SVALBARD / 20.08.2018 – Hamburg, Rote Flora

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Eben noch haben uns La Dispute in Altona gezeigt, wo der Elefantenbulle überall einen Rüssel hat, schon geht es weiter Richtung Schanze. Der Weg dahin ist im wahrsten Sinne des Wortes ernüchternd – auf der eingeschlagenen Route liegt weder ein Kiosk noch ein Späti. Kurz bevor die Stimmung aber zu kippen droht, erreichen wir dann doch unser Ziel und hier an der Schanze gibt es ja reichlich. Freundliche Menschen vor der Flora erkundigen sich sogleich nach unserem Wohlbefinden oder fragen uns, ob wir etwas brauchen. Da fühlt man sich willkommen und wünscht sich, überall würde sich der eine so um den anderen sorgen - sei es am Bahnhof, im Stadion, vor dem Supermarkt oder auch vor der Schule.


SVALBARD






In der Roten Flora ist man dagegen überrascht, wie pünktlich La Dispute ihr Konzert beendet haben oder wie schnell man vom Durst getrieben die knapp 2 km lange Strecke hinter sich lassen kann. So erleben wir noch kurz einen Bruchteil des Soundchecks von Svalbard mit und finden uns nur Augenblicke später draußen vor der Tür wieder. Das ist aber ok, hier cruisen immer noch die Skater in dem Beton Pool und sorgen für Furore bei den sich nach Schlaf sehnenden Anwohnern.


Die musikalisch entscheidende Entdeckung der letzten 20 Jahre war ohne Zweifel Warning für mich. Die wichtigste Band danach kann nur Svalbard gewesen sein. Diese öffnete für mich die Tür für all das, was ich zuvor überheblich als "Geknüppel" abgetan habe. Hier noch mal einen Dank an die Organisatoren des Kiel Explode, welches Svalbard bestimmt schon 32 mal zu Gast hatten (und hoffentlich diese Tradition beibehalten).


Nun aber ist es so weit. Die Rote Flora öffnet ihre Tür und ein zweites Mal Eintritt wird fällig. Dieser ist aber mit 5,00 bis 8,00 Euro mehr als fair bemessen. Anfangs füllt sich der große Saal der Flora eher langsam, später wird er mehr als gut gefüllt sein – immerhin ist es Montag und inzwischen schon 22:30. Ich schätze die Zahl der Besucher auf locker 250 - der freundliche Kassierer am Eingang sagt mir später mit einem Augenzwinkern: „120 Zahlende – aber das sind wirklich nur die, welche gezahlt haben.“


Bevor Svalbard aber die politischen Parolen von den Wänden bröckeln lassen, nutze ich die Zeit, um mit Liam – dem Gitarristen und Brüller der Band – geiles Gesülze auszutauschen. Dabei erfahre ich unter anderem, dass sie bereits zum dritten Mal in der Roten Flora spielen. Einmal in dem kleinen Raum und heute zum zweiten Mal in dem großen Saal. Wie ich die ersten beiden Auftritte verpassen konnte, ist und bleibt mir ein Rätsel.


Svalbard haben inzwischen vor (und nicht auf) der Bühne Position bezogen – vermutlich hat der Veranstalter nicht mit so einem Andrang gerechnet. Sogleich knallt es aus den Boxen dem dichtgedrängt stehenden Publikum entgegen. Mal brüllt Liam, dann wieder Serena. Beiden sieht man an, wie intensiv sie den Inhalt ihrer Texte leben und die darin beschriebenen Ungerechtigkeiten verachten. Zwischen ihnen springt der Basser hin und her, zeigt den Anwesenden aber meist nur seinen durchaus entzückenden Rücken. Der Schlagzeuger im Hintergrund verschwindet sofort in einem Wirbelwind aus Drum-Sticks. Das Publikum reagiert jedoch verhaltener als bei La Dispute – Mosh Pits gibt es auch auf Grund des eingeschränkten Platzangebots nicht - immerhin macht ein Typ neben mir den Propeller und senkt dadurch die Raumtemperatur erheblich.

Musikalisch mag es Post-Hardcore, Harcore, Crust, Emo(?!?), Post-Rock oder sogar Black Metal sein – fuck it!, darüber werden Forscher noch in 500 Jahren streiten. Der geschätzte Kollege Philipp Wolthers beschrieb es in seinem Bericht zum letztjährigen Kiel Explode aber genau richtig: „Häufig eingängig, immer mitreißend!“. Gespielt werden fast nur Stücke von dem aktuellen Album „It‘s hard to have hope“ - für mich bisher der Anwärter auf den Titel „Album des Jahres“. Nichtsdestotrotz hätte ich mir auch einige Stücke mehr von dem Vorgänger gewünscht – das war ja auch Album des Jahres.

