ENZO Festival / 10.-11.08.2018 – Wagersrott

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Skandalöserweise existiert auf DreMu noch kein Bericht übers ENZO-Festival. Ob es daran liegt, dass die potentiellen Autor*innen eine derart rauschhafte Erfahrung durchlebt haben, dass die Erinnerung kein stabiles Fundament mehr für ein Review bot? Das wäre eine Unterstellung, schon klar. Da fällt mir ein: Ich war 2014 schon mal auffem ENZO… und hatte nicht berichtet. Die Erinnerung ist natürlich sogar jetzt noch kristallklar, ähem. Aber damals spielten nicht soo viele DreMu-relevante Bands und ich hätte nur von einem malerischen Festivalgelände mit grünen Wiesen, einer hippiesken Atmosphäre und enthemmten Feierlichkeiten berichten können. Total langweilig zu lesen. Dieses Jahr sind mit u.a. ALIAS CAYLON, DIE BULLEN, DYNAMITE, BIRTH OF JOY, RANTANPLAN und G.O.D. deutlich mehr Combos dabei, die meine Schreibfinger triggern. ENZO 2018, let’s go:




Es mag am Wetter liegen, am Billing oder einfach daran, dass es sich herumgesprochen hat, wie schön es auf dem ENZO Festival ist, aber Fakt ist, dass dieses Jahr bestimmt dreimal so viele Leute kommen wie 2014. Ich höre von ca. 1600 Besucher*innen, eine sehr angenehme Größenordnung. Problemlos können wir unser Zelt in einem Bereich aufschlagen, in welchem Bekannte etwas Platz reserviert haben. Das Wetter ist perfekt, es ist nicht mehr ganz so heiß wie an den letzten beiden Wochenenden. Es wird gleich losgehämmert, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, ich sage nur Holzblock, hohler Hammer und ganz viele Regelverstöße. Dennoch begeben wir uns irgendwann aufs eigentliche Festivalgelände. Dafür geht man durch ein Tal, welches den Bühnenbereich vom Campingplatz trennt. Vorsicht ist geboten, denn dieser Weg birgt nicht nur erhebliche Unwuchten im Boden, sondern auch frische Kuhfladen.


Während wir Bier, Essen und Cocktails organisieren, stehen gerade GOLDMOUTH auf der Bühne, eine Art Stoner Pop Band aus Hamburg. So richtig kann ich mich nicht auf die Musik konzentrieren, da einfach zu viele Begrüßungen anstehen. Irgendwie scheint heute JEDE*R hier zu sein. Dennoch kann ich sagen, dass GOLDMOUTH relaxt und chillig klingen, leicht verträumte Musik mit Schwebe-Vibes, eine Gastsängerin haucht soulig ins Mikro.


Zwischendurch müssen wir vor Offbeat-Klängen und Sprechgesang auch mal die Flucht antreten, aber irgendwann stehen ALIAS CAYLON auf der Bühne. Ebenso wie DIE BULLEN übrigens auf der kleineren Stage, was mich überrascht, aber gut funktioniert. ATZE schaffen es mal wieder: Drei Stücke und alle tanzen. Der Sound ist nahe an der Perfektion, die Songs perlen nur so aus der PA. Dazu kommt ja, dass ihr Drittwerk „Where There Be No Land“ richtig klasse geworden ist und mindestens auf Augenhöhe mit dem bisherigen Schaffen der Flensburger anzusiedeln ist. Weiterhin sind Hardcore und Punk wichtige musikalische Eckpfeiler, ALIAS CAYLON bleiben dabei stilistisch erfreulich schwierig zu greifen. Immer wieder gibt es ruhige Momente, ohne dass diese vorhersehbar wären. Und natürlich der Mut zu fast schon epischen Melodien, ohne dass es pathetisch wird. Na gut, ein wenig Pathos gibbet schon bei ATZE, aber warum auch nicht, verdammt. MANOWAR sind auch…, aber lassen wir das. Superauftritt mal wieder, musikalisch unangreifbar.


