IRON MAIDEN, POWERWOLF, AIRBOURNE / 20.07.2022 – Bremen, Bürgerweide

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Dienstag: Würde ich in einem Gespräch mit beispielsweise Philipp Wolter statt „Iron Maiden“ die Kurzform „Maiden“ verwenden und mich dabei vielleicht noch übers gewohnte Maß des norddeutschen Idioms bedienen - Ich käme mir vor wie ein Hochstapler und wie einer, der sich über Metal lustig macht.

Irgendwo in Frank Schäfers lehrreichem und vergnüglichem Buch „111 Gründe, Heavy Metal zu lieben (Die stark erweiterte Neuausgabe mit 33 Bonustracks: 144 Gründe!)“ findet sich die These, daß Metal wie Karneval sei. Als ich das vor ein paar Jahren las, machte es PANG bei mir (a ghastly pang), und ich konnte die Musik der Zeit zwischen meiner späten Kindheit und frühen Jugend endgültig wieder in mein System lassen. Sie für minderwertig zu erachten, weil sie nicht authentisch sei, das hatte sich von einem Moment auf den anderen erledigt. Authentizität, was ist das überhaupt? Ist dieser Text authentisch? Ist er nicht vielmehr eine Erzählung, die halt Erinnerungsfetzen und sonstig Diffuses in eine Form bringt, Bezüge behauptet, die es so nie gegeben hat, und wenn man mal ehrlich ist, handelt es sich nicht eigentlich wieder nur um einen kleinen Eimer voll Brägen-Ejakulat (jetzt bitte an den lobotomierten Eddie auf dem Cover der „Piece Of Mind“ denken!)? Und ist das als Solches dann nicht authentisch?

Hochuninteressant, ich weiß. Two minutes to midnight, ich brauch ne abgesägte Schädeldecke Schlaf.

 

IRON MAIDEN

 

Mittwoch: Maiden sind eigentlich keine Band, die für meine Gegenwart sonderlich relevant ist, aber nach Kiss und AC/DC waren sie die 3. Band, die ich als 11jähriger auf dem Schirm hatte, und das ist wahr und nicht nachträglich zurechterinnert. Trotzdem habe ich die Paul Di‘Anno-Ära komplett verpaßt. IRON MAIDEN fangen für mich mit Bruce Dickinson an. Vor ein paar Jahren besaß ich eine Weile die „Killers“, und es hatte keinen Sinn, ich kam nicht rein, fand es auch nicht so wichtig und beließ es dabei. Blaze Bayley could be Toffeelikör to me.

„The Number Of The Beast“ war mein erstes selbstgekauftes Maiden-Album. Ich hatte noch keinen Ton Musik von Iron Maiden gehört, aber an diesem Cover mit Eddie, der einen roten Teufel an gestrichelten Marionetten hält und dem ganzen Irrsinn, der sich drumherum abspielt, konnte ich nicht vorbei. Derek Riggs, fucking genius! Mein Sohn weiß, glaube ich, nicht genau, was Iron Maiden ist, aber Eddie kennt er! Manchmal bittet er mich, daß ich ihm die Maiden-CDs aus dem Regal hole, und dann schaut er sie, eine nach der anderen genau an. Was macht Eddie hier? Warum hat Eddie da eine Strahlenpistole?

 

Bent und Eddie

Bent & Eddie

 

Ich habe Urlaub, sitze halb angezogen und halb gar vom gestrigen bekloppt heißen Tag am Friedrichskooger Strand auf der Terasse, im Hintergrund läuft „Life After Death“, und ich merke, daß ich echt ein bißchen aufgeregt bin. Maiden, verdammte Axt. Ist das nicht, als hätte man eine Audienz bei Eric Idle oder einen Freiflug in einer Vulcan? Legends in their own time, und genau dieses feeling will ich, denn es verträgt sich so gut mit meinem Hochstaplerdasein, dem Dasein eines Mannes, für den „Killers“ keine Hausnummer ist und der „Maiden“ sagt.

Scream for me, Stolpe.

