TURBOSTAAT / 18.02.2020 – Hamburg, Markthalle

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„Personenschaden“ – bei dem Wort relativiert sich alles. Du merkst, dass du gerade nur ein Luxusproblem bewältigen musst, wenn du in Neumünster gestrandet bist und in Hamburg gleich die erste Band spielen wird. Ist dann ziemlich egal, denn gerade ist ein Mensch seiner Depression erlegen. Unerträglich sind allerdings die Reaktionen einiger Reisender, die wir zufällig aufschnappen: „Scheiß Bahn, können die den Rotz nicht schneller von den Gleisen fegen?“ oder „Jetzt versaut mir so ein dummer Selbstmörder meine Abendplanung!“

 

TURBOSTAAT

Bilder von Martina.

CAPTAIN PLANET sind natürlich komplett durch und TURBOSTAAT spielen gerade „Fraukes Ende“, als wir in die Markthalle stolpern. Wie ich später erzählt bekomme, ist das wohl der vierte oder fünfte Song. Da es sich heute um das Zusatzkonzert handelt, ist der Laden „nur“ sehr gut gefüllt, nicht aber komplett ausverkauft, sodass wir uns flugs Seitenplätze direkt rechts vor der Bühne ergattern. Das Bühnenbild überzeugt mit schlichter, aber sehr stilvoller Gestaltung, denn TURBOSTAAT haben Peters Schlagzeug weit nach vorne geholt, ergänzen die Markthallenlichtanlage mit ein paar Bodenstrahlern sowie ihren „Glühbirnen“ und beleuchten ihr Backdrop sehr effektiv, sodass es perfekt zur jeweiligen Stimmung passt. Der Sound kann als perfekt bezeichnet werden, was mir schon bei den letzten TURBOSTAAT-Konzerten in der Meierei und auffem ENZO aufgefallen ist. Wir haben zwar den Anfang verpasst, aber ich gewinne den Eindruck, dass TURBOSTAAT ihr neues Album fast (?) komplett zocken. Super gefällt mir zum Beispiel „Stine“, ein Text über eine Frau in Husum, die tatsächlich gelebt habe, wie mir jemand erzählt. Zeitlebens haben sich wohl Bürger über ihr normabweichendes Verhalten/Erscheinungsbild bei den Behörden beschwert, nur um sie posthum dann „als Original in die Chronik dieser Stadt“ zu hieven, wie es treffend in dem Lied heißt. Hier zeigt sich, wie punktgenau TURBOSTAAT beobachten, wie exakt sie die deutsche Doppelmoral in Worte fassen. In diese Kerbe schlägt das ebenfalls zum Zuge kommende „Heilehaus“ mit den mir ständig im Kopf herumgeisternden Zeilen „Und mittwochs ist doch Vokü / Mehr musst du gar nicht tun / Mehr kannst du gar nicht tun.“ Zum wummernden Sound hüpft ein durchgeschwitzter Menschenpulk auf und ab, viele klatschen mit, was in Punkkreisen ja gern mal kritisch gesehen wird. Ich finde, dass es sich bei diesen Stakkato artig gespielten Gitarren und Beats aber nun mal anbietet. Was soll’s, Jan ruft auch gar nicht dazu auf, so wie die Leute auch extrem textsicher sind und von sich aus immer wieder Textzeilen und ganze Passagen mitsingen. Ich bin ja gerade in den letzten Jahren (wieder) zum intensiven Hörer der Band geworden und mag, wie ihr Stil zwischen düsterem Post Punk und flirrender Unbenennbarkeit mäandert. Unser Zuspätkommen bewirkt, dass wir jeden Song umso intensiver genießen, glaube ich. Jedenfalls habe ich mich selten so sehr über Zugaben gefreut, von denen TURBOSTAAT heute eine ganze Menge präsentieren. „Schwan“ markiert keineswegs das Ende, danach folgen u.a. noch „Luzi“, „Harm Rochel“ (super!), „Vormann Leiss“ (auch!) und „Ruperts Grün“ (herrlich!).

 

TURBOSTAAT

 

Wir sind glücklich, doch noch so viel gesehen zu haben und freuen uns darüber, viele Bekannte zu treffen bzw. neue Bekanntschaften zu schließen.    

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