Zu DIE BULLEN wird es vor derselben Bühne vielleicht noch voller. Witzig finde ich ja, dass es auch jetzt noch Leute gibt, welche mit dem Konzept der Band nicht klarkommen bzw. es entweder nicht verstehen oder nachvollziehen können. „Ganz geile Mucke, aber was sollen die Kostüme?“, meckert zum Beispiel eine Besucherin in unserer Nähe. Dabei trägt Hannes heute anfänglich eine Schweinemaske, welche die Interpretation erleichtern könnte. DIE BULLEN klingen gerade bei ihren neuen Songs etwas ernster und finsterer als bisher, finde ich. Natürlich waren sie nie eine rein ironische Spaßband, aber schon die Titel der neuen Stücke sagen was aus. Ich notiere diesbezüglich „Reaktionäre Revolution“, „Keiner hat Schuld“, „Undercover Motherfucker“, „Wir sind die Gewalt“ und „Hamburger Linie“. Hannes schwingt den Schlagstock und brüllt „Das geht raus an alle Hater / Polizist ist ein Beruf für Täter“. Der Mob geht steil und es wird gar nicht so einfach für DIE BULLEN, Ordnung durchzusetzen. Da spackt doch glatt ein Halbnackter auf der Bühne herum und eine Punkerin will dem Beamten Schlüter die Dienstmütze stehlen. Letzterer besitzt zum Glück auch eine Dienstwaffe: „Dieser Schlagstock hat schon so manche Macke davongetragen – von Punkerköpfen und… Hippienieren!“ Auch durch den Hinweis auf die Möglichkeit, Störer zu denunzieren, bleiben Ruhe und Sicherheit gerade noch erhalten. Ja, nee, geil. Mittlerweile bin ich sicher, dass die zweite Platte ein gutes Ding wird. Zum Schluss gibt’s „Feierabend“ und einen schönen Coversong von DUWEIßTSCHONWEM mit dem logisch abgewandelten Titel „Protecting The Law“.


Auch nachts bleibt es herrlich entspannt auf dem ENZO. Sympathisch finde ich übrigens folgenden Info-Text von der ENZO-Seite zum After-Show-Programm, welches sich somit deutlich von anderen Festivals unterscheidet: „Da wir keine "On-Off-Rock'n'Roll-Partymaschinen" sind und sowieso gerne das Tanzbein zu guter Musik schwingen, gibt es in diesem Jahr auch wieder an beiden Festivaltagen nach der vollen Dröhnung Live-Musik eine kleine After-Show-Party – und das solange bis wir nicht mehr können (oder eher dürfen). Gute alte Tanzmusik von richtig geilen Typen gibt es dann vom Plattenteller - ab von elektronischem "Druffi"-Brei-Schrott, dafür eine wilde tanzbare Mischung aus Ska, Rock'n Roll, altem Punk, Rock, Heavy Metal, Trash und Pop.

Bekannt sind die DJs DJ BERT, STEREOTYP NIELS und PS EYKOHOL vor allem aus den Flensburger Szeneläden 'Peppermint', 'Kaffeehaus' oder dem 'Kühlhaus'. Aber auch im Speicher Husum oder auf Kieler Ska-Partys sind sie keine unbekannten mehr. Also packt auch Eure Tanzschühchen in Eure Koffer (die werdet Ihr sowieso häufiger beim Festival gebrauchen) und dann heißt es, ‘Abzappeln bis' vorbei ist‘!“


Samstag: Morgens und mittags wird erstmal fleißig gehämmert, bis wir uns zu GÖTZ WIDMANN aufs Gelände begeben. Mir ist das inhaltlich gerade zu sehr auf scheiternde Beziehungen fokussiert und irgendwann kannste dieses Akustikgezupfe auch echt nicht mehr hören.


Da sind DYNAMITE zum Glück völlig anders ausgerichtet: Hier wird unbekümmert die Rock’n’Roll-Maschine angeworfen und im Stile AC/DCs geshuffelt, gerifft und gegroovt. Sehr geiler Gesang, der eher in Richtung Brian Johnson (etwas melodischer) geht. Mir kommt allerdings mehrfach ein Satz aus JoyBoys DIETER-JACKSON-Review vom diesjährigen WILWARIN in den Sinn: „Der an sich souverän durchgezogene Auftritt von DIETER JACKSON wird ähnlich wie die Darbietung von Rezet im letzten Jahr unglücklicherweise zum Nebenschauplatz degradiert, weil drei unzureichend bekleidete alte Asis vor der Bühne erfolgreich darum kämpfen, die Aufmerksamkeit des Publikums von der Band abzuziehen. (…) DIETER JACKSON lassen sich davon nicht beeindrucken. Das von den Umstehenden zunehmend weiträumig gemiedene Geschehen des Asi-Dreiers vor der Bühne wird von ihnen mit keiner Silbe kommentiert, sondern vielmehr komplett ignoriert, was durchaus eine Leistung ist.“ So schlimm ist es bei DYNAMITE zwar nicht, aber auch hier ziehen drei Freaks ihre Shirts aus und bieten eine Side-Show, die sich wie ein Unfall in Zeitlupe anfühlt. Der Bühneneinpisser ist auch dabei und bekommt von einem anderen Halbflitzer in Windeseile mit Dreck einen ejakulierenden Schwanz auf den Rücken gemalt. DYNAMITE sind Profis und ziehen eiskalt und kommentarlos durch. Die Schweden waren übrigens schon mal in einem DreMu-Live-Review – von ihrem 2015er Auftritt im Hamburger St. Pauli Rock Café. Kollege Sick würde wohl empfehlen: „Googelt es… und hinterlasst,,,, ein fettes Like… Yeah,,,,…!“


