EA80 + ARXX - Hamburg, Knust 06.09.19 & EA80 + ARXX- Flensburg , Volksbad 07.09.19

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Freitag:

Als sie die Absperrbanderole wegschnurren lassen, beschliesse ich, die kartoffelschaligen Bessereweltpommes mit  jazzig gewürzter Seitenwurst lieber erstmal abkühlen zu lassen, stelle mich in die Reihe und habe schon Muffe, dass die durch mein Bewusstsein irisierende Single-Box ausverkauft ist. Guru Mosh will auch eine, und schon gesellt sich Muffe Nr. 2 dazu, weil ich um keinen Preis in den Verdacht geraten möchte, ein Ebay-Abzocker zu sein. Ich wäge ab, ob ich die Reste-10“ von THE DEVIL IN MISS JONES und 1-2 andere Andenken auch noch brauche.

 Definitiv Ja.

 Ich habe eine Freundin gefragt, ob es zu junggesellinnenabschiedshaft sei, sich für heute und morgen ein schwarzes Tieschört mit der weissen Aufschrift „FB81“ im Brusttaschenbereich machen zu lassen. Sie meinte „Nein“, und es wäre doch ein ganz gelungener Witz, und dabei bleibt es vorerst, weil ich es nicht geschafft habe. Genau jetzt, da ich es hier hinschreibe, frage ich mich, ob der Witz tatsächlich so gut ist, dass Ihr ihn klaut und beim nächsten GC82-Konzert alle mit sowas durch die Location storcht.

 Heute Morgen kam mir in der Stadt einer entgegen, der hatte so eine Art Trainingsjacke an, und darauf stand „EA7“. Gern hätte ich ein Video gedreht, wie ich auf ihn zugehe, auf das „EA7“ deute, in die Kamera schaue und mit väterlich nachsichtigem Gestus sage: „Da müsste eigentlich EA80 stehen.“

 Kollektive Höhepunkte des Plattenspiesserlebens: Loberts Panik ist ähnlich geartet wie meine und flimmert hinter den Buchstaben seiner PN auf meinem Display. Ich habe nicht mehr genug Euro, um eine 3. und 4. Box zu kaufen und ausserdem siehe Muffe Nr. 2. Ich verspreche, Fäxmän zu fragen, finde ihn aber ad hoc nicht im sich füllenden Club. Für morgen haben sie Stücker 40 beiseitegelegt. Die letzten 40 auf der ganzen, riesigen Welt. Nein, stimmt nicht. Fäxmän hat einen Wisch mit einem Bestell-Link drauf ergattert, den ich für Lobert abknipse, aber das Foto wird schlecht. The item IS available. Fäxmän soll trotzdem eine Box kaufen.

Faxe mit Box

EA80 sind eine elitäre Verschwörungstheoretikercombo, eine Geheimlogenkapelle, ein Fight Club für pyknische Archivare mit Karl-Dall-Augen und teigigem Teint. Wir spielen ihr fitzeliges Spielchen mit, nur um im Morgengrauen wieder vor unseren ächzenden Regalen zu stehen. Es ist zum Kotzen und geil. Junge ist bestimmt neurotisch und zwanghaft wie ich. 42 Ein-Minuten-Stücke, verteilt auf 7 Singles, eins für jedes Lebensjahr der Band und zweie obendruff, Preis pro Lied: 0,95 €. NEUNundvierzig wär natürlich noch zwanghafter gewesen wegen Siebenmalsieben, Haptik over Hörerlebnis und das alles OHNE Downloadcode. Stöhn. Denkt denn niemand an uns, unsere Familien, unsere Jobs und die Serien, die wir noch binschen wollen?

Schlagzeuger

Als Punkspiesser muss ich schon zugeben, dass mir die Gitarren bei „Sommerjugend“, einem meiner vielleicht 10 EA80-Lieblingslieder, heute einfach zu verstimmt sind. Zu punkige Version für meinen Geschmack. Man habe backstage gesessen, erklärt Junge launig, und auf die Frage eines Bandmitgliedes, wie der B-Teil von „Ausgangspunkt“ geht, die unverstärkten Gitarren hervorgeholt, um gegen den Lärm der Vorband zu versuchen, diese Frage zu beantworten. Junge selbst kann es nicht gewesen sein, denn der kann, wie sich zeigt, den A-Teil nicht, so dass „Zum Ausgangspunkt“ ungespielt bleibt. Oder er kann beide Teile nicht. Später kriegt er seine verschandelte Stratocaster nicht gestimmt und nestelt an seinem Stressbrett herum. Dass in solchen Momenten immer Eine/r „Jungen und Technik!“ ruft, finde ich lustig und schön.

