RD-ROCK FESTIVAL 2019 / 25.05.2019 – Hanerau-Hademarschen, Tag 2

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Philipp: Zu kühl heute Morgen, zumindest zum Korrigieren. Ich hatte mir einen Stapel Fünftklässler-Deutschaufsätze und Rotstifte eingepackt, aber die frische Morgenbrise treibt mich zurück ins Zelt, wo ich erst im Liegen meines Amtes walte, dann aber einschlafe. Wellness in Hanerau-Hademarschen.

Später gehe ich dann aufs Festivalgelände und kehre erst nach MOPED ASCONA wieder zu unserem Camp zurück. Obwohl ich eigentlich den ganzen Tag ohne Unterbrechung von Waldbühne zu Wiesenbühne gehe, verpasse ich trotzdem Bands.

Doppelbericht von JoyBoy und Philipp

 

THE BACONANAS & CHOKE THE PALM TREE

Philipp: Was dit für Namen gibt! THE BACONANAS, also die Speckbananen, eröffnen den Reigen im großen Zelt, der Wiesenbühne. Sie bieten Garagenrock feil, von dem ich nicht viel mitbekomme, da mir ein Wildfremder detailliert von seinen nächtlichen Abenteuern erzählt. Besser gelingt mir die Fokussierung auf CHOKE THE PALM TREE, die angeblich aus Pansdorf kommen, ein Örtchen, das ich während meiner Dienstzeit in Timmendorfer Strand näher kennenlernen durfte. Der alberne Bandname verschleiert die Tatsache, dass hier ein herrlich verstrahlter Stoner-/Sludge-Jam gefahren wird. Und das nur von zwei Typen, die gegen Ende auch mal die Position wechseln (Gitarre & Gesang <-> Schlagzeug und Gesang).

 

AALKREIH

Philipp: Endlich AALKREIH! Die Bengels wollte ich seit langem live sehen, irgendwie hat es nie geklappt. Gerri, Marvin und Birger hier mal mit ganz neuen Tönen, nämlich einer Art Country/Folk, dessen Reiz darin liegt, dass Gerri Plattdeutsch singt. Ich mag das allein schon deshalb, weil ich kein Wort verstehen kann (meine Eltern kommen von woanders wech). Eine Ausnahme gibt’s: „Nix to verleern“, denn den hab ich mir auf dem MOORLOCH-Sampler so häufig angehört, dass ich ihn als Outlaw-Hymne gegen die Obrigkeit dechiffriert habe. Gerri versichert, dass es sich um reine Bildsprache handle, denn Johnny Cash habe schließlich auch nie wirklich jemanden erschossen. Ich sehe eine große Zukunft.  

 

KNUD VOSS

JoyBoy: Mein Tag beginnt mit KNUD VOSS, bei denen ich auch Micha ein Wenig am Pult vertreten darf. Das tue ich hier auch deswegen sehr gerne, weil KV ziemlich genau wissen, was sie tun. Auf den ersten Blick könnte man den Eindruck gewinnen, es mit einer weiteren Rachut-Epigone zu tun zu haben, was wohl als Anhaltspunkt zur Stilbeschreibung nicht völlig verkehrt wäre, aber der Qualität und Eigenständigkeit der Band dann doch nicht ganz gerecht wird. Ein Knackpunkt ist für mich bei solchen Bands immer der Grad der Verkryptung der Texte – immer wenn mich der Verdacht beschleicht, dass es in einem Text letztlich um gar nichts geht, wird es für mich auch eher uninteressant. Hier kriegen KV immer noch sehr gut die Kurve und verfügen über eine eigene Ausdrucksart, die mir mehr sagt, als dass einfach irgendwie interessant klingenden Lyrikphrasen wahllos aneinander gewürfelt wurden. Um von der Qualität des Songwritings zu überzeugen, sei hier unter anderem der Hit „Kondensmilch“ empfohlen.