HALLO KWITTEN spielen heute den besten Auftritt, den ich je von der Bande gesehen habe! Oder kommt der Eindruck nur daher, weil man die Hunde schon so lange nicht mehr gesehen hat? Die Band macht jedenfalls alles richtig und zockt ein astreines Hardcore/Punk-Set, welches im Drumming und Riffing schön viel Luft und Dynamik lässt. Peter, Kwixie und Gerri haben den Pöbel schnell im Sack und klopfen ihn in bester BLACK-FLAG-Manier windelweich. Ich hab auch schon lange nicht mehr so eine schöne Menschen-Pyramide auf der Bühne gesehen – natürlich samt Rosenweitwurf. Verrückterweise werde ich am nächsten Morgen von Gerris Ansagen geweckt „Hier vorne is noch ‘n Halbkreis, da können noch ein paar Schafe grasen…“ – die muss wohl jemand gefilmt haben und sieht sie sich später wieder an. Verständlich! Aber vor allem überzeugt der Auftritt durch seine stetig treibende Wucht und den rotzigen Gesang. Könnte ich mir jederzeit wieder angucken.


BIRTH OF JOY: „Huch, was ist das nun?“, denke ich noch, als ich ein nebeneinander aufgebautes Schlagzeug und Orgel sehe. Da orgelt es auch schon in bester URIAH HEEP / DEEP PURPLE-Manier los. Total geil, zumal auch der Gesang volle Kanne Old School kommt. Die Band stammt aus den Niederlanden und hat sich nach eigener Aussage „Sixties on steroids – psychedelic Organ Rock’n’Roll“ verschrieben. Es gibt ausufernd lange Instrumentalpassagen, in denen der Drummer Bob Hogenelst rumwühlt wie ein Großer, während Gitarrist Kevin Stunnenberg und Orgelfreak Gertjan Gutman sich und uns ins Nirwana frickeln. Plötzlich verschwinden die beiden letzteren von der Bühne und lassen ihren Schlagzeuger hart freidrehen, bis sie ebenso unerwartet – BAM! – wieder zurückkommen und mit einem Megacrescendo einsteigen. Keine Ahnung, seit wann es die Band gibt, aber alle Mitglieder des Trios scheinen mir noch recht jung zu sein. Auf jeden Fall ‘ne echte Entdeckung!


Auf dem Stöfenpark-Festival 2017 hatten mir RANTANPLAN überraschend gut gefallen, auf dem Rd-Rock jetzt auch wieder und so freu ich mich auf einen erneuten Auftritt der Hamburger. Ich werde nicht enttäuscht, denn RANTANPLAN schaffen es gut, zu unterhalten und gleichzeitig dazu politisch Stellung zu beziehen. Die Art, mit der sie das machen, sagt mir jedenfalls zu, weder plump noch irgendwie abgehoben. Zum „Unbekannten Pferd“ gibt es wieder die Reiternummer – Tröter Gero hüpft dem Bassisten auf den Rücken und singt von dort aus in ein hochgestelltes Mikro. Aus dieser ENZO-Deko, so einem hässlichen comichaften Kopf, schießt dazu sogar Feuerwerk. Oder kam das Feuerwerk schon bei BIRTH OF JOY? Egal, Bier statt Böller! Mittlerweile erkenne ich einige Songs wieder, z.B. „Staub“, „Revolution“ und „Jeder so wie er kann“, sind ja auch supereingängig. Alle schmettern mit und skanken, was das Zeug hält. Würd ich mir wohl nicht zu Hause anhören, aber auf so einem Festival machen RANTANPLAN definitiv Laune.


Auf dem Rückweg vernehmen wir noch, dass die Niederländer G.O.D. eine recht gelungene Mischung aus MOTÖRHEAD und ZEKE rotzen. Ich überlege, ob ich nochmal zurückgehe, aber noch bevor meine dringend benötigte Dixi-Sitzung beendet ist, sind G.O.D. auch schon durch. Nun, die nennen ihren Stil nicht umsonst Speedrock.


Yeah, herrliches Festival! Ich kann das ENZO nur empfehlen. Es ist übrigens sogar mit der Museumsbimmelbahn erreichbar, die extra einen Bedarfshalt einrichtet.

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