KISS, THE NEW ROSES / 13.06.2022 – Hamburg, Barclaycard Arena

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„Das wird alles noch abgesagt!“, lautet das Mantra des geschätzten DreMu-Kollegen JM. Ich entgegne meist, dass es dann halt später stattfinde und die Vorfreude länger währe. Muss dieses Glas-halb-voll-Glas-halb-leer-Ding sein. Aber hier sitzen wir nun in einem Shuttle-Bus zur Barclaycard-Arena, während um uns herum teilweise wie KISS-Avatare geschminkte Freaks „I Wanna Rock’n’Roll All Night!“ skandieren. Wir singen mit und versuchen ab und zu „Bullenwagen klaun und die Innenstadt demolieren“ einzustreuen, aber darauf springt niemand an. Also echt jetzt gleich KISS gucken, Wahnsinn! Ich glaube übrigens auch weiterhin an OZZY und JUDAS PRIEST im nächsten Jahr.                                                                                                                 

Anmerkung: Aufmerksame DreMu-Leser:innen werden merken, dass es hier bereits einen weiteren Bericht über dieses Konzert gibt. Der stammt von Steffen Frahm und ist sehr lesenswert, ihr findet ihn hier. Warum also noch einen? Warum nicht? Eigentlich verdient jedes Konzert mehrere Berichte, finde ich. Ich hoffe zudem, dass sich die beiden Reviews inhaltlich und stilistisch hinreichend unterscheiden. Steffen lässt seinen Text bewusst in reine Fiktion gleiten, was zum Teil für Verwirrung sorgte. Ob ich aber eher die Realität widerspiegele, vermag ich gar nicht zu sagen. Was ist beim Empfinden und Genießen von Musik schon „objektive“ Wahrheit? „So war das gar nicht!“, mögen Leser:innen auch mir entgegenschmettern. Bei KISS mag dies sogar verstärkt zutreffen. Hat Paul Stanley z.B. komplett live gesungen oder gab es Playback-Einspieler? Ich finde: Ist doch egal, KISS liefern eine riesige „Show“, die eine große Musical-Produktion noch übertrifft, wen schert es, ob da irgendwelche Backing-Vocals unterstützend vom Band kommen, während Stanley hüftenwackelnd über die Bühne tanzt. Ich kann eben nur meine Wahrnehmung schildern, here we go:

 

KISS

Bilder von MJ

 

Wenn man sonst eher auf Underground-Clubshows geht, ist das Ausmaß der Gigantomanie einer solchen Arena erschlagend. In letzter Zeit hört man häufiger, dass Karteninhaber:innen nicht zur Veranstaltung erscheinen. Das scheint heute nicht der Fall zu sein, die Arena ist pickepacke voll und selbst die obersten Ränge sind besetzt. Immerhin ist dies die KISS-Abschiedstour unter dem Motto „End of the road“, somit könnte es sehr gut sein, dass wir die Band heute zum letzten Mal sehen.

 

THE NEW ROSESTHE NEW ROSES

 

THE NEW ROSES fallen fast komplett dem Begrüßen bekannter Gesichter zum Opfer. Obwohl über 10.000 Menschen hier sind und die Chance eines zufälligen Treffens gering ist, trifft man sich vereinzelt dann doch. Die Band geht in Ordnung und hat sich bereits Applaus erspielt, als wir uns ihr widmen können. Solider Hardrock mit eingängigen Strukturen, der allerdings auch etwas vorsehbar und glatt ausfällt. Die Stadionchöre funktionieren hier, die Leute lassen sich mitreißen und werden von der Band ermutigt, auch bei schiefen Tönen weiterzusingen: „Ja, genau, einfach drauf scheißen“. Mein persönliches Fazit: Keine Erntepflicht, aber auch kein Ärgernis.

 

KISSKISS 

 

Abfahrt! Die berühmte Ansage ertönt, der Vorhang fällt und sofort setzen KISS zum Angriff auf alle Sinne an: Explosionen, Feuersäulen, Pyros, Nebelwefer, Laserstrahlen und mitten ins gigantische Eröffnungsriff von „Detroit Rock City“ senken sich drei separate Plattformen von der Hallendecke herab, auf denen Gene Simmons, Paul Stanley und Tommy Thayer (seit 2002 als Spaceman an Gitarre und Gesang) zocken. Im Hintergrund thront Eric Singer (als Catman 1991 – 1996, 2001 – 2002 und seit 2004 am Start), auch er wird später hydraulisch auf höhere Level geschraubt. Es folgt eine Werkschau vor allem durch die 70er- und 80er Alben der KISSTORY, wobei es mit „Heaven’s On Fire“, „Tears Are Falling“ und „Say Yeah“ auch Überraschungen in der Setlist gibt. Trotz des 30ig-jährigen Jubiläums übergeht man übrigens das „Revenge“-Album, was mein einziger Kritikpunkt an dieser Zusammenstellung ist. Es passiert in jedem Song irgendetwas Spektakuläres, sodass ein Live-Review Romanlänge erreichte, wollte ich jede interessante Nuance schildern. Nach dem furiosen Auftakt prostet mir Martina erst mal „Frohes Neues“ zu.