 

OBSKURA

Philipp: OBSKURA erwischen einen der fettesten Sounds, der heute von der Waldbühne böllert. Od School Death Metal mit einer scharfkantigen Thrash-Ecke, so wie man es vom Abrisskommando aus Schleswig kennt. Auf wuchtige Grooves pflanzt Marvin Growls, die direkt aus den Eingeweiden der Hölle zu stammen scheinen. Heute spielt Gitarrist Ingo seinen letzten Gig, und OBSKURA können mit Martin bereits seinen Nachfolger präsentieren. Im Zuge dessen erfahre ich, dass es die Band echt bereits seit 25 Jahren gibt. Respekt! Die Leute erweisen dem emotionalen Anlass ihre Ehre, sodass Ingo mit einem guten Gefühl von der Bühne gehen und diesen Gig positiv in Erinnerung haben dürfte.

 

MØRDER

JoyBoy: „Lutscht meinen Schwanz!“ - ohne Kontext kommt dieser Satz irgendwie nur so halb-gut, daher schiebe ich schnell ein, dass Doktorin Anna diese Botschaft im Rahmen des Auftritts von MØRDER an alle richtet, die von Musikerinnen in härteren Musikrichtungen immer noch – freundlich ausgedrückt – überfordert sind. Die Reaktion auf diese knackige Ansage steht ungefähr symptomatisch für den Effekt, den MØRDER heute auslösen. Ich kann die Sinneserfahrung, die diese infernalische Wand bei mir auslöst weiterhin nicht besser beschreiben als das Gefühl, dass einem die Gänsehaut mit einem noch heftigeren Schauer wieder ausgezogen wird - kein Scheiß! Da stand ich gern am Pult, hätte mich aber auch gern einfach nur mitreißen lassen.

Philipp: „Infernalische Wand“, das trifft es sehr gut! MØRDER können getrost als derbste Band des Festivals bezeichnet werden. Da sind so geile Momente dabei, in denen alles zu einem weißglühenden Klumpen zu zerschmelzen scheint. Und gerade wenn du denkst, dass es nicht krasser geht, kreischbrüllt Anna noch nervenzerfetzender als bisher. Die neue Besetzung mit Nico und Feli hat sich mittlerweile super eingegroovt. Mehr!

 

THE PINPRICKS

JoyBoy: Zwischen getaner Arbeit, Abendbrot und eigenem Auftritt bleibt mir noch kurz Zeit, einen Blick auf THE PINPRICKS zu werfen. Die dreiköpfige Band liefert ihre „Uptempo-Bluesrock mit etwas Punk“-Mixtur gewohnt souverän und augenscheinlich motiviert ab. Leider ist der Sound zumindest direkt vor der Bühne aber nicht optimal und auf die Dauer etwas anstrengend.

Philipp: Stimmt, irgendwie klingen die Höhen recht fies, wenn man sich zu nah an der Bühne aufhält. Ich positioniere mich im Laufe des Auftritts weiter an der Seite und kann den Klang gleich besser goutieren. Das Trio treibt seine Songs unermüdlich nach vorne, Ronja Kaminskys Stimme passt zu den abwechslungsreichen Stücken, die zwischen Grunge, Hardrock und Bluesrock pendeln. Mittlerweile haben die PINPRICKS offenbar diverse neue Stücke im Köcher, die sich zu denen der bei TOANOL veröffentlichten Platte gesellen. Wenn meine Ohren sich nicht täuschen, wird sich das klangliche Spektrum der Band auf der nächsten Veröffentlichung erweitern. Let’s wait and see.   

 

NOM

Philipp: Bei NOM wird es voll und warm im Zelt. Brachial knüppeln die Jungs, die das Festival maßgeblich organisieren, alles zu Klump. Doch Moment! Alles? Nein, auch wenn man das beim Anblick der Krater, die Gigant Kocher in den Boden stampft, kaum glauben mag: Die Band nimmt Rücksicht auf eine Horde Kinder, welche den Bühnenbereich belagern. Ausgelassen wirbeln die Knirpse auf und vor der Bühne herum. „Sind hier denn auch Erziehungsberechtigte anwesend?“, überprüft Chef Wolle die Situation. Wieder mal ein Spaß, der Band zuzugucken, wie sie ihren rüden Mix aus Hardcore, Sludge und Metal abfeuert!

