DEEP PURPLE / 23.06.2022 – Hamburg, Stadtpark Freilichtbühne

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DEEP PURPLE / 23.06.2022 – Hamburg, Stadtpark Freilichtbühne

Zum ersten Mal in der Geschichte von DreMu muss ich einen NICHT-Bericht abliefern. Ich habe alles versucht, aber ich habe DEEP PURPLE in Hamburg NICHT gesehen, obwohl ich seit 2020 im Besitz eines Tickets für das wegen C verschobenen Konzerts war.

Wie konnte das passieren? Bitte schön, holt euch einen Keks (oder besser gleich die ganze Packung) und setzt euch, ich erzähl’s euch. 

DEEP PURPLE

Das Ticket blieb unversehrt

 

DEEP PURPLE! Schon der Name erzeugt bei mir Gänsehaut, steht er doch mit für das Genialste, was menschliche Wesen in der Musikgeschichte kreieren konnten. Sie waren eine der ersten Bands, die ich in mein schmieriges Hardrockherz geschlossen hatte und zum Glück konnte ich sie bereits zur Zeit der „Perfect Strangers“-Phase 1984/1985 mehrfach live sehen. In der Rückschau gibt es übrigens eine unerklärliche Lücke in meiner DEEP-PURPLE-Tonträgersammlung, die von „Slaves And Masters“ (1990) bis „Rapture Of The Deep“ (2005) reicht. Die Gründe dafür sind mir selbst ein Rätsel, denn live hat mich die Legende stets in Flammen gesetzt. Seit der unfasslich guten „Now What?!“-Scheibe von 2013 bin ich tonträgertechnisch wieder im Boot und das Schließen der Lücken hat begonnen. Irgendwie hat sich die Bedeutung der Band für mich in den letzten Jahren noch erhöht, so dass ich dem heutigen Konzert seit fast genau zwei Jahren entgegenfiebere. Statt Steve Morse soll heute ein Ersatzgitarrist spielen, was dem Auftritt zusätzliche musikhistorische Schwere verleiht. Nette Nachbarn, die zwei Stockwerke über mir im selben Haus wohnen, werden auch dort sein und können mich nach dem Konzert in ihrer Karre mit nach Hause nehmen (hin geht nicht, weil sie schon vormittags nach HH fahren).

 

Ich erwische den Zug um kurz nach 16:00 Uhr. Sehr angenehm, denke ich noch, da dürfte in Hamburg noch Zeit für eine Snackpause und vielleicht gar noch einen Plattenkistenbesuch sein. Etwas nervig scheint mir nur zunächst der Umstand zu sein, dass sich in meinem Waggon eine ganze Schulklasse befindet, schätzungsweise Stufe 6. Doch die damit verbundene Geräuschkulisse bin ich ja täglich gewohnt und irgendwie versinke ich durch sie bald in ein angenehmes Lehrerschläfchen.

 

Plötzlich wache ich auf, etwas muss sich verändert haben. Tatsächlich, der Zug steht. Die Blagen kreischen jetzt auch lauter und beginnen mir langsam auf den Sack zu gehen. Nach einer recht langen Zeit, in der nichts passiert, ertönt endlich die Durchsage der Zugbegleiterin. Es fällt das gefürchtete Wort: „Stellwerkstörung!“ Mist, das bedeutet meist, dass erst mal gar nichts mehr geht, schließlich darf die Bahn nicht riskieren, dass Züge ineinanderfahren. Zur Überraschung erfahren wir, dass es nicht etwa Schienenersatzverkehr geben werde, sondern der Zug nun zurückfahre. Wir waren kurz vor Wrist und sollen nun zurück nach Brokstedt. Jetzt eskaliert die Schulklasse. JEDE:R muss sofort zu Hause anrufen und die Neuigkeit mitteilen, aber teilweise versagen die Schmartfons oder die Akkus sind alle. In der entstehenden Kakophonie erzählt jede:r der Schüler:innen etwas Anderes, willkürliche Ankunftszeiten werden fabuliert, die genannten Gründe sind haarstäubende Fehldeutungen der Bahndurchsagen. Wobei es lediglich im Schritttempo vorwärts geht – bzw. genauer ja rückwärts. Immer wieder hält der Zug an, um dann im zähen Schneckentempo wieder anzusetzen. Die Zeit beginnt sich langsam einerseits quälend zu dehnen, andererseits schmilzt sie dahin und ich verabschiede mich schon mal von der Supportband. Ich war noch nie im Stadtpark, habe aber gesagt bekommen, dass die Veranstaltungen dort pünktlich begönnen (19:00 Uhr gibt mein Ticket an) und – noch schlimmer – recht früh beendet seien. Irgendwann erfolgt ein Update: Ziel sei nun doch nicht mehr Brokstedt, man fahre zurück bis Neumünster. Dort würden alle Anschlusszüge erreicht. Hä?