Pogo ist die getanzte Allegorie eines solidarischen Kapitalismus: Alle am struggeln, es geht ruppig zu, aber wenn eine/r fällt, helfen ihm die Anderen auf. Nachdem ich Ende der 80er im Rendsburger JuZ allem an den Jackenkragen sprang, was nicht bei „Drei“ auf den Kronleuchtern war, entwickelte ich zu Pogo bald eine stabile Ambivalenz: Als Visiontrack zum Punkkonzert sehe ich ihn gern, wenn ich physisch von ihm be- bzw GEtroffen bin, geht er mir augenblicklich auf den Sack. Habe ausserdem den Eindruck, dass Szenegeriaten mit geligen Country-Frisuren vielleicht die unangenehmsten Poger sind, weil sie, von Nostalgie benebelt, vor allem sich selbst nochmal richtig zeigen müssen, wie hungry´n angry sie theoretisch sein können. Burschenschaftler des Ausdruckstanzes.

                                                                              

Muffe Nr. 3: Es könnte jemand gegen/auf meinen prall gefüllten Plattenspiesserbeutel treten/fallen, also lieber ein Stück nach hinten gehen. Denkste, denn das „Knust“ ist so eng und voll, dass ich es nicht vermeiden werde können, DIREKT vor jemandem zu stehen, und da ich nicht nur der grösste sondern auch der höflichste und rücksichtsvollste Mann der Welt bin, ende ich da, wo die Bühne nicht mehr zu sehen ist und niemand mehr steht. Ausser mir, jetzt. Und –schwupps- befinde ich mich auch schon in einem halbseitig betrunkenen Gespräch über fast alle Bands, in denen ich je war. EA80 kriege ich nur noch mit halbem Ohr mit, aber das anfangs etwas unfokussierte Konzert scheint sich zu fangen.

EA80                                                                              

Schacke ist auch da, Pennplatzbewohner und Freund von Junge. Wir kramen halbgar in ins Ohr gebrüllten Erinnerungsfetzen an den transzendenten EA80-Gig auf der „Stubnitz“ vor zwei Jahren. „Das werden wir heute nicht erreichen“, habe Junge eingeräumt, und dieser Einschätzung schliesse ich mich an, auch wenn ich das halbe Konzert verpasst habe. Dann verabschiedet sich Schacke, weil er nochmal in die 1. Reihe will, und torkelt auf die Beamer-Leinwand zu, mittels derer sie das Bühnengeschehen in den Saufbereich übertragen.

 

Samstag:

Die Box ist weg. Ausverkauft. Dass das Flensburger Kontingent der unwiderrufliche Rest sein könnte, hat sich über Nacht scheinbar bewahrheitet. Einer von PEPPONE braucht noch eine, wie Guru Mosh mir steckt, was mich zwar minimal stresst, weil ich ja heute nur mit dem Konzert und gar nicht mit Devotionalienshopping befasst sein wollte, aber ich kann diesem Typen das nicht abschlagen. Lobert erklärt sich bereit, für mich eine mitzukaufen wg. Muffe Nr. 2.

Mit ihm, Gundel, Fäxmän und dem Lustigen Bremer ballere ich über die A7, Tickets für alle im Handschuhfach. Das mit der Nummer 122 habe ich für mich reserviert, weil die 2 im exorbitanten Textkörper EA80s überdurchschnittlich oft erscheint. 2 Takte später, 1. Stunden der Zweisamkeit, Herz-2-Schlag, Zweite Jagdt, Zweihundertzwei, Zweifel, 2 Lügen, D 32, 200m und danach, WUT, 3 Buchstaben / dauert maximal 2 Stunden / und manchmal mehr, Zwanzig, Ostsee II, Zwischen 0 und 12.