 

WARPATH

Philipp: WARPATH, die alte Dampfwalze! Auf dem MOSH IM MAI hatte ich sie neulich nicht sehen können, heute wird das endlich nachgeholt. Von der Urbesetzung der Truppe ist natürlich nur noch Dirk „Dicker“ Weiß am Start, aber das macht gar nichts, denn Flint (g), Sören (b) und Norman (d) haben den Spirit verinnerlicht, der mit der Refrainzeile „THIS IS MASSIVE“ im Grunde alles perfekt auf den Punkt bringt. Den Klassikern „Massive“ und „Against Everyone“ stehen mittlerweile zwei neue Longplayer zur Seite, aus denen eifrig geschöpft wird. Zwei Dinge stehen WARPATH besonders gut: alles zermalmende Doomparts und Uptempo-Gehacke, bei dem kein ICE hinterherkommt. Nur eins muss Dirk sich merken: Wenn auf dem Rd-Rock ein Zwischenrufer „Ausziehen!“ pöbelt, darf man niemals mit „Jo, du musst anfangen!“ antworten.

 

POWER

JoyBoy: POWER. Ich setze mir gerne nochmal die Lorbeeren auf: Das war meine Idee. Wir waren uns hinterher in der Band einig, dass es einer der für uns schönsten Auftritte der Bandgeschichte war und auch eine emotionalere Geschichte, als uns vorher bewusst war. Irgendwie war es nichts mit der inneren Distanz zur „Band von früher“, sondern eher, als kämen wir grade von irgendeiner unserer Touren durch irgendwelche Kaffs . Vielen Dank nochmal ans RD-Rock, an Micha und an alle, die dabei waren und die Show zu dem gemacht haben, was sie war.

Philipp: So eine Reunion kann ja auch mal schiefgehen. Aber POWER spielen einen der besten Auftritte, den ich von ihnen gesehen habe. Der legendäre Abschiedsgig vom April 2016 steht natürlich außer Konkurrenz. Der Band gelingt es wieder, ihren speziellen Mix aus Hardcore/Punk-Basis, metallischen Riffattacken, enthemmten Geknüppel und melodischen O-ho-ho-Chören zum Leben zu erwecken. Gerade Kelling wird man so bald nicht mehr in diesem Stil ballern sehen, jetzt, da SLYMER auf Eis liegen. Natürlich bleiben uns alle Akteure in den verschiedensten Bands erhalten, aber keine klingt so wie POWER. Der Mob dreht gut durch, ein klassischer Rd-Rock-Action-Pit mit derart viel Details und witzigen Momenten, dass ich wie wild mitstenographiere, damit der Nachwelt kein Detail verloren geht. Leider hat der Hund die Aufzeichnungen gegessen. Egal, war geil!

Bitter: Wie in Teil 1 berichtet, muss JoyBoy darauf hinweisen, dass „Nein“ „Nein“ heißt, und das auf mindestens einen konkreten Vorfall hin, der dazu führte, dass direkt oder indirekt Betroffene ihn baten, das auf der Bühne zu thematisieren.

 

COR

Philipp: Unten wüten bereits COR, als wir uns die Frisuren wieder glattgestrichen haben. Friedemann tigert über die Bühne und die Band wirkt, nein, IST motiviert wie eh und je. Ich habe COR vor Jahren zum ersten Mal auf einem frühen Rd-Rock gesehen und war begeistert von der Energie, welche die Band freisetzt. Immer wieder diese geshouteten Chöre, die sich festsetzen, dazwischen das Gerappel von Friedemann. Und fast so geil wie die Musik, wenn nicht noch besser, die Ansagen. Der Kerl könnte Motivationsredner sein und würde Junge-Union-Spießer dazu bringen, sich die Klamotten vom Leib zu reißen und „Weltrevolution jetzt!“ zu brüllen! Aber Quatsch, indoktrinieren will Friedemann natürlich gar nicht. Bisschen mitdenken oder überhaupt einfach nur zur fucking WAHL gehern, wäre schon schön: „Menschen sind dafür gestorben, dass ihr überhaupt wählen dürft, also sauft euch heute zu, wie ihr wollt, aber zieht morgen den Finger aus dem Arsch und geht wählen!“