Am S-Bahnhof Veddel sammle ich Christof und seine Freunde Dark und Tiff ein. Sie tragen Maiden-T-Shirts. Ich eins von Candy. Nuja. Mein Freund Stulle wollte als Jugendlicher auf ein Maiden-Konzert, hatte kein T-Shirt und beschloß, sich selbst eins zu machen. Leider setzte er mit dem Edding zu groß an, so daß am Ende als Kompromiß „Iron M.“ (mit Punkt!) auf dem Textil prangte. Dafür hätte er beim Konzert von einem Orthodoxen fast aufs Maul bekommen, ging aber nochmal gut.

Die 1 mit maximal 120 runterhovern, „Somewhere In Time“, „Piece Of Mind“ und „Powerslave“ hören, Passagen und Gesangslinien mitpfeifen oder leise -singen, sich auch sonst angenehm unterhalten oder auch mal nichts sagen, Parkplatz finden, Richtung Bürgerweide gehen, sich auf die Stufen der ÖVB-Arena setzen und ein Getränk lang Teile der heute angereisten 35000 vorbeigehen sehen, während AIRBOURNE, AC/DC-Epigonen aus Tralien mit der Halbwertszeit eines Anlecktattoos, angefangen haben, ihre seelenlosen Livedateien abzuspulen.

 

endlich gute Plätze

endlich gute Plätze!

 

Auf der eigentlichen Bürgerweide angekommen hol ich mir erstmal‘n Merch-Plastikbecher mit Cola-Havanna für 14 Euro, live after Bankrott, aber der Becher ist echt geil, und selbst die Aufschrift „Drinks“ auf der Saufzeltplane ist in Maiden-Typo - nur daß sich das nicht corporate anfühlt oder sonstwie schlecht, sondern vertrauensbildend und cool.

 

IRON MAIDEN

Cola-Rum in the burning sun

 

POWERWOLF sind in vielerlei Hinsicht gar nicht soo anders als Iron Maiden, und doch liegen brave new worlds zwischen diesen beiden Bands. Wenn der Powerwolf-Sänger „uns“ als „Freunde“ anspricht, wirkt das wie schmierige Kirmes-Koberei, wenn Bruce Dickinson später ungefähr das gleiche Zeug redet, fasse ich mir ans Herz und fühle mich abgeholt wie Popeye im Spinatgeschäft. Ähnliches gilt für die Musik: Santianoeske „Hoooohoohoo“-Chöre, volkstümliche Akkordprogressionen und schmissige Rhythmen - alles da, hüben wie drüben, aber Powerwolf kommen über finnischen Schlager (wie Christof es nailt) nicht ansatzweise hinweg, während Iron Maiden halbe Langspielplatten mit Klassikern gefüllt haben, die auch 40 Jahre später strahlen wie die verdammte Sonne.

Irgendwann fällt mir endlich ein, daß der Sänger mich total an Watto erinnert, den zwielichten Toydarianer, der in Mos Espa auf Tattoine mit Schrott handelt und Anakin Skywalker als Sklaven hält. „Derr Junge ist nicht SCHLÄÄCHT“, höre ich ihn sagen.

 

der Sänger von POWERWOLF

der Sänger von Powerwolf

 

Tiefpunkt der Powerwolf-Show ist der Männern gewidmete Song „Resurrection by Erection“. Dagegen hilft nur Resilienz by Impotenz. Relatives Highlight hingegen der Teil, in dem die großenteils willige Crowd synchron mit dem eigenen Händeklatschen „Blut!“ bölken soll und das immer schneller nacheinander. Da mache ich gern mit und bin froh, daß wenig später endlich der letzte Song angesagt wird.