Eintrittskarte

Statt sich über das Gehubere mit Kleinstauflagen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit oder nur in Peter Panks Wohnzimmer, Mittwoch früh zwischen 5 und halb 6 stattfindenden Releases zu echauffieren, könnte man diese seit Jahren gepflegte Praxis auch als integralen Bestandteil des EA80-Mythos betrachten – eines Mythos´, an dessen Entstehung und Leben die Band natürlich kräftig mitgewirkt hat. Sieht man Junge in seiner Werkstatt Schallplattenlabels bestempeln (http://musikzimmermg.blogspot.com), wird einem wieder klar, dass Kunst und Kultur per se erstmal keine jederzeit und überall bestellbaren oder sonstwie erhältlichen Waren sind. Das ist natürlich ein Skandal. Wir leben schliesslich in einer Zeit, in der man ÜBERALL! IMMER! ALLES! kaufen kann.

Ich kann mich da aber gut mit abfinden: Wenn ich gerade nicht in Lindau am Bodensee weile, EA80 aber ebendort eine Two-inch-Picturedisc mit Karpfenauge und 5 Sekunden Geblubber rausbringen, dann kriege ich die halt nicht. Die Möglichkeit, irgendwelchen Discogs-Raffzähnen schweinepreismässig viel Euro zu pepeln, bleibt mir das ganze Leben lang. Es liegt bei mir, nicht bei EA80.

Gestern erzählte Junge, EA80 würden seit Anbeginn versuchen, nie 2x dasselbe zu machen (und das gelte auch für Ansagen). Oder war das heute? Egal. Abgesehen davon, dass die Band musikalisch so verlässlich ist wie kaum eine andere, kann man das so unterschreiben. Geh mir weg mit der 10000sten konsensheischenden Kumpel-Kapelle, würg, reiher. Und vielleicht findet Junge das Akklamationslevel im Verlauf des heutigen Konzerts zu hoch, vielleicht ist ihm das alles zu sehr Kindergeburtstag, weiss der Himmel, was ihn reitet, aber kurz vor Schluss wird er anfangen, Störimpulse in die allgemeine Euphorie zu senden, und ich finde das gut. EA80 waren immer konfrontativ, haben nie einfach nur Wünsche erfüllt und sei´s, indem sie wirklich mal einen Abend scheisse gespielt haben.  Und das ist, wie gesagt, gut so, es ist mehr als gut. Es ist EINE BAND, keine Fensterreinigungsfirma.

Nebenbei: Das neue Werk ist klasse, besser als die letzte Platte. Die Idee, nur 1-Minuten-Stücke zu machen, finde ich allerdings etwas überwertig, denn ca. 29 der 42 Stücke sind so gut, dass ihnen mehr Länge stehen würde – zumal sie eher abbrechen als enden, wenn Ihr versteht, was ich meine. Aber lieber zu früh aufhören als zu spät. „Prisma“ enthält eine WIRE-Anspielung, und es gibt bestimmt noch viel zu entdecken, ich hab´s erst 10x gehört.

Vom Support ARXX würde ich mir zwar keine Platte kaufen, wenn sie aber im Radio liefen (statt z.B. Adele oder Andere von Jenen), wüsste ich, dass ich endlich in einer besseren Welt lebe. Man sah sie in Brighton und lud sie knapp vor´m Brexit ein, ein paar Shows auf dem Kontinent zu spielen. Das sei eine tolle Erfahrung gewesen, lobt die Schlagzeugerin, während Martin Kircher am Bühnenrand sitzt und tatsächlich verschmitzt aussieht. Sie hätten sich wie Kinder gefühlt, und das sei durchweg positiv gemeint. Bestens aufgehoben und betreut, glücklich über die enthusiastische Resonanz der Crowd an beiden Abenden. Gute Songs, gute Musikerinnen, die Summe der einzelnen Teile und das Zusammenkommen ausgerechnet DIESER beiden Bands wärmen das Herz.

 EA80 eröffnen mit „Sie zerstörten alles“. Einen Song oder ein ganzes Album von ihnen zwar lang zu kennen aber trotzdem, wodurch auch immer, plötzlich total auf der Rechnung zu haben, dieses Erlebnis kann man oft haben bei EA80. „Mehr Schreie“ ist sicher eins meiner Langzeitlieblingsalben, aber „Sie zerstörten alles“ rangierte bisher eher in der zweiten Reihe. Das ist jetzt also anders, und als Nächstes spielen sie „Berge“ von der „Schweinegott“ – noch eine Lieblingsplatte UND ein Lieblingslied. Ich bin voll drin. Viel Altes dabei heute, scheint mir, „Matatu“ z.B; aber auch „Gugging“, auf das Fäxmän gehofft hatte. „Geile Setliste“, konstatierte der Lustige Bremer kurz vor dem ersten Ton nach einem Blick auf selbige.