 

Es ist bereits deutlich nach 18:00 Uhr, als wir Neufinster tatsächlich erreichen. Ich stürme aus dem Zug und bin froh, diese dämliche Klasse los zu sein. Wie erwartet, herrscht hier das völlige Chaos. Alle sind sie hier gestrandet, alle wollen sie weiter. Nur wie? Kurz erscheint mir die AKN ein Ausweg, die mich in Hamburger Vororte befördern könnte. Ich reihe mich in einen endlosen Strom voller Mutanten ein, die offenbar denselben Plan hegen. Da kommt auch schon der Zug, ich bin dem Sehnsuchtsziel so nah, dass ich die Panik in den Augen des Lokführers angesichts der einsteigewilligen Horden sehen kann. Fingernägel krallen sich in meine Schultern, Ellenbogen bohren sich in meine Hüften. Da höre ich die Botschaft: „Der Schienenersatzverkehr nach Hamburg ist soeben eingetroffen und wartet am ZOB“.

 

Unten wartet gar nichts, nur weitere Menschenmassen. Ich treffe Dedl, Ex-POMMES BRUTAL, mit dem ich erst mal ein Bier trinke. Er habe eine neue Band in HH, sei auf dem Weg zu einer der ersten Proben, gespielt werde natürlich Punk. Allein diese Neuigkeit ist den Artikel hier wert. Entsetzt ist er aber, als er hört, dass ich zu DEEP PURPLE wolle. „Igitt, dat ist so ein widerliches Hippiegejaule, oder?“ Nun setze ich zu einer begeisterten Schilderung von den Fähigkeiten der Musiker an, beschreibe die Magie, die Ian Paice, Don Airey, Roger Glover erzeugen können. Ich bin sicher, ich habe Dedl gerade soweit, dass er die Probe sausenlässt und sich meiner Pilgerfahrt anschließen möchte, da trudelt ein Bus mit DB-Logo ein. EIN Bus, Hunderte Reisende, die ihn besteigen wollen! Wieder Krallen, Ellenbögen, sogar Zähne – aber ich gehöre zu den Glücklichen, die wenig später im Bus stehen. Dedl und ich werden getrennt – während die Türen sich zischend schließen, verabschieden wir uns mit gereckten Pommesgabeln.

 

Ein neuer Abschnitt, eine neue Chance! Nach Elmshorn soll es gehen, von dort aus führen wieder Züge. Doch welch Agonie! Zunächst müsse man nach Brokstedt fahren. Diese Fahrt scheint wieder ewig zu dauern und in einem Dorf bei Brokstedt kommt es zur absurden Situation, dass der Busfahrer wegen einer Baustelle eine Umleitung nehmen muss und sich in einer schmalen Dorfstaße derart festfährt, dass der Bus nicht mehr vor und nicht mehr zurück kann. Die Ureinwohner setzen sich schon feixend in ihre Gärten und betrachten das Spektakel. Der Busfahrer ist hartgesotten, er kämpft im Rückwärtsgang um Millimeter, bearbeitet das Steuer, stiert in den Rückspiegel. Irgendwann ist es geschafft, aber das Manöver hat uns locker eine halbe Stunde gekostet!

 

Ich reiße mir die Maske vom Gesicht und einen weiteren Humpen auf! Ein wildes Triumphgefühl erfasst mich: „SCHEITERN IST IRRELEVANT!“ Beim Geschmack des warmen Dosenbiers schöpfe ich neue Hoffnung. Vielleicht spielt die Vorband schön lange? Mein Nachbar meldet gegen 19:45 Uhr, dass DEEP PURPLE noch nicht angefangen hätten. Weiter geht es über Dörfer, ich erkenne Wrist und Horst. Endlich erreichen wir Elmshorn.