IRON FUCKING MAIDEN sind dann zunächst ihre eigene Vorband, indem sie drei Songs des aktuellen und für meinen unbedeutenden Geschmack relativ langweiligen aktuellen Albums „Senjutsu“ spielen (wozu Eddie im Samuraiharnisch gleich mal durch die Deko storcht). Da ich also die Musik erstmal nebenherlaufen lassen kann, gilt meine volle Konzentration der Bühnenpräsenz dieses Sextetts. Und, kein Witz, sie rührt mich zu Tränen. Sechs Individualisten stehen da im Panorama verteilt, entspannt, ruhend in sich selbst (Dickinson natürlich ausgenommen), können machen, was sie wollen, sein, wie sie sind (was die Dehnübungen und das esoterische Posing eines Jannick Gers vielleicht am aufenfälligsten belegen) - und Zusammenspiel, Instrumentenbeherrschung, Tightness, Feeling, all diese Dinge, die den Sound einer Band ausmachen, finden nebenher statt, verlangen diesen fantastischen Haudegen null ab, sie laufen einfach. Iron Maiden können sich selbst beim Spielen zuhören und es genießen, und das bringt sie bei allem Pomp und den Umständen einer Großveranstaltung wie dieser auf Augenhöhe mit ihren Fans. Ein solches Ineinanderfließen von Gigantentum und Wahrhaftigkeit habe ich noch nie erlebt, und mir wird schmerzlich bewußt, daß ich einen Fehler gemacht habe, indem ich sie nicht schon zehn oder zwanzig Mal gesehen habe. Wasted years. Nie wieder werde ich über Authentizität rumschwurbeln.

 

IRON MAIDEN

 

Aber es geht ja erst los. „Revelations“! Ich schnall ab! Und gesteh Euch jetzt mal was: Vor ca. 40 Jahren nahm ich unter dem Namen „Radio durch Mark und Bein“ selbst ausgedachte Personalityshows auf Cassette, und die Unisono-Tuschs, in deren Pausen Bremen „HEY!“ ruft, benutzte ich zur Strukturierung meiner Endlosmoderationen. „Piece Of Mind“ ist wahrscheinlich mein liebstes Maiden-Album, und heute schließt sich hier und jetzt der Kreis meines bisherigen Lebens. Es durchfährt mich, umarmt mich fest und männlich, dreht mich einmal auf links und wieder zurück. Musik ist einfach das Beste auf der Welt, sie hat mich nie hängen lassen, nichtmal, wenn ich doof zu ihr war, und nichts, rein nichts kann dir solche Empfindungen schenken. Und solche klassisch geilen mehrstimmigen Gitarrenläufe auch nicht.

„Flight Of Icarus“! Bruce Dickinson holt mit seinen Stereo-Flammenwerfern den zu hoch fliegenden Jüngling vom Bühnenhimmel, und während mir die Kinnlade aushakt, denke ich: „Siehste, Alter! Hättste mal auf Bruce gehört! Der versteht was vom Fliegen!“ „Hallowed Be Thy Name“ singt er hinterm Theatergitter, und neben seinem Kopf baumelt unheilvoll die Schlinge. „Cos at 5 o' clock they send me to the Gallows Poooohohole“, inbrünstelt Bremen, und ich auch, und ich bin echt nicht der Typ für sowas, aber hier fällt die Entäußerung leicht, und in gewisser Weise habe ich mich lange nicht mehr so normal gefühlt. Ich gehe ab, Oliver Klein!

 

IRON MAIDEN

Flieg nicht zu hoch, mein kleiner Freund.

 

Überhaupt Dickinson: Was arbeitet dieser Doktortitelträger da weg auf der Bühne, stimmlich und was Verkleidung und acting angeht! Er holt für uns die Kohlen aus dem Feuer und ist einfach der weltbeste Märchenonkel, Massenverführer und Erlebnispädagoge. Ich würde ihm bedenkenlos meine Leute, mein Hab und mein Gut anvertrauen und wüßte es in guten Händen, selbst wenn sie der Ukraine endlich die Atombombe liefern.

„The Number Of The Beast“! Jedes verschwörerische Hihihi beim Anblick eines Einkaufsbons über 6€ 66 haben wir Maiden zu verdanken. Sie haben den Teufel in die Umgangsgesellschaft gebracht, nachdem Black Sabbath ihn erschufen. Kein Wunder, daß sie für Hardcore-Gläubige seit Jahrzehnten die Kremdelakrem von Sodom und Gomorrha sind, und möge es so bleiben bis zum Jüngsten Gericht.