Freundlich werde ich plötzlich darauf hingewiesen, dass es auch in der Flora Regeln gibt, an die es sich zu halten gilt. So ganz ohne geht es wohl nie. "Keine Bullen, keine Presse, keine Photos", steht in großen Lettern hier und da. Ich habe es immerhin noch geschafft, 2 Bilder für diesen Bericht zu schießen. Keine Ahnung, was das Problem ist. Entweder haben 99% der Besucher sich für dieses Konzert einen gelben Zettel für ihren Arbeitgeber vom Arzt geholt und liegen angeblich schwerkrank mit Mumps im Bett oder ein Großteil der Anwesenden sind Schwerverbrecher und bereits in 4 Sternensystemen zum Tode verurteilt worden. Zum Wohle aller (man weiß ja nicht, in welche Kategorie dieser oder jener fällt), habe ich sämtliche(!) Anwesenden professionell unkenntlich gemacht. Weiterhin wurden von mir alle Parolen, die einen Straftatbestand erfüllen, gegen den guten Geschmack verstoßen oder einfach nur unlustig sind, gleich mit verdeckt. Zum Glück wusste da keiner, dass ich früher die Rubrik "Frivol: Wie kann man die Handschellen auch nach dem Dienst noch sinnvoll nutzen?" für das monatliche Journal der Polizeigewerkschaft geschrieben und bebildert habe. Da wäre was los gewesen…


SVALBARD


"Wer von Euch hat sich einen Hund aus dem Tierheim geholt?", fragt Serena das Publikum. Leider nur verhalten hebt sich hier und da eine Hand als Zeichen dafür, dieses auch getan zu haben. Nichtsdestotrotz wird sogleich „For the Sake of the Breed“ ins Publikum gebrettert. Im Gegensatz zu den zuvor spielenden La Dispute sind die Texte von Svalbard (natürlich!) europäischer und befassen sich mit den Problemen hier. Derweil La Dispute über Drive-by Shootings oder die Verelendung ganzer Stadtteile singen, ist es bei Svalbard die Gleichberechtigung, der Tierschutz oder auch die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Probleme hüben wie drüben, aber im Gegensatz zu La Dispute, welche daran zu verzweifeln drohen, steckt in Svalbard noch die Wut zur Veränderung. Mit der befreienden Erkenntnis, so kann Europa und das Vereinigte Königreich - trotz Brexit – nicht verloren sein, verlassen wir die Rote Flora. Zwei Konzerte, zwei eher selten besuchte Locations, zwei mal das volle „Geknüppel“ auf die Zwölf. Sieger des Abends sind eindeutig beide!

Eine Zugabe gab es übrigens nicht, weil entweder der Basser oder Schlagzeuger nicht topfit waren – daran erinnere ich mich aber nicht mehr so genau. Dafür ging am Mercher aber mal so richtig die Luzi ab – wobei ich hier natürlich nicht schreiben darf, dass die auch da war.

Kommentare   

+1 #7 Philipp 2018-08-24 12:37
Ja, find ich auch gut. Die von dir beschriebenen Phänomene gibt es nun wirklich leider auch.
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+1 #6 Lasso 2018-08-24 12:10
@Hamburger: Da lacht das Phrasenschwein. Das hätte ein Bot nicht besser hinbekommen.
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0 #5 Lasso 2018-08-24 12:04
Philipp, weiß ich doch alles.
Ich wollte keinen Rechtfertigungsdruck erzeugen, sondern nur einen Erklärungsversuch starten, warum Sachen so gehandhabt werden, weil im Artikel eine entsprechende Frage gestellt wurde.
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+2 #4 Philipp 2018-08-24 11:24
Ich denke, dass alle DreMu-Autor*innen und Knipser*innen sich dieser Problematik bewusst sind und damit sensibel umgehen. Doom Fränk hat fast immer nur die Band auf seinen Bildern, in diesem Fall sind ja auch nur in dem unteren Bild ein paar wenige Gestalten zu sehen. Auf Jans Bildern sieht man fast nie etwas vom Publikum. (Was ich persönlich sogar manchmal etwas schade finde, gehört zur Konzertfotografie schließlich auch eine gewisse Atmosphäre.)
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-4 #3 Hamburger 2018-08-24 10:19
Ein Elend ist wohl eher, dass der Anwalt der Flora, Andreas B. , Sympathien für die Randale beim G20 Gipfel hat. Krawall und Steine schmeißen, das Eigentum Anderer zerstören gerne, aber bitte doch nicht in unserem Viertel. Kein Wunder, dass euch keiner mehr ernst nimmt.
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0 #2 Lasso 2018-08-24 08:30
Gibt eigentlich keinen Grund, das Fotoverbot in's Lächerliche zu ziehen. Es gibt und gab in Hamburg ständig Repressionen, oft genug rechtswidrig, gegen linke Strukturen, und das ist seit G20 nicht gerade besser geworden. Da werden Läden und Privatwohnungen aus nichtigen Gründen gerazzt, Leute in irgendwelchen obskuren Datenpools registriert, usw. Auch die Geschichte mit Iris Plate ist noch nicht soo lange her.
Da braucht man sich keinen Aluhut aufzusetzen um sich denken zu können, dass es manch einen brennend interessiert, wer sich so in und um die Flora herumtreibt. Es sind ja auch öfters Refugees zugegen, die sich aus behördlicher Sicht illegal im Land aufhalten.
Davon ab finde ich es auch eine normale Haltung, wenn man keinen Bock hat, dass einen irgendwelche Leute fotografieren und irgendwo im Internet ausstellen, wo man es nicht mitbekommt. Man sieht das ja oft genug, dass Leute nicht das Konzert aufnehmen, sondern wild in der Crowd herumfilmen. Ein Elend ist das.
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+3 #1 Philipp 2018-08-23 17:01
Wer Doom Fränks "professionelle Unkenntlichmachung" im Detail würdigen möchte, kann auffe Galerie gehen und dort jeweils das Lupensymbol unter dem Bild anklicken:

http://www.dremufuestias.de/index.php?view=category&catid=667&option=com_joomgallery&Itemid=191
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