Kircher mit Pappen

 Dann kommt der Teil mit den Einminütern von der Box. Junge hat Pappen mit den Texten unter dem Arm. Im Vergleich zu den Klassikern ziehen diese vielen kurzen Einheiten auch heute Abend eher an mir vorbei. Die IDEE steht für die knapp 3 Minuten, die der ganze Block vielleicht dauert, wieder im Vordergrund, aber davon mal abgesehen: Die Texte sind in ihrer notgedrungenen Kürze eher noch besser. Ein Problem, das mir selbst beim Texten immer wieder begegnet, ist, dass ich mit den ersten 5 Zeilen alles gesagt habe, was ich sagen möchte, und nun aufpassen muss, mich nicht nur noch zu wiederholen und meinen Wortschatz zu exploiten. Keine Ahnung, was der Kircher da für Erfahrungen macht, aber einer Abhandlung wie…

 

 Verstrahlt

Dieses Leben ist nicht kompatibel

So gar nicht auf der Höhe der Zeit

 

Im Kampf/Streit um das Glück und die Freiheit

Beziffert die digitale Revolution

Ihre Opfer in Millionen und Abermillionen

 

…ist nicht zwingend etwas hinzuzufügen.

 

Oder:

 

 Metalltod

Bruder Satan

Schwester Gott

 

Pragmatismus – der toten Seele

Neofaschismus – des deutschen Geist

 

Ihr werdet

Den Wald

Das Wasser

Meinen Geist

Meine Luft

Vergiften

 

EA80

 

Aber es ist sowieso egal, welches Stück EA80 heute Abend spielen, die Liebe des Publikums schlägt ihnen in kräftigen Wellen entgegen. „Schön, dass es euch noch gibt!“ brüllt an einer Stelle jemand. Junge ergänzt trocken: „Wo´s doch jetzt Netflix gibt“, was vielen Anderen und mir natürlich aus der tiefsten Seele spricht.

 Aber EA80 wären nicht EA80, wenn sie bzw. Junge die ganze, selige Verschmelzung nicht wenigstens ein bisschen beeinträchtigen würden. Nach der intensivsten Version von „200m und danach“, die ich je live hörte, bittet er per Handzeichen um eine Pause, tritt ans Mikro und erklärt, dass es laut Setliste noch weitergehen müsste, dass aber Setlisten am Ende auch nur ein selbst auferlegter Zwang wären, dem die Band sich nicht beugen müsste, so wie sich niemand irgendeinem Zwang beugen müsste.

 Belustigung, Irritation, Unglaube, „Spielt weiter!“

 Noch zwei Stücke, danach verlassen die Gitarristen die Bühne. Wir fordern Zugaben. Junge kommt zurück und spielt etwas Getragenes auf einer kleinen Orgel, die am Bühnenrand auf dem Boden liegt. Danach sitzt Nico von Brunn wieder allein hinter seinem Schlagzeug und sagt:

 „Es liegt an euch, meine verpeilten Kollegen aus dem Backstage zu holen. Ich habe hier noch Stücke stehen und würd die gern spielen.“

 Womit er anfängt, rhythmisch die Kick zu treten, was in dieser Situation beinah populistisch anmutet. Auch nicht immer alle einer Meinung bei E-A-Eighty. Dann kommen die verpeilten Kollegen für „Definitiv: Nein“ ein letztes Mal zurück. Danach ist Schluss. Warum geben EA80 überhaupt Zugaben?

 Steven Frame (Text und Fotos, ausser die 2 Schwarzweissen aus HH, die sind von Luke Stevens.)

Youtube Videos:

 EA80 - Schweigen - Flensburg Volksbad 07.09.2019

EA80 - Berge - Flensburg Volksbad 07.09.2019

ARXX Flensburg Volksbad 07.09.2019

(Youtube Videos by Martin, Shitty Videos Galore - Punk Rock And Other Crap)

 

 

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