Six! Six! Six!

Die Pfaffen wissen nix!

The number of the beast

Kein Christ uns je vermiest!

 

IRON MAIDEN 

Iron Maiden

 

Alles getopt von „The Trooper“: Bruce Dickinson in seinem rot-weißen Waffenrock, so wie ihn britische Soldaten im Krimkrieg trugen, als sie das Osmanische Reich unterstützten, um eine Expansion Russlands zu verhindern. Welch Schein merkwürdiger Aktualität , aber darum geht es mir grad nicht: Dickinson schwenkt einen Union Jack, sein Kamerad Eddie einen Säbel, im Assoziationsraum geht‘s heroisch zu, und eigentlich müßte ich mich mit Grausen und Peinlichkeit abwenden. Statt dessen verliere ich mich endgültig im Ergriffenheitsdelirium und brülle Tiff ins Ohr, man müsse Maiden ewig dankbar sein dafür, daß sie die scheiß Wehrmacht in die Knie gezwungen hätten und Deutschland zur bedingungslosen Kapitulation.

Just in diesem Moment hält Dickinson eine Deutschlandfahne in Händen, und Iron Maiden sind die Einzigen, ich wiederhole: DIE EINZIGEN, die das dürfen. Adrian Smith und Dave Murray spielen flinkfingerig wie eh und je ihre doppelläufigen Lines, und der Anblick von Steve „Bomber“ Harris (um im Bild zu bleiben) ist ikonisch. Ich hab das 1000 Mal gesehen, und heute ist es echt. Es ist dieser Typ. Ich salutiere im Geiste.

Und nachdem der nimmermüde Bruce Dickinson bei „Run To The Hills“ auf der Hochebene hinter Nicko McBrain den einschlagenden Granaten ausweicht, so daß der Slapstick nicht weit scheint, muß abschließend noch die deutsche Luftwaffe am Boden in Stücke geschossen werden: „Aces High“! Und die Spitfire kreist. Noch lang nach dem Verklingen des letzten Tons kreist sie. I love Besatzermusik. Zum Ausgang swingt „Always look at the bright side of live“ aus der P.A. Es geht nicht besser. Hoffentlich kommen sie nochmal. Maiden, verdammte Axt.

 

IRON MAIDEN

 

Zum Schluß ein Kalauer: Wie heißt eine türkische Maiden-Coverband?

Ayran Maiden.

Up the Irons forever!

 

Kommentare   

0 #3 bockfred 2022-08-19 09:59
@Matt: Ey, sorry, aber die Regeln mache jawohl immer noch ich :D
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0 #2 Matt 2022-07-29 20:20
Geiler Bericht aber Bocky: die einzige Band die ihre eigenen Shirts tragen MUSS, sind immer noch SUICIDAL TENDENCIES... Deutschlandflagge hier aber eher unpassend...
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+4 #1 bockfred 2022-07-22 06:58
"Just in diesem Moment hält Dickinson eine Deutschlandfahne in Händen, und Iron Maiden sind die Einzigen, ich wiederhole: DIE EINZIGEN, die das dürfen."
Iron Maiden ist außerdem absolut die einzige Band die ihre eigenen Shirts auf der Bühne tragen darf (glatter Regel 1 verstoß) ohne dass es peinlich ist und die einzige Band die legal mit drei Gitarren spielen darf. Letzteres machen Kvelertak zwar auch, die haben aber nur eine vorläufige, befristete Ausnahmegenehmigung.

Ich glaube bei Maiden wirken viele Sachen, die bei anderen peinlich wären, einfach nett, unterhaltsam und fremdschambefreit weil sie sich nicht zu ernst nehmen und dabei sympathisch und unprollig sind. Gar nicht so ein kompliziertes Rezept, bekommen viele andere aber trotzdem nicht hin.

Ich bin ein bisschen neidisch nach diesem und Philipps Bericht aus Berlin, diese Band steht noch ganz oben auf meiner Liste, es hat leider noch nie klappen sollen. Und ich mag sogar die letzten beiden Alben ganz gerne.
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