 

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Aber das war natürlich nur der Anfang einer furiosen Show, die allen Anwesenden immer wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Häufig wird im selben Atemzug ja gern ergänzt, dass KISS musikalisch nicht gut performen würden. Das ist Unfug, man höre doch nur die herrliche Lead-Twingitarre in „Detroit Rock City“, die großartigen Refrains von „Deuce“, „Shout It Out Loud“, „War Machine“ oder „Heaven’s On Fire“, die zudem eine unerhörte musikalische Bandbreite abdecken. Im Grunde haben KISS fast jedes Metal-Subgenre vorausgenommen, miterfunden oder inspiriert. Zu „I Love It Loud“ spuckt der Dämon Gene Simmons Feuer, dessen Hitze bis unsere Gesichter schlägt. Nach „Say Yeah“ und einer tollen Version von „Cold Gin“ bekommt Tommy Thayer Spotlight, während der Rest sich ein Päuschen gönnt. Thayer soliert und schießt dabei Funkenstrahlen aus seiner Klampfe, nice! „Lick It Up“ wird wieder in kompletter Stärke dargeboten und um eine Hommage an THE WHO („Won’t Get Fooled Again“) ergänzt. Ob und wie viel Einspieler vom Band kommen, ist schwer zu sagen, aber Raum für spontane „Hamburg“-Textänderungen oder Bühnendialoge ist definitiv vorhanden. Ich höre auch ein eindeutiges „Klonk“, als ein Roadie das Mikro fallenlässt, welches Stanley ihm nach wildem Geschleudere am Kabel zugeworfen hatte, ein Vollplayback findet auf keinen Fall statt. Auf „Calling Dr. Love“, „Tears Are Falling“ und „Psycho Circus“ folgt ein durch massive visuelle Effekte und Hebebühnen-Action unterstütztes Schlagzeugsolo von Eric Singer, ein Killerdrummer, dessen Dienste nicht umsonst auch bereits von ALICE COOPER, BRIAN MAY, GARY MOORE, LITA FORD oder BLACK SABBATH in Anspruch genommen wurden.

 

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„100000 Years“ dient als Übergang zu einem DER Höhepunkte: Gene Simmons betritt seine Plattform, lässt ein böse, nach Donnergrollen klingendes Basssolo aus luftiger Höhe ertönen und – es erdröhnt „God Of Thunder“ inkl. Blutspuckschweinkram, bestens auf der Riesenleinwand zu verfolgen. Da darf sich Paul Stanley nicht lumpen lassen, - zu diesem Zeitpunkt der Show ist selbst bei höchster Harndrangstufe ein Toilettengang der totale Fail - , der nun den Lift zur Mitte der Halle nimmt und über das Publikum fliegt. Dort steht eine Extrabühne mit mehreren Extra-Mikroständern, sodass Stanley sich drehen und Augenkontakt zu verschiedenen Teilen der Zuhörerschaft herstellen kann. In diesem Setting bieten KISS nun „Love Gun“ und „I Was Made For Loving You“ dar, mitgesungen von der gesamten Halle. Das großartige „Black Diamond“ beschließt das reguläre Set. Natürlich kehren KISS zurück und versichern uns, dass sie Hamburg liebten, dies aber heute ihr letzter Auftritt hier sei. Da wird einem doch ganz besinnlich und schwermütig im Herz, passenderweise sitzt dann auch Eric Singer allein vorne am Klavierflügel und gibt bei „Beth“ eine nahezu perfekte Peter-Criss-Imitation. Ich liebe diesen Song ja. Hach, jetzt nähern wir uns aber wirklich dem Ende mit „Do You Love Me“ und „Rock And Roll All Nite“. Noch einmal sinnbetäubendes Special-Effect-Bombardement: große KISS-Gummibälle regnen herab, der Konfettiregen erfüllt die gesamte (!) Halle und schließlich ballern noch Luftschlangen von der Decke.

 

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Es war großartig und wohl mein bestes KISS-Konzert (gesehen: MONSTERS OF ROCK 1988 in Schweinfurt, Reunion 1996 auf der Trabrennbahn, die 3D-Show in der Kieler Ostseehalle 1999 und 2015 ebenfalls in der Arena, als diese o2 World hieß). Es scheinen wirklich alle Besucher:innen mit einem Grinsen im Gesicht hinauszugehen. Kehren KISS in fünf Jahren zurück? Ich tippe: eher nicht. Aber falls doch, komme ich natürlich und gucke mir das Spektakel an. Danke für alles, KISS!

 

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KISS

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