisen sich BRIGADE LOCO als äußerst fit, die Gitarristen feuern aus allen Rohren, verbinden zackige Riffs mit melodiösen Leads. Der Sänger keift und schreit, bis die Backen platzen. Die Drums ballern vehement nach vorne, wobei der „Baterist“ stets abwechslungsreich spielt. Von den mutmaßlich baskischen Texten verstehe ich zwar kein Wort, aber das ist auch gar nicht nötig, um zu erfassen, worum es der Band geht. Die fünf Musiker tragen identische blaue T-Shirts, die offenbar Solidarität zu zwei jungen Basken ausdrücken, denen für ihr politisches Engagement Repressionen drohen. BRIGADE LOCO bringen die Bude jedenfalls endgültig zum Kochen, der Pogo wogt zwischen Bühne und Mischpult hin und her. Dass es manche Besucher:innen schaffen, mitten im Pit aus offenen Gläsern zu trinken, nötigt mir Bewunderung ab. Auch von BRIGADE LOCO ernte ich danach eine Platte ab, „Amets Bati Lotuta“ heißt das Ding, das sehr zu empfehlen ist. 

 

Leider hat heute keine:r aus dem DreMu-Team fotografiert. Wer ein paar Bilder gemacht hat, mag sich gern melden, wie nehmen auch verwackelte Handypics (-> Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).

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