 

ABSTURTZ

Philipp: Die Brachiapunker sehe ich heute bereits zum dritten Mal (2012, Alte Meierei; 2009, Alte Meierei). Erfrischend frei von allen gängigen Strömungen ballern ABSTURTZ nach vorne. Dass es so einen dringlichen Pogo-Aufruf mittlerweile viel zu selten gibt, sehen offenbar viele so. Denn hier und jetzt regieren Mr. Knochenpogo und Fr. Blutgrätsche. Irgendwo zwischen RASTA KNAST, POPPERKLOPPER und DRITTE WAHL, nicht ohne Finessen, immer schön schnell atemberaubend nach vorne gedroschen, so mögen es die Punker aus Schleswig-Holstein. Wütende Geschichte.

 

MOPED ASCONA

JoyBoy: Schließlich bin ich sehr gespannt auf den ersten Live-Eindruck der Exil-Rendsburger Supergroup MOPED ASCONA. Die Formation mit Mitgliedern der BIG BANDERS und mit Robin von ROBINSON KRAUSE am Gesang verspricht einiges, dennoch bin ich platt ob des Levels, das die Band auf die Bühne bringt – das ist bei der „Background-Band“ musikalisch, bei Robin alkoholisch gemeint. Letzterer Umstand drückt teilweise stark auf die Lachtränendrüse, erzeugt aber ansonsten ein merkliches Qualitätsgefälle zwischen Robin und dem Rest des Bühnengeschehens. Man kann sich das ungefähr vorstellen wie einen völlig besoffenen Karaokesänger vor einer Profiband. Dennoch: die Band entpuppt sich als potentiell große Nummer. Die sehr poppigen Songs verfügen allesamt über eingängige Hooks und spielen Robins nicht zu verachtendes Charisma perfekt aus. Auch der Sound stimmt jetzt. Ich bin schon sehr gespannt, wie sich die Band am 31. August auf dem Festival am kleinen Strand (übrigens zu kostenfreiem Einritt und parallel zu einer norddeutschen Motorsportveranstaltung mit weniger nennenswertem musikalischen Rahmenprogramm) präsentiert. Ein würdiger Abschluss, hoffentlich bis 2020.

Philipp: Danach werde ich gefragt, wie sich MOPED ASCONA eigentlich von ROBINSON KRAUSE unterschieden. Nun, bei ROBINSON KRAUSE sind alle Bandmitglieder besoffen, bei MOPED ASCONA halt nur… Robin. Aber dass man mich nicht falsch verstehen möge: Robin liefert ganz große Gesten, Top-Ansagen und hätte ganz Hanerau-Hademarschen in ein Kabelknäuel gewickelt, wenn nicht ein gewisser Ex-Zivildienstgenosse selbigen immer wieder entwirrt hätte. Die Songs sind hemmungslos poppig, aber auf tolle Weise, ganz typisch Robin in Texten und Melodieführung. Auf dem wenig später stattfindenden MOORLOCH-Fest soll sich das noch genauer herauskristallisieren (Bericht folgt). Jedenfalls hätte es keinen passenderen letzten Akt geben können. Die Platte werde ich blind kaufen.

 

Philipp: Auch der zweite Teil seit dem Neustart war perfekt und liebevoll organisiert. Der Andrang schien mir groß genug, dass man im nächsten Jahr auf Fortsetzung hoffen darf. Leider wurden zahlreiche Besucher*innen nachts noch beklaut. Hier war offensichtlich eine professionelle Gang unterwegs, die aus Bussen, Zelten etc. gezielt Wertgegenstände geklaut hat. Also Augen auf bei den nächsten Festivals!

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