 

Mit einem shakespearianischen „The greatest is behind!“ stürme ich zum Gleis in Elmshorn. Endlich Glück – ein Zug nach HH soll in wenigen Minuten mit Verspätung hier ankommen. Das Ding hält, die Türen öffnen sich und mein Blick fällt auf völlig fertig aussehende Passagiere. „Ihr wollt hier nicht einsteigen“, haucht einer kraftlos. „Selbstverständlich will ich“, erkläre ich, erkenne aber schnell, dass der nächste Streckenabschnitt der schlimmste werden wird: Das Kühlsystem ist defekt! Kann es tatsächlich sein, ist es technisch möglich, dass statt eines kühlenden Effektes der Zug stattdessen erwärmt, ja erhitzt wird? Fakt ist: Ich schwitze instant wie ein Schwein. Die Strecke bis zum Hauptbahnhof wird zur Tortur, zur Sisyphusqual.

 

Es ist nun 21:00 Uhr. Fünf Stunden hat die Fahrt von Kiel bis nach Hamburg bis jetzt gedauert! Aber noch bin ich ja nicht beim Stadtpark. Auf dem Weg zur S-Bahn treffe ich Kai von DEVIL’S DAY OFF, mit dem ich einen kurzen, netten Schnack habe und der mir viel Spaß wünscht: „DEEP PURPLE, geil!“ Ich hoffe, wenigstens noch eine halbe Stunde Zugaben sehen zu können.

 

Mit der S1 geht es weiter, an der Haltestelle „Alte Wöhr“ hechte ich heraus. Ein Typ im DEEP-PURPLE-Shirt kommt mir entgegen. „Was für ein Versager! Verlässt das Konzert frühzeitig!“, denke ich verächtlich. Doch da ist noch ein Mensch mit PURPLE-Shirt. Und mit jedem Meter gen Stadtpark werden es mehr, bald sind es Hunderte, ein Strom von Freaks in Purpur. „Wo bist du? Konzert ist beendet.“, schreibt mir mein Nachbar.

 

Okay, verloren. Wenigstens einen Blick aufs Gelände, auf dem ich noch nie war, will ich werfen. Auf dem Weg zum Eingang sehe ich Hunderte von Menschen, die das Konzert sozusagen für umme von draußen gehört haben. Einer davon steht plötzlich vor mir, Ex-Kieler Nikk Suzid. Er wohne seit kurzem gleich um die Ecke, sei zufällig hier spazieren gegangen, habe die Freaks gesehen und gefragt, wer denn heute hier spiele: „Geil, spontan das ganze Konzert angehört, war super!“ Auch nicht schlecht, ich warte seit zwei Jahren mit Karte darauf, andere nehmen das Ding en passant für lau mit…

 

Aufs Gelände komme ich natürlich auch nicht mehr. „Veranstaltung is‘ beendet, kannst dir da vorne noch ‘n Bier kaufen“. Das mache ich natürlich zusammen mit meinen Nachbarn und lasse mir detailliert berichten. DEEP PURPLE sollen wahnsinnig gut gewesen sein, der Ersatzklampfer ein Genie, die ganze Band tight und spielfreudig. Jo, Pfand für unsere Becher bekommen wir dann auch nicht mehr zurück, nun sei das zu spät. Also schön heimwärts fahren.

 

Seltsamerweise fühle ich mich befriedigt, so als hätte ich gerade ein Konzert gesehen. Vieles ist ja auch ähnlich: Ich bin völlig durchgeschwitzt, habe ein paar Bier getrunken, zufällig mehrere Freunde getroffen… Eigentlich geradezu Kernelemente eines gelungenen Abends. Nur halt die Band komplett verpasst.

 

Eins ist sicher: Wenn DEEP PURPLE wieder in die Nähe kommen, werde ich da sein! Morgens los. Oder am Vortag.

Kommentare   

+3 #1 Hackl 2022-06-28 17:13
Hahaha, geiler Bericht, danke dafür!!!
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